Publizitätspflicht: Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland wegen unzureichender Umsetzung der EU-Vorschriften zur Offenlegung von Jahresabschlüssen (Sanktionen im Fall der Nichtoffenlegung)

Erste Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (RL 68/151/EWG) Art. 2 Abs. 1f, 3, 6; Vierte Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (RL 78/660/EWG) Art. 47 Abs. 1; EGV Art. 54 Abs. 3g, 58 Abs. 2, 169 ff.; HGB §§ 325, 335

Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere aufgrund der Art. 2 Abs. 1 Buchst. f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften i.S.d. Art. 58 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, i.V.m. Art. 47 Abs. 1 der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des Vertrags über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen.

EuGH, Urt. v. 29.9.1998 -- Rs. C-191/95

In der Rechtssache ... wegen Feststellung, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag sowie aus der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften i.S.d. Art. 58 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S. 8), und der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g) des Vertrags über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S. 11) verstoßen hat, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, erläßt DER GERICHTSHOF ... folgendes Urteil:

1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 16.6.1995 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden ist, gemäß Art. 169 EG-Vertrag Klage auf Feststellung erhoben, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag sowie aus der Ersten Richtlinie 68/151/EWG des Rates v. 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften i.S.d. Art. 58 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (ABl. L 65, S.8; im folgenden: Erste Richtlinie), und der Vierten Richtlinie 78/660/EWG des Rates v. 25.7.1978 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g) des Vertrags über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen (ABl. L 222, S.11; im folgenden: Vierte Richtlinie) verstoßen hat, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen.

A. Die streitige Regelung

I. Die Erste Richtlinie

2. Gemäß ihrem Art. 1 gilt die Erste Richtlinie in Deutschland für die Aktiengesellschaft, die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

3. Nach Art. 2 der Ersten Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sich die Pflicht zur Offenlegung hinsichtlich dieser Gesellschaften mindestens auf die in dieser Vorschrift aufgeführten Urkunden und Angaben erstreckt. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. f gilt die Pflicht zur Offenlegung insbesondere für "die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung für jedes Geschäftsjahr".

4. Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. f S. 3 wird jedoch u.a. für die Gesellschaften mit beschränkter Haftung des deutschen Rechts die genannte Pflicht zur Offenlegung "bis zum Zeitpunkt der Anwendung einer Richtlinie aufgeschoben, die sowohl Vorschriften über die Koordinierung des Inhalts der Bilanzen und der Gewinn- und Verlustrechnungen enthält, als auch diejenigen dieser Gesellschaften, deren Bilanzsumme einen in der Richtlinie festzusetzenden Betrag nicht erreicht, von der Pflicht zur Offenlegung aller oder eines Teils dieser Schriftstücke befreit". Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. f letzter Satz erläßt der Rat die genannte Richtlinie innerhalb von zwei Jahren nach der Annahme der Ersten Richtlinie.

5. In Art. 3 Abs. 2 und 4 der Ersten Richtlinie werden die Eintragung aller Urkunden und Angaben, die der Offenlegung unterliegen, in das in dem Mitgliedstaat eingerichtete Register und ihre Bekanntmachung in geeigneter Form in einem von diesem Staat zu bestimmenden Amtsblatt vorgeschrieben.

6. In Art. 6 der Ersten Richtlinie heißt es:

"Die Mitgliedstaaten drohen geeignete Maßregeln für den Fall an,

-- daß die in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f) vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibt;

-- ..."

7. Gemäß Art. 13 Abs. 1 der Ersten Richtlinie mußten die Mitgliedstaaten diese innerhalb einer Frist von achtzehn Monaten nach deren Bekanntgabe umsetzen; die Bekanntgabe erfolgte am 11.3.1968.

II. Die Vierte Richtlinie

8. Die Vierte Richtlinie legt für die in ihr genannten Gesellschaften die Vorschriften über den Jahresabschluß fest. Art. 2 der Richtlinie bestimmt: "Der Jahresabschluß besteht aus der Bilanz, der Gewinn- und Verlustrechnung und dem Anhang zum Jahresabschluß. Diese Unterlagen bilden eine Einheit."

9. Zur Offenlegung des Jahresabschlusses bestimmt Art. 47 Abs. 1 der Vierten Richtlinie:

"(1) Der ordnungsgemäß gebilligte Jahresabschluß und der Lagebericht sowie der Bericht der mit der Abschlußprüfung beauftragten Person sind nach den in den Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 der Richtlinie 68/151/EWG vorgesehenen Verfahren offenzulegen.

