2 / 2019

Dr. Johan-Michel Menke, LL.M. / Anne Heisig

Zulässiges „Freikaufen“ oder unzulässige Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages?

Das Bundesarbeitsgericht musste sich jüngst mit der Fragestellung auseinandersetzen, ob ein mit einem Betriebsratsmitglied geschlossener Aufhebungsvertrag zu gute Konditionen hatte und infolgedessen das Betriebsratsmitglied in unzulässiger Weise begünstigte. Ein ehemaliges Betriebsratsmitglied war dieser Überzeugung und berief sich ein Jahr nach Abschluss des Aufhebungsvertrages auf dessen Unwirksamkeit. Das Betriebsratsmitglied war der Ansicht, dass es die hohe Abfindungssumme nur aufgrund seines Amtes erhalten habe. Mit dieser Argumentation scheiterte das Betriebsratsmitglied am 23.3.2018 vor dem Bundesarbeitsgericht (Az.: 7 AZR 590/16).

Der Betriebsrat ist das Mitbestimmungsorgan der Arbeitnehmer im Betrieb. Es ist sowohl den Interessen der Arbeitnehmer als auch denen des Betriebs verpflichtet. In der Praxis tritt der Betriebsrat häufig nur als einseitiger Interessenvertreter der Arbeitnehmer auf. Daher ist das Amt der Betriebsratsmitglieder durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besonderes geschützt. Das BetrVG regelt u.a., dass die Zustimmung des Betriebsrats vor einer außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds einzuholen ist (§ 103 BetrVG und § 15 KSchG) und der Arbeitgeber die Betriebsratsmitglieder aufgrund ihrer Tätigkeit weder benachteiligen noch begünstigen darf (§ 78 Satz 2 BetrVG).

Das in § 78 Satz 2 BetrVG geregelte Begünstigungsverbot bildete den Ausgangspunkt für die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Das Bundesarbeitsgericht hatte zu klären, ob das klagende Betriebsratsmitglied aufgrund seines Amtes durch den Aufhebungsvertrag in unzulässiger Weise gegenüber „normalen“ Arbeitnehmer begünstigt wurde.


I. Zum Sachverhalt

Der Kläger war seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt und seit 2006 Betriebsratsvorsitzender. Im Juli 2013 leitete die Beklagte beim Arbeitsgericht unter Berufung auf verhaltensbedingte Gründe ein Verfahren zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers ein. Nachfolgend schlossen die Parteien außergerichtlich einen Aufhebungsvertrag, in welchem unter anderem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2015, eine Freistellung unter Vergütungsfortzahlung und die Zahlung einer Abfindung von 120.000,00 € netto vereinbart wurde. Nachdem der Kläger Ende Juli 2013 vereinbarungsgemäß von seinen Betriebsratsamt zurücktrat und die vereinbarte Abfindung und monatliche Vergütung an ihn geleistet wurden, machte der Kläger den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2015 hinaus gerichtlich geltend. Als Begründung führte der Kläger an, dass der geschlossene Aufhebungsvertrag nach § 134 BGB i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG nichtig sei, weil dieser ihn als Betriebsratsmitglied in unzulässiger Weise begünstige. Durch den Aufhebungsvertrag seien Ansprüche begründet worden, die ihm ohne sein Mandat nicht zugekommen wären.


II. Kernaussagen des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht sah den zwischen den Parteien geschlossene Aufhebungsvertrag nicht nach § 134 BGB i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG wegen unzulässiger Begünstigung des Klägers als unwirksam an. Der Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder führt zu einer kündigungsrechtlich günstigen Verhandlungsposition, die sich auch auf einen Aufhebungsvertrag auswirken kann. Allerdings handelt es sich hierbei um eine Begünstigung aufgrund einer gesetzlichen Wertentscheidung. Die Berücksichtigung des Sonderkündigungsschutzes von Betriebsratsmitgliedern im Rahmen eines Aufhebungsvertrages ist Ausdruck der Vertragsfreiheit, die nicht durch das Begünstigungsverbot eingeschränkt werden kann. Eine unzulässige Begünstigung i.S.v. § 78 Satz 2 BetrVG liegt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nur dann vor, wenn die Besserstellung des Betriebsratsmitglieds nicht aus sachlichen Gründen, sondern ausschließlich aufgrund seiner Amtstätigkeit erfolgt. Eine solche unzulässige Begünstigung sah das Bundesarbeitsgericht vorliegend nicht, weil der Kläger sich im Aufhebungsvertrag mit der Beendigung seines langjährigen Arbeitsverhältnisses einverstanden erklärt und damit seinen besonderen Bestandsschutz aufgegeben hat. Als Kompensation hierfür hat er eine Abfindung erhalten und wurde unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt.


III. Hinweis für die Praxis

Wenn sich ein Unternehmen einvernehmlich von Betriebsratsmitgliedern trennen will, geht es regelmäßig um den „Preis“. § 78 Satz 2 BetrVG verbietet insoweit grundsätzlich keine Aufhebungsverträge mit lukrativen Entlassungsentschädigungen. Das in § 78 Satz 2 BetrVG geregelte Begünstigungsverbot soll zwar der Unabhängigkeit von Betriebsratsmitgliedern im Rahmen der Amtsausübung dienen. Im einvernehmlichen Trennungsfall kommt es aber nicht darauf an, ob wichtige Gründe für eine Abberufung vom Amt bzw. eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB vorgelegen hätten. Auch dann, wenn ein Unternehmen lediglich ein unliebsames Betriebsratsmitglied „loswerden“ will, darf sich letzteres den Sonderkündigungsschutz „abkaufen“ lassen. Vorsicht ist aber dann geboten, wenn ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB z.B. mit der Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG droht und das Betriebsratsmitglied sich insoweit genötigt sieht, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Dann könnte das Betriebsratsmitglied den Aufhebungsvertrag gegebenenfalls später tatsächlich nach § 123 Abs. 1 BGB wegen einer widerrechtlichen Drohung anfechten mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis wie bisher fortbesteht und einem praktischen Risiko für das Unternehmen, bereits geleistete Abfindungszahlungen jedenfalls mittelfristig nicht zurückzuerhalten. Auch ist bei Fallkonstellationen Vorsicht geboten, bei denen ein Betriebsratsmitglied nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein Amt aufrechterhält und weiter ausübt. In diesen Fällen kann durchaus eine (unzulässige) Beeinflussung der Mandatsführung des Betriebsratsmitglieds und damit ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot vorliegen.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 10.01.2019 12:44