12 / 2016

Raik Brete, Rechtsanwalt, Hannover

Auflösung einer mehrgliedrigen stillen Gesellschaft: Sofortige Beendigung – keine Liquidation

I. Einleitung

Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit verunglückten bzw. in finanzielle Schieflage geratenen Anlagemodellen bei sog. Publikumsgesellschaften beschäftigen seit mittlerweile vielen Jahren nicht nur die Instanzgerichte, sondern regelmäßig auch den BGH.

Dank ALAG, Albis & Co. wurden so immerhin bislang streitige Rechtsfragen zum Teil auch einer höchstrichterlichen Klärung durch den BGH zugeführt, was insbesondere Gesellschaftsrechtler aus fachlicher Sicht freuen mag (und die Verfahrensbeteiligten Rechtsanwälte in finanzieller Hinsicht). Bei den betroffenen Anlegern dürfte sich die Freude indes in Grenzen halten, denn oft bezahlen sie „doppelt”: zum einen sind die geleisteten Einlagen bzw. Einzahlungen in vielen Fällen endgültig verloren (nicht selten im mittleren oder hohen fünfstelligen Bereich) und darüber hinaus sollen noch weitere (Rück-)Zahlungen geleistet werden, wobei die mögliche Steuerersparnis dann nur ein schwacher Trost ist. Zum anderen werden die Anleger mit einem nicht unerheblichen Prozesskostenrisiko belastet, dem sie sich jedenfalls in den Fällen nicht entziehen können, in denen sie von der jeweiligen Gesellschaft in Anspruch genommen werden, an der sie sich beteiligt haben, es sei denn, sie erfüllen die Zahlungsforderungen, was vielen Anlegern jedoch bereits aus finanziellen Gründen nicht möglich ist.

II. Problemstellung

1. Eine ausführliche Auseinandersetzung speziell mit der Thematik der ALAG Auto-Mobil GmbH & Co. KG würde den vorliegenden Rahmen weit sprengen, auch weil die sich ergebenden rechtlichen Problemstellungen vergleichsweise komplex sind. Regelmäßig überschneiden sich gesellschafts- bzw. handelsrechtliche Regelungen mit Fragen des Kapitalanlagerechts.

2. Im Kern geht es aus gesellschaftsrechtlicher Sicht stets um sog. Publikumsgesellschaften, wobei bereits die Bezeichnung als Publikumsgesellschaft mindestens missverständlich, wenn nicht gar irreführend ist. Eine Publikumsgesellschaft ist keine Gesellschafts- bzw. Rechtsform im juristischen Sinne, sondern es handelt sich bei den Anlagemodellen bzw. -gesellschaften zumeist um eine Gesellschaft in Rechtsform der GmbH & Co. KG, an der sich eine Vielzahl von Anlegern beteiligen. Die Anleger sind aus juristischer Sicht Kommanditisten oder wie im Fall ALAG (atypisch) stille Gesellschafter (Beteiligte) i.S.d. §§ 230 ff. HGB (was kaum einem der Anleger wirklich bewusst ist bzw. erst bewusst wird, wenn er mit Zahlungsforderungen konfrontiert juristischen Rat einholt). Rechtlich lässt sich die Anlageform als sog. mehrgliedrige stille Gesellschaft einordnen. Mehrgliedrig deshalb, weil die Anleger bzw. die Stillen nicht jeder für sich, sondern gemeinsam den Zweck verfolgen, das Handelsgewerbe zu fördern (s. dazu z.B. Schubert in Oetker, HGB, 3. Aufl. 2013, § 234 Rz. 38).

3. Die Besonderheit im Fall ALAG besteht im Weiteren darin, dass die Stillen ihre jeweilige Einlage in vielen Fällen nicht zu sofort bezahlen mussten, sondern auf mehrere Jahre gestreckt in monatlichen Raten. Nachdem die ALAG wohl seit mindestens 2009 in finanzielle Schieflage geraten war, ein Insolvenzverfahren aber vermieden werden sollte, wurde schließlich in 2009 die Auflösung bzw. Liquidation der stillen Gesellschaft beschlossen. Die Stillen sollten jedoch ihre bislang noch nicht in voller Höhe erbrachten Einlagen (weiterhin) bezahlen, da die ALAG die Gelder nach eigener Aussage bzw. Vortrag zur Schuldentilgung benötige.