Die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates können jedoch den Lagebericht von der genannten Offenlegung freistellen. In diesem Fall ist der Lagebericht am Sitz der Gesellschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat zur Einsichtnahme für jedermann bereitzuhalten. Eine vollständige oder teilweise Ausfertigung dieses Berichts muß auf bloßen Antrag kostenfrei erhältlich sein."

10. Gemäß Art. 55 Abs. 1 der Vierten Richtlinie mußte diese innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe, die am 31.7.1978 erfolgte, in das nationale Recht umgesetzt werden.

III. Die nationalen Vorschriften

11. Das Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen vom 15.8.1969 (BGBl. I S. 1189; im folgenden: Publizitätsgesetz) trat in der Bundesrepublik Deutschland am 21.8.1969 in Kraft.

12. Die §§ 9 und 10 des Publizitätsgesetzes enthielten detaillierte Vorschriften über die Verpflichtung zur Einreichung von Jahresabschluß und Geschäftsbericht zum Handelsregister sowie zur Bekanntmachung des Jahresabschlusses im Bundesanzeiger.

13. Das Publizitätsgesetz wurde insbesondere durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz v. 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355) geändert, das die Vierte Richtlinie sowie die Siebente Richtlinie 83/349/EWG des Rates v. 13.6.1983 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g) des Vertrags über den konsolidierten Abschluß (ABl. L 193, S. 1) und die Achte Richtlinie 84/253/EWG des Rates v. 10.4.1984 aufgrund von Art. 54 Abs. 3 Buchst. g) des Vertrags über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen (ABl. L 126, S. 20) durchgeführt hat. Nach der zur Zeit geltenden Fassung sind die von dem Gesetz betroffenen Unternehmen zur Offenlegung des Jahresabschlusses und des Jahresberichts, insbesondere durch Einreichung zum Handelsregister, verpflichtet (§ 9). Die Einhaltung dieser Verpflichtung kann nach § 21 S.1 Nr.8 des Bilanzrichtlinien-Gesetzes mit Zwangsgeld durchgesetzt werden.

14. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz hat außerdem in das Handelsgesetzbuch (im folgenden: HGB) ein Drittes Buch -- Handelsbücher -- (§§ 238 bis 339) eingeführt.

15. § 325 HGB enthält die Vorschriften über die Offenlegung, insbesondere über die Verpflichtungen der gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften, den Jahresabschluß beim Handelsregister einzureichen und die Tatsache dieser Einreichung im Bundesanzeiger bekanntzugeben.

16. § 335 HGB sieht die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall vor, daß Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft der in § 325 HGB vorgesehenen Pflicht zur Offenlegung ihrer Bilanzen nicht nachkommen. Nach § 335 S.1 Nr.6 i.V.m. § 335 S.2 HGB schreitet das Registergericht jedoch nur ein, wenn ein Gesellschafter, ein Gläubiger, der Gesamtbetriebsrat oder der Betriebsrat der Gesellschaft dies beantragt.

17. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz wurde der Kommission Anfang Januar 1986 notifiziert. Diese Notifizierung erfolgte auf die Vertragsverletzungsklage in der Rs. 18/85 hin, mit der die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vorwarf, die Vierte Richtlinie verspätet umgesetzt zu haben. Aufgrund ihrer Klagerücknahme wurde das Verfahren durch Streichungsbeschluß v. 11.2.1987 (ABl. C 80, S.6) beendet.

B. Vorverfahren und Anträge der Parteien

18. Mit Schreiben vom 26.6.1990 teilte die Kommission der deutschen Regierung mit, daß nach ihr vorliegenden Veröffentlichungen 93 % der deutschen Kapitalgesellschaften der Verpflichtung zur Offenlegung ihres Jahresabschlusses nicht nachgekommen seien, was einen Verstoß gegen Art. 3 der Ersten Richtlinie i.V.m. Art. 47 der Vierten Richtlinie darstelle. Sie wies darauf hin, daß die Mitgliedstaaten nach Art. 6 der Ersten Richtlinie verpflichtet seien, geeignete Sanktionen für den Verstoß gegen die in der Richtlinie normierte Publizitätspflicht vorzusehen, und forderte die Bundesregierung gemäß Art. 169 EWG-Vertrag auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.

