8 / 2019

Dr. Tobias Brouwer

ARUG II geht in die nächste Runde

I. Einführung

Am 20.3.2019 hat die Bundesregierung den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) verfassten Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie“ (ARUG II) beschlossen. Die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (EU) 2017/828 vom 17.5.2017 (ARRL II) ist damit wieder einen deutlichen Schritt vorangekommen. Die Umsetzungsfrist endet am 10.6.2019.

Die Kabinettsfassung führt den vom Referentenentwurf (RefE) aus Oktober 2018 verfolgten Ansatz einer behutsamen Umsetzung der Richtlinienvorgaben in das deutsche, dualistische Aktienrechtssystem fort. Im Detail weist der Regierungsentwurf (RegE) eine Vielzahl an Änderungen und Klarstellungen auf, die für zusätzliche Rechtssicherheit sorgen und daher sehr zu begrüßen sind.

Das ARUG II befasst sich mit vier Regelungsbereichen: (1) Identifizierung und Information der Aktionäre, (2) Einbeziehung der Hauptversammlung bei der Vergütung des Vorstands und des Aufsichtsrats, (3) Zustimmungspflichten bei Geschäften der Gesellschaft mit nahestehenden Personen (Related Party Transactions – RPT) und (4) Transparenz bei institutionellen Anlagern, Vermögensverwaltern und Stimmrechtsberatern. Die wichtigsten Änderungen zu den aus Sicht der betroffenen börsennotierten Unternehmen relevanten Regelungsbereichen (1) bis (3) werden nachfolgend stichpunktartig vorgestellt.


II. „Know your Shareholder“

Die ARRL II unterscheidet bei ihren Vorschriften zur Identifizierung und Information der Aktionäre nicht zwischen Inhaber- und Namensaktien. Auch der RefE sprach an verschiedenen Stellen nur vom „Aktionär“ ohne dass klar war, wer damit gemeint ist – der wahre Aktionär oder der im Aktienregister Eingetragene? In der Folge bestand aus Sicht der Namensaktiengesellschaften die Sorge, dass zu dem System des Aktienregisters ein weiteres, paralleles Identifikationsverfahren treten könnte, was die bisherige Aktionärsverwaltung verkompliziert hätte. Der RegE greift dies auf und differenziert jetzt deutlicher zwischen Inhaber- und Namensaktiengesellschaften:

  • Für Änderungen des Aktionariats wird durch einen neuen Satz 2 in § 67 Abs. 3 AktG-RegE klargestellt, dass aus der neuen Identifikationsmitteilung der Intermediäre nach § 67d Abs. 4 AktG-RegE keine Verpflichtung zur Aktionärseintragung (und Löschung) folgt. Namensaktiengesellschaften können somit an ihrer bisherigen Praxis des Abgleichs des Aktienbestands mit den Systemen des Zentralverwahrers festhalten (RegE S. 63).

  • Für die Übermittlung von Informationen an die Aktionäre über „Unternehmensereignisse“ enthält § 67a Abs. 1 AktG-RegE nunmehr die Grundregel, dass börsennotierte Inhaberaktiengesellschaften den Intermediären (Nr. 1) und Namensaktiengesellschaften den im „Aktienregister Eingetragenen“ (Nr. 2) die erforderlichen Informationen übermitteln müssen (RegE S. 66). Damit wird verhindert, dass es bei Namensaktiengesellschaften zu Mehrfachmitteilungen sowohl an die Registeraktionäre als auch die Intermediäre kommt (RegE S. 66). Für den Begriff der „Unternehmensereignisse“ verweist Abs. 6 auf die Durchführungsverordnung (EU) 2018/1212, die die einzelnen „know your shareholder“-Vorschriften konkretisiert.

  • Für die Pflicht der Gesellschaft zur Mitteilung der Einberufung der Hauptversammlung verweist § 67a Abs. 1 Satz 2 AktG-RegE auf § 125 AktG, der jetzt ebenfalls zwischen Inhaber- (Abs. 1) und Namensaktiengesellschaften (Abs. 2) unterschiedet.

  • § 129 Abs. 5 AktG-RegE enthält die gesetzliche Klarstellung, dass der Anspruch gegen die Gesellschaft auf Bestätigung der abgegebenen Stimmen nicht – wie im RefE vorgesehen – dem „Aktionär“, sondern dem „Abstimmenden“ zusteht. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es den Gesellschaften oftmals nicht möglich ist, für die Bestätigung den einzelnen Aktionär zu identifizieren (z.B. im Fall einer verdeckten Stimmrechtsausübung, s. RegE S. 112).

