Ausländische GmbH: Ablehnung der Eintragung einer durch ausländische GmbH ohne eigene Geschäftstätigkeit errichteten Zweigniederlassung als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit

EGV Art.52, Art.56, Art.58, Art.177

Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstößt gegen Art.52 und 58 EGV, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl -- gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde -- gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.

EuGH, Urt. v. 9.3.1999 -- Rs. C-212/97 "Centros Ltd."

I.

1.Das Højesteret hat mit Beschl. v. 3.6.1997, beim Gerichtshof eingegangen am 5.6.1997, gemäß Art.177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Art.52, 56 und 58 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Centros Ltd. (nachstehend: Centros), einer am 18.5.1992 in England und Wales eingetragenen "private limited company", und der dem dänischen Handelsministerium unterstehenden Erhvervs-og Selskabsstyrelse (Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften) wegen deren Weigerungen, eine Zweigniederlassung von Centros in Dänemark einzutragen.

3. Aus den Akten ergibt sich, daß die Centros seit ihrer Errichtung keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat. Da das Recht des Vereinigten Königreichs bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals nicht vorschreibt, wurde das Gesellschaftskapital der Centros von 100 UKL weder in die Gesellschaft einbezahlt noch zu deren Verwendung individualisiert. Das Kapital zerfällt in zwei Anteile, deren Eigentümer die Eheleute B, in Dänemark ansässige dänische Staatsangehörige, sind. Frau B ist Direktorin der Centros, deren Sitz sich im Vereinigten Königreich, an der Adresse eines Freundes von Herrn B, befindet.

4. Nach dänischem Recht ist die Centros als "private limited company" als eine ausländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung anzusehen. Die Vorschriften über die Anmeldung von Zweigniederlassungen solcher Gesellschaften finden sich im Anpartsselskabslov (Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung; GmbH-Gesetz).

5. In §117 dieses Gesetzes ist u.a. vorgesehen:

"(1) Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und die ausländischen Gesellschaften gleicher Rechtsform, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften niedergelassen sind, können in Dänemark über eine Zweigniederlassung tätig werden."

6. Im Sommer 1992 beantragte Frau B bei der Zentralverwaltung die Eintragung einer Zweigniederlassung von Centros in Dänemark.

7. Die Zentralverwaltung lehnte die Eintragung u.a. mit der Begründung ab, die Centros, die seit ihrer Errichtung keine Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich entfaltet habe, beabsichtige unter Umgehung der nationalen Vorschriften insbesondere über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals von 200 000 DKR gemäß dem Gesetz Nr.886 v. 21.12.1991 in Wirklichkeit, in Dänemark nicht eine Zweigniederlassung, sondern einen Hauptsitz zu errichten.

8. Die Centros erhob gegen den ablehnenden Bescheid Klage beim Østre Landsret.

9. Der Østre Landsret folgte in einem Urt. v. 8.9.1995 dem Vorbringen der Zentralverwaltung. Die Centros legte ein Rechtsmittel beim Højesteret ein.

10. Im Rahmen dieses Verfahrens macht die Centros geltend, sie erfülle die Voraussetzungen, von deren Erfüllung das GmbH-Gesetz die Eintragung der Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft abhängig mache. Da sie im Vereinigten Königreich rechtmäßig errichtet worden sei, habe sie nach Art.52 i.V.m. Art.58 EGV das Recht, eine Zweigniederlassung in Dänemark zu eröffnen.

11. Daß sie seit ihrer Errichtung im Vereinigten Königreich keine Geschäftstätigkeit entfaltet habe, berühre ihre Niederlassungsfreiheit nicht. Der Gerichtshof habe nämlich im Urt. v. 10.7.1986 -- Rs. 79/85 (Segers, Slg. 1986, 2375) festgestellt, daß es gegen die Art.52 und 58 EG-Vertrag verstoße, wenn die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dem Geschäftsführer einer Gesellschaft den Anschluß an ein nationales Krankenversicherungssystem nur aus dem Grund verweigerten, daß die Gesellschaft ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat habe, auch wenn sie dort keine Geschäftstätigkeiten entfalte.

