5 / 2016

Dr. Karlheinz Autenrieth, Stuttgart

Gibt es ein Vakuum im Steuerrecht der Stiftung?

I. Vorbemerkung

„Wie erklärt man etwas, was es gar nicht gibt?” So könnte die Frage lauten, die sich ein unbefangener Betrachter stellt, der die Entscheidung des X. Senats des BFH v. 11.2.2015 – X R 36/11, BStBl. II 2015, 545 liest. So soll eine im Werden befindliche Stiftung für die Dauer zwischen Abschluss des Stiftungsgeschäfts und ihrer Anerkennung weder eine Vorstiftung, noch eine unselbständige Stiftung sein (vgl. Schiffer/Pruns, BB 2015, 1756 ff.). Dieses unklare Rechtsgebilde soll aber schon Gelder für seinen künftigen Vermögensstock in Empfang nehmen, aber eben noch keine Spendenbescheinigungen ausstellen können. Es muss sich also bei diesem Gebilde um ein künstliches Etwas handeln, das bestimmte Geschäfte, die auf seine Errichtung/Anerkennung ausgerichtet sind, vornehmen kann; andere Rechtsgeschäfte, die für die Leistung an das im Werden befindliche Rechtsgebilde wichtig sind, dagegen nicht. Eine Erklärung für diese Zwitterstellung gibt der X. Senat des BFH leider nicht, weil er sich lediglich mit der Ablehnung des Rechtsinstituts der Vorstiftung und der Verneinung einer unselbständigen Stiftung als Vorstadium zu einer rechtsfähigen Stiftung beschäftigen musste.

II. Rechtliche Qualifikation der Stiftung in Gründung

In der Literatur werden für die rechtliche Qualifikation der Stiftung in Gründung zwischen Abschluss des Rechtsgeschäfts und der Anerkennung der Stiftung unterschiedliche Ansichten vertreten. So wird zunächst von einem „Nullum” gesprochen (so Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine, Stiftungen und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 6. Aufl. 2009, Kap. A Rz. 46). Teilweise wird insoweit auch ein sog. „Nichts” unterstellt (Karsten Schmidt, npoR 2011, 57 ff.). Dieses „Nullum” oder „Nichts” wird dogmatisch als virtuelle juristische Person eingeordnet (Karsten Schmidt in Hopt/Reuter [Hrsg.], Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175, 182; Rawert, Beck’sches Formularbuch, Bürgerliches-, Handels- und Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2003, I. 28 Anm. 1). Weitergehend wird teilweise von einem Rechtsgebilde sui generis ausgegangen (Koos, Fiduziarische Person und Widmung, Das stiftungsspezifische Rechtsgebilde und die Personifikation treuhänderisch geprägter Stiftungen, 2004, S. 131, 290; Bruns, JZ 2009, 840 [845]; Spielker, ZStV 2010, 127 [130]).

Im Ergebnis muss einfach überlegt werden, was hätte der Stifter geregelt, wenn er gewusst hätte, dass es – aus welchen Gründen auch immer – auf die rechtliche Beurteilung der Interimsphase zwischen der Errichtung der Stiftung und ihrer Anerkennung ankommt. In diesem Fall hätte der Stifter ebenso wie der Gründer eines Vereins oder einer GmbH ein Rechtsgebilde gewollt, das der Anerkennung der Stiftung zum Durchbruch verhilft und ohne großen Aufwand in eine rechtsfähige Stiftung umgewandelt werden kann. Dieses Rechtsgebilde sollte aus folgenden Gründen ebenso wie eine unselbständige Stiftung rechtlich zu qualifizieren sein, weil es auf die formale Bezeichnung Anerkennung, Genehmigung oder formelle Inkraftsetzung gar nicht ankommt. Daher sprechen in der Vorstufe zwischen Errichtung und Anerkennung einer selbständigen Stiftung, also während des sog. Durchgangsstadiums, folgende Argumente für die Akzeptanz dieses Rechtsgebildes fiduziarische Stiftung im Rechtsverkehr:

  • die unselbständige Stiftung ist namensfähig, d.h. kann Träger eines eigenen Namens i.S.d. § 12 BGB sein (OLG Thüringen v. 17.10.2012 – 2 U 41/12 m. Anm. Schäller, ZStV 2013, 193);

  • die Gründung einer unselbständigen Stiftung muss den Stiftern nicht einmal bewusst sein; es genügt insoweit allein, wie sich das Rechtsgeschäft nach außen objektiv darstellt (OLG Oldenburg v. 18.11.2013 – 12 U 60/03, ZStV 2014, 60 m. Anm. Werner);

  • die virtuelle Rechtsperson fiduziarische Stiftung hat einen Rechtsträger, den als Organ der gedachten Stiftung Pflichten treffen ((ordnungsgemäße Verwaltung des Vermögens, Herbeiführung der Anerkennung der Stiftung; vgl. Karsten Schmidt, „Ersatzformen” der Stiftung – unselbständige Stiftung, Treuhand und Stiftungskörperschaft, in Hopt/Reuter [Hrsg.], Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 175, 182);

  • insoweit ist eine fiduziarische Stiftung einer Rechtsperson in gewissem Umfang angenähert (Bruns, JZ 2009, 840 ff.), welche durch die Anerkennung lediglich noch die rechtliche Verselbständigung erlangt;

  • die Umwandlung einer unselbständigen Stiftung in eine selbständige Stiftung vollzieht sich entweder durch formlosen Rechtsakt (= Anerkennung) bei einer von vornherein geplanten rechtsfähigen Stiftung oder durch Abgabe entsprechender Willenserklärungen zzgl. des formlosen Rechtsakts der Anerkennung, wenn bewusst und gewollt eine unselbständige Stiftung einer rechtsfähigen Stiftung vorgeschaltet ist. Denn nur im letzten Fall ist die gewollte Automatik von der unselbständigen Stiftung zu der dann anerkannten Stiftung durch die entsprechenden Erklärungen der Treuhänder, jetzt eine Umwandlung vollziehen zu wollen, geprägt (vgl. BGH v. 22.1.2015 – III ZR 434/13, ZIP 2015, 923).