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III. „Say on Pay“

Der RegE hält daran fest, den mindestens alle vier Jahre zwingend einzuholenden Hauptversammlungsbeschluss über das Vergütungssystem des Vorstands (im RefE hieß es noch Vergütungspolitik) nur beratend auszugestalten (§ 120a Abs. 1 Satz 2 AktG-RegE). Dass es sich dabei immer noch um ein Politikum handelt, zeigt der am 12.3.2019 von der FDP-Bundestagsfraktion eingereichte Antrag (Drucks. 19/8269), mit dem die FDP die Bundesregierung unter Verweis auf einen gemeinsamen Vorschlag mit der CDU/CSU aus der 17. Wahlperiode auffordert, das HV-Votum verbindlich auszugestalten (s. auch die Plenarrede von MdB Hirte v. 14.3.2019, Drucks. 19/86, S. 10169). Für eine Kompetenzverschiebung fehlt es jedoch schon am Regelungsbedürfnis, da der Aufsichtsrat kaum ein negatives Aktionärsvotum ignorieren wird.

Was die Änderungen im RegE betrifft, sind folgende Punkte zu vermerken:

  • Neu ist die Klarstellung in § 120a Abs. 1 Satz 4 AktG-RegE, dass ein das Vergütungssystem bestätigender Beschluss zulässig ist. Der Aufsichtsrat kann daher auch das geltende Vergütungssystem zur erneuten Abstimmung stellen (RegE S. 107).

  • Im Fall der Nichtbilligung muss das überprüfte Vergütungssystem nunmehr „spätestens“ in der darauffolgenden „ordentlichen“ HV vorgelegt werden (§ 120a Abs. 3 AktG-RegE). Dadurch wird vermieden, dass außerordentliche HVs mit themenfremden Inhalten belastet werden (RegE S. 107).

  • Ebenfalls neu und zu begrüßen ist, dass jetzt auch der HV-Beschluss über die Billigung des Vergütungsberichts unanfechtbar ist. Die Begründung zieht hierfür den Vergleich zu anderen Publizitätsinstrumenten wie die Feststellung des Jahresabschlusses, der im Regelfall auch nicht durch die Aktionäre anfechtbar ist (RegE S. 107 f. zu § 120a Abs. 4 Satz 2 AktG-RegE). Zum Berichtsinhalt hat die EU-Kommission bis zum 21.3.2019 eine Konsultation zur Erarbeitung von Leitlinien durchgeführt, die eine standardisierte Darstellung des Vergütungsberichts zum Ziel hat (vgl. Art. 9b Abs. 6 ARRL II).

  • Aus „systematischen Gründen“ (RegE S. 105) wurde § 124 AktG angepasst: Die Bekanntmachung von Vorschlägen zur Beschlussfassung nach Abs. 2 Satz 3 umfasst jetzt auch das Vergütungssystem von Vorstand und Aufsichtsrat sowie den Vergütungsbericht, die jeweils die vollständigen Unterlagen enthalten muss (RegE S. 108). § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG-RegE wurde insoweit ergänzt, als das Vorschlagsrecht für das Vergütungssystem des Vorstands nunmehr alleine beim Aufsichtsrat liegt. Bezüglich der Aufsichtsratsvergütung und des Vergütungsberichts soll es dagegen beim gemeinsamen Vorlagerecht von Aufsichtsrat und Vorstand verbleiben (RegE S. 109).


IV. Related Party Transactions

Dem Ansatz des RefE eines möglichst geringen Eingriffs in das bereits existierende Schutzsystem des deutschen Konzernrechts folgend zielen die Änderungen der Kabinettsfassung auf eine Vereinfachung des Zustimmungsverfahrens sowie auf Klarstellungen, die sich aus den Stellungnahmen zum RefE ergeben haben:

  • Klargestellt wird, dass unwesentliche Änderungen von Geschäften nicht erneut zustimmungspflichtig sind (RegE S. 89).

  • Für die Praxis besonders wichtig ist auch der neue Hinweis, dass auch konzerninterne Geschäfte zu marktüblichen Bedingungen abgeschlossen werden können und somit grundsätzlich nach § 111a Abs. 2 AktG-RegE ausnahmefähig sind (RegE S. 91).

  • Die Mutter-Tochter-Ausnahme des § 111a Abs. 3 AktG-RegE wurde um eine neue, vierte Variante ergänzt (Geschäfte mit in der EU börsennotierten Tochtergesellschaften). Für Geschäfte im faktischen Konzern ist dagegen nach wie vor keine Ausnahme vorgesehen (vgl. § 311 Abs. 3 AktG-RegE).

  • Der maßgebliche Zeitraum für die Aggregation von Geschäften für die Zustimmungs- und Veröffentlichungspflichten wurde geändert: Statt der letzten zwölf Monate wird nunmehr auf das laufende Geschäftsjahr abgestellt (vgl. zur Option Art. 9c Abs. 8 ARRL II). Damit wird ein Gleichlauf mit den Rechnungslegungspflichten ermöglicht (RegE S. 95 zu § 111b Abs. 1 AktG-RegE).

