Insolvenz: Kein Akteneinsichtsrecht des Konkursgläubigers einer GmbH

KO § 72 (jetzt: InsO § 4); EGGVG § 23, § 24, § 26; ZPO § 299 Abs. 2

1. Begehrt im Verfahren über die Eröffnung des Konkurses gegen eine GmbH ein potentieller Gläubiger Akteneinsicht mit der Begründung, er wolle prüfen, ob die Stammeinlagen erbracht seien, so fehlt ihm nicht das nach § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der Akteneinsicht.

2. Nach Einstellung des Konkurseröffnungsverfahrens mangels Masse ist das rechtliche Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO gegeben, wenn ein Gläubiger glaubhaft macht, daß er im Falle der Eröffnung des Verfahrens Konkursgläubiger geworden wäre.

3. Eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht im Zusammenhang mit einem Konkurseröffungsverfahren setzt voraus, daß dem Gemeinschuldner rechtliches Gehör gewährt wird, um etwaige berechtigte Geheimhaltungsbedürfnisse berücksichtigen zu können.*

OLG Köln, Beschl. v. 3.5.1999 -- 7 VA 6/98

Gründe:

I.

Die Antragstellerin (Ast.) berühmt sich eines – nicht titulierten – Anspruchs auf Erstattung von Sozialleistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz gegen die Firma F-GmbH. Gegen diese Firma hat die AOK ... im Juli 1995 einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wegen rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum Februar bis Mai 1995 i.H.v. rund 40.000 DM gestellt. Die AOK ist Einzugsstelle der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit. Durch Beschl. v. 18.11.1995 ordnete das AmtsG ... die Sequestration und ein allgemeines Veräußerungsverbot gegen die GmbH an. Mit Beschl. v. 16.12.1996 wies es den Konkurseröffnungsantrag mangels Masse ab (§ 107 KO). Ausweislich der beigezogenen Handelsregisterakte (...) wurde die dadurch bewirkte Auflösung der GmbH am 10.2.1998 in das Handelsregister eingetragen. Deren Löschung ist noch nicht erfolgt.

Die Ast. hat Einsicht in die Konkursakte (...) begehrt zwecks Prüfung, ob die Stammeinlage erbracht ist. Der Antragsgegner (Agg.) hat diesen Antrag durch den angefochtenen Bescheid v. 21.1.1998 abgelehnt mit der Begründung, es fehle an dem nach § 299 Abs. 2 ZPO erforderlichen rechtlichen Interesse; die Erbringung der Stammeinlage sei nicht Gegenstand des Konkursverfahrens; es bestehe kein rechtlich geschütztes Interesse des potentiellen Gläubigers, aus der Konkursakte einen neuen Schuldner zu ermitteln.

Hiergegen richtet sich der am 14.2.1998 beim AmtsG ... eingegangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die Ast. betont, daß sie allein zur Durchführung öffentlicher Aufgaben Akteneinsicht begehre. Sie wäre im Falle der Konkurseröffnung Konkursgläubigerin geworden, da es sich bei ihrer Forderung um gesetzliche Anspruchsübergänge nach dem Arbeitsförderungsgesetz handele, die im Konkursverfahren angemeldet worden wären.

Der Agg. hält an seinen Bescheid fest. Er vertritt die Ansicht, es bestehe kein rechtlich geschütztes Interesse der Ast. an der begehrten Einsicht, da es nicht um die Feststellung etwa noch vorhandenen Vermögens der GmbH gehe, sondern darum, aus der Konkursakte einen neuen Schuldner zu ermitteln. Unter diesen Umständen bestehe kein Bezug zum Konkurseröffnungsverfahren.

II.

1. Zulässigkeit

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach §§ 23, 24, 26 EGGVG zulässig.

