10 / 2018

Ralf Knaier

Crossing borders, digitally? Das „Company Law Package“ auf dem Prüfstand

Was lange währt, wird endlich gut? Das zumindest hoffte man in Bezug auf das von der Europäischen Kommission ursprünglich für November 2017 angekündigte „Company Law Package“. Am 25.4.2018 wurde nun nach mehrmaliger Verschiebung das Kommissionspaket veröffentlicht (abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/publications/company-law-package_en, Stand: 25.4.2018). Das bisher umfangreichste Maßnahmenpaket im unionalen Gesellschaftsrecht ruht auf zwei Säulen: Zum einen soll der Einsatz digitaler Technologien im Gesellschaftsrecht gefördert werden (I.), zum anderen soll die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt durch grenzüberschreitende Sitzverlegung, Verschmelzung und Spaltung gefördert werden (II.). Regelungstechnisch schafft die Kommission bei beiden Themenfeldern nicht etwa neue und für sich stehende Richtlinien, sondern ergänzt an bestimmten Stellen die erst vergangenes Jahr konsolidierte Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. L 169/46 v. 30.6.2017). Die genannten Artikel sind also immer als einzufügende oder geänderte Normen der RL (EU) 2017/1132 zu verstehen.


I. Die Digitalisierung des Lebenszyklus von Gesellschaften

Mit besonderer Spannung wurde der Vorschlag für eine Richtlinie betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht (COM[2018] 239 final) erwartet (dazu ausführlich Knaier, Digital first, Bedenken second?, erscheint in GmbHR 11/2018). Bezweckt werden soll damit die Förderung des Einsatzes digitaler Technologien im gesamten Lebenszyklus einer Gesellschaft, was Erleichterungen für Gründer, Gesellschafter und weitere stakeholder bieten soll (COM[2018] 239 final, S. 1 ff.). Die Richtlinie gilt grundsätzlich für alle in Anhang II RL (EU) 2017/1132 aufgeführten Kapitalgesellschaften der Mitgliedstaaten (in Deutschland GmbH und AG), es sei denn es werden Ausnahmen ausdrücklich auf die Gesellschaftsformen in Anhang I oder IIA beschränkt.

Allgemein gibt der Vorschlag in Art. 13b vor, welche elektronischen Identifizierungsmittel für die Online-Registrierung und die digitale Einreichung von Unterlagen von den Mitgliedstaaten anzuerkennen sind, nämlich die des betreffenden Mitgliedstaates selbst und die nach der eIDAS-Verordnung (VO (EU) 910/2014, ABl. L 257/73 v. 28.8.2014) anzuerkennenden aus anderen Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten dürfen jedoch auch regeln, dass eine persönliche Anwesenheit vor einer Behörde oder anderen Stelle des Mitgliedstaats verlangt werden kann, wenn nachvollziehbare Gründe einen Betrugsverdacht nahelegen. Durch diese Stellschraube kann der von der Kommission erkannten Gefahr des Missbrauchs digitaler Lösungen (COM[2018] 239 final, S. 4) entgegengetreten werden.

