6 / 2019

Ralf Knaier

Das Brexit-Übergangsgesetz (BrexitÜG) kommt

Am 29.3.2017 unterrichtete die britische Premierministerin May den Europäischen Rat, nach einem Referendum am 23.6.2016, davon, dass das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten möchte. Hierdurch wurde das Austrittsverfahren nach Art. 50 EUV in Gang gesetzt. Seither herrscht Unsicherheit in nahezu allen Rechtsgebieten, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Hoffnung die gegebenen Unsicherheiten umfassend und unionsweit einheitlich zu beseitigen besteht allein durch den Abschluss eines Austrittsabkommens zwischen der EU und Großbritannien, welches jedoch nicht einfach auszuhandeln ist (I.). Es verwundert daher nicht, dass in den Mitgliedstaaten sowohl der erfolgreiche Abschluss eines Austrittsabkommens für möglich gehalten wird, worauf sich Deutschland nun mit dem Brexit-Übergangsgesetz (BrexitÜG) vorbereitet hat (II.), jedoch zugleich versucht wird Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass ein solches nicht zustande kommen wird. Mehr Gewissheit wird es wohl erst ab dem 29.3.2019 geben, verbunden mit neuen Herausforderungen für Großbritannien, die EU und Deutschland (III.).


I. Status Quo des Austrittsverfahrens

Unaufhaltsam rückt der Brexit Tag für Tag näher und noch immer ist kein verlässliches Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU geschlossen worden, welches einen Rechtsrahmen bieten könnte, die Modalitäten des Auseinandergehens zu regeln und dadurch die ansonsten drohenden Folgen des Brexit abzumildern.


1. Bisherige Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU

Die EU und die britische Regierung haben jedoch schon weitreichende Vorarbeiten geleistet. Seit dem 25.11.2018 liegt ein Entwurf für ein solches Austrittsabkommen vor, welcher mittlerweile auch im Amtsblatt der Union veröffentlicht wurde (ABl. C 66 I/1 v. 19.2.2019). Dieser sieht im Wesentlichen vor, dass in einem Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 das gesamte Unionsrecht weiterhin auf und in Großbritannien Anwendung finden soll. Über dieses von der EU und der britischen Regierung ausgehandelte Abkommen sollte in der Folge am 11.12.2018 das britische Parlament abstimmen. Eine Lösung der unbefriedigenden Rechtsunsicherheit, die mit einem drohenden „no-deal“ verbunden ist, schien nahe. Jedoch sah sich die britische Premierministerin May gezwungen, nur einen Tag vor der Abstimmung diese aufgrund der erwarteten Ablehnung durch das Parlament zu verschieben. Sie fand nun erst am 15.1.2019 statt und hatte eine klare Ablehnung des Parlaments mit 432 Stimmen gegen das Austrittsabkommen und nur 202 Stimmen dafür zum Ergebnis.

Seither herrscht Ungewissheit, ob und wie noch ein Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien vor Ablauf des 29.3.2019 erzielt werden kann. Aus Reihen des britischen Parlaments wurde jedoch schon signalisiert, dass ein „no-deal“ nicht am Ende der Verhandlungen stehen soll. Premierministerin May will am 12.3.2019 nochmals über das Abkommen abstimmen lassen und falls dieses erneut abgelehnt werden sollte, soll das Parlament auch entscheiden, ob es einen Austritt ohne Abkommen geben soll. Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist es nicht verwunderlich, dass sich einige Mitgliedstaaten der EU, wie auch Deutschland, auf mehrere der möglichen Szenarien vorbereiten.


2. Situation im Gesellschaftsrecht

Im Gesellschaftsrecht beschäftigt sich die Diskussion im Zusammenhang mit dem Brexit vor allem mit britischen Gesellschaften, deren Satzungssitz in Großbritannien liegt, die jedoch ihre Tätigkeit ausschließlich oder weit überwiegend in einem Mitgliedstaat der EU betreiben (Briefkastengesellschaften). Die möglichen Folgen wurden bereits breit ausgeleuchtet (s. etwa Teichmann/Knaier, IWRZ 2016, 243; Seeger, DStR 2016, 1817; Schall, ZfPW 2016, 407; Dostal in MAH-GmbHR, § 26 Rz. 161 ff.). Überwiegend wurde der Ratschlag erteilt, die britische Gesellschaft in jedem Fall noch vor dem Brexit „zu retten“ und in die sicheren Gefilde des deutschen Rechts zu überführen (zu den vorgeschlagenen Möglichkeiten, dies durchzuführen Teichmann/Knaier, IWRZ 2016, 243, 246 f.; Limmer/Knaier in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 6. Aufl. 2019, Teil 6 Rz. 49.1 ff.; Wachter, GmbHR 2018, R260, R261 f.; Süß, ZIP 2018, 1277, 1278 ff.; zu den Möglichkeiten speziell für die LLP Wolff, GmbHR 2019, 52). Doch diese Aufgabe erwies sich als gar nicht einmal so einfach. Die Praxis berichtet davon, dass sich das britische Companies House wenig kooperativ zeigt und beispielsweise nicht bereit ist einen grenzüberschreitenden Formwechsel einzutragen (Heckschen in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 2 Rz. 53; Heckschen, NotBZ 2017, 401, 404 f.). Gegen dieses offenkundig unionsrechtswidrige Verhalten, noch vor dem Brexit Rechtsschutz vor dem EuGH zu erlangen schien aussichtslos (zu Fragen des Rechtsschutzes im Zusammenhang mit dem Brexit Knaier/Scholz, EWS 2018, 10, 14).

