9 / 2019

Ralf Knaier

Digitale Lösungen und neue Binnenmarktmobilität für Gesellschaften vor der unionsweiten Kodifizierung

Noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen, seit die Europäische Kommission am 25.4.2018 ihr Company Law Package (abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/publications/company-law-package_en, Stand: 25.3.2019) der Öffentlichkeit präsentierte. Der Vorschlag enthielt Entwürfe für zwei Änderungsrichtlinien zur Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (ABl. Nr. L 169/46 v. 30.6.2017, nachfolgend GesellschaftsrechtsRL). Zum einen sollte der Einsatz digitaler Technologien im Gesellschaftsrecht gefördert werden und insbesondere eine vollständig digitale Ferngründungsmöglichkeit geschaffen werden (COM[2018] 239 final). Zum anderen sollten die bereits bestehenden Regeln über grenzüberschreitende Verschmelzungen überarbeitet sowie neue Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen geschaffen werden (COM[2018] 241 final). Seither hat sich auf Unionsebene viel bewegt und erstmals seit Langem erscheint die Verabschiedung einer großen Kodifikation im unionalen Gesellschaftsrecht in greifbare Nähe gerückt zu sein. Der Beitrag soll im Folgenden einen Überblick über einige der wesentlichen und voraussichtlich praxisrelevantesten Vorschläge von Rat und Parlament zur Änderung des Kommissionsvorschlags geben.


I. Verlauf des Normsetzungsverfahrens

Nachdem die Kommission ihren Entwurf vorgelegt hatte, wurde das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 294 AEUV in Gang gesetzt. Hinsichtlich des Digitalisierungsvorschlages hatte der Parlamentsabgeordnete Tadeusz Zwiefka am 9.7.2018 einen Änderungsentwurf für das Parlament ausgearbeitet. Dieser wurde am 20.11.2018 vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) beschlossen und am 6.12.2018 vom Plenum angenommen. Bereits einen Tag zuvor wurde der Ratspräsidentschaft das Verhandlungsmandat erteilt. Der Rat legte dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am 29.11.2018 Änderungsvorschläge vor (Dok. 14828/18). Am 17.1.2019 fand sodann der erste Trilog über den Digitalisierungsvorschlag statt und bereits im zweiten Trilog am 4.2.2019 konnte eine erste Einigung erzielt werden. Die endgültige Einigung wurde am 11.2.2019 erreicht (s. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CONSIL:ST_6095_2019_INIT&from=EN).

Der Vorschlag zu grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen wurde ebenfalls sehr zügig behandelt. Bereits am 7.8.2018 hatte die Parlamentsabgeordnete Evelyn Regner einen Entwurf für Änderungen präsentiert, die das Parlament am Vorschlag für grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen vornehmen solle (2018/0114 [COD]). Hierauf basiert der Bericht des Rechtsausschusses vom 6.12.2018. Das Parlament hatte seine finalen Änderungsvorschläge am 9.1.2019 vorgelegt (A8–0002/2019, PE625 524v03–00) und am 30.1.2019 das Trilogmandat erteilt. Am 25.1.2019 legte der Rat seine Änderungsvorschläge hierzu vor (Dok. 5401/19). Zwischen Rat und JURI konnte am 1.4.2019 ein Einigungstext erarbeitet werden (abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/JURI/DV/2019/04-01/Cross-bordermergers_annextoCOREPERletter_EN.pdf, Stand: 8.4.2019).

Derzeit arbeiten die Rechtslinguisten die finalen Sprachfassungen der Entwürfe aus. Es wird damit gerechnet, dass bereits in den nächsten Wochen eine Abstimmung über die Änderungsrichtlinien zu erwarten ist. Nach Erlass und Veröffentlichung der Änderungsrichtlinien im Amtsblatt der EU beginnt für die Mitgliedstaaten die in den Rechtsakten bezeichnete jeweilige Umsetzungsfrist zu laufen, innerhalb derer sie diese in das nationale Recht umsetzen müssen.


II. Modifikationen des Digitalisierungsvorschlags

Besonders zügig schritten die Verhandlungen über den Digitalisierungsvorschlag voran und bereits recht früh war absehbar, dass zwischen Rat und Parlament hier eine Einigung erzielt werden kann. Die Änderungsvorschläge seitens Parlament und Rat sind auch weniger einschneidend als hinsichtlich des Mobilitätsvorschlages (III.).

