2 / 2016

Dr. Thomas Wachter, Notar, München

Zukunft des deutschen Vereinsrechts

I. Vereine als wichtige Säule einer modernen Zivilgesellschaft

Vereine haben in Deutschland eine lange Tradition und sind für das Funktionieren der Gesellschaft von größter Bedeutung. Heute bestehen rund 600.000 Vereine, die ganz überwiegend gemeinnützige Zwecke verfolgen und die Allgemeinheit auf vielfältige Art und Weise fördern. Knapp die Hälfte der Bundesbürger ist Mitglied in mindestens einem Verein; dabei sind die meisten Mitglieder auch selbst aktiv in der Vereinsarbeit tätig. Diese Vereinskultur gilt es auch in Zukunft zu bewahren und zu stärken.

Neben dem Idealtypus des kleinen und geselligen Vereins gibt es aber auch immer mehr große Vereine, die auch wirtschaftlich aktiv sind. Beispiele dafür sind etwa die Klubs der Fußball-Bundesliga, die Verbände der Wohlfahrtspflege (wie das Deutsche Rote Kreuz) und die Sachverständigeneinrichtungen (wie Dekra und TÜV). Aus der Sicht der Vereine stellt sich die geringe Regelungsdichte im Vereinsrecht möglicherweise als ein Vorteil dar. Allerdings können sich die Governance Strukturen von Vereinen auch als unzureichend erweisen (s. dazu die aktuellen Fälle von Deutschem Fußball Bund und ADAC; zu Letzterem Beuthien, NZG 2015, 449 ff.; Kögel, Rpfleger 2014, 569 ff.; Leuschner, ZIP 2015, 356 ff.). Im gemeinsamen Interesse aller Vereine sollte darauf geachtet werden, dass das große Ansehen der Vereine dadurch nicht gefährdet wird. Eine Beschränkung des Vereinsrechts auf seinen eigentlichen Kern erscheint dabei zielführender als eine immer weitere Öffnung für wirtschaftliche Tätigkeiten.


II. Rechtsformwahl

GmbHs können zu jedem gesetzlich zu zulässigen Zweck errichtet werden (§ 1 GmbHG). Dagegen können Vereine grundsätzlich nur für nicht wirtschaftliche Zwecke errichtet werden (§§ 21, 22 BGB). Bei wirtschaftlichen Tätigkeiten ist das Vereinsrecht gegenüber dem Gesellschaftsrecht subsidiär. Die Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins kommt daher in der Praxis kaum jemals in Betracht, da für eine wirtschaftliche Tätigkeit eine Organisation in der Form einer Handelsgesellschaft (z.B. einer GmbH) regelmäßig möglich und zumutbar ist. Der Gesetzgeber möchte damit sicherstellen, dass die für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften (vor allem zum Schutz von Gläubigern) nicht umgangen werden.

Vereine, deren Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (sog. Idealvereine) erlangen ihre Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister (§§ 21 ff., 55 ff. BGB i.V.m. §§ 374 ff. FamFG). Die Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Vereinen gehört seit langem zu den umstrittensten Fragen des Vereinsrechts (s. statt vieler H.-P. Westermann in Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 21 Rz. 2 – 6). Ausgehend vom Normzweck wird heute grundsätzlich darauf abgestellt, ob ein Verein Leistungen am Markt anbietet und wie ein Unternehmer am Wirtschaftsverkehr teilnimmt. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es dabei nicht an. In der Praxis scheitert die Gründung von neuen Vereinen keineswegs selten an diesem Kriterium. So wurde z.B. in jüngster Zeit Vereinen, deren Zweck auf den Betrieb einer Kindertagesstätte gerichtet ist, unter Hinweis auf ihre unternehmerische Tätigkeit die Eintragung im Vereinsregister verweigert (s. etwa KG Berlin v. 18.11.2011 – 25 W 14/10; großzügiger OLG Schleswig-Holstein v. 18.9.2012 – 2 W 152/11). Den betroffenen Eltern blieb (auch wenn sie die Entscheidung meist nur schwer nachvollziehen konnten) meist nichts anderes übrig, als eine gGmbH zu gründen oder den schon bestehenden Verein (u.a. zur Vermeidung von Haftungsrisiken) in eine gGmbH umzuwandeln (§§ 272 ff. UmwG). Die gGmbH (oder gUG [haftungsbeschränkt]) ist in diesen Fällen unstreitig eine zulässige und geeignete Rechtsform.