  • Die Regierungsbegründung stellt weiter klar, dass nur Geschäfte der börsennotierten Gesellschaft mit derselben nahestehenden Person zu aggregieren sind. Nicht durchgesetzt hat sich dagegen die Anregung aus der Wirtschaft, die Aggregation zusätzlich auf Geschäfte derselben Art zu beschränken, was ebenfalls klargestellt wird (RegE S. 95).

  • Wichtig ist der weitere Hinweis, dass Geschäfte unter der aufschiebenden Bedingung einer Zustimmung des Aufsichtsrats abgeschlossen werden können und die Zustimmung anschließend eingeholt werden kann (RegE S. 94).

  • Das zweistufige Zustimmungsverfahren wurde deutlich vereinfacht. Nach dem RefE stand die Zustimmungskompetenz ausschließlich dem Gesamtaufsichtsrat zu (§ 111b Abs. 1 AktG-RefE). Nur Aufsichtsratsmitglieder, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind, waren von der Abstimmung per se ausgeschlossen. Solche Aufsichtsratsmitglieder, bei denen „lediglich“ die Besorgnis eines Interessenkonflikts aufgrund ihrer Beziehungen zu der nahestehenden Person besteht, unterlagen dagegen nur dann einem Stimmverbot, wenn kein Ausschuss nach den Vorgaben des § 107 Abs. 3 Satz 4 AktG-RefE eingerichtet war, der die Zustimmungsentscheidung vorbereitet hat (§ 111c Abs. 2 AktG-RefE). Der RegE sieht nunmehr auf Ebene des Gesamtaufsichtsrats ein umfassendes Stimmverbot sowohl für Aufsichtsratsmitglieder, die an dem Geschäft als nahestehende Personen beteiligt sind, als auch für solche Aufsichtsräte vor, bei denen „nur“ die Besorgnis eines Interessenskonflikts besteht (§ 111b Abs. 2 AktG-RegE). Im Gegenzug kann die Zustimmungsentscheidung jetzt auf einen beschließenden Ausschuss nach den Vorgaben des § 107 Abs. 3 Sätze 5 und 6 AktG-RegE übertragen werden (vgl. § 111b Abs. 1 a.E. AktG-RegE), bei dem auch lediglich konfliktbehaftete Ausschussmitglieder ohne Beteiligung am Geschäft mit abstimmen dürfen, sofern sie in der Unterzahl sind (§ 107 Abs. 3 Satz 6 AktG-RegE). Für die Beurteilung, ob die Besorgnis eines Interessenkonflikts besteht, soll es auf eine objektive, gerichtlich voll überprüfbare Betrachtung und nicht auf die Einschätzung des Aufsichtsrats ankommen. Die Möglichkeit, ein ablehnendes Ausschussvotum durch eine anderslautende Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers zu ersetzen, ist weggefallen (vgl. noch § 111c Abs. 1 AktG-RefE).

  • Neu ist der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass auch bei der KGaA der Aufsichtsrat der KGaA für die Zustimmungsentscheidung zuständig ist, was sich aus § 278 Abs. 3 AktG ergebe (RegE S. 89). Richtigerweise ist jedoch § 278 Abs. 2 AktG einschlägig, der ins HGB verweist und damit gem. § 164 Satz 1 HGB die Möglichkeit eröffnet, die Zustimmungskompetenz auch einem Beirat oder Gesellschafterausschuss zu übertragen (dazu demnächst Backhaus/Brouwer in AG 8/2019).

  • Die zunächst in § 48a WpHG-RefE verortete Pflicht zur Veröffentlichung von Geschäften mit nahestehenden Personen ist in das AktG verschoben worden und findet sich nun im § 111c AktG-RegE. Begrüßenswert ist die Klarstellung, dass zum Schutz sensibler Informationen die Selbstbefreiung nach Art. 17 Abs. 4 und 5 MAR auch in den übrigen Fällen des § 111c AktG-E sinngemäß anwendbar ist, unabhängig vom Vorliegen einer Insiderinformation (RegE S. 99 zu § 111c Abs. 3 AktG-RegE).


V. Ausblick

Nächster Meilenstein sind die Empfehlungen des federführenden Bundestagsrechtsausschusses. Da viele Anregungen aus den Stellungnahmen zum RefE bereits im Kabinettsentwurf berücksichtigt wurden und sich auch die politischen Wellen gelegt haben, ist mit großen Änderungen nicht mehr zu rechnen. Nach dem vorgesehenen Zeitplan für das weitere Gesetzgebungsverfahren sollen die Beratungen im Bundestag noch vor der parlamentarischen Sommerpause stattfinden. Die Schlussberatungen sind indes für September 2019 vorgesehen, sodass mit der Verkündung des Gesetzes erst im Oktober 2019 zu rechnen ist. Danach könnte das ARUG II am 1. November 2019 in Kraft treten (Art. 16 ARUG II).

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 25.04.2019 11:20