Erfreulicherweise wurde Art. 13h GesellschaftsrechtsRL, der die Inhabilität von Geschäftsführern und den Informationsaustausch hierüber betrifft, klarer gefasst (hierzu ausführlich Teichmann, ZIP 2018, 2451, 2454). Die Vorschrift soll den Mitgliedstaaten nun lediglich vorgeben, Informationen über die Inhabilität von Geschäftsführern im Einklang mit dem nationalen Recht bereitzustellen. Dies bedeutet bspw. für Deutschland, dass das bewährte System der Geschäftsführerversicherung über das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen weiterhin erhalten bleiben kann und keine weitere Sachprüfung über etwaige Inhabilitätsgründe vorgeschrieben wird (zur Kritik am Kommissionsentwurf aus diesen Gründen Knaier, GmbHR 2018, 560, 565 f.).

Zudem soll in der finalen Fassung der Änderungsrichtlinie auch präziser die Rede von einer „Onlinegründung“ und nicht nur von einer „Onlineeintragung“ sein. Art. 13f Abs. 4 lit. e) GesellschaftsrechtsRL stellt nach dem Ratsvorschlag nun klar, dass die Mitgliedstaaten die Rolle des Notars im Onlinegründungsverfahren allgemein regeln können, sich dessen Rolle also keinesfalls in der bloßen Einreichung des Antrags erschöpft, sondern verschiedene Elemente des Gründungsverfahrens umfassen kann. Weitere Klarstellung erfolgte in Art. 13f Abs. 4 lit. f) GesellschaftsrechtsRL, wo nun konkret auch die Möglichkeit eines vollständigen Ausschlusses von Sacheinlageleistungen aus dem Onlinegründungsverfahren festgeschrieben wird. Nach Art. 13f Abs. 7 GesellschaftsrechtsRL soll die Eintragung einer Gesellschaft innerhalb von fünf (bei Verwendung der bereitzustellenden templates) oder zehn (ohne Verwendung der Muster) Werktagen erfolgen, wenn alle Eintragungsvoraussetzungen vorliegen (hierzu Teichmann, ZIP 2018, 2451, 2459 f.). Ebenfalls soll der Katalog der von den Mitgliedstaaten bereitzustellenden Informationen über Gründung und Betrieb der nationalen Gesellschaftsformen in Art. 13e GesellschaftsrechtsRL gekürzt werden, um den potentiellen Gründern einen leichteren und übersichtlicheren Zugriff auf diese zu ermöglichen.


III. Modifikationen des Vorschlags zu grenzüberschreitenden Umwandlungsmaßnahmen

Das Company Law Package der Kommission sah eine umfassende erstmalige Regelung des grenzüberschreitenden Formwechsels und der grenzüberschreitenden Spaltung vor (zum ursprünglichen Vorschlag etwa Knaier, GmbHR 2018, 607; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229, 235 ff. und 273; Wachter, GmbH-StB 2018, 283 und 317; Noack/Kraft, DB 2018, 1577). Der bereits bestehende Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen sollte zudem modernisiert werden. Für die Konstruktion der beiden neu zu schaffenden Regelungsregime orientierte sich der ursprüngliche Vorschlag an dem bereits bestehenden Rahmen für grenzüberschreitende Verschmelzungen. Auch nach den Verhandlungen soll es dabei bleiben, dass sowohl für den grenzüberschreitenden Formwechsel als auch für die grenzüberschreitende Spaltung ein lang ersehnter neuer Rechtsrahmen geschaffen wird. Diese Regelungen orientieren sich eng am schon bestehenden Verfahren für grenzüberschreitende Verschmelzungen.