Die von der Justizverwaltung auf § 299 Abs. 2 ZPO gestützte Ablehnung, Dritten die Einsicht in Verfahrensakten zu gestatten, ist nach allgemeiner Ansicht ein Justizverwaltungsakt i.S.d. § 23 EGGVG (statt aller Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 23 EGGVG Rn. 12 m.w.N.). Ob das Verlangen nach Akteneinsicht hier auch auf die Pflicht zur Amtshilfe gestützt werden könnte, spielt keine Rolle, denn auch diese ist jedenfalls nach – wie hier – Abschluß des betreffenden Verfahrens allein Sache der Justizverwaltung (Holch, ZZP 87, 19 [20, 23]; Zöller/Greger, aaO, § 299 ZPO Rn. 8).

Die Ast. macht geltend, in ihren Rechten verletzt zu sein (§ 24 Abs. 1 EGGVG).

Der Antrag ist ohne behördliches Vorverfahren zulässig, weil der angefochtene Bescheid keinem förmlichen Rechtsbehelf im Verwaltungsverfahren i.S.v. § 24 Abs. 2 EGGVG unterliegt.

Er ist innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG gestellt worden. Sein Eingang beim AmtsG ... am 14.2.1998 wahrte die Frist.

2. Begründetheit

In der Sache führt der Antrag zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids und zur Zurückverweisung an den Antragsgegner. Dieser hat zu Unrecht das für § 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse verneint und deshalb die ihm nach der genannten Vorschrift obliegende Ermessensentscheidung unterlassen. Diese ist nunmehr nachzuholen.

a) Da die Ast. als potentielle Gläubigerin, die selbst keinen Konkursantrag gestellt hatte, im Konkurseröffnungsverfahren nicht Partei bzw. Beteiligter war (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 72, Rn. 4; Haarmeyer/Seibt, Rpfleger 1996, 221 [223]), bestimmt sich die Zulässigkeit der Akteneinsicht nach § 72 KO (jetzt: § 4 InsO) i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO. Nach der letztgenannten Vorschrift kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien – an der es hier fehlt – die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Dieses mu§ sich unmittelbar aus der Rechtsordnung ergeben. Es setzt ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraus. Ein rechtliches Individualinteresse liegt vor, wo irgendwelche persönlichen Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können, sofern ein rechtlicher Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akten besteht (KG Berlin, NJW 1988, 1738 [1739]; Zöller/Greger, aaO, Rn. 6; Haarmeyer/Seibt, aaO, S. 225).

Auch wenn der hier gestellte Antrag nach den Grundsätzen der Amtshilfe beurteilt wird, ergibt sich daraus kein entscheidender Unterschied, denn auch deren Gewährung setzt ein berechtigtes Interesse voraus. Die Ast. begehrt Akteneinsicht im Zusammenhang mit der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche gegen die GmbH und befindet sich damit ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereichs in derselben Position wie andere Gläubiger.

b) Der Ast. kann ihr rechtliches Interesse nicht abgesprochen werden. Sie will anhand der Konkursakte prüfen, ob die Stammeinlagen erbracht sind. Entgegen der vom Agg. vertretenen Ansicht geht es insoweit um die Feststellung, ob die GmbH noch Vermögen hat, und nicht um die Ermittlung eines neuen Schuldners. Der Anspruch auf Erbringung der Stammeinlage steht nämlich der GmbH zu. Die Meinung des Agg. beruht offenbar auf einem Mißverständnis des Senatsbeschl. v. 18.8.1997 – 7 VA 4/97. Dort ging es um die Akteneinsicht für einen potentiellen Gläubiger, der anhand der Konkursakte prüfen wollte, ob die Geschäftsführer ihrer Pflicht, nach Maßgabe des § 64 GmbHG rechtzeitig Konkursantrag zu stellen, nachgekommen waren. Der Senat hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Einsicht verneint und zur Begründung ausgeführt:

Es gehe nicht um die Feststellung etwa noch vorhandenen Vermögens der Schuldnerin. Unter diesen Umständen bestehe kein Bezug zum Konkurseröffnungsverfahren. Dieses diene der Feststellung, ob zur Zeit der Entscheidung über den Konkursantrag ein Konkursgrund vorliege, falls ja, ob eine den Kosten des Verfahrens entsprechende Konkursmasse vorhanden sei. Ob schon früher ein Konkursgrund vorgelegen habe, sei für die Entscheidung des Konkursgerichts belanglos und könne sich allenfalls zufällig aus Ermittlungen im Rahmen des Verfahrens ergeben. Ein rechtlich geschütztes Interesse, aus für ihn fremden Verfahrensakten einen neuen Schuldner – Geschäftsführer der GmbH – zu ermitteln, habe der Gläubiger nicht.

Die damalige Entscheidung des Senats beruht darauf, daß bei Nichterfüllung der Konkursantragspflicht den Gläubigern ein Schadensersatzanspruch unmittelbar gegen den oder die verantwortlichen Geschäftsführer erwächst. Der Senat hat das ausdrücklich abgegrenzt zu dem Fall, daß der Gläubiger feststellen will, ob sein Schuldner, bezüglich dessen der Konkursantrag mangels Masse abgewiesen worden ist, noch über Vermögen verfügt. Gerade darum aber geht es bei der Frage, ob die Stammeinlagen erbracht sind.

c) Nach der Rspr. des Senats (MDR 1988, 502 f.), die mit der völlig h.M. übereinstimmt (OLG Frankfurt, MDR 1996, 379; OLG Naumburg, ZIP 1997, 895; OLG Brandenburg v. 11.8.1997 und 18.5.1998 – 2 VA 4/97 jedenfalls für die Fälle, in denen im Konkurseröffnungsverfahren die Sequestration angeordnet und gegen den Schuldner ein allgemeines Veräußerungsverbot erlassen worden ist – wie es auch hier geschehen ist –; Kuhn/Uhlenbruck, a.a.O.; jedenfalls bei titulierter Forderung auch OLG Braunschweig, ZIP 1997, 894), ist das rechtliche Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO nach Einstellung des Konkursverfahrens mangels Masse zu bejahen für diejenigen, die glaubhaft machen, daß sie im Falle der Eröffnung des Verfahrens Konkursgläubiger gewesen wären. Diese können nicht auf den Weg eines neuen Konkursantrags verwiesen werden. Das würde nämlich praktisch zu einer völlig unökonomischen Wiederholung des früheren Verfahrens führen, dem jedenfalls bei zeitnaher Antragstellung kein neuer Erkenntniswert zukäme. An einer solchen Verfahrensweise kann auch und gerade dem Schuldner nicht gelegen sein. Datenschutzrechtliche Gründe stehen der Akteneinsicht in einem solchen Fall schon deshalb nicht entgegen, weil der Gläubiger bei Stellung eines neuen Konkursantrags in diesem Verfahren Beteiligter wäre, der unabhängig von § 299 Abs. 2 ZPO Einsicht nehmen könnte (§ 299 Abs. 1 ZPO).

Da die Befugnis eines Gläubigers, Konkursantrag zu stellen, nicht die Titulierung, sondern nur die Glaubhaftmachung seiner Forderung voraussetzt (§ 105 Abs. 1 KO – jetzt: § 14 Abs. 1 InsO), muß das auch im Rahmen des § 299 Abs. 2 ZPO genügen.