Hiergegen wandten sich eine Vielzahl der Anleger bzw. Stille, nachdem sie von der ALAG „reihenweise” verklagt worden waren. Erfolgreich waren die Stillen indes erst vor dem BGH, nachdem die verschiedenen Instanzgerichte die Klageverfahren mit mehr oder minder großem Engagement bearbeitet hatten. Hierbei ging es jedoch zunächst nicht um gesellschaftsrechtliche Fragestellungen, sondern um Schadensersatz wegen Pflichtverletzung aus dem Anlageberatungsvertrag (BGH v. 11.2.2014 – II ZR 219/13 u. II ZR 223/13) sowie um eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung in der Beitrittserklärung (BGH v. 18.3.2014 – II ZR 109/13, ZIP 2014, 913).

III. Erneute Entscheidung des BGH zur ALAG Auto-Mobil GmbH & Co. KG

1. Nunmehr liegt eine weitere Entscheidung des BGH in Sachen ALAG vor (BGH v. 8.12.2015 – II ZR 333/14, ZIP 2016, 523), in welcher der BGH eine bislang kontrovers diskutierte gesellschaftsrechtliche Frage entschieden hat, nämlich ob die Beendigung bzw. Auflösung einer als sog. Innen-KG ausgestalteten mehrgliedrigen stillen Gesellschaft zu deren sofortiger Beendigung führt oder die stille Gesellschaft (wie eine KG) zu liquidieren sei.

Die Vorinstanzen LG Hamburg (Urt. v. 9.2.2012 – 334 O 308/09) und OLG Hamburg (Urt. v. 31.10.2014 – 11 U 57/13, ZIP 2015, 688) hatten die Klage noch abgewiesen; das LG allerdings aus anderen Gründen, weil der Kläger erstinstanzlich noch Schadensersatz in Form der Rückzahlung der bereits geleisteten Einlage wegen Pflichtverletzung aus dem Anlageberatungsvertrag (Rückabwicklung der Beteiligung) begehrt hatte.

Das OLG hatte die Klage u.a. mit der Begründung abgewiesen, dass eine mehrgliedrige stille Gesellschaft nach ihrer Auflösung als sog. Innen-KG zu liquidieren sei. In der Folge entstehe der Anspruch auf Mitteilung und Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens erst, nachdem sämtliche Schulden der Gesellschaft, d.h. des Geschäftsinhabers i.S.d. § 230 Abs. 1 HGB [Anm. d. Autors] berichtigt sind. Der jeweils Stille habe deshalb auch seine noch ausstehenden bzw. nicht erbrachten Einlagen zu erbringen.

2. Der BGH ist dem nicht gefolgt und hat stattdessen entschieden, dass die Beendigung bzw. Auflösung einer als sog. Innen-KG ausgestalteten mehrgliedrigen stillen Gesellschaft zu deren sofortiger Beendigung führt. Eine Liquidation entsprechend den Regelungen der §§ 145 ff., 155, 161 Abs. 2 HGB, wie es das OLG noch angenommen hatte, komme jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn wie im Streitfall lediglich die Auflösung der stillen Gesellschaft beschlossen wurde und nicht die der Geschäftsinhaberin. Für einen Liquidationsbeschluss bezüglich der Geschäftsinhaberin sind allein deren Gesellschafter zuständig und nicht die Stillen.

Der BGH hat sich in seiner Entscheidung ausführlich auch mit der im Schrifttum vertretenen gegenteiligen Auffassung auseinandergesetzt, wonach eine als sog. „Innen-KG” ausgestaltete mehrgliedrige stille Gesellschaft wie eine KG abgewickelt bzw. liquidiert werden müsse (dafür insbesondere K. Schmidt in Münch.Komm.HGB, 3. Aufl. 2013, § 230 Rz. 81 u. § 235 Rz. 62, 65; zum Streitstand s. i.Ü. Schubert in Oetker, HGB, 3. Aufl. 2013, § 234 Rz. 2 ff.).

