Umsatzsteuerhaftung: Inanspruchnahme des Geschäftsführers für rückständige Vorauszahlungen nach Ergehen des Jahresbescheids

UStG § 18; AO 1977 § 34, § 69, § 191 Abs. 1

Der Haftungsschuldner kann auch nach Ergehen des Umsatzsteuer-Jahresbescheids gegenüber dem Steuerschuldner noch durch Haftungsbescheid für rückständige Umsatzsteuer-Vorauszahlungen in Anspruch genommen werden, wenn die Haftungsvoraussetzungen (nur) bezüglich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen vorlagen.

BFH, Urt. v. 12.10.1999 – VII R 98/98

Gründe:

I.

Streitig ist die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners für rückständige USt.-Vorauszahlungen nach Ergehen des USt.-Jahresbescheids.

Das FA hat die Kl. als alleinige Geschäftsführerin einer GmbH mit Haftungsbescheid für USt.-Vorauszahlungsansprüche für die Monate Juli bis Oktober 1993 i.H.v. zuletzt 22.836,46 DM in Anspruch genommen, nachdem die USt.-Jahresschuld für 1993 – bestandskräftig – i.H.v. 36.523 DM (davon getilgt 5.315,28 DM) festgesetzt worden war.

Die Inanspruchnahme stützte das FA darauf, daß die Kl. in grob fahrlässiger Weise die ihr als gesetzlicher Vertreterin der Steuerschuldnerin nach § 69, § 34 AO 1977 obliegenden Pflichten zur Abgabe monatlicher USt.-Voranmeldungen nicht bzw. verspätet erfüllt und die aufgrund der verspäteten Voranmeldungen bzw. der auf Schätzungen beruhenden Festsetzungen fällig gewordenen USt.-Vorauszahlungsansprüche nicht beglichen habe.

Die von der Kl. erhobene Klage führte zur Aufhebung des Haftungsbescheids und der Einspruchsentscheidung. Das FG urteilte in dem in EFG 1999, 101 veröffentlichten Urteil, eine Haftungsinanspruchnahme der Kl. komme hinsichtlich der USt.-Vorauszahlungen nicht in Betracht, weil die Vorauszahlungsschulden zum Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme der Kl. wegen des zwischenzeitlich ergangenen USt.-Jahresbescheids nicht mehr bestanden hätten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des FA. Es trägt vor, aufgrund der Akzessorietät der Haftung setze die Haftungsschuld das Bestehen der Steuerschuld voraus, nicht aber deren Festsetzung gegenüber dem Steuerschuldner. Durch den Erlaß des USt.-Jahresbescheids entfielen die USt.-Vorauszahlungsansprüche nicht ersatzlos, sondern sie würden nur in anderer Form geltend gemacht. Die USt.-Vorauszahlungsschulden setzten sich in der USt.-Jahresschuld fort, weshalb die Haftung auf die Höhe der Jahressteuerschuld begrenzt sei. Dieser Umstand schließe es jedoch nicht aus, hinsichtlich der übrigen Haftungsvoraussetzungen an die Vorauszahlungsschuld anzuknüpfen.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kl. beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Voraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme sei, daß der Primäranspruch bei Erlaß des Haftungsbescheids noch bestehe. Dieser – nämlich die USt.-Vorauszahlungsschuld – für Juli bis Oktober 1993 bestünde aber, nachdem das FA den Jahressteuerbescheid erlassen habe, nicht mehr. Mit dem Jahressteuerbescheid verlören die Vorauszahlungsbescheide ihre Wirksamkeit; das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer werde für die Zukunft allein in dem Jahressteuerbescheid und der darauf vorzunehmenden Steuerabrechnung festgestellt. Dementsprechend gehe der Haftungsanspruch gegen die Kl. ins Leere, denn für die USt.-Jahresschuld könne die Kl. nicht in Anspruch genommen werden, weil sie ihre Geschäftsführertätigkeit bereits im November 1993 – mithin vor Entstehen der Jahressteuerschuld – beendet habe.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FA hat die Kl. zu Recht als Haftungsschuldnerin für die rückständige USt.-Vorauszahlungsschuld der GmbH für die Monate Juli bis Oktober 1993 in Anspruch genommen. Der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids steht nicht entgegen, daß im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme die Jahressteuerschuld bereits durch Jahressteuerbescheid festgesetzt worden war.

