Stephan Stieb, Rechtsanwalt,
Bonn/Estoril

Gebühren für GmbH-Satzungsänderungen dürfen nicht investitionshemmend sein

-- Wirkt sich das EuGH-Urt. v. 29.9.1999 -- Rs. C-56/98 auch auf die deutsche Notarpraxis aus? --

Der EuGH hat in seinem Urt. v. 29.9.1999 -- Rs. C-56/98 (GmbHR 1999, 1205 -- in diesem Heft) festgestellt, daß Gebühren für die notarielle Beurkundung einer Kapitalerhöhung, Änderung der Firmierung oder der Verlegung des Sitzes einer Gesellschaft in einem Rechtssystem, in dem der Notar Staatsbeamter ist und ein Teil dieser Gebühren dem Staat für die Finanzierung seiner Aufgaben zufließt, als eine Steuer anzusehen sind. Eine Besteuerung derartiger Rechtsgeschäfte ist nach Art.10 Buchst.$$c) der Richtlinie 69/335/EWG v. 17.7.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital i.d.F. der Richtlinie 85/303/EWG (abgesehen von der Gesellschaftsteuer) unzulässig. Die in den Mitgliedstaaten bestehenden indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital sind Ursache von Diskriminierungen, Doppelbesteuerungen und Unterschiedlichkeiten, die den freien Kapitalverkehr behindern und deshalb durch eine Harmonisierung beseitigt werden sollen.

Gebühren von Staatsnotaren ohne Kappungsgrenze als indirekte Steuern

Da die im Ausgangsverfahren streitigen Notargebühren bei einem Nennkapital von über 10 Mio. Escudos (ca. 100.000 DM) ohne Ober- oder Kappungsgrenze den "nicht unerheblichen" Satz von 0,3% ausmachen, stellen sie auch keine Abgaben mit Gebührencharakter dar; letztere können von den Mitgliedstaaten ebenso wie Börsenumsatz-, und Besitzwechselsteuern neben einer Gesellschaftsteuer erhoben werden (vgl. Art.12 Abs.1 Richtlinie 69/335/EWG). Aber nicht nur die Notargebühren, sondern auch die Registergebühren (Handelsregister, Registo Comercial und "Registo Nacional das Pessoas Colectivas -- RNPC") sind seit langer Zeit Gegenstand der Kritik, insbesondere seitens ausländischer Unternehmen, die in Portugal investieren.

Ende 1992 hat die Holdinggesellschaft MODELO SGPS, S.A. ihr Kapital von 7,24 Mrd. Escudos (ca. 80 Mio. DM) auf 14 Mrd. Escudos (ca.155 Mio. DM) erhöht, die Firma geändert und ihren Sitz verlegt. Alle drei Rechtgeschäfte unterliegen als Satzungsänderungen dem Beurkundungszwang. Die Notargebühren betrugen 21 Mio. Escudos (ca. 233.400 DM), ungefähr das Zwanzigfache der entsprechenden Gebühr in Deutschland (vgl. Fabis, ZIP 1999, 1683 [1684]). Eine Gebührenklage wurde abgewiesen, so daß MODELO bei dem Obersten Verwaltungsgericht (Supremo Tribunal Administrativo -- STA) Rechtsmittel einlegte. Das STA hatte Zweifel, ob die Gebührenordnung mit der Richtlinie betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vereinbar sei, setzte das Verfahren aus und legte diese Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Die fehlende Kappungsgrenze führt dazu, daß insbesondere kapitalstarke Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes "über Gebühr" zur Kasse gebeten werden. Daß MODELO gerichtlich gegen die Notargebühren vorging, verwundert nicht, da die Holding zu einem der größten Mischkonzerne (Spanplatten, Einkaufszentren, Kommunikation, Energie) in Portugal, nämlich der SONAE-Gruppe, gehört. Es ist das Ziel der Gruppe, in einigen Jahren einen Umsatz von 5% des gesamten Bruttosozialprodukts Portugals zu erreichen. Die Satzungsänderung kostete MODELO nicht nur die Notargebühren. Neben diesen sind für die Registrierung der Kapitalerhöhung und der übrigen Satzungsänderungen noch einmal Gebühren i.H.v. ca. 330.000 DM für das Handelsregister und das RNPC fällig.

Geringes Mindeststammkapital führt zu "ungesunder" Kapitalausstattung von Unternehmen

Daß die Gebührenpolitik des portugiesischen Staats nicht schon vor der Klage von MODELO bei dem EuGH landete, hat auch damit zu tun, daß Unternehmen mit einem hohen Gesellschaftskapital noch wenig verbreitet sind. Die Ausstattung einer Gesellschaft mit einem "gesunden" Kapital hat in Portugal bisher wenig Tradition. Dies verwundert nicht, da bis vor kurzer Zeit das Mindestkapital einer GmbH noch 400.000 Escudos (ca. 3.900 DM) und das einer AG 5.000.0000 Escudos (ca. 48.780 DM) betrug. Bei der Umstellung der Vorschriften über das Gesellschaftskapital auf den EURO wurde aber eine beträchtliche Erhöhung eingeführt. Das Mindestkapital einer GmbH beträgt ab 1999 nunmehr 5.000 EURO, das der AG 50.000 EURO (vgl. Art.201 und 276 Código das Sociedades Comerciais i.d.F. des Gesetzesdekrets Nr.343/98 v. 6.11.1998). Die Unterkapitalisierung von Unternehmen hat im Inland noch so gut wie keine negativen Konsequenzen. Die Gebührenpolitik hat die Unternehmer sogar in ihrer Ansicht bestätigt: Je höher das Kapital, desto höher die Gebühren. Ausländische Unternehmen, die in Portugal investierten, waren dagegen immer gezwungen, ein der Investition angemessenes Gesellschaftskapital anzunehmen. Noch Anfang der neunziger Jahre verlangte die Bank von Portugal im Fall von Auslandsinvestitionen ein bestimmtes Verhältnis von Eigenkapital (Gesellschaftskapital und Nachschußleistungen) zur Finanzierung der Investition durch Gesellschafterdarlehen. Im steuerlichen Bereich wird eine Unterkapitalisierung bei aus dem Ausland stammenden Finanzierungen durch Nichtanerkennung von Zinsen als steuerliche Kosten bestraft, wenn das Verhältnis der Eigenkapitalausstattung zu Gesellschafterdarlehen 1$$:$$2 übersteigt.

