20 / 2018

Prof. Dr. Volker Römermann

Strafbare Notare, strafbare Berater und realitätsferne Berufsbilder

In Ländern mit Anwaltsnotariat wie in Ländern mit Nur-Notariat existieren enge Verbindungen zwischen Rechtsanwälten und Notaren. Kein Wunder, beraten Rechtsanwälte doch in Rechtsangelegenheiten, da braucht man unter Formgesichtspunkten oft Notare, Anwälte sammeln Erfahrungen, sprechen Empfehlungen aus. Notare freuen sich über Empfehlungen, davon leben sie – man ist versucht, zu ergänzen: Davon leben sie ganz besonders, zumal der Notarsenat des BGH nach wie vor praktisch jede Art der Werbung als verboten ansieht.


I. Überzogene Werbeverbote

Welche Stilblüten diese BGH-Rechtsprechung hervorbringt, zeigt jüngst der Beschluss des BGH vom 23.4.2018 – NotZ (Brfg) 6/17, AnwBl. Online 2018, 772 m. Bespr. Römermann, AnwBl. Online 2018, 740. Dort wird allen Ernstes einem Anwaltsnotar verboten, im Briefbogen die Bezeichnung „Notariat“ zu führen. Der Notarsenat ist über die Zeit, in welcher blaue Linien auf Notar-Briefbögen verboten wurden, offenbar noch nicht hinweg gekommen (die Zulässigkeit der blauen Linie dann bejahend erst BVerfG vom 24.7.1997 – 1 BvR 1863/96, WiB 1997, 1003 m. Anm. Römermann). Wo offener Marktauftritt verfemt wird, Transparenz vermieden, kommt es allein auf Empfehlungen, die „Mund-zu-Mund-Propaganda“, an.


II. Mandate und Gegenleistungen

Wer mehrfach Empfehlungen bekommt, empfindet Dankbarkeit. In einem asiatischen Kulturraum würde man ein Minus auf dem Beziehungskonto ausmachen und sich bemühen, es auszugleichen. Das ist im Grundsatz in Europa nicht anders, wird hier im Zuge einer zuweilen anzutreffenden Compliance-Hysterie indes zunehmend geleugnet. Realistisch betrachtet, werden auch deutsche Notare ihre Dankbarkeit äußern und etwas erwidern wollen. In der Praxis kann das die Einladung zum Mittagessen sein oder die wechselseitige Empfehlung.

Gegenleistungen für den Hinzugewinn von Mandaten sind im Berufsrecht verboten. Explizit statuiert § 49b BRAO: „(1) Es ist unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. ... (3) Die Abgabe und Entgegennahme eines Teils der Gebühren oder sonstiger Vorteile für die Vermittlung von Aufträgen, gleichviel ob im Verhältnis zu einem Rechtsanwalt oder Dritten gleich welcher Art, ist unzulässig. ...“ Im notariellen Berufsrecht heißt es in § 17 BNotO: „(1) Der Notar ist verpflichtet, für seine Tätigkeit die gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren zu erheben. Soweit nicht gesetzliche Vorschriften die Gebührenbefreiung oder -ermäßigung oder die Nichterhebung von Kosten wegen unrichtiger Sachbehandlung vorsehen, sind Gebührenerlass und Gebührenermäßigung nur zulässig, wenn sie durch eine sittliche Pflicht oder durch eine auf den Anstand zu nehmende Rücksicht geboten sind und die Notarkammer allgemein oder im Einzelfall zugestimmt hat. ... Das Versprechen und Gewähren von Vorteilen im Zusammenhang mit einem Amtsgeschäft sowie jede Beteiligung Dritter an den Gebühren ist unzulässig.“

Bei Rechtsanwälten gestattet das Berufsrecht seit Einführung des RVG frei verhandelbare Honorare mit Ausnahme der forensischen Tätigkeit. Dort, nur dort, dürfen die gesetzlichen Gebühren zwar über-, aber nicht unterschritten werden. Das Berufsrecht drängt geradezu darauf, dass Anwälte über die Vergütung sprechen (das waren sie bis dahin nicht gewohnt und sind es vielmals bis heute nicht) und (noch schlimmer!) verhandeln. So heißt es in § 34 RVG: „(1) Für einen mündlichen oder schriftlichen Rat ... soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit in Teil 2 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses keine Gebühren bestimmt sind. ...“ Geschieht das nicht, so sieht das Gesetz eine Kappungsgrenze für Honoraransprüche vor, um den Mandanten vor unliebsamen Überraschungen zu schützen.