19. Mit Mitteilung vom 30.7.1990 bestritt die deutsche Regierung einen Verstoß gegen Art. 3 der Ersten Richtlinie i.V. m. Art. 47 der Vierten Richtlinie. Unter Berufung auf eigene Statistiken und unter Hinweis auf die geltenden deutschen Vorschriften bestritt die Bundesregierung die von der Kommission vorgelegten Zahlen und gelangte zu dem Schluß, daß es keinen Grund gebe, weitere Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung der Offenlegungspflichten der Kapitalgesellschaften einzuführen.

20. Am 2.6.1992 richtete die Kommission daher eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Bundesrepublik Deutschland. Sie hielt ihr vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Ersten und der Vierten Richtlinie verstoßen zu haben, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen habe, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere auf der Grundlage dieser Richtlinien obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterließen. Die Kommission forderte die Bundesrepublik Deutschland auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nachzukommen. Auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland wurde diese Frist bis zum 30.9.1992 verlängert.

21. Am 25.8.1993 erklärte sich die deutsche Regierung bereit, die Sanktionen für den Fall der Nichtoffenlegung von Jahresabschlußunterlagen zu verschärfen, sofern sich die Kommission mit den vorgesehenen Gesetzesänderungen einverstanden erkläre und auf die Erhebung einer Klage beim Gerichtshof verzichte. Sie unterbreitete der Kommission dementsprechend einen Vorschlag für eine Einführung verschärfter Sanktionen, die stufenweise für alle Kapitalgesellschaften zwischen dem 1.1.1995 und dem 1.1.1999 in Kraft treten sollten. Hierzu wies sie darauf hin, daß im Fall des sofortigen Inkrafttretens dieser Vorschriften die insoweit zuständigen Bundesländer in Anbetracht der Vielzahl der einzuleitenden Verfahren und der großen Zahl von Beamten der alten Länder, die im Anschluß an die deutsche Wiedervereinigung für den Aufbau der neuen Länder zur Verfügung gestellt worden seien, nicht in der Lage wären, ihre sofortige Anwendung zu gewährleisten.

22. Am 3.3.1994 antwortete das zuständige Kommissionsmitglied, daß die in Aussicht gestellten Sanktionen unterschiedslos von Anfang an für alle betroffenen Gesellschaften gelten müßten, die ihrer Offenlegungspflicht nicht nachkämen. Er sei jedoch bereit, der Kommission eine Aussetzung des Verfahrens vorzuschlagen, wenn die Bundesregierung noch während der laufenden Legislaturperiode einen entsprechend geänderten Gesetzesentwurf vorlege.

23. Mit Schr. v. 19.5.1994 teilte die Bundesregierung der Kommission mit, daß sie unter diesen Voraussetzungen nicht von ihrer Rechtsauffassung abgehen könne, daß Art. 54 Abs. 3 Buchst. g EG-Vertrag eine Verschärfung der im deutschen Recht vorhandenen Sanktionen nicht erfordere.

24. Da auch weitere Besprechungen nicht zu einer Lösung führten, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben, mit der sie beantragt, die Vertragsverletzung durch die Bundesrepublik Deutschland festzustellen und dieser die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

25. Die deutsche Regierung beantragt, die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

C. Zur Zulässigkeit

26. Die deutsche Regierung hat drei Einreden der Unzulässigkeit erhoben, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen das Kollegialprinzip bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und bei der Klageerhebung, zweitens eine Änderung des Streitgegenstands und drittens eine fehlerhafte Begründung im Zusammenhang mit der angeblichen Vertragsverletzung rügt.

I. Verstoß gegen das Kollegialprinzip bei der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und bei der Klageerhebung

27. Die deutsche Regierung macht geltend, die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Erhebung der Klage beim Gerichtshof seien im Rahmen des Ermächtigungsverfahrens beschlossen worden. Zwar sei es mit dem Kollegialprinzip vereinbar, wenn für den Erlaß von Maßnahmen der Geschäftsführung und der Verwaltung auf das Ermächtigungsverfahren zurückgegriffen werde; dieses Verfahren sei jedoch bei Grundsatzentscheidungen wie denjenigen über die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Erhebung einer Klage beim Gerichtshof ausgeschlossen. Nach Art. 169 des Vertrags erforderten die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Anrufung des Gerichtshofes nämlich einen Beschluß der Kommission als Kollegialorgan.