1. Artificial arrangement test

Besonders umstritten war in den bisherigen Diskussionen um das Company Law Package der geplante „artificial arrangement test“, insbesondere im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Formwechsel (zur Diskussion etwa Knaier, GmbHR 2018, 607, 618 ff.; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229, 273, 275 f.; Wachter, GmbH-StB 2018, 317, 318 ff.; Wicke, DStR 2018, 2703, 2704 ff.; Schollmeyer, NZG 2018, 977). Der Kommissionsentwurf sah in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung vor, dass die Kontrollstellen des Herkunftsstaates einen grenzüberschreitenden Formwechsel nicht genehmigen, wenn sie nach Prüfung des betreffenden Falls und unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände feststellen, dass „es sich um eine künstliche Gestaltung mit dem Ziel handelt, unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen oder die gesetzlichen oder vertraglichen Rechte der Arbeitnehmer, Gläubiger oder Gesellschafter unrechtmäßig zu beschneiden“ (hierzu Knaier, GmbHR 2018, 607, 617 f.). Diese Regelung soll nach dem Kommissionsvorschlag lediglich für den grenzüberschreitenden Formwechsel und die grenzüberschreitende Spaltung gelten. Vielfach wurde daher berechtigt kritisiert, warum im Sinne eines kohärenten Regelungsregimes keine Erstreckung auf grenzüberschreitende Verschmelzungen stattfinden solle (siehe etwa Knaier, GmbHR 2018, 607, 618; J. Schmidt, Der Konzern 2018, 229, 273, 275 f.). Ebenso wurde vorgebracht, ob alternative Regelungsansätze, wie etwa das Erfordernis eines realwirtschaftlichen Bezuges zum Registrierungsstaat („genuine link“) nicht ein wirksameres Instrument zur Missbrauchsbekämpfung darstellen würde (Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 361 f.).

Parlament und Rat zeigten sich bemüht, einen kohärenten Rahmen für alle drei der vom Vorschlag erfassten Umwandlungsarten zu schaffen. Das Parlament möchte hierzu die materiell- und verfahrensrechtlichen Regelungen zur Missbrauchskontrolle auf grenzüberschreitende Verschmelzungen übertragen und präzisieren (siehe Art. 86g, 86m und 86n A8–0002/2019, PE625 524v03–00). Der Rat sieht eine Lösung der Problematik in der Streichung der entsprechenden Vorschriften für sämtliche Umwandlungsarten (Doc. 15678/18 v. 18.12.2018). Die Durchführung einer Missbrauchskontrolle soll danach nur eine mitgliedstaatliche Option sein. Der Einigungstext vom 1.4.2019 spricht nicht mehr von einem „artificial arrangement“, sondern sieht vor, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass der grenzüberschreitende Formwechsel für missbräuchliche oder betrügerische Zwecke zur Umgehung nationaler Schutzrechte eingesetzt wird oder damit kriminelle Absichten verfolgt werden. Insbesondere soll in diesen Fällen keine Vorabbescheinigung im Herkunftsmitgliedstaat erstellt werden. Hinsichtlich eines einheitlichen und rechtssicheren Schutzstandards auf Unionsebene scheint mit dieser Lösung jedoch wenig gewonnen.


2. Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern

Ähnlich brisant wurden die Schutzmechanismen zugunsten von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern diskutiert (hierzu im Überblick m.w.N. Teichmann/Knaier, Grenzüberschreitender Formwechsel nach den EuGH-Entscheidungen VALE und Polbud, erscheint in: Aktuelle notarielle Herausforderungen in der Praxis des Gesellschaftsrechts, Göttingen 2019, S. 55). Zum Schutz von Gläubigern und Minderheitsgesellschaften sah der Kommissionsvorschlag Regelungen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen vor, die im Wesentlichen dem Vorbild der grenzüberschreitenden Verschmelzung nachgebildet wurden. Hier unterbreiteten Parlament und Rat nur wenige Änderungsvorschläge. Der Rat schlägt etwa zum Schutz der Minderheitsgesellschafter in Art. 160i Abs. 2 bzw. Art. 86g Abs. 3 (ST 5401/19) eine Art. 126a Abs. 5 GesellschaftsrechtsRL entsprechende Regelung zur Prüfung des Barabfindungsgebots vor. Das Parlament schlägt zudem bspw. vor, in Art. 160l Abs. 3 Satz 3 bzw. Art. 86j Abs. 3 Satz 3 GesellschaftsrechtsRL einen Vorbehalt für nationale Formvorschriften einzufügen.

