BGH 14.1.2016, IX ZB 57/15

Rechtsmittelstreitwert kann von Zuständigkeitsstreitwert abweichen

Bei einer Klage auf Feststellung einer Forderung zur Insolvenztabelle bestimmt sich der Wert des Beschwerdegegenstandes für die Berufung nach dem Betrag, der zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten war. Angesichts der vom Gesetzvorgesehenen unterschiedlichen Zeitpunkte für den Zuständigkeits- und den Rechtsmittelstreitwert können sich bei identischem Streitgegenstand unterschiedliche Werte ergeben.

Der Sachverhalt:
Die Kläger erwarben drei Kommanditbeteiligungen an einer Fonds KG. Die S-GmbH (Schuldnerin) ist Gründungsgesellschafterin und Komplementärin des Fonds. Die Kläger machten Schadensersatzansprüche aus dem Erwerb der Kommanditbeteiligungen gegen die Schuldnerin geltend.

Das AG München eröffnete mit Beschluss vom 26.4.2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter. Mit drei Schreiben vom 7.6.2013 meldeten die Kläger zwei Forderungen über 26.250 € sowie eine Forderung über 21.000 €, jeweils zzgl. einer Auslagenpauschale von 20 € zur Tabelle an. Der Beklagte lehnte die Feststellung zur Tabelle ab.

Mit ihrer Feststellungsklage beantragen die Kläger in erster Linie, eine Insolvenzforderung von 73.500 € Zug-um-Zug gegen Abtretung aller Rechte aus den Kommanditbeteiligungen der Kläger festzustellen. Der Beklagte machte in erster Instanz u.a. geltend, dass die liquiden Mittel gerade ausreichend seien, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu tragen. Eine Quote sei nicht zu erwarten.

Das LG wies die Klage als unzulässig ab und setzte den Streitwert auf 500 € fest. Das OLG verwarf die von den Klägern eingelegte Berufung als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG missversteht die Regelung des § 4 ZPO. Ob eine Berufung die erforderliche Beschwerdesumme erreicht, richtet sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung.

Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist grundsätzlich der Zeitpunkt seiner Einlegung maßgebend. Demzufolge ist auch für die Bemessung des Wertes der Beschwer regelmäßig auf den Zeitpunkt der Berufungseinlegung abzustellen. Durch eine spätere Verminderung der Beschwerdesumme wird das Rechtsmittel regelmäßig nicht unzulässig. Dies ergibt sich aus § 4 ZPO, der den Stichtag für die Wertberechnung festlegt, ohne selbst einen Bewertungsmaßstab aufzustellen. Damit sind im Allgemeinen die in diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse für die Wertberechnung maßgeblich. Dies gilt auch für die Fälle, in denen sich bei gleichem Streitgegenstand der Wert des Beschwerdegegenstandes gegenüber dem Zuständigkeitsstreitwert erster Instanz verändert hat.

§ 4 ZPO bestimmt unterschiedliche Zeitpunkte für die Wertberechnung. Danach ist im Allgemeinen die Einreichung der Klage entscheidend, in der Rechtsmittelinstanz jedoch der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels. Es handelt sich dabei um eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers. § 4 ZPO zielt darauf ab, die Bedeutung von Wertschwankungen bei gleichbleibendem Streitgegenstand für die Dauer einer Instanz auszuschließen. Hingegen ist der Rechtsmittelwert ohne Bindung an den Zuständigkeitsstreitwert festzustellen. Angesichts der vom Gesetzvorgesehenen unterschiedlichen Zeitpunkte für den Zuständigkeits- und den Rechtsmittelstreitwert können sich bei identischem Streitgegenstand unterschiedliche Werte ergeben. Dabei kann der Wert höher oder niedriger als bei Einreichung der Klage sein.

§ 182 InsO bestimmt lediglich, welche Maßstäbe für die Wertberechnung bei einer Klage auf Feststellung einer Forderung anzulegen sind, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten wird. Die Vorschrift sagt jedoch nichts darüber aus, welcher Zeitpunkt für die Wertberechnung maßgebend ist. Insoweit bleibt es gem. § 4 InsO i.V.m. § 4 Abs. 1 ZPO bei den allgemeinen Regeln. Mithin kommt es im Streitfall für die Frage, ob die Mindestbeschwer erreicht ist, darauf an, welche Quote für die Forderung zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung zu erwarten war. Unerheblich ist hingegen, welche Quote bei Einreichung der Klage zu erwarten war.

Nach diesen Maßstäben ist die Berufung der Kläger zulässig. Da das LG die Feststellungsklage in vollem Umfang abgewiesen hat, ist für die Beschwer der Kläger maßgeblich, welchen Wert die Feststellungsklage bei Einlegung der Berufung, hier also am 11.3.2015, hatte. Vorliegend war selbst bei ungünstigen Annahmen am 11.3.2015 jedenfalls mit einer Quote von 1,91 Prozent zu rechnen. Dies ergibt gem. § 182 InsO, § 3 ZPO eine Beschwerdesumme von mindestens 1.403,85 €, welche die Grenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.02.2016 14:53
Quelle: BGH online

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