4 / 2016

Matthias Hägele, Rechtsanwalt, München

Bemessung der Jahressondervergütung des (teilfreigestellten) Betriebsrats – doch ein ungelöstes Problem!

Das BAG hat mit Urt. v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13 zur Frage der Bemessung erfolgsabhängiger (Jahressonder-)Vergütung von Betriebsräten abweichend vom ArbG München v. 7.8.2012 – 25 Ca 3131/12 und vom LAG München v. 16.1.2013 – 11 Sa 858/12 (vgl. Hägele, GmbHR 2013, 129 f.) mit Zurückverweisung an das LAG entschieden. Mit dieser Entscheidung bleibt aus Unternehmenssicht – nach diesseitigem Dafürhalten auch aus rechtlicher Sicht – das Problem der Bemessung erfolgsabhängiger Vergütung nach Zielvereinbarung für Betriebsräte ein streitanfälliges „Minenfeld”. Letztlich bleibt bei der Berechnung solcher variabler Lohnbestandteile für Betriebsräte nur, die zahlreichen Lösungsansätze, die bisher schon diskutiert wurden (vgl. Göpfert/Fellenberg/Klarmann, DB 2009, 2041 ff.; Hägele, GmbHR 2013, 129 f.), auf den Einzelfall unter dem „Rubrum” der Schätzung anzuwenden. Allerdings erteilt das BAG auf den ersten Blick dem Vergleichsmaßstab der Zielerreichung vergleichbarer Mitarbeiter eine Absage; dies mit der verkürzten Begründung, es käme auch beim erfolgs- bzw. leistungsabhängigen Lohn auf Basis des § 37 Abs. 2 BetrVG nur auf den nach fiktiver tatsächlicher Eigenleistung einheitlich zu ermittelnden Lohn an (vgl. BAG v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13, unter I.2.c] bb]). Mithin werden die bisher vertretenen einzelfallbezogenen Lösungsansätze, die regelmäßig auf Schätzungen nach § 287 Abs. 2 ZPO beruhen, der Maßstab bleiben (vgl. etwa LAG Berlin v. 28.6.1996 – 6 Sa 37/96, NZA 1997, 224; BAG v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13).

I. Das Entgeltausfallprinzip

Einig sind sich Literatur und Rechtsprechung, dass Ausgangspunkt der Problemstellung bei der Berechnung variabler Lohnbestandteile für teilfreigestellte oder nicht freigestellte Betriebsräte der Grundsatz des Entgeltausfallprinzips ist, also der Fortzahlungsanspruch, wie er sich aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 611 Abs. 1 BGB ergibt, (vgl. BAG v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13, unter I.2., m.w.N.; Göpfert/Fellenberg/Klarmann, DB 2009, 2041 ff.; Hägele, GmbHR 2013, 129 f.). Dieses Prinzip, welches für den vollständig freigestellten Betriebsrat ebenso gilt wie für den teilweise freigestellten oder den faktisch vorübergehend befreiten Betriebsrat (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 38 Rz. 85 f.; BAG v. 18.2.2014 – 3 AZR 568/12, Rz. 26), konkretisiert hinsichtlich der Vergütung das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG (BAG v. 28.6.1995 – 7 AZR 1001/94, NZA 1996, 252).

Zu klären blieb nun die eigentliche Frage, wie sich der tatsächlich zutreffende „Entgeltausfall” und mithin die richtige variable leistungsabhängige Vergütung des Bemessungszeitraums für denjenigen Teil bestimmen lässt, für den der Betriebsrat keine tatsächliche Arbeitsleistung vorweisen kann, weil er teilweise freigestellt war oder weil er aufgrund starker Inanspruchnahme unterjährig Betriebsratstätigkeit statt Arbeitsleistung zu erbringen hat. Im vom BAG entschiedenen Sachverhalt war unstreitig, dass eine unterjährige Betriebsratstätigkeit auch bei nicht freigestellten Betriebsräten bis zu 50 % oder gar mehr der Jahresarbeitszeit auf sich ziehen kann. Es ist also keineswegs eine kleine zu schließende Lücke, die anhand einer hypothetischen Berücksichtigung der Arbeitsleistung des Betriebsrats während der „vorübergehenden Arbeitsbefreiung” aufzufüllen ist. Genau das macht die vom BAG allein für richtig gehaltene Schätzung der Eigenleistung des Betriebsrats aber problematisch. Denn wie das LAG München zu Recht hervorhebt, ist zu berücksichtigen, dass je höher der Anteil der (faktischen) Freistellung des Betriebsrats ist. Umso mehr muss angezweifelt werden, dass eine Zielerreichung während der tatsächlichen Arbeitsphase sich auch auf einen Freistellungszeitraum übertragen lässt. Mit anderen Worten, je höher der Anteil der (faktischen) Freistellung, desto schwieriger wird es auch, schlüssige Schätzungsgrundlagen zu finden. Daher muss es möglich sein, zumindest wenn die Freistellung nicht völlig unbeachtlich ist, auf die schon vom Gesetz in § 37 Abs. 4 BetrVG vorgesehene Vergleichsgruppe abzustellen (Hägele, GmbHR 2013, 129 f.). Auch im Bereich des Lohnausfallprinzips, ob nun unter dem „Rubrum” der Schätzung des § 287 Abs. 2 ZPO oder aber nach dem Rechtsgedanken des § 78 S. 2 BetrVG, der sowohl von § 37 Abs. 2 BetrVG als auch gerade durch § 37 Abs. 4 BetrVG konkretisiert wird, muss die Feststellung des entgangenen Leistungslohns auch über die tatsächlich zutreffende Vergleichsgruppe erfolgen können (vgl. auch Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 27. Aufl. 2014, § 38 Rz. 86).