III. Unternehmerische Notare

Anwälte sollen also, Notare dürfen nicht über Gebühren verhandeln. Bei Anwaltsnotaren schlagen zwei Herzen in einer Brust. Sie sehen sich in aller Regel als Unternehmer, die eine Kanzlei führen. Sie haben Mitarbeiter, Büroräume, Computer, alles wird aus einem Topf finanziert, und in einen Topf kommen auch die Einnahmen. Das gilt nach einhelliger Meinung – lediglich das OLG Celle hatte zeitweilig geschwankt (OLG Celle vom 30.5.2007 – Not 5/07, OLGR 2007, 709 = NJW 2007, 2929), dann aber den herrschenden Pfad wieder gefunden (OLG Celle vom 9.12.2009 – Not 12/09) – auch dann, wenn Anwaltsnotare mit Rechtsanwälten zusammengeschlossen sind. Wer könnte es nun Notaren verdenken, wären sie bestrebt, den Topf zu füllen, die Miete, die Gehälter ihrer Mitarbeiter zu sichern, womöglich sogar selbst davon zu leben?

Der Kontrast, einen Teil der Einnahmen verhandeln zu sollen, den anderen Teil hingegen nicht verhandeln zu dürfen, zeigt sich am augenfälligsten bei Anwaltsnotaren. Es wäre aber lebensfremd, den „Nur-Notaren“ zu unterstellen, sie lebten ausnahmslos von Erbschaften und Lottogewinnen, und schnöder, aus eigener Arbeit erdienter Lohn interessiere sie nicht. Jeder weiß, dass berufstätige Personen neben der Freude an der Arbeit auch davon getrieben sind, Einnahmen zu erzielen. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder ein Träumer oder sagt nicht die ganze Wahrheit.


IV. BGH erkennt auf Korruption

Ein in jüngster Zeit entschiedener Fall offenbart die ganze Schärfe der Problematik, die aus diesem Schwebezustand für alle Beteiligten resultiert. Ein (Anwalts-) Notar in Flensburg hatte Beteiligten Rabatte eingeräumt. Es kommt zur Anklage, auf den Freispruch des LG folgt der BGH. Er statuiert mit Urteil vom 22.3.2018 – 5 StR 566/17, AnwBl. 2018, 423 m. Bespr. Römermann, AnwBl. Online 2018, 621, dass Ermäßigungen gesetzlicher Notargebühren strafbare Korruption darstellten. Die Logik dahinter: Um die Zuführung von weiteren Mandaten zu erlangen, verzichte der Notar auf Ansprüche. Nach § 332 StGB ist der Bestechlichkeit schuldig, wer als Amtsträger einen Vorteil als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde. Die Erstellung einer Gebührenrechnung sei eine Diensthandlung im Sinne der §§ 332, 334 StGB, der Vorteil im Sinne der §§ 331 ff. StGB liege in der Aussicht auf künftige Beurkundungen, Amtsträger ist der Notar ohnehin und eine Pflichtverletzung liege in dem Verstoß gegen § 17 BNotO.

Das alles liest sich auf den ersten Blick schlüssig und enthält eine zunächst plausible Subsumtion. Auf zweites Hinsehen ergeben sich Fragen, etwa die, ob das bloße Abrechnen gemeint ist, wenn die Strafrechtsnorm Verletzungen einer Dienstpflicht verlangt. Würde etwa ein Polizist den Unschuldigen einkerkern, um bei dessen Rivalen ein Honorar zu verdienen, läge die Dienstpflicht auf der Hand. Ebenso verhielte es sich, wenn der Notar vom Grundstücksverkäufer ein Extrasalär dafür empfinge, dass er auf Risikohinweise und Belehrung des Käufers verzichtete. Ist aber die Gebührenermäßigung, durch die der Notar wirtschaftlich gesehen nur sich selbst schadet, eine im Sinne einer Korruption relevante Pflichtvergessenheit, die öffentliche Ahndung auf Grundlage des Strafrechts erfordert?

