Geschäftsführer: Wirksamkeit eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots mit weitem räumlichen Geltungsbereich

EGBGB Art. 6, Art. 28 Abs. 2, Art. 30 Abs. 2; Niederl. BGB Art. 7: 653; GG Art. 12 Abs. 1

Auch unter Berücksichtigung des aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Grundrechts der Berufsfreiheit kann ein nachträgliches Wettbewerbsverbot, welches dem Fremdgeschäftsführer einer GmbH für den Zeitraum eines Jahres den Wettbewerb auf dem Gebiet der Benelux-Staaten und in Deutschland untersagt, trotz des weiten räumlichen Geltungsbereichs im Einzelfall wirksam sein.

OLG Celle, Urt. v. 13.9.2000 – 9 U 110/00
rechtskräftig)

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kl. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Bekl. zu. Denn das in Art. 8 Abs. A. des zwischen den Parteien am 1.9.1998 geschlossenen Anstellungsvertrags vereinbarte Wettbewerbsverbot ist wirksam.

1. Anwendung des niederländischen Rechts

Der Senat ist der Auffassung, daß gemäß Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 30 Abs. 2 EGBGB das niederländische Recht Anwendung findet, weil die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben, der Bekl. seine Verpflichtungen aus dem Anstellungsvertrag gewöhnlich in Groningen, dem Sitz der Kl., zu erfüllen hatte (Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB) und es sich bei dem Wettbewerbsverbot um eine nachwirkende Verpflichtung aus dem Anstellungsvertrag handelt.

Die Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots richtet sich daher nach Art. 7: 653 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches. Dieser läßt in seinem § 1 die Vereinbarung eines nachvertraglichen Tätigkeitsverbots grundsätzlich zu, eröffnet aber in seinem § 2 dem Richter die Möglichkeit, eine derartige Vereinbarung in einem Prozeß ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, wenn "der Arbeitnehmer im Verhältnis zu dem zu schützenden Interesse des Arbeitgebers durch diese Vereinbarung unbillig benachteiligt wird".

Dies führt letztlich dazu, daß die vom Senat vorzunehmende Wirksamkeitskontrolle nach materiellem niederländischem Recht in gleicher Weise zu erfolgen hat, wie dies bei der Anwendung materiellen deutschen Rechts zu geschehen hätte. Denn auch hier hat eine Abwägung der gegenläufigen Interessen zu erfolgen, wobei insbesondere das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Gebot der Berufsfreiheit zu berücksichtigen ist. Dieses Grundrecht ist auch bei der Prüfung materiellen niederländischen Rechts zu beachten, weil gemäß Art. 6 EGBGB die Rechtsnorm eines anderen Staats nicht anzuwenden ist, wenn sie mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, unvereinbar ist. Überdies ist die Berufsfreiheit auch international-rechtlich anerkannt (vgl. hierzu die Nachw. bei Fischer, DB 1999, 1702 ff.) und hat ihren Niederschlag in der EU-Sozial-Charta (Titel 1 Ziff. 4) gefunden.

2. Verfügungsanspruch

Die Klausel, nach der dem Bekl. für die Dauer eines Jahres der Wettbewerb im Geschäftsbereich der Kl. auf dem Gebiet der Staaten Niederlande, Deutschland, Belgien und Luxemburg verboten ist, hält der vorzunehmenden Inhaltskontrolle stand. Entgegen der Auffassung des Bekl. ist sie insbesondere nicht deshalb unwirksam, weil sie hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs eine unbillige Benachteiligung des Bekl. beinhaltet.

Mit Rücksicht auf die vor allem bei der Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln zu beachtenden Wertentscheidungen der Verfassung – hier des Art. 12 Abs. 1 GG – läßt die höchstrichterliche Rspr. Wettbewerbsbeschränkungen nur zu, wenn sie örtlich, zeitlich und gegenständlich das notwendige Maß nicht überschreiten. Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbeschränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, daß der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung mißbräuchlich zunutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1 ff. = GmbHR 1984, 234; BGH v. 28.4.1986 – II ZR 254/85, NJW 1986, 2944; BGH v. 19.10.1993 – KZR 3/92, NJW 1994, 384 = GmbHR 1994, 45; BGH v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 f.).

Bei Anwendung dieser gefestigten Rspr. begegnet allein die räumliche Ausdehnung des Wettbewerbsverbots Bedenken, weil – dies sieht im Ergebnis auch der Bekl. so – weder die zeitliche Vorgabe (Dauer des Wettbewerbsverbots: 1 Jahr) noch der gegenständliche Bereich des Wettbewerbsverbots (Herstellung und Vertrieb von Lebensmitteln/Lebensmittelkonserven) das erforderliche Maß überschreiten und den Bekl. bei Berücksichtigung des Interesses der Kl. auch nicht unangemessen benachteiligt.

Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zur Entscheidung stehenden Falls hält der Senat vorliegend die Wettbewerbsklausel trotz der erheblichen räumlichen Ausdehnung noch für wirksam, so daß die Frage, ob bei einer zu weit gehenden räumlichen Erstreckung des Verbots die lediglich quantitative Überschreitung in Teilabschnitte zerlegbar ist – mit der Folge, daß auch eine wegen Mißachtung der räumlichen Grenzen unzulässige Wettbewerbsbeschränkung nicht nichtig ist, sondern verkürzt auf das angemessene Maß aufrecht erhalten werden kann (vgl. Hirte, ZHR 154, 443 ff.; Melullis, WRP 1994, 686 ff.; Traub, WRP 1994, 802 ff.) –, ebenso offen bleiben kann wie die weitere Frage, ob § 2 des Art. 7: 653 des niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Regelung über die "teilweise" Nichtigkeitserklärung eine derartige geltungserhaltene Reduktion ausdrücklich zuläßt.

Die Unbilligkeit der Vertragsklausel folgt nicht bereits daraus, daß der Bekl. bei Abschluß der Vereinbarung v. 1.9.1998 über umfangreiche Geschäftsbeziehungen verfügte, während die Kl. ihren Geschäftsbetrieb erst aufnehmen wollte und der Bekl. durch die Mitnahme der Geschäftspartner nach seinem Ausscheiden quasi lediglich den vor Vertragsschluß mit der Kl. bestehenden Zustand wieder hergestellt hat. Denn bei der Prüfung der Wirksamkeit des Wettbewerbsverbotes können nicht die bei Abschluß des Vertrags gegebenen Verhältnisse zugrunde gelegt werden, sondern es ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen (Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., Anh. § 6 Rn. 25; Hoffmann-Becking, FS Quack, 1991, S. 275; Scholz/U. H. Schneider, GmbHG, 8. Aufl., § 43 Rn. 135). Denn nur so kann gewährleistet werden, daß etwaige Veränderungen im gegenständlichen oder örtlichen Tätigkeitsbereich zugunsten beider Parteien bei der vorzunehmenden Interessenabwägung berücksichtigt werden können. Im übrigen ist das Schutzbedürfnis der Kl. umso größer, je stärker ihr wirtschaftlicher Erfolg von den Kenntnissen, Erfahrungen und Fähigkeiten des Bekl. als des einzigen Geschäftsführers abhängig ist.

Zugunsten der Kl. ist vorliegend zu berücksichtigen, daß jedenfalls das vom räumlichen Bereich des Wettbewerbsverbotes umfaßte Gebiet der Benelux-Staaten und Deutschlands als einheitlicher Wirtschaftsraum anzusehen ist. Dies gilt im Zuge der Öffnung des EU-Binnenmarktes im verstärkten Maße, weil hierdurch der grenzüberschreitende Warenverkehr nochmals erleichtert worden ist. Hinzu kommt, daß es sich bei dem wesentlichen Geschäftsgegenstand der Kl. um die Herstellung und den Vertrieb von Lebensmittelkonserven handelt, also einem Massengut, welches einerseits insbesondere von Großabnehmern, die ihrerseits grenzüberschreitend tätig sind, nachgefragt wird und andererseits wegen der langen Haltbarkeit auch ohne weiteres länderübergreifend transportiert und verteilt werden kann. Gerade deshalb ist eine große räumliche Ausdehnung des Wettbewerbsverbots notwendig, um ihm zur Wirksamkeit zu verhelfen, weil es aus vorbezeichnetem Grund den Abnehmern der Ware nicht darauf ankommt, diese an einem bestimmten Ort zu beziehen, weil sie nur dort zu erwerben – etwa aufgrund besonderer Kenntnisse eines Herstellungsprozesses oder aufgrund bestimmter regionaler Herkunftsbezeichnungen, auf die der Endverbraucher Wert legt – oder – etwa infolge eingeschränkter Haltbarkeit oder sonstiger, ggf. auch regionaler Besonderheiten – zu vermarkten ist.

Dem Bekl. hingegen ist es zumutbar, für den Zeitraum von einem Jahr – der den zeitlich zulässigen Rahmen von regelmäßig zwei Jahren nicht ausschöpft – den Wettbewerb zu unterlassen. Er hat in dieser Zeit die Möglichkeit, sich nach einer adäquaten Tätigkeit umzusehen und die Aufnahme einer eigenen (Konkurrenz-)Tätigkeit vorzubereiten. Dabei ist der Zeitraum von einem Jahr noch so bemessen, daß seine vorhandenen Marktkenntnisse und Geschäftsbeziehungen nicht verloren gehen. Überdies und vor allem steht ihm – zur Vermeidung wirtschaftlicher Härten – die Möglichkeit offen, nach niederländischem Recht eine Karenzentschädigung zu erstreiten.