Bei größeren Vereinen tun sich die Registergerichte mit ihrer Entscheidung dagegen deutlich schwerer. Prominentes Beispiel dafür sind die Vereine der Fußball Bundesliga. Mit der ursprünglichen Idee eines Sportvereins nach dem Vorbild eines Turnvaters Jahn haben diese Vereine nur noch wenig gemeinsam. Der Sport ist heute in vielen Bereichen ein globales Geschäft und ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Allein die Klubs der (ersten) Fußball Bundesliga haben in der Saison 2013/2014 Umsatzerlöse von knapp 2,5 Mrd. € erzielt; dies ist der zehnte Umsatzrekord in Folge (s. www.bundes liga.de, Bundesliga-Report 2015). Amtliche Zahlen des Deutschen Fußball Bundes sind nicht bekannt; verschiedenen Medienberichten zufolge sollen die jährlichen Einnahmen aber weit über 200 Mio. € liegen. Der DFB ist dabei keineswegs nur ein Dachverband, der die Wettbewerbe unter den Vereinen organisiert. Vielmehr ist der DFB auch in zahlreichen anderen Bereichen aktiv, wie dem Bau einer Fußball-Akademie oder der Eröffnung des Deutschen Fußballmuseums. In der öffentlichen Wahrnehmung steht die Vermarktung der Nationalmannschaft („Die Mannschaft”) aber zweifellos im Mittelpunkt des Interesses. Die darauf entfallenden Einnahmen (u.a. Sponsoring, Merchandising, Fernsehübertragungsrechte) dürften auch wirtschaftlich von größter Bedeutung sein.


III. Nebenzweckprivileg

Allgemein anerkannt ist, dass der Zweck eines Vereins nicht ausschließlich auf eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit gerichtet sein muss. Vielmehr darf ein Verein auch unternehmerische Tätigkeiten entfalten, sofern diese dem nicht wirtschaftlichen Zweck zu- und untergeordnet sind und ein bloßes Hilfsmittel für dessen Erreichung darstellen. Die Nebentätigkeit darf dabei für das Erscheinungsbild des Vereins nicht prägend sein. Bei der zunehmenden Kommerzialisierung des Sports dürfte die Annahme einer untergeordneten Nebentätigkeit im Bereich der Fußball Bundesliga heute aber kaum noch vertretbar sein.


IV. Ausgliederung

Vor diesem Hintergrund haben viele Vereine schon früh damit begonnen ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten auf Tochtergesellschaften auszugliedern (s. dazu z.B. auch www.dfb.de: „Die DFB-Gesellschaften”). Der BGH hat in seinem ADAC-Urteil aus dem Jahr 1982 die Auffassung vertreten, dass die Beteiligung an einer Tochtergesellschaft (meist in der Rechtsform einer GmbH) keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Vereins begründet (BGH v. 29.9.1982 – I ZR 88/80, BGHZ 85, 84). Diese Entscheidung des BGH war von Anfang an umstritten; ob der BGH heute noch genau so entscheiden würde, ist ungewiss (s.a. BGH v. 10.12.2007 – II ZR 239/95, BGHZ 175, 12, zum Kolping-Bildungswerk Sachsen e.V.). Richtigerweise muss einem Verein die wirtschaftliche Tätigkeit einer Tochtergesellschaft zumindest dann zugerechnet werden, wenn er auf diese einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Bei einer 100 %igen Beteiligung ist dies stets der Fall. Der Verein kann in diesem Fall nach Belieben „durch regieren”, da die Geschäftsführer der Tochtergesellschaft von den Weisungen des Gesellschafters abhängig sind. Selbst bei einer einfachen Mehrheit von 50,01 % (die aufgrund der 50 + 1 Regel für die Fußball Bundesliga Vereine gilt, s. § 16c der Satzung des DFB) ist im Regelfall von einer Beherrschung auszugehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Beteiligten noch auf sonstige Weise miteinander verbunden sind.