Ein neu einzufügender Art. 13f soll in jedem Mitgliedstaat eine Online-Gründung ohne das Erfordernis persönlicher Anwesenheit vor einer Behörde oder anderen Institution im Gründungsstaat der entstehenden Gesellschaft ermöglichen. Hierdurch soll für Gründer ein schnelleres und günstigeres Verfahren bereitgestellt werden (COM[2018] 239 final, S. 4). Besonders Start-Up-Unternehmern soll die Gesellschaftsgründung durch das Angebot von Satzungsmustern (sog. Templates) erleichtert werden, Art. 13g. Diese sollen nach Art. 13f Abs. 2, Art. 13g Abs. 2 auch bei der Online-Ferngründung zum Einsatz kommen können. Art. 13f ist in seiner Formulierung im Vorschlag jedoch so offen, dass auch eine umfassende Onlinegründung ohne die Nutzung solcher Muster möglich erscheint (vgl. auch COM[2018] 239 final, S. 18). Der Vorschlag geht damit in dieser Hinsicht weiter als die meisten Mitgliedstaaten, auch weiter als der „Digitalisierungsvorreiter“ Estland (dazu Teichmann, GmbHR 2018, 1 [8 ff.]). Bei der konkreten Umsetzung gibt Art. 13f Abs. 3 den Mitgliedstaaten einen Mindestregelungsauftrag, hinsichtlich dessen u.a. geregelt werden muss, dass im Verfahren gesichert ist, dass der Gründer rechtsfähig ist und seine Identität festgestellt werden kann. Art. 13f Abs. 4 ermöglicht den Mitgliedstaaten optional weitere Anforderungen an das Verfahren zu regeln, etwa, um sicherzustellen, dass die Firma oder der Unternehmensgegenstand rechtmäßig sind. Auch die Einbindung von Notaren wird hier gestattet, wobei allerdings weiterhin eine Gründung ohne physische Präsenz zu gewährleisten ist (Art. 13f Abs. 1). Daneben sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden das Onlineregistrierungsverfahren innerhalb von fünf Werktagen nach Einreichung aller Unterlagen und Leistung der erforderlichen Zahlungen abzuschließen. Bemerkenswert ist zudem, dass der Vorschlag keine Einschränkungen bzgl. der Gründerzahl trifft und auch juristische Personen als Gründer nicht ausgeschlossen werden. Dies wird in der Praxis wohl einige Rechtsunsicherheiten nach sich ziehen (so Teichmann, GmbHR 2018, 1 [12]). Einschränkend wird den Mitgliedstaaten lediglich nach Art. 13f Abs. 1 a.E. ermöglicht, die in Anhang I zu RL (EU) 2017/1132 aufgeführten Gesellschaftsformen von der umfassenden Onlinegründungsmöglichkeit auszuschließen. Hierbei handelt es sich um die „großen“ Kapitalgesellschaftsformen der Mitgliedstaaten, wie in Deutschland die AG. Neben den Anforderungen des Richtlinienvorschlages an Technik und Infrastruktur, die es zu erfüllen gilt, stehen wohl alle Mitgliedstaaten vor der großen Herausforderung, die digitale Ferngründung auch grenzüberschreitend zu ermöglichen. Dies wird von der Kommission als nicht weiter problematisch angesehen, was angesichts der derzeitigen Situation in den Mitgliedstaaten doch verwundert. Zwar gibt es vielerorts ein Online-Gründungsverfahren, jedoch bietet mit Ausnahme von Estland bisher kein EU-Mitglied ein funktionierendes und allgemein nutzbares grenzüberschreitendes Verfahren an (dazu Teichmann, GmbHR 2018, 1 [9 ff.]). Im Hinblick auf ausländische Gründer müssen die Satzungsmuster und Informationen zur Gründung jeweils in der für die größte Nutzergruppe weitgehend verständlichen EU-Amtssprache bereitgestellt werden (Art. 13e Abs. 3, Art. 13g Abs. 3).

Eine interessante Möglichkeit eröffnet der vorgeschlagene Art. 13g. Mitgliedstaaten wird durch diesen ein Mittel an die Hand gegeben, Informationen über die Inhabilität von Geschäftsführern aus anderen Mitgliedstaaten anzufordern. Zugleich werden Mitgliedstaaten dadurch verpflichtet, diese Informationen bereitzustellen. Unklar ist derzeit noch, ob das deutsche System der Geschäftsführerversicherung (ausführlich Heidinger/Knaier in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 6 Rz. 30 ff.) über Bestellungshindernisse diesen Vorgaben unionsrechtskonform entspricht.

Weitere Aspekte des Vorschlages betreffen die Möglichkeit der Gesellschaft sämtliche Informationen und Dokumente digital an das Register zu übermitteln (Art. 13i), die elektronische Veröffentlichung von Registerinformationen und den Schutz des guten Glaubens hieran (Art. 16 n.F.) sowie den Zugang zu diesen Informationen (Art. 18 n.F.) bzw. die Kostenerhebung für eine Zugänglichmachung (Art. 19 n.F.).

Für Zweigniederlassungen werden weitestgehend inhaltsgleiche Regelungen in Art. 28a – 28c eingeführt.