Bei der unstreitig anzustellenden Betrachtung, welches Arbeitsentgelt das Betriebsratsmitglied letztlich ohne die Arbeitsbefreiung verdient hätte, besteht also das kontrovers diskutierte Problem, wie diese Hypothese aufzustellen und zu begründen ist. Das BAG verweist in der der aktuellen Entscheidung auf § 287 Abs. 2 ZPO (BAG v. 29.4.2015 – 7 AZR 123/13, unter I.1.b]). Insoweit besteht jedoch bei genauer Betrachtung keine entscheidende Differenz zu den ausgeurteilten Entscheidungen der Vorinstanzen des ArbG München und dem LAG München sowie den Literaturmeinungen, die im Rahmen dieser (hypothetischen) Entgeltbestimmung nichts anderes empfehlen, als für den üblichen Fall der Abhängigkeit des variablen Entgeltbestandteils auch von externen Faktoren, die nicht vom Betriebsrat beeinflusst werden können, die Ratio des § 37 Abs. 4 BetrVG zur Bestimmung des hypothetischen Entgelts unter Bezugnahme auf eine zutreffende Vergleichsgruppe und der dort erzielten Leistungen heranzuziehen (vgl. LAG München v. 16.1.2013 – 11 Sa 858/12; Wolmerath in Düwell, BetrVG, 4. Aufl. 2014, § 37 Rz. 26; Hägele, GmbHR 2013, 129 f.; Göpfert/Fellenberg/Klarmann, DB 2009, 2041 ff.). Auch diese Herangehensweise ist nichts anderes als das Ausfüllen des Rechtsgedankens des § 287 Abs. 2 ZPO unter Verwendung eines im Gesetz schon verankerten verobjektivierten Maßstabs!

II. Bewertung der Entscheidung des BAG

Auf Basis der vorstehenden Überlegungen ist es nicht überzeugend, wenn das BAG die Ermittlung des hypothetischen Leistungslohns und mithin der fiktiven Leistung des Betriebsrats nach § 287 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände durch Schätzung ermitteln will, aber ausschließt, dass im Rahmen einer solchen Schätzung die Zielerreichung der zutreffenden Vergleichsgruppe berücksichtigungsfähig ist. Es muss schließlich ein möglichst korrektes Ergebnis im Hinblick auf die Bestimmung der Zielerreichung und damit der leistungsabhängigen Entgeltkomponenten nach dem Gedanken des § 78 S. 2 BetrVG erreicht werden. Wenn aber zahlreiche externe Faktoren wie Marketingaktivitäten, Konjunktur, Produktzyklen, jahreszeitliche Einflüsse oder sogar Gruppenleistungen die leistungsabhängige Vergütung beeinflussen, spricht dies entscheidend für eine, je nach Einzelfall, belastbare Aussage in Bezug auf die Zielerreichung durch das Heranziehen einer direkten Vergleichsgruppe (so auch schon Göpfert/Fellenberg/Klarmann, DB 2009, 2041 ff.). Selbstverständlich muss bei der Ermittlung des hypothetischen leistungsabhängigen Erfolgs immer auch die Einzelfallbetrachtung alle anderen maßgebenden schlüssigen Faktoren, wie die eigene Leistung in der Vergangenheit, wie die Höhe des Anteils der Freistellung des Betriebsrats und damit des Anteils der hypothetisch auszufüllenden Zeiträume etc., berücksichtigen. Dies bedeutet nicht, dass der Rechtsgedanke des § 37 Abs. 4 BetrVG, der nach der BAG-Rechtsprechung (BAG v. 13.11.1987 – 7 AZR 550/86, NZA 1988, 403) auch für (nicht freigestellte) Betriebsratsmitglieder gelten soll, die sich wegen der Inanspruchnahme durch das Amt nicht in derselben Weise ihrem beruflichen Erfolg widmen können, bei der hypothetischen Zielerreichung bzw. Lohnfeststellung nicht angewendet werden könnte. Die eigentliche Frage muss sein, wie die anzustellende Hypothese möglichst schlüssig ist. Hierbei wird die direkte Vergleichsgruppe bei variabler Jahressondervergütung und Zielerreichung immer wieder schlüssige Lösungsansätze bieten, die gerade i.S.d. § 78 S. 2 BetrVG sind, weil diese Ansätze auch die externen Erfolgsfaktoren berücksichtigen.