Alternativen mussten gefunden werden und auch der deutsche Gesetzgeber stand vor der Frage, ob und wie er in diesen Fällen handeln sollte. Teilweise wurde vorgeschlagen, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzprinzips britischen Gesellschaften in Deutschland gesetzlich die Rechtsfähigkeit dauerhaft oder zumindest für eine Übergangszeit zu belassen (s. etwa Bode/Bron, GmbHR 2016, R129). Diesen Weg war der Gesetzgeber jedoch erfreulicherweise nicht bereit zu gehen. Die vom Brexit betroffenen Gründer britischer Briefkastengesellschaften haben sich gerade nicht einer vom deutschen Recht bereitgestellten Gestaltung bedient. Sie haben sich der Rechtsordnung des Vereinigten Königreiches anvertraut und können daher auch nicht auf einen Vertrauensschutz in ihren Fortbestand seitens der Rechtsordnung, deren regulatorischen Rahmen sie verlassen wollten, vertrauen. Stattdessen versuchte der Gesetzgeber, mit dem am 1.1.2019 in Kraft getretenen Vierten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes (BGBl. I 2018, 2694) betroffenen britischen Gesellschaften mehr Gestaltungsmöglichkeiten für eine Hineinverschmelzung auf eine deutsche Rechtsform an die Hand zu geben (dazu Punte/Klemens, GWR 2019, 41; ausführlich zum Referentenentwurf bereits Knaier, ZNotP 2018, 241; Stiegler, ZIP 2018, 2351; J. Schmidt, GmbHR 2018, R292). Nach der Neuregelung des § 122b Abs. 1 UmwG können bei grenzüberschreitenden Hineinverschmelzungen nun Personengesellschaften mit in der Regel nicht mehr als 500 Arbeitnehmern aufnehmender oder neuer Rechtsträger sein. Speziell für britische Gesellschaften gibt der neue § 122m UmwG vor, dass diese bei einer Beteiligung an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung auch dann von den Regelungen der §§ 122a ff. UmwG erfasst sind, wenn der Verschmelzungsplan nach § 122c Abs. 4 UmwG noch vor dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union oder vor dem Ablauf eines Übergangszeitraum notariell beurkundet wird. Die grenzüberschreitende Verschmelzung ist dann unverzüglich, spätestens aber innerhalb von zwei Jahren mit den erforderlichen Unterlagen zur Registereintragung anzumelden. Für den Fall eines „harten“ Brexit ohne Austrittsabkommen hat der deutsche Gesetzgeber damit in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht bereits Vorkehrungen, die den betroffenenbritischen Gesellschaften entgegenkommen getroffen.


II. Regelungsgehalt des BrexitÜG

Doch auch für den Fall, dass ein Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien abgeschlossen werden kann, hat sich der deutsche Gesetzgeber vorbereitet. Das jüngst vom Bundestag angenommene (s. Plenarprotokoll v. 17.1.2019, S. 8598 ff.) Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz – BrexitÜG, BT-Drucks. 19/5313) wurde auch vom Bundesrat akzeptiert (BR-Drucks. 424/18 [Beschluss]).

Kuriosum des gerade einmal aus vier Paragraphen bestehenden Gesetzes ist, dass es erst an dem Tag in Kraft treten wird, an dem ein Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU in Kraft tritt (§ 4 Abs. 1 BrexitÜG). Inhaltlich bezieht sich das Gesetz auf die im Austrittsabkommen vorgesehenen Regelungen. Ziel des BrexitÜG ist nach der Regierungsbegründung, für den vorgesehenen Übergangszeitraum Rechtsklarheit über die Bestimmungen des deutschen Bundesrechts zu schaffen, die auf die Mitgliedschaft in der EU Bezug nehmen (BT-Drucks. 19/5313, 6). Bei näherer Betrachtung wird in diesem Zusammenhang lediglich in Konstellationen, in denen im Bundesrecht auf „Mitgliedstaaten der EU“ Bezug genommen wird, ohne dass es sich um Bundesrecht zur Umsetzung oder Anwendung von Unionsrecht handeln muss, ein Regelungsmehrwert geschaffen. § 3 BrexitÜG trifft Bestimmungen, die Erleichterungen für britische oder deutsche Staatsangehörige, die vor Ablauf des Übergangszeitraumes in Deutschland bzw. in Großbritannien einen Antrag auf Einbürgerung stellen.

