Organschaft: Beendigung bei Insolvenz des Organträgers

UStG 1993 § 2 Abs. 2 Nr. 2; KO §§ 1, 6

Eine Organschaft kann ausnahmsweise mit dem Konkurs des Organträgers enden, wenn sich der Konkurs nicht auf die Organgesellschaft erstreckt.

BFH, Urt. v. 28.1.1999 – V R 32/98

Gründe:

I.

Die Kl. ist eine Tochtergesellschaft der S-AG.

Am 18.5.1993 stellte die S-AG beim zuständigen AmtsG Konkursantrag wegen Zahlungsunfähigkeit. Noch am selben Tag ordnete das Amtsgericht zwecks Sicherung und Feststellung der Masse die Sequestration des Vermögens der S-AG gemäß § 106 KO an.

Während der Sequestrationszeit (am 21.7.1993) gründeten die S-AG und die B-AG die Klägerin; deren Stammkapital betrug 10.000.000  DM und wurde mit 9.950.000 DM von der S-AG und mit 50.000 DM von der B-AG gehalten. Gegenstand des Unternehmens der Kl. war die Herstellung und der Vertrieb von Freiformschmiedestücken und geschmiedetem Stahl sowie sämtliche damit zusammenhängende und den Gesellschaftszweck fördernde Geschäfte. Geschäftsführer der Klägerin sind die Herren F und P, die zugleich Vorstandsmitglieder der S-AG waren.

Am 30.7.1993 "verkaufte" die S-AG an die Kl. ca. 18.100 t Fertigmaterial Werkzeugstahl, ca. 2.500 t geschmiedeten Stabstahl und Gesenke sowie ca. 2.200 t Freiformschmiedestücke zu einem "Kaufpreis" von zusammen 50.439.000 DM zzgl. 7.565.850 DM USt.; aufgrund einer "Korrektur des Erlösansatzes" um 8.359.446 DM verringerte sich der USt.-Betrag aus dem vorgenannten Verkauf auf 6.311.993 DM.

Am 31.7.1993 eröffnete das AmtsG das Konkursverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der S-AG.

Bei der Veranlagung zur Umsatzsteuer für das Jahr 1993 versagte das FA der Kl. den begehrten Vorsteuerabzug aus dem "Kauf" vom 30.7.1993 und setzte gegen sie eine USt. von ./. 7.852.709 DM fest.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage führte zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Bescheids, da das FG eine Organschaft zwischen der Kl. und der S-AG annahm, so daß die Kl. überhaupt nicht zur Umsatzsteuer zu veranlagen sei (EFG 1998, 971).

Das FG hat die Konkursverwalter der S-AG zum Verfahren beigeladen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von formellem und materiellem Recht. Die Klägerin meint, das FG habe mit der ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids gegen das sich aus § 96 Abs. 1 S.2 FGO ergebende Verböserungsverbot verstoßen. Darüber hinaus habe das FG die Befugnisse des Sequesters verkannt; dieser sei – im Gegensatz zum Konkursverwalter – nicht Verwalter der Muttergesellschaft und habe auch keine gesellschaftsrechtlichen Weisungsbefugnisse gegenüber der Tochtergesellschaft.

Das Kl. beantragt sinngemäß, das Urt. des FG aufzuheben und weitere Vorsteuerbeträge i.H.v. 6.311.993 DM anzusetzen.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

Die Beigeladenen sind ebenfalls der Ansicht, daß eine Organschaft nicht gegeben sei.

Alle Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

1.

Das FG hat den angefochtenen USt.-Bescheid für 1993 zu Unrecht aufgehoben, da die Kl. – ab Eröffnung des Konkursverfahrens am 31.7.1993 – selbständige Unternehmerin war.

Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 S. 1 UStG 1980. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG).