Juristisch überzeugt das Verdikt des BGH nicht, wenn man § 352 StGB in die Betrachtung einbezieht. Dort wird die Gebührenüberhebung unter Strafe gestellt, die Gebührenunterschreitung aber gerade nicht. Der Gesetzgeber hat präzise definiert, was strafwürdig sein soll: Das Abpressen überhöhter Zahlungen von Dritten. Nach der Systematik steht damit fest, dass die Gebührenunterschreitung nicht strafbar ist. Dieses Ergebnis dann mit dem Hebel allgemeiner Korruptionstatbestände wieder umzukehren, verbietet sich nach herkömmlicher Methodik.


V. Risiken für alle Beteiligten

Der BGH hat die Sache an das LG Flensburg zurückverwiesen, es geht also weiter. Damit ist jeder Notar, der Gebühren ermäßigt, ohne sich auf eine spezielle Rechtfertigung nach § 17 BNotO berufen zu können, dem Risiko einer Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im Amt ausgesetzt. In der Regel wird es sich um einen besonders schweren Fall handeln. Dafür gibt es nach § 335 StGB alternative Voraussetzungen, die bei Notaren oft gleich mehrfach vorliegen dürften: Wenn sich die Tat auf einen Vorteil großen Ausmaßes bezieht, der Täter fortgesetzt Vorteile annimmt, er gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt. Besonders schwere Fälle sind mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bedroht. Das bedeutet zugleich Amtsenthebung. Bedroht sind vice versa auch die Korrumpierenden, also Beteiligte an der Beurkundung. Außerdem können Berater oder Dritte als Anstifter oder Mittäter in den Kreis der Straftäter einbezogen werden. Wer etwa als Rechtsanwalt davon Kenntnis erlangt – dies womöglich sogar fördert –, dass sein Mandant bei einem Notar einen Rabatt erhält, kann schon wegen psychischer Beihilfe zur Bestechung dem Strafurteil verfallen.


VI. Ausblick

Vor der Ablösung der BRAGO durch das RVG galt jede Verhandlung über Anwaltshonorare in weiten Teilen der Anwaltschaft als verpönt. Rechtsanwälte, Organe der Rechtspflege, genossen ihren beamtengleichen Status, über das Honorar – den „Ehrensold“ (honor, lat. die Ehre) – sprach man nicht. Wer dennoch handelte, musste „standes-“ und wettbewerbsrechtliche Probleme befürchten. Der Gesetzgeber hat 2006 mit dem RVG die Kehrtwende eingeleitet. Über die Vergütung zu sprechen, ist heute bei Anwälten normal und erwünscht. Wann wird sich der Gesetzgeber der Notare annehmen und ihnen den Schritt in einen ehrlichen und transparenten Umgang mit unternehmerischen Aspekten ihres Berufs ermöglichen, anstatt zuzusehen, wie der BGH jede unternehmerische Regung massiv und mit dem Mittel der Existenzvernichtung unterdrückt? Das Lied vom altruistischen Amtsträger, der Einnahmen verachtet, Werbung meidet und der nur zufällig und ohne unternehmerische Orientierung durch das Berufsleben stolpert, ist ausgesungen. Längst ist es an der Zeit, anzuerkennen, was nicht zu übersehen ist: Notare sind – in allen Erscheinungsformen dieses Berufs – sowohl Träger öffentlicher Aufgaben als auch Unternehmer. Nichts ist verwerflich, wenn sie beiden Facetten ihres Daseins gebührend Rechnung tragen. Pflichterfüllung ist kein Gegenstand des Handels. Die Konditionen des Tätigwerdens selbst, der Preis der Aufgabenwahrnehmung also, müssen hingegen frei verhandelbar sein. Sozialen Belangen mag der Gesetzgeber in bestimmten Konstellationen durch Höchstgebühren Beachtung schenken. Für Mindestgrenzen der Vergütung gibt es indes keinen Anlass.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 12.11.2018 11:51