17 / 2018

Dr. Thomas Wachter

Neues zum Brexit im Gesellschaftsrecht

I. Mehr als zwei Jahre nach dem Brexit – immer noch alles offen

Am 23.6.2016 haben die Briten im Rahmen eines Referendums (mit knapper Mehrheit) für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Die britische Premierministerin Theresa May hat daraufhin am 29.3.2017 dem Europäischen Rat gegenüber den Austritt erklärt (Art. 50 EUV). Damit scheidet das Vereinigte Königreich (nach über 45 Jahren) am 29.3.2019 aus der Europäischen Union aus. Dies ist der erste Austritt eines Mitgliedstaats in der Geschichte der Europäischen Union. Für den Austritt gibt es keinerlei (historische) Vorbilder. Die Rechtsunsicherheit ist groß.

In den letzten Monaten gab es beinahe täglich neue Meldungen über den Stand der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich. Der Chefunterhändler der Europäischen Union, Michael Barnier, erklärte im August 2018, dass das geplante Austrittsabkommen zwischenzeitlich zu „80 Prozent“ ausgehandelt sei. „Allerdings – 80 Prozent sind noch keine 100 Prozent“ (FAZ Nr. 177 v. 2.8.2018, S. 10). Zahlreiche wichtige Punkte sind immer noch offen.


II. Mögliches Austrittsabkommen

Die deutsche Bundesregierung bereitet sich jedenfalls schon einmal darauf vor, dass (im Oktober 2018) ein Austrittsabkommen abgeschlossen wird. Das Auswärtige Amt hat im Juli 2018 einen Referentenentwurf für ein Brexit-Übergangsgesetz (BrexitÜG) vorgelegt. Danach soll das Vereinigte Königsreich während eines Übergangszeitraums bis zum 31.12.2020 weiterhin als Mitgliedstaat der Europäischen Union gelten. Damit wäre auch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) in der Übergangszeit im Verhältnis zum Vereinigten Königreich noch anwendbar.

Das geplante Austrittsabkommen wird allerdings keine Vereinbarungen „über den Status der nach dem Recht des Vereinigten Königreichs gegründeten Gesellschaften“ enthalten (so die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag, BT-Drucks. 19/3465 v. 18.7.2018).


III. Ungewisse Zukunft der Private Limited Companies in Deutschland

In Deutschland gibt es derzeit rund 10.000 Private Limited Companies mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland (manche davon auch als Ltd. & Co. KG; aktuelle Zahlen bei Kornblum, GmbHR 2018, 669 ff.). Der Brexit hat für diese Gesellschaften weitreichende Folgen.

Im günstigsten Fall kommt es zu einem Austrittsabkommen mit dem Vereinigten Königreich. Die für die Gesellschaft maßgebliche Niederlassungsfreiheit würde dann zumindest noch bis zum 31.12.2020 fortgelten. Ohne ein Austrittsabkommen wäre der Brexit bereits zum 29.3.2019 wirksam. Das gesamte europäische Recht würde dann automatisch und ohne jede Übergangsregelung außer Kraft treten. Das Vereinigte Königreich wäre dann ein Drittstaat.

Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, dass die Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zum Vereinigten Königreich demnächst wegfällt – möglicherweise schon 2019, vielleicht auch erst 2020. Damit gilt die (europarechtliche) Gründungstheorie nicht mehr. Die englischen private limited companies sind in Deutschland nicht mehr als Kapitalgesellschaften anzuerkennen. Nach der (modifizieren) Sitztheorie des BGH werden die englischen Kapitalgesellschaften in Deutschland dann zu Personengesellschaften umqualifiziert (grundlegend BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 – Trabrennbahn, GmbHR 2009, 138 m. Komm. Wachter). Damit entfällt die Haftungsbeschränkung. Alle Gesellschafter (auch Minderheitsgesellschafter) haften persönlich für die (alten und neuen) Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Der für Kapitalgesellschaften geltende Grundsatz der Fremdorganschaft gilt nicht mehr, was zu Problemen bei der Vertretung führt. Steuerrechtlich droht eine Liquidationsbesteuerung.


IV. Rettung durch den deutschen Gesetzgeber

Der Bundesregierung ist die Problematik offensichtlich bekannt. Dem Vernehmen nach wird derzeit „intensiv“ geprüft, ob und welche Übergangsregelungen oder Optionen den Gesellschaften für einen geordneten Wechsel in eine Gesellschaft nach deutschem Recht eingeräumt werden können. Die Bundesregierung will ggf. „rechtzeitig“ einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen (so die Antwort der Bundesregierung auf die vorbezeichnete parlamentarische Anfrage, BT-Drucks. 19/3465 v. 18.7.2018). Indes: Die verbleibende Zeit ist knapp und die Optionen sind alles andere als zahlreich.