II. Die neue Binnenmarktmobilität

Die zweite Säule steht gewissermaßen auf einem dreiteiligen Sockel. Der Vorschlag (COM[2018] 241 final) befasst sich mit einer Novellierung der früheren Verschmelzungsrichtlinie und soll erstmals grenzüberschreitende Sitzverlegungen und Spaltungen in einem kodifizierten Rechtsrahmen außerhalb der Rechtsprechung des EuGH ermöglichen (COM[2018] 241 final, S. 1 ff.). Diese Operationen sind zwar bereits heute unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit unter Beachtung der EuGH-Rechtsprechung möglich (ausführlich Knaier in Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2017, Teil 5 Kap. 6 Rz. 343 ff.), in der Praxis jedoch oft schwer durchführbar oder mit neuen Unsicherheiten durch denkbare Rechtsprechungsänderungen verbunden (s. zuletzt die Polbud-Entscheidung, EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Komm. Bochmann/Cziupka; dazu und zu den Folgen Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314 ff.).

1. Die Novellierung des Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Verschmelzungen

Die Verschmelzungsrichtlinie (mittlerweile konsolidiert in Art. 118 – 134 RL [EU] 2017/1132) bietet bereits eine kodifizierte Möglichkeit grenzüberschreitende Verschmelzungen durchzuführen. Die Regelungen führten zu einem signifikanten Anstieg grenzüberschreitender Verschmelzungen in der EU (COM[2018] 241 final, S. 5). Dennoch sah die Kommission Überarbeitungsbedarf, besonders im Hinblick auf die Harmonisierung von Gläubiger- und Gesellschafterschutz (COM[2018] 241 final, S. 5 f.). Der Vorschlag sieht daher eine Harmonisierung der Gläubiger- und Gesellschafterrechte insbesondere im Verschmelzungsplan vor. Dennoch bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, z.B. die Zahlung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen auf einem höheren Schutzniveau zu sichern (COM[2018] 241 final, S. 6 f.). Der Vorschlag sieht auch den Einsatz digitaler Mittel während des gesamten grenzüberschreitenden Verschmelzungsverfahrens vor. Zudem wird der Informationsaustausch durch die Verknüpfung der Register gefördert.

2. Ein kodifizierter Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Sitzverlegungen

Auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit wurden in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche grenzüberschreitende Sitzverlegungen verbunden mit einem grenzüberschreitenden Formwechsel durchgeführt (s. jüngst EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Komm. Bochmann/Cziupka). Bisher herrscht zuweilen jedoch Rechtsunsicherheit bezüglich des konkret durchzuführenden Verfahrens (zum Hineinformwechsel s. z.B. Seibold, ZIP 2017, 465 ff.; zum Herausformwechsel s. Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859 ff.). In einigen Fällen weigern sich auch die mitgliedstaatlichen Register, den grenzüberschreitenden Formwechsel einzutragen (jüngst z.B. OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – I-3 Wx 171/16, GmbHR 2017, 1274).

Die hinsichtlich der Rechtssicherheit unbefriedigende Situation sucht nun die Kommission mit einem kodifizierten Verfahren zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung zu lösen (COM[2018] 241 final, S. 3 f.). Das Verfahren zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung soll in den neuen Art. 86a – 86u geregelt werden. Die Kommission hat hierbei insbesondere die Förderung der Mobilität kleiner und mittlerer Unternehmen sowie den Schutz von Arbeitnehmern, Gläubigern und Gesellschaftern im Blick (COM[2018] 241 final, S. 4). Für die Gewährleistung der Arbeitnehmermitbestimmung nimmt die Kommission Bezug auf das Verhandlungsverfahren, wie es bereits aus der SE-VO (VO [EG] 2157/2001, ABl. L 294/1 v. 10.11.2001) bekannt ist (Art. 86l). Ähnliche Vorschläge fanden sich diesbezüglich bereits in den bislang nicht erfolgreichen Vorschlägen zur SPE und zur SUP, weshalb die Möglichkeit besteht, dass dieser Aspekt auch für den Vorschlag zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung eine politische Hürde darstellen wird. Für Gesellschafter, die mit der Sitzverlegung nicht einverstanden sind, sieht Art. 86j Abs. 2 ein Recht zum Austritt gegen Abfindung vor. Die Regelung des Art. 86k bestimmt, dass Gläubiger ein zutreffendes Bild über die finanzielle Lage der Gesellschaft bekommen müssen und, falls erforderlich, zusätzliche Sicherungen verlangen können.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht orientiert sich der Vorschlag im Wesentlichen an den Regeln zur grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beachtung der vom EuGH aufgestellten Grundsätze für grenzüberschreitende Sitzverlegungen. Insbesondere sucht die Kommission die Vorgaben des EuGH für das auf den jeweiligen Verfahrensabschnitt anzuwendende Recht zu beachten und ein zweistufiges Verfahren unter Einsatz einer Sitzverlegungsbescheinigung (pre-conversion certificate, Art. 86m) zu etablieren (ausführlich hierzu bzgl. der Vorgaben des EuGH bereits Knaier/Pfleger, GmbHR 2017, 859 ff.).