1. Haftungsschuldner

Nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO 1977 kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

a) Haften i.S.d. § 191 AO 1977 bedeutet Einstehenmüssen für eine fremde Steuerschuld (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, 10. Aufl., § 191 AO 1977 Rn.4 m.w.N.). Tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme ist daher neben dem Bestehen einer öffentlich-rechtlichen oder zivilrechtlichen Haftungsnorm, daß eine Steuerschuld oder der Anspruch auf eine steuerliche Nebenforderung entstanden ist und im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids noch besteht (Grundsatz der Akzessorietät, vgl. Klein/Rüsken, AO, 6. Aufl., § 191 Anm.2, und BFH v. 7.11.1995 – VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379 [382] m.w.N.). Der Haftungsanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Haftungsnorm die Haftungsfolge knüpft (§ 38 AO 1977), jedoch nicht vor Entstehen der Steuerschuld (vgl. Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 191 AO 1977 Rn.3; Boeker, in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, 10. Aufl., § 191 AO 1977 Rn.19; Halaczinsky in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 191 Rn.10; BFH v. 6.10.1977 – V R 50/74, BFHE 124, 90 = BStBl. II 1978, 241 [243]).

b) Der Anspruch auf USt.-Vorauszahlungen entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums.

Gemäß § 38 AO 1977 entsteht der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Nach der Regelung in § 13 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 2 S. 2 UStG entsteht der Anspruch auf USt.-Vorauszahlung für alle in einem Voranmeldungszeitraum (§ 18 UStG) ausgeführten Umsätze jeweils mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums. Hat der Steuerpflichtige monatliche USt.-Voranmeldungen abzugeben, so entsteht der USt.-Vorauszahlungsanspruch mit Ablauf des letzten Tages des jeweiligen Kalendermonats (Wagner in Sölch/Ringleb/List, UStG, § 13 Rn.11; s. auch BFH v. 9.5.1996 – V R 62/94, BFHE 181, 188 = BStBl. II 1996, 662; v. 6.10.1977 – V R 50/74, BFHE 124, 90 = BStBl. II 1978, 241 [243]). Die Abgabe der USt.-Voranmeldung oder die Festsetzung der USt.-Vorauszahlungsschuld durch das FA ist weder Voraussetzung für das Entstehen der Umsatzsteuer, noch hat sie darauf eine Auswirkung (vgl. BFH v. 30.3.1993 – VII R 108/92, BFH/NV 1993, 583).

Die GmbH war – unbestritten – verpflichtet, monatlich Voranmeldungen abzugeben, so daß die USt.-Vorauszahlungsansprüche des FA jeweils mit Ablauf des Kalendermonats (Juli bis Oktober 1993) entstanden waren. Zu diesem Zeitpunkt ist bei Vorliegen der übrigen Haftungsvoraussetzungen auch der Haftungstatbestand entstanden, ohne daß es hierzu des Erlasses eines Haftungsbescheids bedurft hätte (vgl. BFH v. 15.10.1996 – VII R 46/96, BFHE 181, 392 = BStBl. II 1997, 171 = GmbHR 1997, 468).

2. Bestehen des Steuer(primär)anspruchs

Da der Haftungsschuldner für fremde Schuld einzustehen hat, setzt seine Inanspruchnahme voraus, daß der Steueranspruch (Primäranspruch) bei Erlaß des Haftungsbescheids materiell-rechtlich noch besteht (vgl. BFH v. 17.10.1980 – VI R 136/77, BFHE 131, 449 = BStBl. II 1981, 138; BFH v. 7.11.1995 – VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379 [382] m.w.N.).

Entscheidend ist die materiell-rechtliche Existenz des Steueranspruchs, nicht seine formale Festsetzung. Die Festsetzung des Steueranspruchs gegenüber dem Steuerschuldner ist für die Inanspruchnahme des Haftenden ohne Bedeutung. Denn die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt nicht voraus, daß die Steuerschuld gegen den Erstschuldner festgesetzt worden ist (BFH in st. Rspr., vgl. BFH v. 2.2.1994 – II R 7/91, BFHE 173, 306 = BStBl. II 1995, 300 [302]). Ausreichend ist, daß der Primäranspruch gegen die GmbH bei Erlaß des Haftungsbescheids bzw. im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung über diesen noch besteht (vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BFHE 170, 204 = BStBl. II 1993, 407 m.w.N.).