Eine allgemeine Kodifizierung der Gründungstheorie im internationalen Gesellschaftsrecht dürfte (politisch) derzeit kaum realistisch sein. Möglich erscheint allenfalls eine Bestandsschutzregelung für englische private limited companies, die bereits vor dem Brexit ihren Verwaltungssitz in Deutschland hatten. Solche intertemporalen Anerkennungslösungen wurden auch im Schrifttum immer wieder kontrovers diskutiert (dafür etwa Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361 [1363]; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378 [2381 f.]; dagegen Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 165 [170 f.] u. 209 ff.). Dabei ist u.a. ungeklärt, ob der deutsche Gesetzgeber einen solchen Bestandsschutz in Bezug auf die europäische Niederlassungsfreiheit auf nationaler Ebene überhaupt gewährleisten kann.


V. Handlungsoptionen für die betroffenen Gesellschaften

Angesichts der unsicheren Rechtslage sollten sich die betroffenen Gesellschaften besser nicht auf den deutschen und/oder europäischen Gesetzgeber verlassen, sondern ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Es gilt, die (wenigen) Monate bis zum Brexit zu nutzen und einen gesetzlichen „Rechtsformwechsel“ (mit kaum absehbaren gesellschaftlichen und steuerrechtlichen Folgen) zu vermeiden. Im Schrifttum wird seit langem auf verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten hingewiesen (ausführlich zuletzt Miras/Tonner, GmbHR 2018, 601 ff.; Süß, ZIP 2018, 1277 ff.). Die Umsetzung in der Praxis erfolgt bislang allerdings eher zögerlich. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass alle Optionen mit gewissen Risiken und Nachteilen verbunden sind.

1. Grenzüberschreitende Verschmelzung

Der sicherste Weg besteht derzeit in einer Verschmelzung der englischen Limited auf eine deutsche GmbH. Für eine solche Verschmelzung bestehen in beiden Ländern klare Rechtsgrundlagen (s. §§ 122a ff. UmwG und (Cross-Border Mergers) Regulations 2007, CCBMR). Zivilrechtlich führt die Verschmelzung zur Gesamtrechtsnachfolge; steuerlich ist die Verschmelzung zu Buchwerten möglich. Die praktische Durchführung einer solchen Verschmelzung ist allerdings aufwändig und teuer. Dies liegt vor allem an dem Verfahren vor dem englischen High Court und dem dort geltenden Anwaltszwang.

2. Grenzüberschreitender Formwechsel

Im Schrifttum wurde frühzeitig auf die Möglichkeit eines Formwechsels in eine deutsche GmbH hingewiesen. Der grenzüberschreitende Formwechsel ist allerdings weder im Vereinigten Königreich noch in Deutschland (s. §§ 190 ff. UmwG) gesetzlich geregelt. Auf der Grundlage der europäischen Niederlassungsfreiheit (und deren weiter Auslegung durch den EuGH) wäre ein solcher Formwechsel theoretisch zweifellos zulässig (s. zuletzt EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16 – Polbud, GmbHR 2017, 1261 m. Komm. Bochmann/Cziupka; ausführlich dazu u.a. Teichmann/Knaier, GmbHR 2017, 1314 ff.). In der Praxis scheitert der Formwechsel aber schlicht daran, dass das englische Companies House die Niederlassungsfreiheit schon vor dem Wirksamwerden des Brexit nicht mehr beachtet. Die deutschen Registergerichte tragen einen solchen Formwechsel derzeit daher nicht ein (s. etwa das Schreiben des Amtsgerichts Hamburg v. 31.7.2018: „Leider besteht auch aus Sicht des Handelsregisters in Hamburg keine Möglichkeit der Eintragung eines grenzüberschreitenden Formwechsels einer englischen Limited in eine deutsche GmbH ohne Mitwirkung der englischen Behörden. (...) (Die) Frage (...) dürfte vor dem EuGH zu klären sein.“). Nur: Den Weg bis zum EuGH möchte (schon aus Zeit und Kostengründen) kaum eine Gesellschaft bestreiten.

