FG Hamburg 25.11.2015, 6 K 167/15

Insolvenzrecht und Umsatzsteuer: Wann greift das Aufrechnungsverbot gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO?

Für die Anwendung des Aufrechnungsverbotes gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist es entscheidend, ob zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits alle materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Für eine Berichtigung gem. § 14c Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG ist eine erforderliche materiell-rechtliche Voraussetzung, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist.

Der Sachverhalt:
Über das Vermögen der A-GmbH war im Jahr 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Dem beklagten Finanzamt schuldete die GmbH aus Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für Oktober bis Dezember 2002 insgesamt 125.997 €. Das Finanzamt ging davon aus, dass die GmbH damals keine Lieferungen erbracht und daher zu Unrecht die Umsatzsteuer ausgewiesen habe. Es lehnte einen Vorsteuererstattungsanspruch des Rechnungsempfängers ab.

Der Kläger berichtigte daraufhin Anfang 2009 die von der A-GmbH erstellten Rechnungen und beantragte beim Finanzamt die Berichtigung der Umsatzsteuer gem. § 14c Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG. Dabei ging er zunächst davon aus, dass die Korrektur für 2002 erfolgen müsse. Die Finanzbehörde vertrat die Ansicht, dass die Korrektur erst für den Besteuerungszeitraum 2008 möglich sei. Der Kläger erhob Klage, nahm sie jedoch wieder zurück.

Im Dezember 2012 reichte der Kläger eine Umsatzsteuererklärung für 2008 ein, in der er die Minderung der Umsatzsteuer wegen der nicht durchgeführten Lieferungen 2002 erklärte. Es erging der Umsatzsteuerbescheid 2008, durch den sich ein Restguthaben i. H. v. 646.164 € zzgl. Erstattungszinsen i.H.v. 161.538 € ergab. Das Finanzamt erklärte daraufhin die Aufrechnung seiner Forderungen aus Umsatzsteuer 2002 gegen das Umsatzsteuerguthaben der GmbH aus 2008. Dieser Erklärung widersprach der Kläger, woraufhin die Behörde den hier angefochtenen Abrechnungsbescheid erließ.

Der Kläger war der Ansicht, der Abrechnungsbescheid sei rechtswidrig, weil er gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO verstoße. Die Forderung der Schuldnerin sei erst in 2008 und damit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Das FG gab der Klage statt. Allerdings ist beim BFH ein Revisionsverfahren unter dem Az.: VII R 34/15 anhängig.

Die Gründe:
Die bereits gezahlte und aufgrund des geänderten Bescheids für 2008 zu erstattende Umsatzsteuer durfte nicht mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden.

Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Nach der Rechtsprechung aller drei für die Schnittstelle Umsatzsteuer und Insolvenzrecht zuständigen BFH-Senate ist maßgeblich, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung des Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt waren.

Im Streitfall war der Umsatzsteuervergütungs- bzw. -erstattungsanspruch des Klägers erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Anders als in den Urteilen des BFH vom 21.3.2014 (Az.: VII B 214/12) und vom 18.8.2015 (Az.: VII R 29/14) zugrunde liegenden Sachverhalten fehlte es hier im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung an einer materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Entstehung des Umsatzsteuererstattungsanspruchs. Denn materiell-rechtliche und nicht verfahrensrechtliche Voraussetzung für eine Berichtigung gem. § 14c Abs. 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG ist, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt wurde.

Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt wurde. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist beim Finanzamt gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des S. 4 eingetreten sind. Angewandt auf den vorliegenden Fall folgte hieraus, dass die Steuerbehörde erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden war.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.01.2016 14:46
Quelle: FG Hamburg online

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