Dies ist im Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheids der Fall gewesen. Insbesondere ist der USt.-Vorauszahlungsanspruch weder durch einen Erlöschensgrund nach § 47 AO 1977 noch durch die formelle Festsetzung der Jahressteuerschuld im USt.-Jahresbescheid erloschen.

a) Der Haftungsanspruch gegenüber der Kl. ist nicht durch Erlöschen des ihm zugrundeliegenden Steueranspruchs gegen die GmbH aufgrund eines Erlöschenstatbestands nach § 47 AO 1977 gegenstandslos geworden.

Nach § 47 AO 1977 erlöschen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis insb. durch Zahlung (§ 224, § 224a, § 225 AO 1977), wenn gegen die Steuerschuld mit einer Gegenforderung aufgerechnet wird oder der Steuergläubiger im Vollstreckungsverfahren gegen den Steuerschuldner Befriedigung gefunden hat. Gleiches gilt bei Eintritt der Zahlungsverjährung oder Erlaß der Steuerschuld (§ 191 Abs. 5 S. 1 AO 1977 i.V.m. § 228 bis 232, § 163, § 227 AO 1977). Ebenso darf nach § 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 AO 1977 – sofern nicht der Ausnahmetatbestand des Abs. 5 S. 2 AO 1977 vorliegt – der Haftungsanspruch nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Steuerschuld gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden könnte (§ 169 bis 171 AO 1977). Auch könnte ein unter einer auflösenden Bedingung entstandener Steueranspruch wegen Eintritts derselben erloschen sein (§ 47 AO 1977; zu den Erlöschensgründen allgemein vgl. BFH v. 26.7.1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512 = BStBl. II 1988, 859 = GmbHR 1989, 94; v. 14.3.1989 – VII R 152/85, BFHE 156, 73 = BStBl. II 1990, 363 [366]).

Keiner dieser Erlöschensgründe ist im vorliegenden Fall für die USt.-Vorauszahlungsansprüche gegen die GmbH vom Juli bis Oktober 1993 eingetreten.

b) Die formelle Festsetzung des USt.-Jahresanspruchs durch USt.-Jahresbescheid führt – entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der Kl. – nicht zum Erlöschen der materiell-rechtlichen USt.-Vorauszahlungsschuld.

aa) § 38 AO 1977 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 S. 1 und 2 UStG gehen für die Entstehung der Umsatzsteueransprüche von einem materiell-rechtlichen, d.h. an der Tatbestandsverwirklichung des materiellen Steuergesetzes orientierten Entstehungstatbestand aus. Die Festsetzung der Umsatzsteuer ist nicht materiell-rechtlicher Rechtsgrund für die Entstehung des Anspruchs sondern, – sofern die Umsatzsteuer in der zutreffenden Höhe festgesetzt ist – lediglich deklaratorische Bestätigung des kraft Gesetzes entstandenen Steueranspruchs. Nach dem für die Umsatzsteuer geltenden Grundsatz der Abschnittsbesteuerung ist der Besteuerungszeitraum (gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 UStG grundsätzlich das Kalenderjahr) in zwölf bzw. vier Voranmeldungszeiträume unterteilt. Wenn auch Besteuerungszeitraum das Kalenderjahr ist (§ 16 Abs. 1 S. 2 UStG), so entstehen doch nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung für alle in einem Voranmeldungszeitraum ausgeführten Umsätze kraft Gesetzes eigenständige Umsatzsteueransprüche mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, die von den in dem Voranmeldungszeitraum ausgeführten Lieferungen und sonstigen Leistungen und von den in diesem Zeitraum anfallenden Vorsteuerbeträgen abhängen, ohne daß es einer Festsetzung durch das FA und damit eines Steuerbescheids i.S.d. § 218 Abs. 1 AO 1977 bedürfte (st. Rspr., vgl. BFH v. 6.2.1990 – VII R 86/88, BFHE 160, 108 = BStBl. II 1990, 523; v. 24.7.1990 – VII R 62/89, BFHE 161, 412 [414] = BStBl. II 1990, 946; BFH v. 30.3.1993 – VII R 108/92, BFH/NV 1993, 583 [584]).

