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Prof. Dr. Götz T. Wiese

Leitlinien für ein Unternehmensteuergesetzbuch – Perspektiven für das Unternehmensteuerrecht im Jahr 2019

Seit zehn Jahren ist das deutsche Unternehmensteuerrecht nicht mehr grundlegend reformiert worden, insbesondere das Konzernsteuerrecht verharrt im Status quo. Dabei liegen die Herausforderungen auf der Hand: Weltweit sinken die Unternehmensteuersätze, Deutschland ist in die Spitze der Höchststeuerländer vorgerückt. Unser Unternehmensteuerrecht ist kompliziert. Unser Internationales Steuerrecht hat Schwächen. Die Gewerbesteuer passt international nicht in die Landschaft. Seit der Unternehmensteuerreform 2008 sind, bis auf wenige Reparaturmaßnahmen, keine wesentlichen steuerliche Reformen umgesetzt worden. Als stärkste steuerliche Gesetzgeber wurden zuletzt das BVerfG und die Europäische Union wahrgenommen. Die Kommission agiert mit Richtlinien, der EuGH mit dem Beihilferecht. Das BVerfG mahnt Reformen aus verfassungsrechtlicher Perspektive an, zuletzt bei den körperschaftsteuerlichen Verlustvorträgen und bei der Grundsteuer.

Eine treffende Zustandsbeschreibung? Sicherlich pointiert und zugespitzt. Aber: Es wird Zeit für eine große Unternehmensteuerreform in Deutschland. Es wird Zeit, dass eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission ein Unternehmensteuergesetzbuch (UntStGB) erarbeitet. Die beste Perspektive für das Unternehmensteuerrecht 2019 ist die Einsetzung einer Regierungskommission, die bis Ende der Legislaturperiode ein UntStGB erarbeitet und durch die parlamentarischen Gremien bringt.

Wann, wenn nicht jetzt? Die Wirtschaft wächst, die Steuereinnahmen in Deutschland sprudeln: Gegenüber 2017 werden in Deutschland bis 2022 Mehrsteuern von insgesamt 531,2 Mrd. € erwartet. Das sind Mehreinnahmen von weit über einer halben Billion Euro in nur fünf Jahren! Es gilt, das Unternehmensteuerrecht jetzt, in wirtschaftlich guten Zeiten, wetterfest zu machen.

Um der Kommission ihre Arbeit zu erleichtern, werden ihr zwei Prämissen vorgegeben: (1) Es geht (nur) um ein gut handhabbares, widerspruchsfreies, weitgehend digitalisiertes und international wettbewerbsfähiges Steuerrecht auf Ebene der Unternehmen, nicht dagegen primär um eine Steuersenkung auf Unternehmerebene. Naturgemäß lassen sich beide Ebenen nicht vollkommen voneinander trennen. Aber nehmen wir für Zwecke der Kommissionsarbeit an, dass die Steuerbelastung ausgeschütteter bzw. entnommener Gewinne nicht sinkt; über die Höhe der Ausschüttungsbelastung soll nach Abschluss der Kommissionsarbeit diskutiert werden. Auf diese Weise ist es möglich, die Unternehmensteuerreform vorzubereiten, ohne zugleich die – wichtigen (!) – Gerechtigkeitsfragen auf Ebene der Einkommensteuerzahler (Unternehmer, Investoren, Kleinaktionäre, Fondssparer) beantworten zu müssen. Demzufolge wird in diesem Beitrag auch die Abgeltungssteuer außen vor gelassen. (2) Nehmen wir zudem an, dass ein leistungsfähiges Steuerrecht nach seiner Erstellung auch daraufhin überprüft wird, ob Regelungen erforderlich sind, um missbräuchliche Gestaltungen zu vermeiden. Diese Prämissen erlauben die Fokussierung auf die technischen Rahmenbedingungen der künftigen Unternehmensteuer.

