7 / 2019

Prof. Dr. Volker Römermann

Anwaltliches Gesellschaftsrecht vor der Reform

Am 21.2.2019 hat der Vorstand des Deutschen Anwaltvereins (DAV) einen Gesetzentwurf „verabschiedet“. Nach eigener Bezeichnung ist es der „DAV-Vorschlag zur großen BRAO-Reform“ (Stellungnahme Nr. 8/2019 aus dem März 2019). Er basiert auf einem von Martin Henssler veröffentlichten „DAV-Diskussionsentwurf“, der nur an einigen Stellen modifiziert wurde. Damit liegt den politischen Stellen, die ein Gesetzgebungsverfahren einleiten könnten, nun schon der zweite Entwurf aus der Feder anwaltlicher Organisationen vor. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hatte schon im Mai 2018 einen Vorschlag zur Reform des berufsrechtlichen Gesellschaftsrechts präsentiert (Stellungnahme Nr. 15/2018). Durch den DAV-Vorschlag ist nun Bewegung in diesen Themenkreis geraten.


Status Quo: Ein normativer Trümmerhaufen

Das allgemeine Gesellschaftsrecht wird im Berufsrecht der Rechtsanwälte durch eine Reihe von Sondervorschriften ergänzt und im Ergebnis eingeengt. Was Unternehmern generell erlaubt ist, soll Anwälten noch lange nicht gestattet sein. Einige der gröbsten und offensichtlichsten Absonderlichkeiten dieses Spezialreglements sind erst in jüngerer Zeit dem Verdikt des BVerfG zum Opfer gefallen (insbesondere BVerfG, BB 2016, 2691 mit Anm. Römermann/Zimmermann und BVerfG v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, GmbHR 2014, 301; dazu Römermann, GmbHR 2014, R81). Die Sentenzen enthalten indes typischerweise keine konsequenten, umfassenden Aussagen, sondern das Gericht formuliert in auffälliger Weise einzelumstandsorientiert. Diese Herangehensweise ist nicht die hohe Kunst richterlicher Selbstbeschränkung, sondern die Verweigerung der Wahrnehmung der Aufgaben eines Verfassungsgerichts: Orientierung zu geben, der Anwendung des Grundgesetzes Vorschub zu leisten, der Verfassung zur Durchsetzung zu verhelfen. Was blieb nach den Entscheidungen des BVerfG? Ein normativer Trümmerhaufen, der die Rechtsanwender ratlos zurücklässt, Verlage zu satzweisem Kursivdruck von Normen nötigt, Unsicherheiten Überhand nehmen lässt (der Vorlagebeschluss des AGH Stuttgart, AnwBl. Online 2019, 168, zum Thema „Mehrheitserfordernisse“ war vor diesem Hintergrund – leider – vorhersehbar).

Wenn schon das BVerfG nicht in der Lage oder nicht willens war, über die punktuelle Zerstörung hinauszugehen, wie verhielt sich in dieser Situation der Gesetzgeber? Er schien, um eine österreichische Redewendung aufzugreifen, das Problem noch nicht einmal zu ignorieren. Zu keinem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber seiner Anwaltschaft, in Festreden gerne als „Organ der Rechtspflege“ hofiert und zugleich in staatlichen Dienst genommen, auch nur annähernd die Aufmerksamkeit zugewandt, die ein adäquates Berufs-Gesellschaftsrecht hätte hervorbringen können. Die erste echte Gesellschaftsrechtsnorm fand sich 1994 in der BRAO, mithin über ein Jahrhundert nach Inkrafttreten eines anwaltlichen Berufsgesetzes, und das in einem einzigen Paragraphen: § 59a BRAO. Einige Jahre später kamen – durch die zwischenzeitliche Rechtsprechung insbesondere des BayObLG (BayObLG v. 24.11.1994 – 3Z BR 115/94, GmbHR 1995, 42) erzwungen – Regeln über die Anwalts-GmbH hinzu, die nicht der freiheitlichen Verwendung dieser Gesellschaftsform zu dienen bestimmt waren, sondern im Gegenteil Knebel bereit hielten für den Fall, dass tatsächlich Anwälte auf die Idee kommen sollten, sich einer GmbH zu bedienen (vgl. Römermann, GmbHR 1998, 966). Schließlich sind noch die Sätze zu erwähnen, durch welche die PartG mbB eingeführt wurde. Wesentliche Haftungsfragen sind weiterhin ungeklärt und die Konsequenzen der Einführung einer hybriden Rechtsform zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft noch lange nicht zu Ende gedacht (näher Römermann/Jähne, BB 2015, 579; Römermann, NJW 2013, 2305).