28. Die Kommission hält dem entgegen, die Beschlüsse zur Versendung des Mahnschreibens, zur Zustellung der mit Gründen versehenen Stellungnahme und zur Klageerhebung seien von der Kommission als Kollegialorgan in gemeinschaftlicher Sitzung gefaßt worden.

29. Durch Beschl. v. 23.10.1996 hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) der Kommission aufgegeben, die von ihr als Kollegialorgan gefaßten Beschlüsse, die am 2.6.1992 an die Bundesrepublik Deutschland gerichtete mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die vorliegende Vertragsverletzungsklage zu erheben, vorzulegen.

30. Dementsprechend hat die Kommission dem Gerichtshof Protokolle bestimmter Sitzungen sowie Dokumente vorgelegt, die in diesen Protokollen erwähnt werden.

31. In der mündlichen Verhandlung v. 9.12.1997 hat die deutsche Regierung vorgetragen, die Kommission habe, wenn man die von ihr vorgelegten Unterlagen betrachte, nicht den Nachweis erbracht, daß die Mitglieder des Kollegiums bei ihrer Entscheidung, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, tatsächlich hinreichend über den Inhalt dieser Akte informiert gewesen seien. Das Kollegium müsse jedoch über alle einschlägigen rechtlichen und tatsächlichen Angaben verfügen, um sicherstellen zu können, daß seine Beschlüsse keine Zweifel offenließen, und um zu gewährleisten, daß die zugestellten Akte tatsächlich vom Kollegium erlassen worden seien und dem Willen des Kollegiums, das hierfür die politische Verantwortung übernehme, entsprochen hätten.

32. Die Kommission hat vorgetragen, angesichts der Zahl der Vertragsverletzungsverfahren stünden den Kommissionsmitgliedern aus Gründen der Effizienz nicht die Entwürfe der mit Gründen versehenen Stellungnahmen zur Verfügung, wenn sie den Beschluß faßten, solche Akte zu erlassen; da diesen Akten keine unmittelbaren verbindlichen rechtlichen Wirkungen zukämen, sei dies auch nicht erforderlich. Dagegen lägen den Mitgliedern des Kollegiums wichtige Informationen vor, insbesondere darüber, welche Sachverhalte beanstandet würden und welche gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften nach Auffassung der Dienststellen der Kommission verletzt seien. Das Kollegium habe somit in voller Kenntnis der Umstände zu den Vorschlägen ihrer Dienststellen, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, Stellung genommen. Die Ausarbeitung der mit Gründen versehenen Stellungnahmen erfolge auf Verwaltungsebene unter der Verantwortung des sachlich zuständigen Kommissionsmitglieds, nachdem das Kollegium den Beschluß gefaßt habe, diesen Akt zu erlassen.

33. Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die Tätigkeit der Kommission dem Kollegialprinzip unterliegt (Urt. v. 15.6.1994 -- Rs. C-137/92 P, Kommission/BASF u.a., Slg. 1994, I-2555, Rn. 62).

34. Es steht außer Streit, daß die Beschlüsse, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und die Klage zu erheben, diesem Kollegialprinzip unterliegen.

35. Die Anwendung von Art. 169 ist nämlich eines der Mittel der Kommission, um dafür zu sorgen, daß die Mitgliedstaaten die Bestimmungen des Vertrags und die auf seiner Grundlage von den Organen erlassenen Bestimmungen anwenden (Urt. v. 10.5.1995 -- Rs. C-422/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-1097, Rn. 16). Die Beschlüsse, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben und Klage zu erheben, fügen sich somit in den allgemeinen Rahmen der Überwachungsfunktion ein, mit der die Kommission aufgrund von Art. 155 erster Gedankenstrich EG-Vertrag betraut ist.

36. Durch die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme bringt die Kommission ihre förmliche Auffassung zur rechtlichen Situation des betroffenen Mitgliedstaats zum Ausdruck. Durch die förmliche Feststellung der vorgeworfenen Vertragsverletzung schließt die mit Gründen versehene Stellungnahme im übrigen das Vorverfahren nach Art. 169 ab (Urt. v. 31.1.1984 -- Rs. 74/82, Kommission/Irland, Slg. 1984, 317, Rn. 13). Der Beschluß, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, kann daher nicht als Maßnahme der Verwaltung oder Geschäftsführung angesehen werden und Gegenstand einer Ermächtigung sein.