Diese an die Tatbestandsverwirklichung im Besteuerungszeitraum anknüpfenden USt.-Vorauszahlungsansprüche des Voranmeldungszeitraums sind selbständig realisierbar; d.h. sie können z.B. im Falle des Vorsteuer-Überschusses ausgezahlt oder abgetreten (vgl. BFH v. 24.1.1995 – VII R 144/92, BFHE 177, 8 = BStBl. II 1995, 862 [866]) oder einer Aufrechnung zugrunde gelegt werden (BFH v. 22.8.1995 – VII B 107/95, BFHE 178, 532 = BStBl. II 1995, 916). Sie bleiben als eigenständige Vorauszahlungsansprüche auch dann bestehen, wenn die Jahressteuerschuld entstanden ist. Letztere entsteht für das Kalenderjahr erst in dem Zeitpunkt, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 UStG berechenbar ist. Das ist das Ende des Besteuerungszeitraums, mithin das Ende des Kalenderjahres (BFH v. 9.5.1996 – V R 62/94, BFHE 181, 188 = BStBl. II 1996, 662). Sind die Vorauszahlungsansprüche festgesetzt worden, so hat deren Festsetzung nach den Urteilen des BFH auch dann Bestand, wenn ihnen die in § 18 Abs. 3 und 4 UStG vorgesehene Jahressteuerfestsetzung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nachfolgt (vgl. BFH v. 29.11.1984 – V R 146/83, BFHE 143, 101 = BStBl. II 1985, 370; v. 17.9.1992 – V R 17/86, BFH/NV 1993, 279; BFH v. 15.6.1999 – VII R 3/97, zur Veröffentlichung bestimmt).

Die USt.-Vorauszahlungsansprüche bleiben als selbständige Ansprüche auch dann bestehen, wenn der Jahressteuerbescheid ergeht. Denn die Abgabe von Steuererklärungen für den Besteuerungszeitraum (= das Kalenderjahr) berührt die bereits abgegebenen Voranmeldungen bzw. die Festsetzungen von USt.-Vorauszahlungen nicht. Diese werden weder geändert, noch ergänzt oder aufgehoben (Mößlang in Sölch/Ringleb/List, UStG, § 18 Rn.65). So hat auch der erkennende Senat insb. in dem Urt. v. 24.1.1995 – VII R 144/92, BFHE 177, 8 = BStBl. II 1995, 862 die Eigenständigkeit der USt.-Vorauszahlungen gegenüber der Festsetzung der Jahresumsatzsteuer betont. Der Regelungsgehalt der Vorauszahlungsbescheide bleibe von dem späteren Erlaß des Jahressteuerbescheids "unberührt", wenn der USt.-Jahresbescheid keine Feststellungen darüber enthalte, daß die Voranmeldungen bzw. Festsetzungen der Umsatzsteuer für bestimmte Monate materiell fehlerhaft waren. Von der Eigenständigkeit der entstandenen und festgesetzten Vorauszahlungsansprüche gegenüber der ebenfalls festgesetzten Jahressteuerschuld geht auch das Gesetz aus. Denn kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 18 Abs. 4 S. 3 UStG bleibt die Fälligkeit rückständiger Vorauszahlungen auch nach der Festsetzung der Jahressteuerschuld bestehen (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb/List, UStG, § 18 Rn.31). Die durch die Abgabe der USt.-Voranmeldungen, bzw. der Festsetzung von USt.-Vorauszahlungen bewirkte Fälligkeit der Vorauszahlungsansprüche wird durch die Abgabe der Jahressteuererklärung bzw. die Festsetzung der Jahressteuer nicht aufgehoben. Die sich aus § 18 Abs. 4 S. 1 und 2 UStG ergebende Fälligkeit der Jahressteuer von einem Monat nach Abgabe der Steueranmeldung oder nach abweichender Festsetzung betrifft nur den von der Summe der vorangemeldeten Steuer abweichenden Unterschiedsbetrag (vgl. § 18 Abs. 4 S. 3 UStG; BFH v. 20.8.1992 – V R 98/90, BFH/NV 1993, 208).

