Jürgen Hahn,
Rechtsanwalt, Bonn

"KapCoRiLiG": Gläserne Taschen für GmbH und GmbH & Co. KG

Alle ca. 700.000 meist mittelständischen deutschen GmbHs, wie auch neu betroffen beschränkt haftende Personenhandelsgesellschaften, also mindestens 100.000 GmbHs & Co. KGs, dürfen sich über neue Belastungen freuen. Nach den Beschlüssen von Bundestag am 16.12.1999 und Bundesrat am 4.2.2000 (BR-Drucks. 7/00 [Beschluß]) müssen sie künftig zwangsweise ihre Jahresabschlüsse veröffentlichen, und dies zur Einsicht von "Jedermann", also der Konkurrenz. Diese besteht aber nicht nur aus deutschen Großkonzernen, sondern lauert weltweit bis Fernost. Sichtbar wird, ob das Unternehmen mit attraktiven Nischenprodukten handelt, ein interessantes Übernahmeobjekt darstellt, oder schlichtweg, ob Zulieferpreise eines Mittelständlers nicht noch ein wenig gedrückt werden könnten. Dies sieht das neue "Kapitalgesellschaften- und Co.-Richtlinien-Gesetz", kurz "KapCoRiLiG" genannt, vor, das demnächst verkündet wird. Es gilt bereits ohne große Probelaufmöglichkeiten für GmbH-Abschlüsse ab Geschäftsjahr 1999, zu veröffentlichen bis Ende 2000. Die GmbH & Co. KG kann noch ein Jahr länger warten, allerdings ist für sie Rechnungslegung für Kapitalgesellschaften und besonders das neu eingeführte Verbot der Bildung stiller Reserven hart.

Hinsichtlich der Einordnung in "kleine, mittelgroße und große Gesellschaften" gelten nunmehr folgende erneut erhöhte Kriterien, von denen wie bisher lediglich zwei in zwei aufeinanderfolgenden Jahren erfüllt sein müssen. Kleine Gesellschaften sind nunmehr solche mit weniger als 6,72 Mio. DM Bilanzsumme, 13,44 Mio. DM Umsatzerlöse und 50 Arbeitnehmer, für die nur eine Offenlegungspflicht der Bilanz und des Anhangs gilt. Mittelgroße Gesellschaften (weniger als 26,89 Mio. DM Bilanzsumme, 53,78 Mio. DM Umsatzerlöse und 250 Arbeitnehmer) müssen sich jährlich prüfen lassen, genauso wie große, die die Kriterien entsprechend darüber erfüllen. Dann gilt Veröffentlichungspflicht für den gesamten Jahresabschluß und Lagebericht, mit geringfügigen Erleichterungen für mittlere Unternehmen. Für die GmbH & Co. KG besteht zusätzlich ein Wahlrecht hinsichtlich der Aufstellung eines sog. befreienden Konzernabschlusses, dessen Vor- und Nachteile in dem Beitrag von Prof. Dr. Carsten Theile (GmbHR 2000, 215 -- in diesem Heft) dargestellt sind.

Halali auf den Mittelstand erfüllt alten Gewerkschaftstraum

Auf den ersten Blick ist diese neue Mittelstandsbelastung nicht "hausgemacht", sondern durch Brüssel vorgegeben. Die EU hatte bereits im Juli 1978 mit einer Richtlinie festgestellt, daß GmbHs genauso wie AGs ihre Jahresabschlüsse zu veröffentlichen hätten. Bekäftigt wurde dies durch eine weitere EU-Richtlinie im Jahre 1990 für die Personenhandelsgesellschaft mit beschränkter Haftung, namentlich für die deutsche GmbH & Co. KG. Damit auch kein deutscher Mittelständler der durch EuGH-Urt. v. 29.9.1998 bekräftigten Entscheidung der EU-Kommission entkommt, kann nun "Jedermann" sich auf die Nichtveröffentlichung der Bilanzen berufen, d. h. bei Nichterfolg ein immer wieder verhängbares Zwangsgeld von 5.000 Euro = ca. 10.000 DM sowie Ordnungsgeld bis 25.000 Euro -- ca. 50.000 DM veranlassen. Das große "Halali" ist daher eröffnet. Trösten kann auch nicht, daß die sog. "Schwellenwerte" für Rechnungslegung und Publizitätspflicht erneut angehoben wurden. Denn die grundlegenden Zwänge für die verfehlte Mittelstandspublizität und Prüfung, die dagegen lehrreich sein kann, verbleiben, und zwar für jede GmbH und GmbH & Co. KG.