Diese Konzeption dürfte auch im Einklang mit Art. 50 EUV stehen, insbesondere mit Art. 50 Abs. 2 EUV, der ausschließlich ein Abkommen des austrittswilligen Mitgliedstaates mit der EU vorsieht. Deutschland ist auch ohne Tätigwerden des Bundestages an ein ausgehandeltes Austrittsabkommen gebunden. Gleichwohl ist die Schaffung eines Gesetzes wie dem BrexitÜG zulässig, wenn es dazu dient, Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen.

Zu gesellschaftsrechtlichen Implikationen des Brexit trifft das Gesetz keine Aussage. Hier würde es im Falle, dass das Austrittsabkommen wie derzeit geplant abgeschlossen werden kann, dabei bleiben, dass die Niederlassungsfreiheit auf britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland anwendbar bleibt und diese für die ausgehandelte Übergangszeit ihre Rechtsfähigkeit behalten würden. Damit verbunden wäre nach dem derzeitigen Stand der Brexit-Verhandlungen aber nur ein zeitlich befristeter Aufschub. In dem dann beginnenden Übergangszeitraum müsste die britische Gesellschaft dennoch bspw. in eine deutsche Rechtsform überführt werden, um den ansonsten mit Ablauf der Übergangszeit drohenden Folgen zu entgehen, wenn nicht noch eine konkrete Regelung über betroffene britische Gesellschaften in einem Abkommen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU erfolgt.

Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive bringt das BrexitÜG daher keine Neuerungen. Für vom Brexit betroffene Gesellschaften bieten bisher daher nur die neuen Regelungen des Umwandlungsgesetzes Möglichkeiten den drohenden Folgen des Brexit zu entgehen. Hier gilt es jedoch auch schnell zu handeln. Wird der Verschmelzungsvertrag nach § 122c Abs. 4 UmwG nicht vor dem Brexit beurkundet, erscheint eine „Rettung“ der britischen Gesellschaft ohne Austrittsabkommen ausgeschlossen.


III. Perspektiven für Großbritannien, die EU und Deutschland

Das BrexitÜG spricht in einem speziellen Punkt eine klare Sprache. Es macht sehr deutlich, dass es nur ein Gesetz für die Hinterhand ist. Ein Gesetz, dass unter einer „aufschiebenden Bedingung“ des Inkraftretens eines Austrittsabkommens zwischen Großbritannien und der EU steht, zeigt auf, dass in Sachen Brexit bis zum 29.3.2019 alles möglich ist. Denkbar sind dabei vor allem ein Austritt ohne Abkommen, ein Austritt mit dem vorliegenden Austrittsabkommen aber auch eine einseitige britische Rücknahme der Austrittsmitteilung.

Bis zum letzten Moment wird es jedoch aller Voraussicht nach unklar bleiben, was letztlich aus britischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland werden soll. Das BrexitÜG hilft den betroffenen Gesellschaften hierbei auch nicht weiter. Sollte kein Austrittsabkommen abgeschlossen werden, sind die Neuregelungen des Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes auch nur bedingt nützlich, nämlich bis zum Ablauf des 29.3.2019 bzw. bis zum Ende einer einvernehmlichen Verlängerung dieser Frist durch einen einstimmigen Beschluss zwischen Großbritannien und dem Europäischen Rat (Art. 50 Abs. 3 EUV). Wer bis dahin nicht aktiv geworden ist, idealerweise die englische Gesellschaft bereits in eine deutsche Rechtsform überführt hat oder notfalls in letzter Sekunde zumindest noch einen notariellen Verschmelzungsplan aufgestellt hat, um von der Regelung des § 122m UmwG zu profitieren, hat womöglich schlechte Karten. Die Einstellung des Geschäftsbetriebs, um weitere Haftungsrisiken zu minimieren oder ein Hoffen auf die Rechtsprechung, dass sie den in Deutschland ansässigen britischen Gesellschaften unter Heranziehung einer Art Vertrauensschutz doch noch die Rechtsfähigkeit erhält, sind nur Beispiele für die letzten Strohhalme der Hoffnung, an die es sich dann zu klammern gilt.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 25.03.2019 11:10