Wesentlich problematischer gestaltet sich die Frage nach dem Schutz der Arbeitnehmer, insbesondere bzgl. der Mitbestimmungsfrage. Grundsätzlich orientierte sich der Vorschlag der Kommission am bereits bewährten Verhandlungsmodell (ausführlich Selent, NZG 2018, 1171). Wie bei der Gründung oder grenzüberschreitenden Verschmelzung einer SE sollten Verhandlungen zwischen der Unternehmensleitung und einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer stattfinden, die entweder eine Vereinbarung über ein Mitbestimmungsmodell nach sich ziehen oder beim Scheitern der Verhandlung das höchste vor der Strukturmaßnahme in den beteiligten Gesellschaften existierende Mitbestimmungsniveau zur Folge haben. Im Gegensatz zum bekannten Verhandlungsmodell kann von den Verhandlungsparteien ohne vorherige Verhandlungen jedoch nicht die Auffanglösung gewählt werden. Um dem Phänomen entgegenzutreten, dass kurz vor Erreichen der jeweiligen Arbeitnehmerschwellenwerte für die Mitbestimmung ein Wechsel in eine mitbestimmungsfreie Rechtsform erfolgt, sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass die Gesellschaft, die einen grenzüberschreitenden Formwechsel oder eine grenzüberschreitende Spaltung anstrebt, bereits dann verhandeln muss, wenn ihre Belegschaft 4/5 des nationalen Schwellenwertes für die Mitbestimmung erreicht hat.

Hinsichtlich der Mitbestimmung liegen die Vorschläge von Rat und Parlament denkbar weit auseinander (hierzu ausführlich Teichmann, NZG 2019, 241, 246 ff.; Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 364 f.). Der Rat schlägt vor, dass Verhandlungen nur geführt werden sollen, wenn die fixe Schwelle von 500 Arbeitnehmern überschritten wird und die Gesellschaft der Mitbestimmung unterliegt. Das Parlament hält an der Vorverlagerung des Schwellenwertes fest und schlägt zudem ein eigenständiges EU-Mitbestimmungsmodell als Auffanglösung vor, wonach ab einem Schwellenwert von 50 Arbeitnehmern das Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan mit zwei Arbeitnehmervertretern, ab 250 Arbeitnehmern mit einem Drittel und ab 1000 Arbeitnehmern zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt wird. Im Einigungstext vom 1.4.2019 bleibt es hingegen im Wesentlichen bei dem Modell der 4/5-Schwelle.


3. Grenzüberschreitende Spaltungen

Das vorgeschlagene Rechtsregime für grenzüberschreitende Spaltungen wurde im weiteren Verfahren über das Company Law Package nach dem Vorbild des grenzüberschreitenden Formwechsels nachgebildet. Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf der Kommission, der nur die Aufspaltung zur Neugründung und die Abspaltung zur Neugründung vorsah, wurde durch den Rat die Ausgliederung zur Neugründung hinzugefügt. Weiterhin nicht vorgesehen ist hingegen eine Spaltung zur Aufnahme. Diese Variante wurde von der Kommission als zu komplex eingestuft, was Rat und Parlament offenbar genauso sehen. Der deutsche Gesetzgeber könnte im Zuge der Richtlinienumsetzung jedoch den Anwendungsbereich auf Spaltungen und Ausgliederungen zur Aufnahme erstrecken. Aus Gründen der Rechtssicherheit und den damit verbundenen Erleichterungen für die Praxis wäre dies zu begrüßen (vgl. Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 353, 355).


IV. Herausforderung Company Law Package

Es steht zu erwarten, dass die finalen Sprachfassungen der Trilogtexte in den kommenden Wochen veröffentlicht werden und alsbald im Anschluss hieran eine Abstimmung im Parlament über die beiden Änderungsrichtlinien stattfinden wird. Mit der Annahme des Company Law Package beginnen die Herausforderungen für die jeweiligen Umsetzungsgesetzgeber in den Mitgliedstaaten. Der deutsche Gesetzgeber wird vor der Herausforderung stehen, die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts ernsthaft anzugehen und dabei das bewährte System der vorsorgenden Rechtspflege unionsrechtskonform in die digitale Welt zu überführen. Für die Binnenmarktmobilität verspricht das Company Law Package nach seiner Umsetzung einen echten Mehrgewinn an Rechtssicherheit und eine Beschleunigung der Verfahren.

Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 25.04.2019 11:23