Es mag der jetzigen Rot-Grünen-Bundesregierung die Entscheidung leichter gemacht haben, daß sie sich auf die EU berufen kann, wie auch auf den EuGH. Was vielen unbekannt sein wird, ist aber, daß in den 1970er Jahren bereits eine SPD-geführte Bundesregierung den Wunsch des deutschen Gewerkschaftsbundes nach umfassenden Zahlenmaterial über den Mittelstand für Tarifverhandlungen erfüllen wollte, sich aber dann politisch nicht durchsetzen konnte. Diese Arbeit hat dann Brüssel -- nicht ohne Querbeeinflussung -- abgenommen. Insofern wird auch ein Schuh daraus, daß Ausnahmen der EG-Richtlinie, die der Mittelstand hätte nutzen können, bewußt von der Bundesregierung jetzt geschlossen wurden, also wiederum zu beklagendes "Deutsches Übersoll".

Während nach europäischem Recht eine GmbH & Co. KG, bei der jeweils weitere & Co. KGs stufenweise Gesellschafter sind (Mehrstöckige & Co. KG), publizitätsfrei geblieben wäre, genauso eine Genossenschaft oder Stiftung & Co. KG, so hat der deutsche Gesetzgeber alles "dicht" gemacht, als wenn er den Mittelstand einfach nicht mag, wobei dagegen das Argument, daß die meisten Arbeitsplätze im Mittelstand geschaffen werden, hier zu wiederholen wäre. Jede & Co. KG, bei der nicht in irgendeiner Stufe eine natürliche Person am Ende persönlich haftet, ist nunmehr betroffen, gleiches gilt für entsprechend ausgestaltete OHGs.

Modernes Unternehmensrecht unterscheidet zwischen Privatfinanzierung und Kapitalmarkt

Hintergrund der sog. EU-Bilanzrichtlinien-Ergänzungsrichtlinie für GmbH & Co. KGs war der Gedanke, daß für AGs und GmbHs durch die Registerpublizität ein europäischer Wettbewerbsnachteil entstünde, der auf die deutsche GmbH & Co. KG übertragen werden müsse. Begründung war, daß "Publizität der Preis der beschränkten Haftung sei", eine damals schon widersinnige Formel, da Gläubigerschutz eher durch vernünftige Absicherung (z. B. Eigentumsvorbehalte etc.) als durch Publizität im Nachhinein zu bewerkstelligen ist. Mit einer großen Initiative im europäischen Parlament im Jahre 1978 hatte z. B. der Deutsche Industrie- und Handelstag (Hahn, EuZW 1990, 156 ff. und DStR 1991, 121 ff.) dagegen argumentiert: Wettbewerbsgleichheit kann nicht "Gleichschlechtstellung" bedeuten. Also Harmonisierung als Angleichung von Wettbewerbsnachteilen ist mißverstandener europäischer Binnenmarkt, wenn einfach schlichtweg ignoriert wird, daß es daneben den Weltmarkt gibt. Das europäische Parlament -- die demokratische Vertretung des Europabürgers -- hatte daher entschieden, daß kleine und mittelgroße private Gesellschaften publizitätsbefreit, bzw. erleichtert sein sollten. Dies geschah allerdings gegen die EU-Kommission, die sich bereits 1978 mit dem Ergebnis der Richtlinie von 1990 durchsetzte, dies gegen den Willen des mittelständischen Rechtsbetroffenen, wie auch internationale Handhabung.

Bei richtiger rechtlicher Einordnung ist doch zu unterscheiden, ob ein Unternehmen öffentliche Gelder aufnimmt, also sich wie eine AG an den Kapitalmarkt wendet, oder ob es sich um eine private Gesellschaft handelt. Hiernach haben sich Anleger- und Gläubigerschutzvorschriften differenziert zu richten. Der Existenzgründer finanziert sein Unternehmen selbst oder, was keinen Unterschied macht, verbürgt sich persönlich für Bankkredite. Nicht einzusehen ist daher, daß der private Unternehmer genauso seine Geschäftsidee und damit verbundene Finanzverhältnisse praktisch auf dem Tablett einer internationalen Konkurrenz servieren soll, wie eine Gesellschaft, die weltweit Anlegergelder aufnimmt.

Dies ist auch das Rechtsempfinden der Nation, die uns in Sachen Publizität Vorreiter ist. Die US-Bilanzierungsregeln (US-GAAP) sind hinsichtlich ihrer Veröffentlichung nicht nur für die internationalen Buchführungsregeln (International Accounting Standards, IAS) Vorbild. Sie sind sogar Benchmark für deutsche Bilanzierung, denken wir nur an das "Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz (KapAEG)" aus dem Jahre 1998. Für den so erfolgreichen Neuen Markt als weiteres Segment der Deutschen Börse ist es einfach selbstverstädlich, daß nach IAS oder US-GAAP publiziert wird und dies auch quartalsweise. Umgekehrt besteht ein bedeutender Unterschied: Private US-Gesellschaften müssen nicht veröffentlichen und dies gilt auch für Asien, namentlich Japan.