bb) Aus all dem folgt, daß die USt.-Vorauszahlungsansprüche – auch wegen der Besonderheiten der im Umsatzsteuerrecht geltenden Abschnittsbesteuerung – mit der Festsetzung der Jahressteuer nicht erlöschen. Vielmehr gehen die Ansprüche auf Vorauszahlung von Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Kalenderjahres materiell-rechtlich in die für das Kalenderjahr zu entrichtende Steuer oder in den Überschuß ein (§ 18 Abs. 3 S. 1 UStG; vgl. BFH v. 22.8.1995 – VII B 107/95, BFHE 178, 532 [535] = BStBl. II 1995, 916; v. 31.1.1991 – V B 135/90, BFH/NV 1991, 563 m.w.N.). Sie sind mithin durch die Festsetzung der Jahressteuer nicht erloschen oder durch einen neuen Anspruch abgelöst, sondern Teil der für das Kalenderjahr entstandenen Umsatzsteuer. Soweit die Vorauszahlungsschuld selbst durch Tilgung erloschen ist, wird dies in dem Abrechnungsteil des USt.-Jahresbescheids berücksichtigt, so daß nunmehr der positive oder negative Saldo zwischen der Jahressteuerschuld und den Vorauszahlungsschulden in Erscheinung tritt. In diesem Saldo sind die rückständigen Vorauszahlungsansprüche des FA verkörpert.

c) Setzt sich somit die Jahresumsatzsteuer aus der Summe oder dem Saldo zwischen den monatlichen Voranmeldungen (USt.-Vorauszahlungsansprüchen oder Erstattungsansprüchen) zusammen, so bewirkt die Nichterfüllung von Vorauszahlungsansprüchen in gleicher Höhe die Nichterfüllung der Jahressteuerschuld. Das bedeutet, daß sich die USt.-Vorauszahlungsansprüche in dem Anspruch des FA auf Entrichtung der USt.-Jahresschuld fortsetzen. Für die Inanspruchnahme eines für rückständige Vorauszahlungen Haftenden bedeutet dies, daß der Primäranspruch des FA auf die Entrichtung der rückständigen Vorauszahlungsschulden auch nach Festsetzung der Jahressteuerschuld weiterhin besteht und daß der Haftende bei Vorliegen der übrigen Haftungsvoraussetzungen durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann.

3. Erlaß des Jahressteuerbescheids berührt Haftungsanspruch nicht

Dem steht nicht entgegen, daß nach der Rspr. des BFH in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Steuerfestsetzung aufgrund einer USt.-Voranmeldung bzw. eines USt.-Vorauszahlungsbescheids mit der wirksamen Bekanntgabe des USt.-Jahresbescheids gemäß § 124 Abs. 2 AO 1977 auf andere Weise erledigt, d.h. abgelöst ist (vgl. BFH v. 17.3.1994 – V R 39/92, BFHE 174, 268 = BStBl. II 1994, 538; v. 29.11.1984 – V R 146/83, BFHE 143, 101 = BStBl. II 1985, 370).

a) Danach verliert der Vorauszahlungsbescheid, soweit er noch nicht vollzogen ist, durch den Erlaß des Jahressteuerbescheids seine Wirksamkeit, so daß das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr positiv oder negativ entstandenen Umsatzsteuer für die Zukunft ausschließlich aus dem Jahressteuerbescheid zu entnehmen ist (BFH v. 21.2.1991 – V R 130/86, BFHE 163, 408 = BStBl. II 1991, 465) und dieser vom Zeitpunkt seines Ergehens an die alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstandene Steuer sowie für die Einbehaltung der als Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum entrichteten Beträge wird (BFH v. 29.11.1984 – V R 146/83, BFHE 143, 101 = BStBl. II 1985, 370; v. 3.7.1995 – GrS 3/93, BFHE 178, 11 = BStBl. II 1995, 730 [732]). Durch diese formelle Bescheidlage, die die Geltendmachung des Steueranspruchs in verfahrensrechtlicher Hinsicht regelt, wird die materiell-rechtliche Existenz der als Haftungsgrundlage in Betracht kommenden Vorauszahlungsschuld als Teil der Jahressteuer nicht berührt (a.A. Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, Köln 1999, Rn.465).

b) Die den Steueranspruch (= Primäranspruch) betreffende Erledigung der USt.-Vorauszahlungsbescheide durch den Erlaß des Jahressteuerbescheids berührt den Haftungsanspruch und dessen Geltendmachung durch Haftungsbescheid nicht.