Neue Gesetzentwürfe

In dieses Vakuum stoßen nun die Entwürfe von BRAK und DAV. Das ist tendenziell natürlich gut und richtig, man ist versucht zu sagen: Alles ist besser als nichts, als eine Perpetuierung des seit Jahren unhaltbaren Status Quo. Aber handelt es sich wirklich um den „großen Wurf“, sind die Berufsorganisationen ihrer Aufgabe, mit Tatkraft und weit blickenden Augen ein System des anwaltlichen Gesellschaftsrechts zu erschaffen, das die zukunftsgerichtete Basis darstellen könnte, derer die Anwaltschaft in Zeiten dramatischer Wandlungen des Rechtsberatungssektors so dringend bedarf, gerecht geworden?

Die BRAK nimmt für sich mutig „eine Führungsposition in der Diskussion“ in Anspruch (Kury, BRAK 2018, 165, 171). Wer danach Soll und Ist vergleicht, wird rasch ernüchtert. Es geht um partielle Klarstellungen, Hinweise auf Geschäftsbriefen, die eigene Zulassung von Personengesellschaften – neu, aber doch nicht sonderlich revolutionär, wenn man bedenkt, dass der BGH immerhin schon im Jahre 2001 die Rechts- und Parteifähigkeit der GbR anerkannt hat (BGH, DB 2001, 723 m. Anm. Römermann). Die Vorschriften der §§ 59c ff. BRAO sollen auf alle Gesellschaftsformen erstreckt werden. Schließlich soll die Rechtsform der Kommanditgesellschaft, auch als Rechtsanwaltsgesellschaft & Co. KG, zugelassen werden. Seit es für die Gründung einer KG keines Handelsgewerbes mehr bedarf – das ist seit 1998 so! –, wäre die Zulässigkeit der KG für Anwälte im Grunde ebenfalls eine Banalität. Diesen Schluss zieht im Schrifttum indes nur eine Minderheit (Karsten Schmidt, DB 2009, 271; Römermann, AnwBl. 2008, 809; zu den Wirrungen der Rechtsprechung insoweit einerseits BGH, AnwBl. 2011, 774 m. Bespr. Römermann, AnwBl. 2011, 780, andererseits BGH v. 15.7.2014 – II ZB 2/13, GmbHR 2014, 1194 mit Anm. Römermann).


DAV-Vorschlag einer „großen Reform“

Der Vorschlag des DAV kommt gegenüber der BRAK deutlich ambitionierter daher. Hier ist nicht der Raum für eine umfassende Analyse en détail (dazu Römermann, NZG 2018, 1041), es mögen einige Schlaglichter auf zentrale Themen genügen.

Eines der traditionellen Schlachtfelder berufsrechtlicher Meinungsverschiedenheiten ist die Öffnung der Anwaltschaft für Zusammenschlüsse mit Angehörigen anderer Berufe. Der DAV-Vorschlag will nun die Sozietätsbildung gestatten (§ 59b Abs. 1 Nr. 2 BRAO-E) „mit Angehörigen anderer Berufe, wenn diese Berufe mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, vereinbar sind ...“, am Ende folgt eine nicht abschließende Aufzählung anerkannter Berufe von Architekten bis zu hauptberuflichen Sachverständigen. Das ist mutig. Zwar hat der flüchtige Leser durch die Aufzählung von Beispielen den vermutlich beabsichtigten Eindruck, das fühle sich im Kern vertraut an (in den Exempeln werden etwa Steuerberater und Wirtschaftsprüfer aufgeführt). Schon auf den zweiten Blick aber zeigt sich, dass der sozietätsfähige Personenkreis durch kein hartes Kriterium mehr eingegrenzt werden soll. Lührig berichtet (in einem auf der Webseite des DAV am 14.3.2019 veröffentlichten Beitrag zu dem DAV-Entwurf), dass der DAV – „das hat die Diskussion im Vorstand gezeigt“ – offen sei für eine Erweiterung des Berufekatalogs. Die DAV-Spitze ist sich also der Tragweite ihres Vorstoßes wohl bewusst und schreitet voran.