12. Die Zentralverwaltung macht geltend, die Verweigerung der Eintragung stehe im Einklang mit den Art.52 und 58 EGV, da die Anmeldung einer Zweigniederlassung in Dänemark als eine Umgehung des im nationalen Recht vorgesehenen Mindesteinlagenerfordernisses anzusehen sei. Die Verweigerung der Eintragung sei außerdem erforderlich, um die öffentlichen und privaten Gläubiger und die Vertragspartner zu schützen und den betrügerischen Bankrott zu bekämpfen.

13. Das Højesteret hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 52 i.V.m. Art.56 und 58 EGV vereinbar, die Eintragung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat und mit einem Gesellschaftskapital von 100 UKL (etwa 1.000 DKR) nach dem Recht dieses Mitgliedstaats rechtmäßig errichtet worden ist und besteht, abzulehnen, wenn die Gesellschaft selbst keine Geschäftstätigkeit betreibt, die Zweigniederlassung aber in der Absicht errichtet wird, die gesamte Geschäftstätigkeit in dem Land zu betreiben, in dem die Zweigniederlassung errichtet wird, und wenn davon auszugehen ist, daß dieses Vorgehen statt der Errichtung einer Gesellschaft in dem letztgenannten Mitgliedstaat gewählt wurde, um die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals von 200.000 DKR, heute 125.000 DKR, zu vermeiden?

II.

Eintragungsverweigerung verstößt gegen die Niederlassungsfreiheit

14. Die Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Gesellschaftstätigkeit entfaltet, gegen Art.52 und 58 EGV verstößt, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten, und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt.

15. Die Zentralverwaltung bestreitet nicht, daß jede AG oder GmbH, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, in Dänemark mittels einer Zweigniederlassung tätig werden kann. Im allgemeinen akzeptiert sie also die Eintragung einer Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats errichteten Gesellschaft in Dänemark. Insbesondere hätte sie die Eintragung der Zweigniederlassung der Centros in Dänemark zugelassen, wenn diese in England und Wales eine Geschäftstätigkeit entfaltet hätte.

16. Nach den Ausführungen der dänischen Regierung ist Art.52 EGV im Ausgangsfall nicht anwendbar, da es sich um eine rein interne dänische Situation handele. Die Eheleute B, die dänische Staatsangehörige seien, hätten nämlich im Vereinigten Königreich eine Gesellschaft errichtet, ohne dort irgendeine tatsächliche Geschäftstätigkeit zu entfalten, mit dem einzigen Ziel, mittels einer Zweigniederlassung in Dänemark eine Geschäftstätigkeit auszuüben und so die Anwendung des dänischen Rechts über die Errichtung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu umgehen. Unter solchen Umständen stelle die Errichtung einer Gesellschaft durch die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in einem anderen Mitgliedstaat keinen gemeinschaftsrechtlich insbesondere im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit relevanten, über den nationalen Rahmen hinausweisenden Aspekt dar.

17. Eine Sachlage, in der eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsgemäßen Sitz hat, gegründete Gesellschaft eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen will, fällt unter das Gemeinschaftsrecht. Daß die Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat nur errichtet wurde, um sich in dem zweiten Mitgliedstaat niederzulassen, in dem die Geschäftstätigkeit im wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden soll, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. in diesem Sinne das EuGH-Urt. v. 10.7.1986 -- Rs. 79/85, Segers, Slg. 1986, 2375, Rn.16).

18. Daß die Eheleute B die Centros im Vereinigten Königreich zu dem Zweck gegründet haben, das dänische Recht über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals zu umgehen, was weder in den schriftlichen Erklärungen noch in der mündlichen Verhandlung bestritten wurde, ändert ebenfalls nichts daran, daß die Gründung einer Zweigniederlassung in Dänemark durch diese britische Gesellschaft unter die Niederlassungsfreiheit i.S.d. Art.52 und 58 EGV fällt. Die Frage der Anwendung der Art.52 und 58 EGV ist nämlich eine andere als die, ob ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, daß sich einige seiner Staatsangehörigen unter Mißbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen.

19. Die Eheleute B machen geltend, die Verweigerung der Eintragung ihrer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, errichteten Gesellschaft in Dänemark stelle eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Nach ständiger Rechtsprechung umfaßt die Niederlassungsfreiheit, die Art.52 EGV den Gemeinschaftsangehörigen zuerkennt, das Recht zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie zur Errichtung von Unternehmen und zur Ausübung der Unternehmertätigkeit nach den Bestimmungen, die im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörigen gelten. Außerdem stellt Art.58 EGV die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.