V. Praxis der Registergerichte

Die Registergerichte müssen nicht nur bei Neugründung eines Vereins, sondern auch bei bereits bestehenden Vereinen überprüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Eintragung vorliegen. Käme ein Registergericht zu dem Ergebnis, dass ein Verein (z.B. aufgrund einer überwiegenden wirtschaftlichen Tätigkeit) zu Unrecht eingetragen ist, „kann” die Eintragung von Amts wegen gelöscht werden (§ 395 FamFG; zur Aufhebung von § 43 Abs. 2 BGB a.F. durch das Gesetz zur Änderung vereinsrechtlicher Vorschriften, BGBl. I 2009, 3145 ff., s. BT-Drucks. 16/12813, S. 22, u. BT-Drucks. 16/13542, S. 14). Die Registergerichte halten sich dabei bislang allerdings (vermutlich aus „poltischen” Gründen) zurück. Vielfach wird darauf verwiesen, dass ihnen von den wirtschaftlichen Tätigkeiten der einzelnen Vereine nichts bekannt ist. Diese Praxis erscheint allerdings nicht unbedenklich. Die Entscheidung über die Löschung eines Vereins steht im Ermessen des Gerichts. Nichtstun ist aber ein Ermessensfehlgebrauch. Das Gericht muss sein Ermessen tatsächlich ausüben. Fehlende Informationen können, sofern diese nicht ohnehin allgemein bekannt und öffentlich zugänglich sind, im Rahmen der Amtsermittlung von den betroffenen Vereinen angefordert werden (§ 26 FamFG). Im Interesse der Transparenz sollten die Entscheidungen der Registergerichte nicht in den Gerichtsakten verschlossen werden, sondern über die Dokumente des elektronischen Vereinsregisters für jedermann zugänglich sein.

VI. Fazit

Das Vereinsrecht gehört auf den Prüfstand. Einzelne Vereine sind heute von international tätigen, börsennotierten Wirtschaftsunternehmen kaum noch zu unterscheiden. Die Rechtsform des eingetragenen Vereins ist dafür offensichtlich ungeeignet. Die Registergerichte sind alleine nicht in der Lage gegen die zahlreichen Fälle einer Rechtsformverfehlung vorzugehen. Der Gesetzgeber kann die damit verbundene Umgehung der gesetzlichen Schutzvorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts nicht länger akzeptieren und sollte die betroffenen Vereine (ebenso wie Kitas) auf die Rechtsform der gGmbH (oder gAG) verweisen. Die wirtschaftliche Tätigkeit von Vereinen sollte auf wenige Ausnahmefälle von tatsächlich untergeordneter Bedeutung beschränkt werden. Im Interesse einer klaren Abgrenzung könnte dabei auch an die Schaffung von festen Umsatz- oder Erlöskriterien gedacht werden (s. etwa § 64 Abs. 3, § 67a AO).

Bei dieser Gelegenheit sollte auch das steuerliche Gemeinnützigkeitsrecht überprüft werden. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, dass der „bezahlte Sport” durch einen Sportverein auf Kosten der Allgemeinheit gefördert werden kann (§ 58 Nr. 8 AO) ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus gilt es vor allem, die Transparenz im Gemeinnützigkeitssektor zu verbessern. Gemeinnützige Körperschaften genießen (zu Recht) zahlreiche (nicht nur steuerliche) Begünstigungen. Allerdings sollte die Allgemeinheit dann auch berechtigt sein, über das gemeinnützige Engagement informiert zu werden. Gemeinnützige Körperschaften könnten z.B. dazu verpflichtet werden, einmal jährlich einen ausführlichen Bericht über ihre Tätigkeit (samt den Aufzeichnungen über ihre Einnahmen und Ausgaben und die Verwendung ihrer Mittel) über ihre Internetseite allgemein zugänglich zu machen. Möglicherweise hätte eine interessierte Öffentlichkeit manche Mittelfehlverwendung bereits früher aufgedeckt.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.09.2016 14:38