Die Kl. war zwar finanziell und wirtschaftlich in die S-AG – auch nach der Eröffnung des Konkurses – eingegliedert. Hieraus folgt aber nicht notwendig die organisatorische Eingliederung; letztere setzt vielmehr voraus, daß die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wirklich wahrgenommen wird (BFH v. 20.2.1992 – V R 80/85, BFH/NV 1993, 133). Entscheidend ist, ob durch die Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft sichergestellt ist, daß eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung bei der Organtochter nicht stattfindet (BFH in BFH/NV 1993, 133).

Dem zitierten Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, daß ein gemeinnütziger Verein ein Behindertenwohnheim ihrer Tochtergesellschaft (GmbH) zu dessen Betrieb vermietete; trotz finanzieller und wirtschaftlicher Eingliederung verneinten FG und BFH eine Organschaft (organisatorische Eingliederung) mit Rücksicht darauf, daß die Geschäftsführer der GmbH weder der Geschäftsführung noch dem Vorstand des Vereins angehörten.

Ähnlich ist es, wenn die Organgesellschaft in Konkurs fällt, da der Organträger mit der Eröffnung des Konkurses den maßgeblichen Einfluß auf die frühere Organgesellschaft an deren Konkursverwalter verliert (allgemeine Ansicht, vgl. z.B. BFH v. 13.3.1997 – V R 96/96, BFHE 182, 426 = BStBl. II 1997, 580; Schiffer, DStR 1998, 1989).

Auch im Streitfall war ab Konkurseröffnung der maßgebliche Einfluß der S-AG auf die laufende Geschäftsführung der Klägerin nicht mehr sichergestellt. Zwar gehörten die Geschäftsführer der Kl. dem Vorstand der S-AG an. Mit der Konkurseröffnung hatte die S-AG aber die Befugnis verloren, ihr zur Konkursmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen; das Verwaltungs- und Verfügungsrecht ging auf die Konkursverwalter über (vgl. § 6 KO). Diese hatten auf die laufende Geschäftsführung der Kl. keinen Einfluß; die Einwirkungsmöglichkeiten der S-AG auf die Kl. reduzierten sich vielmehr auf die Stellung, die ihr aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung an der Kl. (finanzielle Eingliederung) und deren Gesellschaftszweck als Vertriebsgesellschaft der S-AG (wirtschaftliche Eingliederung) zukam. Der vom FG festgestellte Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte dafür, daß die Konkursverwalter der S-AG einen darüber hinausgehenden Einfluß auf die Kl. nahmen.

Gegen die Eingliederung der Kl. "in das Unternehmen" der Gemeinschuldnerin S-AG spricht auch der Umstand, daß konkursrechtlich zwischen dem Vermögen der S-AG und dem Vermögen der Kl. zu unterscheiden ist. Das Vermögen der S-AG fiel in die Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO), das Vermögen der Kl. blieb hingegen konkursfrei. Die USt. aus den Aktivitäten der S-AG (Gemeinschuldnerin) nach Konkurseröffnung zählt zu den Massekosten oder Masseschulden (§§ 58 f. KO), ist aus der Konkursmasse zu berichtigen und ist in einem an die Konkursverwalter der S-AG (die Beigeladenen) zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen. Die USt. aus den Aktivitäten der Kl. ist nicht aus der Konkursmasse zu berichtigen und dementsprechend auch nicht in einem an die Konkursverwalter der S-AG zu richtenden Steuerbescheid geltend zu machen.

Da das Konkursverfahren der gemeinsamen Befriedigung der Konkursgläubiger aus der Konkursmasse dient (vgl. § 3 KO), widerspricht es in aller Regel dem Sinn dieses Verfahrens, daß der (spätere) Gemeinschuldner unmittelbar vor Eröffnung des Konkursverfahrens die Konkursmasse dadurch schmälert, daß er einzelne Betriebsabteilungen in selbständige Gesellschaften ausgliedert, die vom Konkurs der Muttergesellschaft nicht erfaßt werden sollen. Dies war im Streitfall offensichtlich nur wegen der besonderen Bedeutung der S-AG für die Wirtschaft des Bundeslandes möglich. Dementsprechend war auch die Klägerin zu dem Zweck gegründet worden, dem ihr übertragenen Geschäftsbereich außerhalb des Konkursverfahrens der S-AG nachgehen zu können. Sie war organisatorisch nicht in die in die in Konkurs befindliche S-AG eingegliedert, sondern bewußt aus ihr ausgegliedert worden.