Das BAG berücksichtigt auch nicht den Einwand des Betriebsrats, der eine unterdurchschnittliche Zielerreichung hinter der direkten Vergleichsgruppe in einem Bemessungszeitraum vorzuweisen hat. Dieser Betriebsrat wird aus seiner Sicht zu Recht einwenden, dass er bei gleicher zeitlicher Aktivität wie andere Mitarbeiter ohne Betriebsratsaufgaben, die zur direkten Vergleichsgruppe fehlende „Performance” aufgeholt hätte. Damit ist wieder der Rechtsgedanke des § 37 Abs. 4 BetrVG einschlägig, der den Betriebsrat nach diesseitigem Dafürhalten auch beim Entgeltausfallprinzip vor Nachteilen schützen soll, die darauf basieren, dass der Betriebsrat sich nicht in gleichem Umfang und in gleicher Weise seinem beruflichen Erfolg widmen kann wie vergleichbare Arbeitnehmer. Dies zeigt, wie streitanfällig die Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO auf in erster Linie vorgeblich individualisierten Leistungs- und Bewertungsgrundlagen des Betriebsrats ist. Schließlich wird auch die Ermittlung des variablen Entgeltbestandteils bei Heranziehung der Leistungen der vergleichbaren Arbeitnehmer für den (faktischen) Freistellungszeitraum nicht systemwidrig – wie es das BAG annimmt – in zwei Ermittlungszeiträume aufgespalten, sondern es verbleibt bei der Ermittlung eines einheitlichen erfolgsbezogenen Entgelts. Es erscheint künstlich, wenn einerseits zahlreiche „individualisierte” Schätzungsgrundlagen zur Ermittlung des erfolgsbezogenen hypothetischen Gehalts für die „Amtsarbeitszeit” i.V.m. dem während tatsächlich geleisteter Arbeitszeit erreichten Erfolg zu einem (geschätzten) Gesamterfolg als einheitliche Lohnberechnung gelten soll, jedoch die Zielerreichung während der tatsächlichen Arbeitszeit i.V.m. der Zielerreichung/dem Erfolg der direkten Vergleichsgruppe für die „Amtsarbeitszeit” keine einheitliche Lohnberechnung i.S.d. Entgeltausfallprinzips mehr sein soll. Das Ergebnis soll doch jeweils die Feststellung der fiktiven Gesamtleistung während des Bemessungszeitraums sein.

III. Fazit und Empfehlung

Aus rechtlicher Sicht dürfte es auch nach der aktuellen BAG-Entscheidung im Rahmen der Bestimmung leistungsabhängiger Jahressondervergütung i.S.d. § 37 Abs. 2 BetrVG möglich und vielfach rechtlich zutreffend sein, auf die Zielerreichung der direkten Vergleichsgruppe für die „Amtsarbeitszeit” des Betriebsrats abzustellen. Dies dürfte im Rahmen der Bestimmung der fiktiven Eigenleistung des Betriebsrats im Rahmen der nach dem BAG vorzunehmenden Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) zulässig sein und nicht zuletzt die Berücksichtigung externer Einflussfaktoren sicherstellen. Es ist aber ratsam, in Betriebsvereinbarungen eine Regelung für nicht vollständig freigestellte Betriebsräte zu schaffen, die für die Zeit der Betriebsratstätigkeit i.S.d. § 37 Abs. 4 BetrVG die Vergleichsgruppenleistung zur Berechnung der Gesamtleistung des Betriebsrats im jeweiligen Bemessungszeitraum ermöglicht. Insoweit würde auch eine direkte Parallele zum Entgeltausfallprinzip im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beim Leistungsentgelt hergestellt bzw. aufrechterhalten. Denn hierbei ist es wohl unstreitig, dass die erzielten Leistungen der tatsächlich arbeitenden Mitarbeiter einer direkten Vergleichsgruppe zur Ermittlung des Leistungslohns herangezogen werden (vgl. Reinhard in Erf.Komm.ArbR, 15. Aufl. 2015, § 4 EFZG Rz. 14).

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 21.09.2016 09:13