Bei der Erarbeitung eines UntStGB sollte sich die Kommission an folgenden Vorgaben orientieren:


I. Steuersatz auf internationales Niveau senken

Das UntStGB sieht einen einheitlichen Unternehmensteuersatz von unter 25 % vor. Dies ist ein Gebot des internationalen Wettbewerbs: Die Körperschaftsteuer in den USA wurde auf 21 % gesenkt (ggf. zzgl. State Tax), in Großbritannien auf 19 % (ab 2020: 17 %). Unsere Nachbarländer Dänemark, die Niederlande, Österreich, die Schweiz, Polen, Schweden und Tschechien, aber auch Norwegen, Finnland, Italien und Spanien haben ihre Sätze auf höchstens 25 % – und z.T. deutlich darunter – reduziert. Auch Frankreich und Belgien marschieren in diese Richtung. In Deutschland beträgt die Belastung von Körperschaften dagegen weiterhin rund 30 %. Die effektive Steuerlast liegt damit weltweit im Spitzenbereich. Dieser massive Standortnachteil muss beseitigt werden, auch für Personenunternehmen.


II. Rechtsformneutrale Besteuerung sicherstellen

Womit wir beim Herzstück des UntStGB wären: Der Rechtsform- und Finanzierungsneutralität der Unternehmensteuer.

Einzelunternehmer und Gesellschafter von Personengesellschaften können im UntStGB optieren, wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden – gegebenenfalls durch eine Überarbeitung der Thesaurierungsbesteuerung. Das UntStGB muss dabei auch den Anforderungen der Doppelbesteuerungsabkommen Rechnung tragen.

Zudem müssen Eigen- und Fremdkapital, die im deutschen Steuerrecht beim Betriebsausgabenabzug unterschiedlich gehandhabt werden, gleichbehandelt werden. Gerade in höheren Zinsphasen führt die unterschiedliche Behandlung von Dividenden und Zinsen zu Verwerfungen. Die ökonomischen Effekte der Ungleichbehandlung sind schädlich und sollten vermieden werden.


III. Konzernsteuerrecht, Verlustnutzung modernisieren

Das UntStGB sieht ein einfacheres, europafestes System der Gruppenbesteuerung in Deutschland vor.

Bislang hält das deutsche Unternehmensteuerrecht bei der Konzernbesteuerung an überkommenen nationalen Regeln fest, etwa am Gewinnabführungsvertrag bei der Organschaft. Die Gewerbesteuer ist bei der Konsolidierung ein Fremdkörper, nicht nur international, sondern auch national, gerade auch im Bereich der Personengesellschaften.

Bei der Erarbeitung des UntStGB wird die EU-weite Gewinnermittlung und -konsolidierung im Rahmen der GKKB (Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage) geprüft. Eine Umsetzung muss dabei im Interesse der deutschen Wirtschaft erfolgen, gerade auch im Interesse des Mittelstandes. Dieses Interesse wird insbesondere dann gewahrt, wenn die GKKB das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit von Unternehmensgruppen berücksichtigt.

Das UntStGB beinhaltet zudem ökonomisch sinnvolle, verfassungskonforme Regeln zur Verlustnutzung.

Es liegt im Wesen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, dass der Staat, der Gewinne besteuert, auch Verluste berücksichtigt. In Deutschland hat der Fiskus die Verlustverrechnung jedoch mehrfach eingeschränkt, vor allem durch den unseligen § 8c KStG und die Mindestgewinnbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG. Die hohe Mindestgewinnbesteuerung und die drastische Verlustvernichtung beim Anteilseignerwechsel belasten Cash Flow und Investitionsentscheidungen.


IV. Gewerbesteuer als Zuschlagsteuer ausgestalten

Das UntStGB modifiziert die Gewerbesteuer in der Weise, dass sie als einfacher kommunaler Zuschlag zur Körperschaftsteuer bzw. zur Steuer auf den Gewerbeertrag ausgestaltet ist.