Der Senat kommt deshalb zum Ergebnis, daß eine Organschaft ausnahmsweise mit dem Konkurs des Organträgers enden kann, wenn sich der Konkurs nicht auf die Organgesellschaft erstreckt und der Konkursverwalter auf ihre laufende Geschäftsführung keinen Einfluß nimmt.

Der angefochtene USt.-Bescheid ist somit zu Recht an die Kl. ergangen; in ihm war die von der Kl. in der Zeit vom 31.7.1993 (Eröffnung des Konkursverfahrens bei der S-AG) bis zum 31.12.1993 ausgeübte Tätigkeit als Unternehmerin zu erfassen. Der Bescheid war entgegen der Ansicht des FG nicht aufzuheben.

2.

Vor Eröffnung des Konkursverfahrens lagen jedoch die Voraussetzungen einer Organschaft zwischen der S-AG und der Kl. vor. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Kl. auch organisatorisch in das Unternehmen der S-AG eingegliedert, da deren Vorstandsmitglieder F und P gleichzeitig Geschäftsführer der Klägerin waren.

Bis zu diesem Zeitpunkt war der Vorstand befugt, die S-AG unter eigener Verantwortung zu leiten (vgl. § 70 AktG) und sie gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten (§ 71 AktG). Er verlor diese Befugnis erst mit der Eröffnung des Konkursverfahrens (§ 6 KO).

Nach dem Urt. in BFHE 182, 426 = BStBl. II 1997, 580 endet die Organschaft – beim Konkurs der Organgesellschaft – nur dann bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Anordnung der Sequestration, wenn der Sequester den maßgeblichen Einfluß auf die Organgesellschaft (spätere Gemeinschuldnerin) erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist; ob dies der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ähnliches muß auch im Konkurs des Organträgers gelten. Solange dem Sequester eine vom Willen des Vorstands abweichende Willensbildung beim Organträger nicht möglich ist, steht die Sequestration der Organschaft nicht entgegen. Hiervon ist auch im Streitfall trotz der dem Sequester eingeräumten Geschäftsführungsbefugnis auszugehen. Wie die Kl. selbst in der Revisionsbegründung betont, handelt es sich bei dem gerichtlich bestellten Sequester nicht um den "Verwalter des Organträgers"; er verdrängte nicht den Vorstand aus der Leitung der S-AG; vielmehr war der Vorstand lediglich gehalten, sich mit dem Sequester abzustimmen. So wurde bei der S-AG auch tatsächlich verfahren. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen erfordert die Organschaft nicht, daß die Geschäftsführung der Muttergesellschaft mit derjenigen der Tochtergesellschaft personenidentisch ist. Die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft muß nicht auf allen drei Gebieten vollkommen sein; eine organisatorische Eingliederung kann auch dann vorliegen, wenn nur einzelne Geschäftsführer des Organträgers Geschäftsführer der Organgesellschaft sind (BFH in BFH/NV 1993, 133).

Die Kl. war demnach zur Zeit des "Kaufs" am 30.7.1993 keine selbständige Unternehmerin; ihr steht der begehrte Vorsteuerabzug nach § 15 UStG nicht zu.

3.

Da die Revision der Kl. teilweise Erfolg hat, sind die Kosten des Revisionsverfahrens verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens trägt die Kl. ganz (§ 135 Abs. 2 FGO). Den Beigeladenen sind keine Kosten aufzuerlegen (§ 135 Abs. 3 FGO); außergerichtliche Kosten erhalten sie gemäß § 139 Abs. 4 FGO nicht erstattet.
 

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