3. Ein kodifizierter Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen

Auch die grenzüberschreitende Spaltung war bisher schon nach den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH zulässig, wenn die beteiligten Rechtsordnungen das Institut der innerstaatlichen Spaltung zulassen. Dieses Verfahren ist jedoch bislang mit noch deutlich größeren Rechtsunsicherheiten behaftet gewesen als die grenzüberschreitende Sitzverlegung, weshalb in der Praxis häufig zunächst ein Teilbetrieb nach nationalen Vorschriften ausgegliedert und dann grenzüberschreitend verschmolzen wird (zum Ganzen auch mit Vorschlag für ein Verfahren der grenzüberschreitenden Spaltung nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung Knaier in Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2017, Teil 5 Kap. 6 Rz. 417 ff.).

Die Kommission schlägt nun in Anlehnung an die Regeln über grenzüberschreitende Verschmelzungen und den bestehenden Rechtsrahmen für innerstaatliche Spaltungen (s. Art. 135 – 159) Regeln zur grenzüberschreitenden Spaltung in den neu einzufügenden Art. 160a – 160w vor (COM[2018] 241 final, S. 7 f.). Ebenso wie bei den vorgeschlagenen Regeln über grenzüberschreitende Sitzverlegungen liegt der Fokus auf der Förderung der Unternehmensmobilität mittels Spaltungen sowie auf dem Schutz von Arbeitnehmern, Gläubigern und Gesellschaftern (COM[2018] 241 final, S. 8).


III. Das „Company Law Package“ als Herausforderung für den Binnenmarkt

Mit dem Company Law Package wird eine gesellschaftsrechtliche „Wundertüte“ präsentiert. Die Handhabbarkeit und das systematische Verständnis der Vorschläge wird durch den regelungstechnischen Ansatz, die Vorschläge in die konsolidierte Richtlinie (EU) 2017/1132 einzufügen, erschwert. Durch die Vorschläge soll das Gesellschaftsrecht besonders um digitale Möglichkeiten bereichert werden. Während der Vorschlag betreffend den Einsatz digitaler Instrumente und Verfahren im Gesellschaftsrecht noch zahlreiche Fragen aufwirft und Rechtsunsicherheiten verstärken kann, haben die Vorschläge zur Kodifizierung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung und Spaltung das Potenzial, einen rechtssicheren Rahmen für diese Vorgänge im Binnenmarkt zu schaffen. Nichtsdestoweniger ist bei allen Erstentwürfen noch einiger Feinschliff erforderlich. Es muss geprüft werden, inwiefern die Mitgliedstaaten in der Lage sind, die Vorgaben zur grenzüberschreitenden digitalen Gründung überhaupt zeitnah umzusetzen. Bei den Vorschlägen zur Mobilität im Binnenmarkt kann besonders die Frage der Gewährleistung der Arbeitnehmermitbestimmung zu Streit führen. Diesen Herausforderungen wird sich nun zunächst das Europäische Parlament in erster Lesung stellen müssen, bevor der Rat Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen wird. In der Vergangenheit verliefen ordentliche Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 AEUV) gerade im Gesellschaftsrecht nicht reibungslos, so dass man sich voraussichtlich auf eine längere Verhandlungsphase einstellen muss.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 07.05.2018 11:14