Für eine solche Liquidation sei, so der BGH, deshalb kein Raum, weil die stille Gesellschaft über kein Gesellschafts- bzw. Gesamthandsvermögen verfüge und keine eigenen Verbindlichkeiten habe, die zu tilgen bzw. entsprechend §§ 145 ff., 155, 161 Abs. 2 HGB vorweg zu befriedigen wären.

Als Rechtsfolge steht dem Stillen zum Zeitpunkt der Auflösung ein Anspruch auf Errechnung und Auszahlung eines Abfindungsguthabens zu und insoweit war die Revision des Klägers erfolgreich. Etwaig noch offene Verbindlichkeiten der Geschäftsinhaberin, worauf sich die ALAG u.a. berufen hatte, haben bei der Berechnung des Abfindungsguthabens außer Betracht zu bleiben.

IV. Fazit und Ausblick

1. Die Entscheidung des BGH ist zum einen natürlich aus Sicht der Anleger zu begrüßen, da sie für die Betroffenen Rechtssicherheit schafft. Zudem bietet sie denjenigen Anlegern, die sich derzeit noch in einem Klageverfahren befinden oder außergerichtlich in Anspruch genommen worden sind, eine gute Argumentationsgrundlage, um Zahlungsansprüche entweder abzuwehren oder sich je nach konkreter Fallkonstellation zu vergleichen.

Zum anderen überzeugt die Entscheidung des BGH aber auch inhaltlich. Entscheidend kommt es in Fällen wie dem vorliegenden darauf an, dass die stille Gesellschaft und der Geschäftsinhaber rechtlich nicht identisch und daher getrennt voneinander zu beurteilen sind. Regelmäßig ist der Stille gerade nicht Gesellschafter auch der Geschäftsinhabern (was indes nicht ausgeschlossen ist) und somit kann er die Liquidation der Geschäftsinhaberin weder beschließen, noch nimmt er an dieser teil. Dies ergibt sich m.E. bereits aus der Grundkonzeption der stillen Gesellschaft, wonach die Einlage nach § 230 Abs. 1 HGB in das Vermögen des Geschäftsinhabers übergeht und der Stille lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung hat. Im Außenverhältnis wird der „Stille” gegenüber Gläubigern des Geschäftsinhabers nach Abs. 2 der Vorschrift gerade nicht verpflichtet, es sei denn, die Parteien treffen eine davon abweichende Regelung, was aber bei der ALAG zweifelsfrei nicht der Fall war bzw. ist.

2. Abgesehen von dem Fall ALAG wird sich die Rechtsprechung wohl auch zukünftig mit sog. Publikumsgesellschaften zu befassen haben, und die vorliegende Entscheidung des BGH dürfte nicht die letzte in diesem Zusammenhang gewesen sein. Als Beispiel können aktuell Rückzahlungsansprüche durch die sog. „DS-Rendite-Fonds” (Schiffsfonds) genannt werden, die gegenüber den Gesellschaftern (Kommanditisten) geltend gemacht werden, unter Hinweis auf eine Entscheidung des OLG Hamm v. 4.2.2015 – I-8 U 89/14 zugunsten der Gesellschaft. Dem stehen aber möglicherweise die Entscheidungen des BGH aus 2013 (BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11 u. II ZR 74/11, ZIP 2013, 1222) sowie jüngst aus 2016 (BGH v. 16.2.2016 – II ZR 348/14, ZIP 2016, 518) entgegen, in welchen der BGH einen Rückzahlungsanspruch in vergleichbarer Konstellation abgelehnt hat. Insoweit kann der weiteren Entwicklung in der Rechtsprechung auch aus gesellschaftsrechtlicher Sicht mit Spannung entgegen gesehen werden.

 

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 20.09.2016 14:33