Der EU müßte doch einsichtig werden, daß gerade der Mittelstand von Spanien bis Finnland genauso mit den "Global Players" in Fernost und USA konkurriert und daher auch gleicher Regeln bedarf wie in dieser Ländern. Warum ausgerechnet die EU die privatfinanzierte GmbH und GmbH & Co. KG oder auch die "Kleine AG" der am Kapitalmarkt präsenten AG hinsichtlich der Publizität gleichstellt, wird nie nachvollziehbar sein. Zu Recht hat im Hinblick auf die internationale Rechtslage der deutsche Mittelstand seit 1978 die Veröffentlichung von GmbH-Abschlüssen verweigert, dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Unterstützung durch Wirtschaftsverbände und Tolerierung durch die letzte Bundesregierung, die allerdings über das Hinterlegungserzwingungsverfahren nach bisherigem Rechtsverständnis strikten Arbeitnehmer- und Gläubigerschutz gewahrt hat. Denn die Gleichstellung in der Belastung innerhalb der Gemeinschaft zwischen AG und GmbH und jetzt auch GmbH & Co. KG, bleibt vor dem Hintergrund der internationalen Wettbewerbssituation mit der doch konträren Entscheidung der Gesetzgeber in den USA oder Japan zum Schutz der privaten Gesellschaft unverständlich.

Situation wirklich aussichtslos?

Dabei ist dieselbe europäische Kommission in ihren Überlegungen zur Zukunft von Binnenmarkt und Gesellschaftsrecht, dies auch auf ständige Intervention des Autors (hierzu Hahn, Konferenz zu Binnenmarkt und Gesellschaftsrecht, Veröffentlichung EU 15./16.12.1997, S. 39 ff.) auch der Erkenntnis nähergekommen, daß ein modernes Unternehmensrecht in seiner Belastungsintensität zwischen der Gesellschaft, die sich an den Kapitalmarkt wendet, und der privatfinanzierten zu differenzieren hat, nur es geschieht nichts Greifbares.

Fazit bleibt, daß nunmehr auch der deutsche Mittelstand für den Aufkauf auch bilanziell international sauber auf dem Tablett dargereicht wird, und zwar internationalen Konzernen und privaten fernöstlichen und amerikanischen Unternehmen, die voll verschwiegen bleiben dürfen. Zu gratulieren bleibt einer Bundesregierung, die mißlungene EU-Richtlinien noch perfektioniert zu Lasten ihres Mittelstands, der in Wirklichkeit nicht von einem europäischen Schutzzaun profitiert, sondern voll im internationalen Wind des Wettbewerbs steht.

Der betroffene Mittelständler in der Rechtsform einer & Co. KG kann also wiederum sich nur selbst helfen, womit nichts Neues verkündet wäre. Das Einfachste ist, daß er bei vernünftiger Einschätzung seiner persönlichen wirtschaftlichen und unternehmerischen Situation selbst neben der GmbH persönliche Haftung übernimmt. Dann wäre der "Publizitätsspuk", verbunden mit gerichtlicher und Dritt-Verfolgung beendet, genauso bei einer weiteren Lösung, der Hereinnahme eines ggf. weniger vermögenden Familienmitglieds ohne daß hier "Stroh & Co" das Wort geredet werden sollte. Auch vor dem Hintergrund der richtungsweisenden Entscheidung des EuGH v. 9.3.1999 (GmbHR 1999, 474) zur Frage der "Sitztheorie", wonach nunmehr auch ein deutsches Unternehmen folgenlos seinen Rechtssitz im Ausland mit Zweigniederlassung in Deutschland nehmen kann, sollte überlegt werden, ob möglicherweise, z. B. englisches, holländisches oder luxemburger Recht mehr Flexibilität bieten, also mit Hilfe eines seriösen Beraters die Auswanderung durchprüfen, und zwar in einen Binnenmarkt, wo es auf den Rechtssitz ohnehin nicht mehr ankommt.

Verbleibt noch, und dies ist nahezu Ironie europäischer Gesetzgebung, ein Blick auf die sog. Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung, die "EWIV", die erste und einzige europäische Gesellschaftsform. Diese auch vom deutschen Gesetzgeber als eine der Personenhandelsgesellschaft verwandte Rechtsform erkannt, ist nach europäischem Recht zwingend publizitätsfrei ausgestaltet, selbst wenn sie, wie die GmbH & Co. KG, nur Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter hat. Ein Preis sei daher dem Berater ausgesetzt, der angesichts des juristisch akribischen Geflechts der Rot-Grünen-Bundesregierung den Ausweg findet, Arbeitstitel: "Preis der beschränkten Haftung".