Die sich aus der Rechtsnatur der Haftung ergebende Abhängigkeit der Haftungsschuld zum Entstehen und Bestehen der Steuerschuld führt nicht zu einer inhaltlichen Identität ihres verfahrensrechtlichen Schicksals. Vielmehr ist die Haftung trotz der dargestellten Akzessorietät gegenüber der Steuerschuld weitgehend verselbständigt, so daß die Betriebssteuerschuld des Steuerschuldners unterschieden werden muß von der eigenständigen Haftungsschuld des Haftenden. Auf den Haftenden geht nicht die Steuerschuld über, sondern der Anspruch des FA auf Haftung für eine bestimmte Steuerschuld tritt neben dessen Steuerforderung. Es besteht weder nach steuerrechtlichen noch nach zivilrechtlichen Vorschriften eine Akzessorietät dahingehend, daß es für das Entstehen, den Fortbestand und die Geltendmachung einer Haftungsschuld auf die Festsetzung der zugrundeliegenden Steuerschuld ankommt. Der Haftungsanspruch des FA kann vielmehr unmittelbar nach seiner Entstehung (§ 37 Abs. 1, § 38 AO 1977) gegenüber dem Haftenden eigenständig durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden, ohne daß ein Steuerbescheid hätte erlassen oder gar bestandskräftig werden müssen (BFH in st. Rspr., vgl. BFH v. 2.2.1994 – II R 7/91, BFHE 173, 306 = BStBl. II 1995, 300 [302]; v. 7.11.1995 – VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379 [382] m.w.N.).

Ohne Bedeutung für die Haftungsinanspruchnahme ist danach, daß die USt.-Voranmeldungen und Vorauszahlungsfestsetzungen gegenüber dem Steuerschuldner – wie im Streitfall – durch den Erlaß des Jahressteuerbescheids ihre Wirksamkeit verloren haben und nunmehr die sich aus Letzterem ergebende – mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandene – Jahressteuer verwirklicht werden kann. Denn das Recht zur Haftungsinanspruchnahme folgt aus der Tatbestandsverwirklichung als haftungsauslösendes Element und nicht aus der Festsetzung der Steuerschuld. Entscheidend ist daher, daß der entstandene Primäranspruch – hier die materiell-rechtliche Vorauszahlungsschuld gegen die GmbH – durch die Festsetzung der Jahressteuerschuld nicht erloschen oder sonst untergegangen ist (vgl. auch BFH v. 5.11.1992 – I R 41/92, BFHE 170, 204 = BStBl. II 1993, 407 m.w.N.).

c) Da die Haftung an die Verwirklichung des haftungsauslösenden Tatbestands, hier an die mit Ablauf des jeweiligen Vorauszahlungszeitraums kraft Gesetzes entstandenen USt.-Vorauszahlungsansprüche anknüpft, müssen auch die übrigen Haftungsvoraussetzungen i.S.d. § 191 Abs. 1 AO 1977 – im Streitfall § 34, 69 AO 1977 im Zeitpunkt der Entstehung der Vorauszahlungsansprüche und nicht, wie die Vorinstanz und die Kl. meinen, im Zeitpunkt der Entstehung der USt.-Jahresschuld – vorgelegen haben.