  • Die Stiftung in Gründung ist grundbuchfähig und kann in das Grundbuch eingetragen werden (FG Schleswig-Holstein v. 8.3.2012 – 3 K 118/11, EFG 2012, 1184).

Insoweit ist die unselbständige Stiftung als Vorstufe zur werdenden Stiftung nur ein „rechtstechnisches Instrument einer Vermögenssonderung, die im Übrigen nach Maßgabe der besonderen Eigenart dieser Rechtsform zu konkretisieren ist” (so Fischer in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. 2011, § 1 Rz. 266). Der Nachteil einer vorgelagerten unselbständigen Stiftung vor ihrer Anerkennung besteht darin, dass bei der Übertragung von Grundvermögen auf die unselbständige Stiftung mit deren anschließender Anerkennung kein echter Formwechsel gegeben ist und daher z.B. zweimal Grunderwerbsteuer entsteht (Fischer in Boruttau, GrEStG, 17. Aufl. 2011, § 1 Rz. 274). Insofern kann der Begriff der unselbständigen Stiftung letztendlich nur als ein Schlagwort verstanden werden, unter dem verschiedene rechtliche Gestaltungen zusammengefasst werden, die alle darauf abzielen, mit den Mitteln des Schuldrechts eine rechtsfähige Stiftung zu erlangen (Werner, ZeRB 2013, 1 ff.). Somit wäre es in der Regel in der Tat günstiger, für den Fall, dass die rechtzeitige Anerkennung einer selbständigen Stiftung scheitert, von vornherein ausdrücklich Eventuallösungen vorzusehen, etwa das Rechtskonstrukt einer unselbständigen Stiftung, um irgendwelche Missverständnisse zu vermeiden (Reimann, DNotZ, 2012, 250 [257]).

Zu Recht hebt allerdings der BFH in seinem Urteil vom 11.2.2015 hervor, dass die beiden Stifterinnen weder einen schuldrechtlichen Vertrag über die Errichtung einer unselbständigen Stiftung mit einem Dritten geschlossen hatten, noch Vermögen auf einen Dritten übertragen hatten. Förster, BFH/PR 2015, 186 (187) betont daher in einer Anmerkung zu dieser Entscheidung, dass die Stifter weder schuld- noch sachenrechtlich an ihr Zuwendungsversprechen gebunden gewesen seien. Wenn man sich den zeitlichen Ablauf der Gründung der Stiftung vergegenwärtigt (vgl. dazu das Schaubild von Fiand, NWB 2015, 2061 [2062]), muss man Verständnis dafür aufbringen, dass der X. Senat des BFH davon ausgeht, dass das im Werden befindliche Rechtsgebilde noch nicht als unselbständige Stiftung qualifiziert werden konnte, da die treuhänderischen Stiftungsorgane noch nicht nach außen bekannt gegeben worden waren, zumal auch die Eröffnung der Bankkonten, auf welche das Stiftungsvermögen eingezahlt werden sollte, in diesem Zeitraum noch in der Schwebe war.

III. Schlussbemerkungen

Daraus folgt, dass die im Werden befindliche Stiftung, die nach außen aufgetreten ist, akzeptiert werden muss. Es muss der Eindruck vermieden werden, obwohl der X. Senat des BFH nichts Positives über das Rechtsgebilde der im Werden befindlichen Stiftung ausgesagt hat, sondern nur negative Abgrenzungen der noch nicht anerkannten Stiftung in den Entscheidungsgründen darstellt und daher ausführt, was die im Werden befindliche rechtsfähige Stiftung vor ihrem Auftreten nach außen alles nicht ist, dass dies zur Folge hat, dass das Gleichnis des Lehrers mit dem Schüler greift, das wie folgt lautet:

„Frage des Lateinlehrers an den Schüler in Abwandlung von Platons Sonnengleichnis: „Was ist ein nasciturus?”

Antwort des Schülers: „Das, was man noch nicht sieht, aber wenn es das Sonnenlicht erblickt, daraufhin so erstrahlt, als werde es gesund und munter das Licht der Welt erblicken.”

„Frage des Physiklehrers an den Schüler: „Was versteht man unter einem Vakuum?”

Antwort des Schülers: „Ich habe es im Kopf, nur kann ich es nicht erklären.”

So wie man heute weiß, dass ein nasciturus gesund und munter zur Welt kommen soll, so ist auch bekannt, dass es ein absolutes physikalisches Vakuum nicht gibt. Dieses Gleichnis zeigt also, dass die im Werden befindliche Stiftung kein Nullum oder Nichts sein kann. Dies kann steuerlich nur ein Rechtsgebilde vergleichbar einer unselbständigen Stiftung sein. Ein Abschied von dem Rechtsinstitut der unselbständigen Stiftung als Rechtskleid für die im Werden befindliche rechtsfähige Stiftung ist daher noch nicht eingeläutet (Autenrieth in FS für Mark Binz, 2014, S. 15 ff.; a.A. Schiffer/Pruns, BB 2015, 1756 [1758]). Ehe insoweit die Todesglocken läuten, muss der Nachweis eines völligen Vakuums gelingen.

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Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Fachanwalt für Steuerrecht bei der audit law gmbh Rechtsanwaltsgesellschaft.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.09.2016 14:36