Die deutsche Gewerbesteuer ist in ihrer bestehenden Form international ein Fremdkörper. Die gesonderte Gewinnermittlung für Gewerbesteuerzwecke ist nicht zu rechtfertigen. Die Gewerbesteuer führt zu Doppelbelastungen bei grenzüberschreitenden Strukturen und benachteiligt inländische Betriebsstätten. Sie enthält zudem Elemente einer Substanzbesteuerung.


V. Internationales Steuerrecht modernisieren

Der Maßnahmenkatalog gegen Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung, der im Rahmen des BEPS-Prozesses (Base Erosion and Proft Shifting) auf Ebene der OECD erarbeitet worden ist, wird Bestandteil des UntStGB. Dabei darf auch das klassische Recht der Hinzurechnungsbesteuerung im Außensteuergesetz nicht aus dem Blick verloren werden. Dieses folgt aktuell noch dem Wirtschaftsmodell der 1970er-Jahre und muss dringend modernisiert bzw. vereinfacht werden. Hier wird das UntStGB die Reformvorschläge, die der Bundesfinanzminister zur Jahreswende 2018/19 vorlegt, aufgreifen.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch der Steuersatz für die Niedrigbesteuerung: Dieser darf nicht so hoch angesetzt werden, dass zahlreiche Staaten in der EU, den USA und anderen relevanten Märkten als niedrig besteuerte Oasen gelten. In den USA geht man z.B. für Hinzurechnungszwecke von einem Niedrigsteuersatz von 13,2 % aus. In Deutschland könnte man 15 % anvisieren, den bisherigen Körperschaftsteuersatz.

Für die Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle wird das UntStGB die für 2020 erwarteten Empfehlungen der OECD zur Besteuerung der Digitalisierung abwarten; Schnellschüsse sind zu vermeiden, wie auch der Zwischenbericht der OECD vom 16.3.2018 nahelegt. Deutschland wendet sich zunächst gegen die in der EU diskutierte Idee einer „digitalen“ bzw. „virtuellen“ Betriebsstätte und gegen eine Sondersteuer auf digitale Geschäftsmodelle (sog. Digital Services Tax). Zwar besteht ein berechtigtes Interesse, internationale Lücken bei der Besteuerung ausländischer Internetunternehmen zu schließen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Aber hier haben das BEPS-Projekt im Allgemeinen und die US-Steuerreform (aufgrund derer US-amerikanische Konzerne ihre ausländischen Gewinne künftig nicht mehr von inländischer Besteuerung abschirmen können) im Besonderen bereits wichtige Lücken geschlossen. Die Richtlinienentwürfe der EU-Kommission können dagegen die Industrie- und Exportnation Deutschland empfindlich treffen, wenn digitale Betriebsstätten einen Teil der Wertschöpfung der „Wirtschaft 4.0“ in die Länder von Endkunden verlegen. Auch darf eine „Digitalsteuer“ keine Fehlanreize bei der Digitalisierung von Unternehmen setzen.


VI. Besteuerungsverfahren digitalisieren

Das UntStGB schafft einen Rahmen für ein vollständig digitalisiertes Besteuerungsverfahren, insbesondere mit Blick auf Massenverfahren (Bilanzierung, Lohn- und Kapitalertragsteuer, Umsatzsteuer etc.).

Die Automatisierung und Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens in Deutschland hinkt der internationalen Entwicklung hinterher. Nicht nur internationale Konzerne, sondern auch Startups und Mittelständler sind davon in besonderer Weise negativ betroffen.


VII. ...und zum Schluss ...

Das UntStGB berücksichtigt zahlreiche andere Regeln, von der Überarbeitung des Bilanzsteuerrechts über die steuerliche Forschungsförderung bis hin zur Wetterfestigkeit des Unternehmensteuerrechts nach Maßgabe des EU-Beihilferechts. Letztlich besteht die Chance, das Unternehmensteuerrecht einer Generalrevision zu unterziehen.

Und, wie in den Vorjahren, das ceterum censeo: Der Solidaritätszuschlag muss 2020 vollständig für alle Steuerzahler aufgehoben sein. Er ist mit Auslaufen des Solidarpakts II verfassungswidrig.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 19.12.2018 09:15