20. Hieraus folgt unmittelbar, daß diese Gesellschaften das Recht haben, ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat durch eine Agentur oder eine Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft auszuüben, wobei ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne die EuGH-Urt. v. 10.7.1986 -- Rs. 79/85, Segers, Slg. 1986, 2375, Rn.13; v. 28.1.1986 -- Rs. 270/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Rn.18; v. 13.7.1993 -- Rs. C-330/91, Commerzbank, Slg. 1993, I-4017, Rn.13; v. 16.7.1998 -- Rs. C-264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, Rn.20).

21. Verweigert ein Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, so werden die nach dem Recht dieses anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften an der Wahrnehmung ihres Niederlassungsrechts aus Art.52 und 58 EGV gehindert.

22. Ein solches Vorgehen beschränkt also die Ausübung der in diesen Bestimmungen gewährleisteten Freiheiten.

23. Die dänischen Behörden machen geltend, die Eheleute B könnten sich dennoch nicht auf diese Bestimmungen berufen, da die von ihnen beabsichtigte gesellschaftsrechtliche Konstruktion einzig den Zweck verfolge, die Anwendung des nationalen Rechts über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu umgehen, und deshalb eine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstelle. Das Königreich Dänemark sei deshalb berechtigt, Maßnahmen zur Verhinderung eines solchen Mißbrauchs zu treffen, indem es die Eintragung der Zweigniederlassung verweigere.

24. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist ein Mitgliedstaat zwar berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, daß sich einige seiner Staatsangehörigen unter Mißbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet (vgl. u.a. im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs die EuGH-Urt. v. 3.12.1974 -- Rs. 33/74, Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Rn.13; v. 3.2.1993 -- Rs. C-148/91, Veronica Omroep Organisatie, Slg. 1993, I-487, Rn.12; v. 5.10.1994 -- Rs. C-23/93, TV10, Slg. 1994, I-4795, Rn.21; auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit EuGH-Urt. v. 7.2.1979 -- Rs. 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Rn.25; v. 3.10.1990 -- Rs. C-61/89, Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Rn.14; auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs EuGH-Urt. v. 10.1.1985 -- Rs. 229/83, Leclerc u. a., Slg. 1985, 1, Rn.27; auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit EuGH-Urt. v. 2.5.1996 -- Rs. C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Rn.24; auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Arbeitnehmer EuGH-Urt. v. 21.6.1988 -- Rs. 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Rn.43; auf dem Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik EuGH-Urt. v. 3.3.1993 -- Rs. C-8/92, General Milk Products, Slg. 1993, I-779, Rn.21; auf dem Gebiet des Gesellschaftsrecht EuGH-Urt. v. 12.5.1998 -- Rs. C-367/96, Kefalas u.a., Slg. 1998, I-2843, Rn.20).

25. Zwar können die nationalen Gerichte unter solchen Umständen im Einzelfall das mißbräuchliche oder betrügerische Verhalten der Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen, um ihnen gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Gemeinschaftsrecht zu verwehren; sie haben jedoch bei der Würdigung eines solchen Verhaltens die Ziele der fraglichen Bestimmungen zu beachten (EuGH v. 2.5.1996 -- Rs. C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Rn.25).

26. Im Ausgangsfall sind die nationalen Vorschriften, denen sich die Betroffenen entziehen wollten, Vorschriften über die Errichtung von Gesellschaften, aber nicht Vorschriften über die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten. Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit ist es jedoch gerade, es den nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden.

27. Damit kann es für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit.

28. Dabei ist unerheblich, daß das Gesellschaftsrecht in der Gemeinschaft nicht voll harmonisiert worden ist; außerdem bleibt es dem Rat jederzeit überlassen, aufgrund der ihm in Art.54 Abs.3 Buchst$$g EG-Vertrag übertragenen Befugnisse diese Harmonisierung zu vervollständigen.

29. Daß eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäftstätigkeiten entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, belegt zudem nach Rn.16 des EuGH-Urt. v. 10.7.1986 -- Rs. 79/85 (Segers, Slg. 1986, 2375) noch kein mißbräuchliches und betrügerisches Verhalten, das es dem letzteren Mitgliedstaat erlauben würde, auf diese Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden.