4. Abhängigkeit der Haftungssumme von der Höhe der Jahressteuerschuld

Allerdings hängt das endgültige Schicksal der USt.-Vorauszahlungsschuld als Haftungsgrundlage ungeachtet ihrer wirksamen Festsetzung und Eigenständigkeit von der Höhe der Steuerschuld nach dem Jahressteuerbescheid ab. Denn die USt.-Vorauszahlungsansprüche stehen kraft Gesetzes unter der auflösenden Bedingung, daß die USt.-Vorauszahlungen aus den USt.-Voranmeldungen oder Vorauszahlungsfestsetzungen durch die Festsetzung der Jahressteuerschuld bestätigt werden (vgl. BFH v. 5.8.1986 – VII R 167/82, BFHE 147, 398 = BStBl. II 1987, 8 [9], m.w.N., und vom 15.6.1999 – VII R 3/97, zur Veröffentlichung bestimmt).

Der erkennende Senat hat daher für die Aufrechnung des FA mit Ansprüchen aus Vorauszahlungsbescheiden nach Erlaß des Jahressteuerbescheids entschieden, daß die Aufrechnung der Höhe nach nur nach Maßgabe des im Jahressteuerbescheid noch festgestellten Rückstands wirksam ist (vgl. BFH v. 22.8.1995 – VII B 107/95, BFHE 178, 532 = BStBl. II 1995, 916); ebenso wie im umgekehrten Fall der Aufrechnung mit negativem Steueranspruch auf eine USt.-Voranmeldung bei einer Jahressteuerfestsetzung auf 0 DM die Aufrechnung wirkungslos sei (vgl. BFH v. 5.10.1990 – V B 137/89, BFH/NV 1991, 633).

Gleiches gilt für die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners für rückständige USt.-Vorauszahlungen durch Haftungsbescheid. Durch die Abhängigkeit der Haftungsschuld von der der Haftung zugrundeliegenden Steuerschuld wird die den USt.-Vorauszahlungen kraft Gesetzes zugeordnete Bedingung auch zum Bestandteil der Haftungsschuld. Die Abhängigkeit der Haftung von der materiell-rechtlichen Existenz der Steuerschuld im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme bewirkt, daß die Haftung nicht weitergehen kann, als der die Haftung auslösende Anspruch (noch) besteht. Ist die die Haftung begründende Steuerschuld im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme ganz oder teilweise weggefallen, so erlischt im Umfang des Wegfalls der Steuerschuld auch die Haftungsschuld (vgl. BFH v. 7.11.1995 – VII R 26/95, BFH/NV 1996, 379 [382] m.w.N.). Übersteigt bzw. bestätigt die USt.-Jahresveranlagung die Ergebnisse der haftungsauslösenden USt.-Voranmeldungen und USt.-Vorauszahlungsfestsetzungen, so tritt die auflösende Bedingung, die zum Erlöschen der Vorauszahlungsschuld hätte führen können (§ 47 AO 1977), nicht ein. In diesem Fall besteht der Haftungsanspruch unvermindert i.H.d. rückständigen Vorauszahlungsschulden fort.

5. Keine Entscheidugnsreife

Die auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Vorentscheidung war somit aufzuheben. Die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil die Vorinstanz wegen der Aufhebung des Haftungsbescheids aus anderen Gründen nicht geprüft hat, ob die übrigen Haftungsvoraussetzungen vorgelegen haben; d.h. ob die Kl. für die rückständigen USt.-Vorauszahlungsschulden gemäß § 34, § 69 und § 191 AO 1977 in Anspruch genommen werden kann, ob die Finanzbehörde ihr Entschließungsermessen – und sofern neben der Kl. noch ein anderer Haftungsschuldner in Betracht käme – das Auswahlermessen sachgerecht ausgeübt hat, ob die Grundsätze einer anteiligen Haftung zur Anwendung kommen können (vgl. dazu BFH v. 25.4.1995 – VII R 99–100/94, BFH/NV 1996, 97 = GmbHR 1996, 387 [LS]) und ob, bzw. inwieweit, eine mögliche Pflichtverletzung der Kl. kausal für die Nichterfüllung der Vorauszahlungsschulden und damit für die Nichterfüllung der Jahressteuerschuld gewesen ist. Es werden weitergehende Feststellungen dazu notwendig sein, welche Vorauszahlungsschulden bestanden haben, in welchem Umfang diese nicht erfüllt worden sind, damit Eingang in die noch offene Jahressteuerschuld gefunden und nicht im Wege der Anrechnung zu einem (teilweisen) Erlöschen der Jahresschuld geführt haben.

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