37. Dasselbe gilt für den Beschluß, beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage zu erheben. Im Rahmen ihrer Rolle als Hüterin des Vertrags ist die Kommission für die Entscheidung zuständig, ob es angebracht ist, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten (in diesem Sinne Urt. v. 11.8.1995 -- Rs. C-431/92, Kommission/Deutschland, Slg. 1995, I-2189, Rn. 22). Eine solche Entscheidung steht im Ermessen dieses Organs (s. u.a. Urt. v. 27.11.1990 -- Rs. C-200/88, Kommission/Griechenland, Slg. 1990, I-4299, Rn. 9) und kann nicht als Maßnahme der Verwaltung oder Geschäftsführung eingestuft werden.

38. Somit wird mit der ersten Unzulässigkeitsrüge, wie sie im Laufe des vorliegenden Verfahrens erläutert worden ist, die Frage aufgeworfen, ob das Kollegium dem Kollegialprinzip gerecht wurde, als es einerseits in einer mit Gründen versehenen Stellungnahme zu der Auffassung gelangte, daß die Bundesrepublik Deutschland gegen eine ihrer Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen habe, und andererseits, nachdem die Bundesrepublik dieser Stellungnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen war, beschloß, die vorliegende Klage zu erheben.

39. Nach ständiger Rechtsprechung beruht das Kollegialprinzip auf der Gleichheit der Mitglieder der Kommission bei der Mitwirkung an der Entscheidungsfindung und besagt namentlich, daß die Entscheidungen gemeinsam beraten werden und daß alle Mitglieder des Kollegiums für sämtliche erlassenen Entscheidungen politisch gemeinsam verantwortlich sind (Urt. v. 23.9.1986 -- Rs. 5/85, AKZO Chemie/Kommission, Slg. 1986, 2585, Rn. 30, und v. 21.12.1989, verbundene Rs. 46/87 und 227/88, Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, sowie das Urt. Kommission/BASF u.a., Rn. 63).

40. Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, daß die Beachtung dieses Prinzips für die von den Rechtswirkungen einer Entscheidung der Kommission betroffenen Rechtssubjekte von Interesse ist (vgl. in diesem Sinne das Urt. Kommission/BASF u.a., Rn. 64).

41. Allerdings sind die Förmlichkeiten, die zu beachten sind, damit das Kollegialprinzip tatsächlich eingehalten wird, je nach Art und Rechtswirkungen der von diesem Organ erlassenen Akte verschieden.

42. So hat der Gerichtshof zu Entscheidungen, die zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln erlassen werden und mit denen eine Zuwiderhandlung gegen diese Regeln festgestellt, Anordnungen gegenüber Unternehmen erlassen und ihnen finanzielle Sanktionen auferlegt werden können, festgestellt, daß die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen, an die diese Entscheidungen gerichtet sind, die Gewähr dafür haben müssen, daß der verfügende Teil und die Begründung dieser Entscheidungen vom Kollegium erlassen worden sind (vgl. in diesem Sinne das Urt. Kommission/BASF u.a., Rn. 65 bis 67).

43. Die Bedingungen, unter denen über die Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme und die Erhebung der Vertragsverletzungsklage im Kollegium gemeinschaftlich zu beraten war, sind im vorliegenden Fall also unter Berücksichtigung der Rechtswirkungen dieser Entscheidungen gegenüber dem betroffenen Staat festzulegen.

44. Die Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme ist Teil eines Vorverfahrens (Urt. v. 27.5.1981, verbundene Rs. 142/80 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, 1413, Rn. 15), das keine bindenden rechtlichen Wirkungen für den Adressaten der mit Gründen versehenen Stellungnahme entfaltet. Letztere ist nur ein Abschnitt eines vorprozessualen Verfahrens, das ggf. zur Anrufung des Gerichtshofs führt (Urt. v. 10.12.1969 in den verbundenen Rechtssachen 6/69 und 11/69, Kommission/Frankreich, Slg. 1969, 523, Rn. 36). Dieses vorprozessuale Verfahren soll es dem Mitgliedstaat erlauben, freiwillig seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nachzukommen oder gegebenenfalls seine Auffassung zu rechtfertigen (Urt. v. 23.10.1997 -- Rs. C-157/94, Kommission/Niederlande, Slg. 1997, I-5699, Rn. 60, Rs. C-158/94, Kommission/Italien, Slg. 1997, I-5789, Rn. 56, und Rs. C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Rn. 103).