Das neue Company Law Package der Europäischen Kommission v. 25.4.2018 sieht auch die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Formwechsels vor (s. COM [2018] 241 final v. 25.4.2018, ausführlich dazu Knaier, GmbHR 2018, R148 ff; Knaier, GmbHR 2018, 607 ff.; Noack/Kraft, DB 2018, 1577 ff.; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 228 ff.). Allerdings handelt es sich dabei bislang nur um einen Vorschlag und noch nicht um geltendes Recht. Bis zur Umsetzung der Richtlinie in einigen Jahren ist der Brexit vermutlich längst vollzogen.

3. Grenzüberschreitendes Anwachsungsmodell

Als neue Gestaltungsoption wurde im Schrifttum jüngst ein grenzüberschreitendes Anwachsungsmodell vorgestellt (näher Miras/Tonner, GmbHR 2018, 601 ff.; Süß, ZIP 2018, 1277 ff.). Dabei wird (stark verkürzt) zunächst eine deutsche GmbH gegründet. Sodann werden die Anteile an der englischen Limited auf die GmbH übertragen. Mit dem Wirksamwerden des Brexit wird die Limited zur Personengesellschaft. Das Vermögen der Limited wächst dann bei der deutschen GmbH als alleiniger Gesellschafterin der Personengesellschaft an (analog § 738 BGB). Erste Praxistests zeigen indes, dass auch ein solches Anwachsungsmodell kein Königsweg ist. Die Einbringung der Anteile an der Limited in die deutsche GmbH erfolgt regelmäßig als Sacheinlage (bzw. einfacher als Sachagio, s. dazu BFH v. 7.4.2010 – I R 55/09, BStBl. II 2010, 1094 = GmbHR 2010, 1104, sowie Rz. 20.09. u. 01.44 UmwStG-Erlass 2011). Die Registergerichte verlangen in diesem Zusammenhang regelmäßig einen Nachweis über die Werthaltigkeit der Sacheinlage. Beim Sachagio muss zumindest nachgewiesen werden, dass dieses keinen negativen Wert hat. Ein Registergericht verlangte dafür jüngst (zu Unrecht) die vollständige Vorlage des Gesellschaftsvertrags der Limited (in beglaubigter Übersetzung), um diesen auf etwaige Nachschusspflichten prüfen zu können. Ein vergleichsweise teurer Nachweis ... Nicht unproblematisch ist auch, dass die erfolgte Anwachsung (anders als etwa eine Verschmelzung) später nicht einfach durch einen (chronologischen) Handelsregisterauszug rechtssicher nachgewiesen werden kann.

Steuerrechtlich können die Anteile an der Limited im Wege eines Anteilstauschs zu Buchwerten in die GmbH eingebracht werden (§ 21 UmwStG). Ungeklärt ist allerdings, ob es innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist nicht zu einem steuerpflichtigen Einbringungsgewinn kommt. Dafür spricht, dass die englische Limited mit dem Wirksamwerden des Brexit (zumindest aus deutscher Sicht) aufgelöst wird (s. § 22 Abs. 2 S. 6 u. Abs. 1 S. 6 Nr. 3 UmwStG). Zudem handelt es sich bei den eingebrachten Anteilen an der Limited dann nicht mehr um Anteile an einer EU-Gesellschaft (s. § 1 Abs. 4 UmwStG). Dagegen spricht, dass die Aktiva und Passiva der englischen Limited (ähnlich wie bei einer Verschmelzung) auf die deutsche GmbH übergehen. Bei einer Verschmelzung erlischt der übertragende Rechtsträger allerdings, wohingegen die Limited hier fortbesteht (zumindest aus englischer Sicht). Eine Anwachsung zu Buchwerten ist somit keineswegs sicher.

Zudem: Aus englischer Sicht bleibt die Limited bestehen. Der englische Registrar of Companies wird die Limited zwar irgendwann löschen, wenn diese ihren gesetzlichen Pflichten nicht mehr nachkommt. Die „feine englische Art“ ist eine solche Amtslöschung aber nicht (und kann auch mit Reputationsnachteilen verbunden sein).


VI. Fazit

Das Auftreten von englischen private limited companies in Deutschland hat in den letzten fünfzehn Jahren eine Vielzahl von (oft schwierigen) rechtlichen und steuerlichen Fragen nach sich gezogen. Viele davon sind bis heute nicht abschließend geklärt. Es ist zu befürchten, dass auch das Verschwinden dieser Gesellschaften aus Deutschland nicht völlig problemlos verlaufen wird. Der Brexit könnte dann auch insoweit im Chaos enden.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 28.08.2018 10:35