Vertane Chancen

In einem unübersehbaren Kontrast dazu steht das zaudernde Verharren des DAV auf altem Stand beim Thema „auswärtige Kapitalbeteiligung“. Schon diese Vokabel ist ein rechtspolitischer Kampfbegriff, denn „auswärtig“ sind Gesellschafter nun gerade nicht. Der DAV-Diskussionsvorschlag hatte für eine Minderheits-Beteiligung nicht-aktiver Gesellschafter aus dem Kreis der sozietätsfähigen Berufe (z.B. ehemalige Partner) plädiert. Der Vorstand folgt diesem Vorschlag nicht (AnwBl. Online 2019, 272). Das Bundesjustizministerium sehe, so heißt es dort, das Problem, dass heute kleinere innovative Anbieter von Rechtsdienstleistungen auf Fremdkapital angewiesen sein könnten, die Regeln für Anwaltsgesellschaften und Inkassounternehmen aber nicht harmonisiert seien. Es sei daher mit einer Initiative des Gesetzgebers zu rechnen. Zudem befürchte der DAV, dass es für die Rechtsanwaltskammern kaum möglich sein werde, zwischen aktiven und nicht-aktiven Gesellschaftern zu unterscheiden. Der zuletzt angeführte Aspekt übersieht offenbar, dass die Unterscheidung zwischen aktiven und inaktiven Gesellschaftern nach ganz h.M. (vgl. nur Schäfer in MünchKomm/BGB, § 1 PartGG Rz. 11–14; zur Gegenmeinung Römermann in Römermann, § 1 PartGG Rz. 43 ff.), die sich partiell auf den Wortlaut des Gesetzes stützen kann und anderenorts das Gewünschte in den Wortlaut hinein liest, schon längst Alltag sein müsste (krit. zur mangelnden Kohärenz auch Kury, BRAK 2018, 165, 166).

Es hat etwas von vertaner Chance, dass der DAV an dieser für die Stellung der Anwaltschaft auf dem Rechtsberatungsmarkt wichtigen Schlüsselstelle keine eigenen Gedanken zu Papier bringt, sondern zugunsten etwaiger künftiger Entwürfe aus dem Ministerium zurückweicht. In der Tat ist nicht zu übersehen, dass gewerbliche Unternehmen mit Inkassolizenz im Begriff sind, weite Teile des Rechtsberatungsmarktes durch standardisierten Service und Übernahme sämtlicher Risiken zur Entlastung des Mandanten/Kunden gegen Erfolgshonorar an sich zu ziehen. Woher ziehen diese neuen Anbieter ihre Kapitalkraft? Von Investoren. Vor etwa einem Vierteljahrhundert wurde gefragt, was eigentlich dagegen sprechen könnte, wenn Anwaltskanzleien durch Investoren entscheidende Stärkung erführen (vgl. Römermann, Entwicklungen und Tendenzen bei Anwaltsgesellschaften, 1995, S. 169 ff.). Das erschien vielen Berufsträgern als unvorstellbares Szenario, das die „Kommerzialisierung“ der Anwaltschaft und damit den Verfall ihrer Sitten und Ethik binnen kürzester Zeit unweigerlich nach sich ziehen müsste. Per heute ist nüchtern zu konstatieren: Bei Inkassounternehmen, die Rechtsvertretung anbieten, sind professionelle, finanziell gut gerüstete Strukturen vorhanden. Auch ohne dass diese Anbieter besonderen ethischen Standards unterworfen wären – erst recht nicht hehren Glaubenssätzen wie dem „Organ der Rechtspflege“ –, dürfen sie Dinge tun, die Anwälten verboten sind. Sollte das BMJV erwägen, das Rad der Zeit zurückzudrehen und den Inkassounternehmen ihre derzeitigen Aktivitäten einfach zu verbieten, so wird es sich argumentativ schwer tun. Schließlich dürfen sich auch andere Berufe als die Rechtsanwälte auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG berufen und Interessen des Gemeinwohls, die neue Verbote erzwingen könnten, sind nicht erkennbar, fehlt es doch an „Fehlentwicklungen“, die sich aktuell etwa zum Schaden der rechtsuchenden Bevölkerung gezeigt hätten.


Ausblick

Der Gesetzgeber hätte die Chance, die Anregungen anwaltlicher Berufsorganisationen aufzugreifen und fortzuentwickeln, um im Kontext des Rechtsberatungssektors eine starke Anwaltschaft als einen der Garanten der Rechtspflege durch ein zeitgemäßes Gesellschaftsrecht zu stützen und für zukünftige Aufgaben fit zu machen. Möge er diese Aufgabe beherzt annehmen.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 25.03.2019 11:06