45. Für den Fall, daß dieses Bemühen um eine Regelung erfolglos bleibt, soll die mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand festlegen. Dagegen kann die Kommission mit den nach Art. 169 abgegebenen Stellungnahmen oder mit anderen Äußerungen im Rahmen dieses Verfahrens nicht die Rechte und Verpflichtungen eines Mitgliedstaats abschließend festlegen oder ihm Zusicherungen hinsichtlich der Vereinbarkeit eines bestimmten Verhaltens mit dem Vertrag geben. Nach dem System der Art. 169 bis 171 des Vertrags kann sich nur aus einem Urt. des Gerichtshofs ergeben, welche Rechte und Pflichten die Mitgliedstaaten haben und wie ihr Verhalten zu beurteilen ist (vgl. in diesem Sinne das Urt. Essevi und Salengo, Rn. 15 f.).

46. Der mit Gründen versehenen Stellungnahme kommt eine rechtliche Wirkung somit nur im Hinblick auf die Anrufung des Gerichtshofes zu (Urt. Essevi und Salengo, Rn. 18); kommt der Staat dieser Stellungnahme nicht innerhalb der gesetzten Frist nach, so ist die Kommission darüber hinaus berechtigt, aber nicht verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 14.2.1989 -- Rs. 247/87, Starfruit/Kommission, Slg. 1989, 291, Rn. 12).

47. Die Entscheidung, den Gerichtshof anzurufen, stellt zwar eine unerläßliche Maßnahme dar, um diesem eine verbindliche Entscheidung über die angebliche Vertragsverletzung zu ermöglichen, doch ändert sie gleichwohl nicht aus sich heraus die streitige Rechtslage.

48. Aus alledem ergibt sich, daß das Kollegium sowohl über den Beschluß der Kommission, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, als auch über den Beschluß, eine Vertragsverletzungsklage zu erheben, gemeinschaftlich beraten muß. Die Elemente, auf die diese Beschlüsse gestützt sind, müssen den Mitgliedern des Kollegiums daher zur Verfügung stehen. Dagegen braucht das Kollegium nicht selbst den Wortlaut der Rechtsakte, durch die diese Beschlüsse umgesetzt werden, und ihre endgültige Ausgestaltung zu beschließen.

49. Im vorliegenden Fall steht fest, daß den Mitgliedern des Kollegiums alle Elemente, die ihnen für ihre Beschlußfassung dienlich erschienen, zur Verfügung standen, als das Kollegium am 31.7.1991 beschloß, die mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben, und am 13.12.1994 den Vorschlag billigte, die vorliegende Klage zu erheben.

50. Aufgrund dessen ist festzustellen, daß die Kommission die sich aus dem Kollegialprinzip ergebenden Regeln eingehalten hat, als sie die mit Gründen versehene Stellungnahme gegenüber der Bundesrepublik Deutschland abgab und die vorliegende Klage erhob.

51. Folglich ist die auf einen Verstoß gegen das Kollegialprinzip gestützte Einrede der Unzulässigkeit als unbegründet zurückzuweisen.

II. Änderung des Streitgegenstands

52. Die deutsche Regierung macht geltend, die Klage sei unzulässig, da die Klageschrift inhaltlich vom Mahnschreiben abweiche. In ihrem Mahnschreiben habe die Kommission nämlich erklärt, die Bundesrepublik Deutschland habe gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 47 der Vierten Richtlinie i.V.m. Art. 3 der Ersten Richtlinie verstoßen, während sie in der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift einen Verstoß gegen die Art. 2 Abs. 1 Buchst. f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie angenommen habe. Der Streitgegenstand sei somit während des Vorverfahrens geändert worden.

53. Die Kommission hält dem entgegen, der Wortlaut sowohl des Mahnschreibens als auch der Mitteilung der deutschen Regierung vom 30.7.1990 zeige, daß ihr Anliegen klar ausgedrückt gewesen und richtig verstanden worden sei.

54. Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die in Art. 169 des Vertrags genannte mit Gründen versehene Stellungnahme zwar eine zusammenhängende und detaillierte Darlegung der Gründe enthalten muß, aus denen die Kommission zu der Überzeugung gelangt ist, daß der betreffende Staat gegen eine seiner Verpflichtungen aus dem Vertrag verstoßen hat; doch können an die Genauigkeit des Mahnschreibens, das zwangsläufig nur in einer ersten knappen Zusammenfassung der Vorwürfe bestehen kann, keine so strengen Anforderungen gestellt werden. Nichts hindert daher die Kommission daran, in der mit Gründen versehenen Stellungnahme die Vorwürfe näher darzulegen, die sie im Mahnschreiben bereits in allgemeiner Form erhoben hat (vgl. Urt. v. 16.9.1997 -- Rs. C-279/94, Kommission/Italien, Slg. 1997, I-4743, Rn. 15).