d) Es ist glaubhaft, daß der Ast. Ansprüche gegen die GmbH zustehen, die im Falle des Konkursverfahrens nach Anmeldung hätten berücksichtigt werden müssen. Sie hat ihre Forderungen zwar nicht genau bezeichnet, sondern sich auf Ñgesetzliche Anspruchsübergänge nach dem AFGì berufen. Das genügt hier aber in Anbetracht des Inhalts der beigezogenen Konkursakte. Aus dieser ergibt sich, daß im Betrieb der GmbH über den Zeitpunkt der Konkursantragstellung hinaus weiter gearbeitet wurde, die Arbeitnehmer aber nur teilweise Lohn erhalten haben. Ferner wurde der Konkursantrag von der AOK auf rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge gestützt. Diese ist insoweit Einzugsstelle. Gegen den Geschäftsführer der GmbH wurde am 24.10.1996 Anklage erhoben u. a. wegen Vorenthaltung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit (§ 266 a Abs. 1 StGB). Dieser hat in seinem Schr. v. 15.11.1996 an die AOK (...) und in seiner Stellungnahme gegenüber dem AmtsG... v. 17.11.1996 (...) rückständige Sozialversicherungsbeiträge auch nicht bestritten.

e) Der Agg. hat, da er schon das rechtliche Interesse verneint hat, von seinem Standpunkt aus konsequent die ihm nach § 299 Abs. 2 ZPO obliegende Ermessensentscheidung nicht getroffen. Diese ist nunmehr nachzuholen, da die Sache nicht spruchreif ist (§ 28 Abs. 2, 3 EGGVG). Insbesondere muß zunächst dem Geschäftsführer der GmbH Gelegenheit gegeben werden, zum Antrag auf Akteneinsicht Stellung zu nehmen. Der BGH hat in seinem Beschl. v. 18.2.1998 – IV AR (VZ) 2/97, der das bereits oben erwähnte Verfahren vor dem OLG Brandenburg betraf, ausgeführt (...):

Bei der Ermessensentscheidung nach § 299 Abs. 2 ZPO seien die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und insbesondere sei zu prüfen, ob berechtigte Geheimhaltungsbedürfnisse der Gemeinschuldnerin der uneingeschränkten Einsicht entgegenstünden. Eine ermessensfehlerfreie Interessenabwägung setze voraus, daß dem Gemeinschuldner im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Gelegenheit gegeben werde, sein Geheimhaltungsinteresse geltend zu machen.

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung. Sie trägt dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Rechnung.

Nach Aktenlage kann hier nicht davon ausgegangen werden, daß es unmöglich oder unzumutbar ist, dem Geschäftsführer der GmbH Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Diese ist trotz der Eintragung ihrer Auflösung im Handesregister nach wie vor existent. Eine Löschung ist bisher nicht erfolgt. Es kann zur Zeit auch nicht angenommen werden, daß der Geschäftsführer unerreichbar ist. Zwar konnte im Jahre 1996 ein im Konkurseröffnungsverfahren erlassener Haftbefehl nicht vollstreckt werden, weil der Geschäftsführer unter der angegebenen Adresse ... nicht anzutreffen war. Laut Mitteilung der Kriminalpolizei S war und ist der Geschäftsführer aber gemeldet für die Adresse ... (...). Mitteilungen an den Geschäftsführer konnten vom Konkursgericht unter dieser Adresse im Wege der Ersatzzustellung an die Ehefrau bewirkt werden (...). Zumindest die erste Zustellung am 15.11.1996 hat den Geschäftsführer auch persönlich erreicht, denn mit Schreiben an das Konkursgericht v. 17.11.1996 (...) hat er Stellung genommen, allerdings unter der Anschrift ...; diese Anschrift hatte auch sein Verteidiger im Strafverfahren angegeben (...).

Da mithin zur Zeit nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Geschäftsführer unerreichbar oder die Ermittlung seiner Anschrift mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden ist, kann nicht davon abgesehen werden, zumindest den Versuch zu unternehmen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zum Akteneinsichtsgesuch zu geben. Der Senat weist darauf hin, daß, sollte der Geschäftsführer inzwischen unauffindbar sein, nicht etwa eine öffentliche Zustellung erforderlich ist, da ohnehin nicht ernsthaft angenommen werden kann, daß der Geschäftsführer von einer solchen tatsächlich Kenntnis nehmen würde. ...

Einsender: Vors. RiOLG Lothar Jaeger, Köln
 
 
 
 

* Leitsätze des Einsenders.

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