4 / 2019

Sascha Kuhn

#MeToo – Herausforderungen für Arbeitgeber

Die unter dem Hashtag #MeToo verbreitete Debatte über sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe hat Deutschland längst erreicht und führt auch hier zu vielen Schlagzeilen und politischen Initiativen. Das Problem ist ganz gewiss nicht neu, seit #MeToo hat allerdings eine begrüßenswerte Sensibilisierung hinsichtlich des Problems und seiner Verbreitung stattgefunden. Zudem scheint es so, als würden Opfer sexueller Übergriffe häufiger den Mut finden, diese zu kommunizieren und entsprechende Vorwürfe zu artikulieren. Angesichts der emotionalen, teils aber auch irrational geführten Debatte zwischen Hysterie und Relativierung ist ein sachlicher Umgang mit Vorwürfen unerlässlich. Abseits der komplexen strafrechtlichen Differenzierung der verschiedenen Fälle, die unter dem Oberbegriff #MeToo vermengt werden, ist es für Arbeitgeber wichtig, wie mit Anschuldigungen aus dem Gesamtspektrum sexuell aufgeladener Belästigung am Arbeitsplatz, welche von unangemessenen verbalen Äußerungen über Berührungen bis hin zu sexuell motivierter Gewalt reichen, umzugehen ist.


I. Am Anfang steht die Prävention

Um sexueller Belästigung und Sexismus präventiv entgegenzuwirken, sollten Arbeitgeber zunächst ein klares Bekenntnis hiergegen abgeben und dies auch auf allen Hierarchiestufen einfordern. Mit der eindeutigen Benennung von Tabuzonen und nicht akzeptablen Verhaltensweisen wird der Arbeitgeber in die Lage versetzt, in der Belegschaft ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was angemessen und was nicht angemessen ist. Daneben sind Diversity-Programme anerkannte Modelle, um ein Bewusstsein für Vielfalt und Toleranz zu wecken. Unter diesen Prämissen ist es dem Arbeitgeber möglich, eine Atmosphäre zu schaffen, die Fälle sexualisierter Gewalt nicht immer vermeiden, aber sicherlich zumindest zu einer Reduzierung allgemeiner Diskriminierungsfälle in einem Unternehmen führen kann.

Da sich aber, wie bereits erläutert, auch durch aktive Prävention Vorfälle sexueller Belästigung nicht vollständig vereiteln lassen, ist die Einrichtung einer internen Anlauf- und Meldestelle für Vorfälle sexueller Belästigung empfehlenswert. Indes neigen verängstigte Betroffene insbesondere bei sexualisiertem Machtmissbrauch in hierarchischen Verhältnissen häufig dazu, die Vorfälle zu verschweigen. Je nach Größe und Struktur des Unternehmens ist deshalb die Einrichtung einer unabhängigen, externen Anlaufstelle eine sinnvolle Alternative oder Ergänzung. In jedem Fall sind betreffend derartige Anlaufstellen transparente Informationen bereitzustellen. Das beste Hinweisgebersystem hilft nicht, wenn die Arbeitnehmer*innen nicht wissen, dass es auch für Meldungen betreffend Fälle sexualisierter Gewalt besteht.

Zwischen Arbeitgeber und betroffenen Arbeitnehmer*innen ist sodann eine angemessene Art und Weise der Kommunikation von substantieller Bedeutung für das Vorgehen bei der Prüfung eines Verdachts. Wenn Arbeitnehmer*innen Vorwürfe der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz erheben, hat der Arbeitgeber zunächst den zugrunde liegenden Sachverhalt sachlich und systematisch zu prüfen. Nur ein sorgfältig aufgeklärter Lebenssachverhalt kann die Grundlage der Entscheidung des Unternehmens über Konsequenzen aus dem Vorfall bilden. Maßstabbildend für die Konsequenzen sind die tatsächliche Überzeugung, dass ein Vorfall stattgefunden hat, die Begleitumstände des stattgefundenen Vorfalls sowie die Schwere des Vorfalls.


II. Jeder Fall ist ein Einzelfall

Das genaue Vorgehen des Arbeitgebers hat sich dabei stets am konkreten Einzelfall zu orientieren. Es handelt sich um ein rechtlich, vor allem aber auch zwischenmenschlich sensibles Thema. Der Arbeitgeber sollte zunächst zügig mit der belästigten Person und häufig auch dem oder der beschuldigten Arbeitnehmer*in Kontakt aufnehmen. In Einzelfällen ist es auch angezeigt, mit dem oder der beschuldigten Arbeitnehmer*in erst zu einem späteren Zeitpunkt zu sprechen. Es empfiehlt sich dabei grundsätzlich ein persönliches Gespräch des Arbeitgebers mit beiden Parteien, um die Glaubhaftigkeit der Aussagen einzuschätzen. Es ist wichtig, hierbei auf eine angemessene Art der Kommunikation zu achten, und zwar gegenüber allen betroffenen Arbeitnehmer*innen. Dem Wunsch nach der Hinzuziehung einer Begleitperson sollte im Regelfall entsprochen werden. Zur besseren Rekonstruktion des Sachverhalts sollten die Gespräche protokolliert werden. Die schriftliche Dokumentation der Ermittlungsschritte kann zudem in einem späteren rechtlichen Verfahren von entscheidender Bedeutung sein und sichert den Arbeitgeber rechtlich ab. Bei komplexen Sachverhalten oder rechtlichen Schwierigkeiten ist häufig die Einholung externer Rechtsberatung hilfreich. Sollte die Befragung der Beteiligten nicht zu einer zweifelsfreien Klärung des Sachverhalts führen, ist der Arbeitgeber zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet. Hierbei ist stets eine Entscheidung mit Blick auf den konkreten Einzelfall zu treffen: Es kommen dann beispielsweise die Befragung anderer Arbeitnehmer*innen als Zeugen oder die Auswertung von E-Mail-Kommunikation in Betracht – vor allem die Grenzen des Datenschutzrechts und der jeweiligen Persönlichkeitsrechte sollten dabei beachtet werden.