55. Es trifft zu, daß das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie die von ihr abgegebene mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand abgrenzen, so daß dieser nicht mehr erweitert werden kann. Denn die Möglichkeit zur Äußerung stellt für den betreffenden Staat auch dann, wenn er meint, davon nicht Gebrauch machen zu müssen, eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substantielles Formerfordernis des Verfahrens auf Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ist (Urt. v. 8.2.1983 -- Rs. 124/81, Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1983, 203, Rn. 6). Die mit Gründen versehene Stellungnahme und die Klage der Kommission müssen daher auf dieselben Rügen gestützt werden wie das Mahnschreiben, mit dem das Vorverfahren eingeleitet wird.

56. Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, daß in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen den im Mahnschreiben erhobenen Rügen, dem Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und den Anträgen in der Klageschrift bestehen muß, sofern der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert, sondern nur beschränkt worden ist (vgl. in diesem Sinn das zitierte Urt. v. 16.9.1997, Kommission/Italien, Rn. 25).

57. Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten, daß die Kommission in ihrem Mahnschreiben die der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfene Vertragsverletzung hinreichend genau bezeichnet hat, indem sie ausgeführt hat, Art. 3 der Ersten Richtlinie i.V.m. Art. 47 der Vierten Richtlinie sei dadurch verletzt, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften der Offenlegungspflicht nicht nachkomme, und indem sie auf die den Mitgliedstaaten nach Art.  6 der Ersten Richtlinie obliegende Pflicht hingewiesen hat, geeignete Sanktionen für den Verstoß gegen die Offenlegungspflicht vorzusehen. Diesem Schreiben konnte die deutsche Regierung also entnehmen, welche Art von Rügen ihr gegenüber erhoben wurden; damit war es ihr möglich, sich dagegen zu verteidigen.

58. Somit hat der Umstand, daß die Kommission die Rügen, die darauf gestützt waren, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften der Offenlegungspflicht nicht nachkomme, nicht aufrechterhalten hat, während sie die bereits im Mahnschreiben in allgemeinerer Form erhobenen Rügen hinsichtlich der Notwendigkeit, geeignete Sanktionen vorzusehen, näher ausgeführt hat, lediglich eine Beschränkung des Gegenstands der Klage zur Folge gehabt.

59. Der zweite Unzulässigkeitsgrund ist daher ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

III. Fehlerhafte Begründung des Verstoßvorwurfs

60. Nach Ansicht der deutschen Regierung konnte die Kommission die Übereinstimmung der deutschen Vorschriften über die Verpflichtung zur Offenlegung des Jahresabschlusses mit dem Gemeinschaftsrecht nicht auf der Grundlage von nicht verifizierten Zahlen über die Befolgung dieser Verpflichtung durch die Unternehmen in Frage stellen. Zur Begründung eines solchen Verstoßes hätte die Kommission sich durch eigene Ermittlungen Gewißheit über die von ihr zugrundegelegten Zahlen verschaffen müssen. Somit könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Kommission eine detaillierte und zusammenhängende Darstellung der Gründe für ihre Überzeugung gegeben habe, der Bundesrepublik Deutschland müßten die behaupteten Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden.

61. Die Kommission erwidert, daß sie weiterhin vom Vertragsverstoß überzeugt sei, und weist darauf hin, daß die Bundesrepublik Deutschland den Vertragsverstoß in ihrem Schr. v. 25.8.1993 selbst eingeräumt habe.

62. Hierzu genügt der Hinweis, daß die Kommission im Stadium der Klage die Rügen, die darauf gestützt waren, daß ein erheblicher Teil der Kapitalgesellschaften den Offenlegungspflichten nicht nachkomme, nicht aufrechterhalten hat. Die dritte Unzulässigkeitseinrede bezieht sich somit auf einen im Stadium des Vorverfahrens behaupteten Verstoß, der nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Daher ist diese Einrede zurückzuweisen.