30. Somit ist es mit Art.52 und 58 EGV unvereinbar, daß ein Mitgliedstaat s mit der Begründung ablehnt, die Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats, in dem sie ihren Sitz hat, errichteten Gesellschaft einzutragen, die Zweigniederlassung solle es der Gesellschaft ermöglichen, ihre gesamte Geschäftstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat auszuüben, wobei die Zweigniederlassung dem nationalen Recht über die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals entzogen werde, da diese Weigerung jede Wahrnehmung der Freiheit zur Gründung einer Zweigniederlassung verhindert, die durch Art.52 und 58 gerade gewährleistet werden soll.

Gläubigerschutz steht dem nicht entgegen

31. Es stellt sich noch die Frage, ob das nationale Vorgehen aus den von den dänischen Behörden angeführten Gründen gerechtfertigt sein könnte.

32. Unter Bezugnahme auf Art.56 EGV und auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses macht die Zentralverwaltung geltend, die Pflicht der Gesellschaften mit beschränkter Haftung zur Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals verfolge zum einen den Zweck, die finanzielle Solidität der Gesellschaften zu verstärken, um die öffentlichen Gläubiger vor der Gefahr zu schützen, daß die öffentlichen Forderungen uneinbringlich würden, da diese anders als private Gläubiger ihre Forderungen nicht durch eine Sicherheit oder Bürgschaft sichern könnten; zum anderen solle sie ganz allgemein alle öffentlichen und privaten Gläubiger schützen, indem sie der Gefahr eines betrügerischen Bankrotts aufgrund der Zahlungsunfähigkeit von Gesellschaften mit unzureichendem Anfangskapital vorbeuge.

33. Es gebe kein milderes Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Das andere Mittel zum Schutz der Gläubiger, gesetzlich bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter vorzusehen, sei nicht milder als die Verpflichtung zur Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals.

34. Wie festgestellt, sind diese Gründe für Art.56 EGV ohne Belang. Im übrigen sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, zulässig, wenn vier Voraussetzungen erfüllt sind: sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. die EuGH-Urt. v. 31.3.1993 -- Rs. C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Rn.32; v. 30.11.1995 -- Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Rn.37).

35. Diese Voraussetzungen sind im Ausgangsfall nicht erfüllt. Zum einen ist das dänische Vorgehen nicht geeignet, das mit ihm verfolgte Ziel des Gläubigerschutzes zu erreichen, da die Zweigniederlassung in Dänemark eingetragen worden wäre, wenn die Gesellschaft eine Geschäftstätigkeit im Vereinigten Königreich ausgeübt hätte, obwohl die dänischen Gläubiger in diesem Fall ebenso gefährdet gewesen wären.

36. Da die Gesellschaft als Gesellschaft englischen Rechts, nicht als Gesellschaft dänischen Rechts auftritt, ist den Gläubigern weiter bekannt, daß sie nicht dem dänischen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung unterliegt; sie können sich auf bestimmte gemeinschaftsrechtliche Schutzvorschriften berufen wie die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art.54 Abs.3 Buchst.$$g des Vertrags über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S.11) und die Elfte Richtlinie 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1989 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen (ABl. L 395, S.36).

37. Außerdem könnten entgegen dem Vorbringen der dänischen Behörden mildere Maßnahmen getroffen werden, die die Grundfreiheiten weniger beeinträchtigten. So könnten etwa die öffentlichen Gläubiger rechtlich die Möglichkeit erhalten, sich die erforderlichen Sicherheiten einräumen zu lassen.

38. Kann somit ein Mitgliedstaat die Eintragung der Zweigniederlassung einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats, in der sie ihren Sitz hat, errichteten Gesellschaft nicht verweigern, so kann er doch alle geeigneten Maßnahmen treffen, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl -- gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde -- gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber ihren Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten. Jedoch kann die Bekämpfung von Betrügereien nicht rechtfertigen, die Eintragung einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft zu verweigern.

Ergebnis

39. Die Vorlagefrage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmäßig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, gegen die Art.52 und 58 EGV verstößt, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl -- gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde -- gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten. ...