Die Ermittlungen sollten im Interesse der betroffenen Mitarbeiter*innen und auch des Arbeitgebers selbst so vertraulich wie möglich gehalten werden. Für Beschuldigte kann bereits der Verdacht der sexuellen Belästigung empfindliche soziale Folgen haben. Für den Arbeitgeber stehen der Betriebsfrieden sowie der Ruf des Unternehmens auf dem Spiel.


III. Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers

Sofern sich der Verdacht einer sexuellen Belästigung bewahrheitet hat, gibt es für den Arbeitgeber verschiedene Reaktionsmöglichkeiten: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verpflichtet den Arbeitgeber im Allgemeinen zu Maßnahmen, die geeignet, erforderlich und angemessen sind. In einer nicht abschließenden Aufzählung nennt das AGG ausdrücklich Abmahnung, Umsetzung, Versetzung und Kündigung als Maßnahmen. Für den Arbeitgeber ist aus haftungsrechtlicher Sicht wichtig, dass er der allgemeinen Handlungspflicht nachkommt, wenn der Verdacht einer sexuellen Belästigung im Sinne des AGG besteht. Die Handlungspflicht aus dem AGG ist arbeitsvertragliche Nebenpflicht, sodass der Arbeitgeber im Falle der Pflichtverletzung zum Ersatz entstandener Schäden verpflichtet sein kann.

Deshalb liegt es schon im eigenen Interesse des Arbeitgebers, dass er angemessene Maßnahmen ergreift, um eine Wiederholung der sexuellen Belästigung zukünftig zu vermeiden. Geeignete Maßnahmen im Sinne des AGG sind nach der Rechtsprechung des BAG nur solche, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Wiederholungsgefahr für die Zukunft ausschließen. Wichtig ist, dass eine Kündigung als ultima ratio nur angemessen ist, wenn mildere Maßnahmen nicht zumutbar sind. Da die Reaktion auf eine sexuelle Belästigung oftmals emotional aufgeladen ist, ist eine vorherige sachliche Abwägung des Arbeitgebers besonders wichtig, um das Haftungsrisiko, aber auch negative Auswirkungen auf das Betriebsklima, zu begrenzen.

Besonders problematisch wird die Entscheidung für den Arbeitgeber, wenn die Aufklärung des Sachverhalts Unklarheiten zurücklässt. Dies ist in der Praxis leider ein nicht so seltener Fall – im Gegenteil: Auf Grund der eigentümlichen Situation einer sexuellen Belästigung und der begrenzten Ermittlungsmöglichkeiten des Arbeitsgebers wird die tatsächliche Situation im Nachhinein häufig nicht mehr umfassend rekonstruiert werden können. Trotz der Darlegungs- und Beweislast bestehen für den Arbeitgeber auch in dieser Situation Handlungsmöglichkeiten. Insbesondere weniger intensive Maßnahmen (Umsetzung, Versetzung) darf der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts erlassen, soweit er dabei arbeitsvertragliche Individualabsprachen beachtet. Schließlich kann bei Bestehen eines dringenden Verdachts einer Straftat oder besonders schweren Pflichtverletzung eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden. Trotz einer unklaren Tatsachenlage ist der Arbeitgeber daher im Falle des bloßen Verdachts einer sexuellen Belästigung jedenfalls nicht machtlos. Die Abwägung der Konsequenzen muss aber besonders gewissenhaft erfolgen.


IV. Ein Thema, das bleiben wird

Auf Grund der erfreulichen Sensibilisierung der Gesellschaft für sexuelle Belästigung, Sexismus und Geschlechterdiskriminierung infolge der #MeToo-Debatte können Arbeitgeber einerseits zukünftig darauf hoffen, dass ihre Arbeitnehmer*innen selbst besser die Grenzen der Angemessenheit von Annäherungen einschätzen können. Andererseits ist damit zu rechnen, dass häufiger das Schweigen über Vorfälle sexueller Belästigungen gebrochen wird. Vor allem in Verdachtsfällen wird der Arbeitgeber mit den aufgezeigten, umfangreichen Pflichten konfrontiert. Es lohnt sich deshalb für jeden Arbeitgeber, sich grundsätzlich Gedanken über Vorfälle sexueller Belästigung und dem unternehmensinternen Umgang damit zu machen, um im Ernstfall eine sachgerechte Reaktion des Unternehmens gewährleisten zu können.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 07.02.2019 08:43