Rolle der Notare: Keine Beratungstätigkeit

Portugals Notare sind Staatsbeamte. Freiberufliche Notariate gibt es bisher nicht, obwohl ihre Einführung seit Jahren diskutiert wird. Das zur Zeit der Satzungsänderung (1992) gültige Gesetz über das Notariat (Código do Notariado, Gesetzesdekret Nr.47.619 v. 31.3.1967) definiert die Aufgabe des Notariats in Wahrung der Rechtsform und Bestätigung der Echtheit außergerichtlich durchgeführter Rechtsakte. Die Beratung durch den Notar ist bis 1995 nicht gesondert gesetzlich geregelt. In der Praxis ist es zumindestens unüblich, den Notar um Beratung zu bitten; nicht zuletzt auch deshalb, weil die Notariate landesweit chronisch überlastet sind. Nach der Justizstatistik des Jahres 1997 wurden in Kontinentalportugal und den Autonomen Regionen Azoren und Madeira insgesamt 25.255 Gesellschaftsgründungen und 33.140 Änderungen von Gesellschaftsverträgen, einschließlich Unternehmensauflösungen protokolliert.

Der derzeitig geltende Código do Notariado sieht erst seit kurzer Zeit vor, daß der Notar "Unterstützung bei dem Ausdruck des Geschäftswillens der Parteien" leisten kann (vgl. Art.1 Abs.2 Gesetzesdekret Nr.250/96 v. 24.12.1996). Beurkundungen von gesellschaftsrechtlichen Satzungsänderungen werden von Rechtsanwälten vorbereitet; die Beratung findet im Vorfeld der Beurkundung statt. Insofern stellt der EuGH auch zu Recht fest, daß es sich bei der Beurkundung von Kapitalerhöhung, Sitzverlegung und Änderung der Firmierung um reine Formalitäten handelt, denen eine juristische Person mit Erwerbszweck auf Grund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann (vgl. Art.10, Buchst.$$c der Richtlinie 69/335/EWG). Gebühren ohne Kappungsgrenze verstoßen gegen das Kumulierungsverbot der Richtlinie. Die Notargebühren dienen in Portugal nach Feststellung des EuGH der Finanzierung staatlicher Aufgaben, da sie nach Abzug eines bestimmten Prozentsatzes, der an den Notar geht, der Einrichtung und Erhaltung von Notariaten dienen und mit Genehmigung des Justizministeriums auch andere Kosten auf dem Gebiet der Rechtspflege deckt. Weil die Gebühren teilweise dem Staat zufließen, damit dieser öffentliche Kosten bestreiten kann, sind sie eine Steuer im Sinne der Richtlinie.

Das Urteil des EuGH fordert den portugiesischen Staat zu einer Neuorientierung auf. Die diversen Gebührenordnungen dürfen zukünftig nicht mehr der Unterkapitalisierung von Unternehmen Vorschub leisten. Gebührenpolitik muß investitionsfördernd sein. Dazu müssen -- wie in Deutschland -- zukünftig mindestens Kappungsgrenzen eingeführt werden.

Auswirkungen auf die deutsche Notarpraxis?

Anders als in Portugal sind in Deutschland wie auch in den übrigen EU-Mitgliedsstaaten die Notare grundsätzlich als Gebührennotare, d.h. wirtschaftlich auf freiberuflicher Basis tätig, so daß die Beurkundungsgebühren ihnen selbst und nicht dem Staat zufließen. Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen jedoch in Baden-Württemberg, wo ein Teil der Notare als beamtete Notare im Landesdienst tätig ist. Für diese Gruppe der Staatsnotare könnte sich das EuGH-Urt. ebenfalls durchaus auswirken (vgl. auch Fabis, ZIP 1999, 1683 [1684]). Würde es dadurch zu einer unterschiedliche Behandlung zwischen diesen und den in anderen Bundesländern teilweise freiberuflich arbeitenden Notaren geben, würde sich für deutsche Unternehmen neben den Nachbarstaaten Schweiz oder Niederlande vielleicht eine neue "Beurkungsgebühren-Oase" eröffnen. Andererseits könnten die von baden-württembergischen Notaren erhobene Gebühren mit dem EuGH-Urt. unter dem Gesichtspunkt vereinbar sein, daß in Deutschland durch das "Justizmitteilungsgesetz" eine Kappungsgrenze eingeführt worden ist, wonach die Höchstgebühr bei Beurkundung von Gesellschafterbeschlüssen 10.000 DM beträgt (s. dazu Neye, GmbHR 1997, R$$153; ferner s. die Pressemitteilung der Bundesnotarkoammer, ZNotP 1999, 435, die allerdings die beamteten süddeutschen Bezirksnotare gar nicht erwähnt).
 

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