EuGH 9.3.2017, C-398/15

Kein Recht auf Vergessenwerden hinsichtlich der im Gesellschaftsregister eingetragenen personenbezogenen Daten

Es existiert kein Recht auf Vergessenwerden für die im Gesellschaftsregister eingetragenen personenbezogenen Daten. Die Mitgliedstaaten können jedoch nach Ablauf einer hinreichend langen Frist nach der Auflösung der betreffenden Gesellschaft in Ausnahmefällen einen beschränkten Zugang Dritter zu diesen Daten vorsehen.

Der Sachverhalt:
Der klagende Geschäftsführer einer Gesellschaft, die einen öffentlichen Auftrag für die Errichtung einer Ferienanlage in Italien erhielt, ging 2007 gerichtlich gegen die Handelskammer Lecce vor. Er war der Auffassung, dass sich die Immobilien der Anlage deshalb nicht veräußern ließen, weil sich aus dem Gesellschaftsregister ergebe, dass er Geschäftsführer eine anderen Gesellschaft gewesen sei, die 1992 insolvent geworden und 2005 liquidiert worden sei.

Das erstinstanzliches Gericht in Italien gab der Handelskammer Lecce auf, die personenbezogenen Daten zu anonymisieren, die den Kläger mit der Insolvenz der früheren Gesellschaft in Verbindung bringen, und verurteilte die Handelskammer zum Ersatz des dem Kläger daraus entstandenen Schadens. Der von der Handelskammer Lecce angerufene Kassationsgerichtshof hat dem EuGH nun mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Er möchte wissen, ob es die Richtlinie 95/46/EG zum Schutz der Daten natürlicher Personen und die Richtlinie 68/151/EWG über die Offenlegung von Gesellschaftsurkunden verbieten, dass jede Person ohne zeitliche Beschränkung Zugang zu natürliche Personen betreffenden Daten im Gesellschaftsregister haben kann.

Die Gründe:
Die Offenlegung von Gesellschaftsregistern soll die Rechtssicherheit in den Beziehungen zwischen den Gesellschaften und Dritten sicherstellen und dient u.a. dazu, die Interessen Dritter gegenüber Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu schützen, da diese zum Schutz Dritter lediglich ihr Gesellschaftsvermögen zur Verfügung stellen. Außerdem können sich auch noch mehrere Jahre nach Auflösung einer Gesellschaft Fragen ergeben, die einen Rückgriff auf im Gesellschaftsregister eingetragene personenbezogene Daten erfordern. In Anbetracht der Vielzahl der Rechte und Rechtsbeziehungen, die eine Gesellschaft (auch nach ihrer Auflösung) mit Akteuren in mehreren Mitgliedstaaten verbinden können, und der Unterschiede in den Verjährungsfristen der verschiedenen nationalen Rechte erscheint es nämlich nicht möglich, eine einheitliche Frist festzulegen, nach deren Ablauf die Eintragung der Daten im Register und ihre Offenlegung nicht mehr notwendig wären.

Unter diesen Umständen können die Mitgliedstaaten natürlichen Personen, deren Daten im Gesellschaftsregister eingetragen sind, nicht das Recht garantieren, nach einer bestimmten Frist nach Auflösung der Gesellschaft die Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten verlangen zu können. Dieser Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen (Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten) ist nicht unverhältnismäßig, da erstens nur eine begrenzte Zahl an personenbezogenen Daten im Gesellschaftsregister eingetragen wird und es zweitens gerechtfertigt ist, dass die natürlichen Personen, die sich dafür entscheiden, über eine Aktiengesellschaft oder eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung am Wirtschaftsleben teilzunehmen, und die zum Schutz Dritter lediglich das Vermögen dieser Gesellschaft zur Verfügung stellen, verpflichtet sind, die Daten zu ihren Personalien und Aufgaben innerhalb der Gesellschaft offenzulegen.

Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass in besonderen Situationen überwiegende, schutzwürdige, sich aus dem konkreten Fall der Person ergebende Gründe ausnahmsweise rechtfertigen können, den Zugang zu den sie betreffenden personenbezogenen Daten nach Ablauf einer hinreichend langen Frist nach der Auflösung der Gesellschaft auf Dritte zu beschränken, die ein besonderes Interesse an der Einsichtnahme in die Daten nachweisen. Eine solche Zugangsbeschränkung zu personenbezogenen Daten muss das Ergebnis einer Einzelfallprüfung sein. Es ist Sache jedes Mitgliedstaats, zu entscheiden, ob er eine solche Zugangsbeschränkung in seiner Rechtsordnung wünscht. Vorliegend kann der Umstand allein, dass sich die Immobilien der Ferienanlage nicht veräußern lassen, weil die potenziellen Käufer Zugang zu den im Gesellschaftsregister eingetragenen Daten über den Kläger haben, u.a. wegen des berechtigten Interesses dieser Käufer an diesen Informationen nicht für eine Rechtfertigung der Zugangsbeschränkung zu diesen Daten ausreichen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 09.03.2017 17:17
Quelle: EuGH PM Nr. 27 vom 9.3.2017

zurück zur vorherigen Seite