63. Folglich ist die Klage insgesamt für zulässig zu erklären.

D. Zur Begründetheit

64. Die Kommission trägt vor, die Prüfung der geltenden deutschen Rechtsvorschriften ergebe klar, daß die Offenlegung des Jahresabschlusses der Kapitalgesellschaften zwar in den §§ 325 ff. HGB geregelt sei, der deutsche Gesetzgeber jedoch kein wirksames rechtliches Instrument geschaffen habe, um die Offenlegungspflicht durchzusetzen. Zwar sehe § 335 S.1 Nr.6 HGB die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall vor, daß Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft der Offenlegungspflicht nicht nachkämen, doch könne das Registergericht solche Zwangsgelder nicht von Amts wegen verhängen.

65. Die deutsche Regierung macht geltend, die durch Art. 6 der Ersten Richtlinie aufgestellte Pflicht zur Einführung geeigneter Sanktionen wegen unterlassener Offenlegung der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung gelte noch nicht in bezug auf die Gesellschaften mit beschränkter Haftung des deutschen Rechts. Hilfsweise trägt sie vor, Art. 6 der Ersten Richtlinie sei richtig umgesetzt worden. Nach Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des Vertrags solle die Koordinierung des nationalen Gesellschaftsrechts nämlich die Interessen der Gesellschafter sowie Dritter schützen. Letztere seien nicht alle natürlichen oder juristischen Personen, sondern nur diejenigen, die in einer rechtlichen Beziehung zu der Gesellschaft stünden. Angesichts der äußerst großen Zahl von kleinen und mittleren Gesellschaften mit beschränkter Haftung stünde schließlich die Einleitung von Verfahren gegen diese Gesellschaften außer Verhältnis zu dem in Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des Vertrags aufgestellten Ziel der Regelung.

66. Hierzu genügt der Hinweis, daß der Gerichtshof im Urt. vom 4.12.1997 -- Rs. C-97/96 (Daihatsu Deutschland, Slg. 1997, I-6843, Rn. 14 f. = GmbHR 1997, 1150) festgestellt hat, daß die durch die Erste Richtlinie gelassene Regelungslücke durch die Vierte Richtlinie geschlossen wurde. Diese Richtlinie hat die einzelstaatlichen Vorschriften über die Gliederung und den Inhalt des Jahresabschlusses und des Lageberichts sowie über die Bewertungsmethoden und die Offenlegung dieser Unterlagen bei den Kapitalgesellschaften, darunter den Gesellschaften mit beschränkter Haftung deutschen Rechts, koordiniert.

67. In dem Urt. Daihatsu Deutschland hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß Art. 6 der Ersten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß er den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die nur den Gesellschaftern, den Gläubigern und dem Gesamtbetriebsrat bzw. dem Betriebsrat der Gesellschaft das Recht einräumen, die Verhängung der Maßregel zu beantragen, die das nationale Recht für den Fall vorsieht, daß eine Gesellschaft den durch die Erste Richtlinie aufgestellten Pflichten auf dem Gebiet der Offenlegung des Jahresabschlusses nicht nachkommt.

68. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß das Fehlen geeigneter Sanktionen nicht damit gerechtfertigt werden kann, daß die Anwendung solcher Sanktionen auf sämtliche Gesellschaften, die ihren Abschluß nicht offenlegen, wegen ihrer großen Zahl für die deutsche Verwaltung erhebliche Schwierigkeiten schaffen würde, die außer Verhältnis zu dem vom Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgten Ziel stünden. Nach st. Rspr. kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf interne Umstände berufen, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen, die sich aus den Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben (vgl. u.a. Urt. v. 19.2.1991 -- Rs. C-374/89, Kommission/Belgien, Slg. 1991, I-367, Rn. 10, v. 7.4.1992 -- Rs. C-45/91, Kommission/Griechenland, Slg. 1992, I-2509, Rn. 21, und v. 29.6.1995, verbundene Rs. C-109/94, C-207/94 und C-225/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-1791, Rn. 11).

69. Folglich ist festzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland dadurch, daß sie keine geeigneten Sanktionen für den Fall vorgesehen hat, daß Kapitalgesellschaften die ihnen insbesondere aufgrund der Art. 2 Abs. 1 Buchst. f, 3 und 6 der Ersten Richtlinie i.V.m. Art. 47 Abs. 1 der Vierten Richtlinie obliegende Offenlegung des Jahresabschlusses unterlassen, gegen ihre Verpflichtungen aus diesen Richtlinien verstoßen hat.

E. Kosten

70. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Kommission hat beantragt, die Bundesrepublik Deutschland zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. ...