Zu berücksichtigen ist ferner, daß das Wettbewerbsverbot nach Art. 8 des Anstellungsvertrags v. 1.9.1998 nur dann eingreift, wenn der Bekl. selbst die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses erklärt. Von dieser Möglichkeit hat er vorliegend Gebrauch gemacht, so daß die Beendigung der Tätigkeit von ihm selbst herbeigeführt worden ist; hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß er sich aus Gründen zur Kündigung gezwungen gesehen hat, die nicht in seiner Einflußsphäre lagen, sind nicht vorhanden, so daß offen bleiben kann, ob Art.8 in einem solchen Fall einschränkend auszulegen wäre. Dann hat der Bekl. aber eine größere Loyalitätspflicht gegenüber seinem früheren Arbeitgeber als in dem Fall, in dem dieser sich selbst durch die Beendigung des Anstellungsverhältnisses der Gefahr eines Wettbewerbs ausgesetzt hätte.

Schließlich ist zu Lasten des Bekl. auch zu berücksichtigen, daß dieser bereits sieben Monate vor seinem Ausscheiden bei der Kl. als Alleingesellschafter eine Gesellschaft gegründet hatte, deren Geschäftsbereich weitgehend mit dem der Kl. identisch ist, so daß er unmittelbar nach seinem Ausscheiden bei der Kl. deren Geschäfte mit seiner eigenen Gesellschaft weiterzuführen imstande war.

Zur Durchsetzung des schützenswerten Interesses der Kl., den Bekl. an der illoyalen Ausnutzung des letztlich mit ihrem Geschäftsbetrieb erzielten Erfolgs zu hindern, ist es daher im vorliegenden Fall geboten, den räumlichen Bereich des Wettbewerbsverbots wie in der Klausel enthalten auszugestalten, so daß das Wettbewerbsverbot der Wirksamkeitskontrolle Stand hält.

3. Verfügungsgrund

Neben dem somit gegebenen Verfügungsanspruch besteht zugunsten der Kl. auch ein Verfügungsgrund.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Bekl. mit der von ihm gegründeten T-GmbH in unmittelbaren Wettbewerb zu der Kl. getreten ist. Bereits hieraus rechtfertigt sich die Dringlichkeit, weil es der Kl. nicht zuzumuten ist, den vertragswidrigen Wettbewerb zu dulden, den Bekl. damit erst einmal endgültige Verhältnisse schaffen zu lassen und später Schadensersatzansprüche zu realisieren, zumal die Berechnung derartiger Ansprüche regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Überdies würde die Verneinung der Dringlichkeit u.U. dazu führen, daß die Kl. durch den vertragswidrigen Wettbewerb derart geschädigt würde, daß sie ihren Geschäftsbetrieb nicht mehr fortzusetzen imstande wäre. Dann aber könnte zweifelhaft sein, ob sie überhaupt noch ein schützenswertes Interesse an der Durchsetzung des Wettbewerbsverbots haben könnte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, daß die Kl. praktisch eine sog. Leistungsverfügung erstrebt.

Entgegen der Behauptung des Bekl. ergibt sich aus dem Vortrag der Kl. nicht, daß sie ihre werbende Tätigkeit bereits vollständig eingestellt hat. Vielmehr ist mit der eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers S lediglich glaubhaft gemacht, daß das Ausscheiden des Bekl. zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt hat und die Entlassung von 16 der zuvor 22 Mitarbeiter erforderlich gewesen ist. Nicht nur der Umstand, daß die Kl. zumindest noch sechs Mitarbeiter beschäftigt, sondern auch einen neuen Geschäftsführer angestellt hat, ist im summarischen Verfahren hinreichendes Indiz dafür, daß sie ihren Geschäftsbetrieb fortführt und daher weiterhin ein berechtigtes Interesse an der raschen Durchsetzung des Wettbewerbsverbots hat.

4. Dringlichkeit

Gegen die Dringlichkeit spricht auch nicht die prozessuale Vorgehensweise der Kl. Zwar hat diese zeitlich vor der Antragstellung im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem LG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in den Niederlanden anhängig gemacht und diesen sodann in der Folgezeit nicht weiter betrieben, doch spielt dies für die Beurteilung der Dringlichkeit im hier anhängigen Verfahren keine maßgebliche Rolle. Denn der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist beim LG am 13.3.2000 eingegangen, mithin lediglich 13 Tage nach dem Ausscheiden des Bekl. bei der Kl. Unter Berücksichtigung des Umstands, daß der Bekl. deutscher Staatsangehöriger ist und die von ihm gegründete Gesellschaft ihren Sitz gleichfalls im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat und damit ein in Deutschland erstrittener Titel einfacher und schneller als einer, der in den Niederlanden erreicht worden ist, durchgesetzt werden kann, ist es nicht zu beanstanden, daß sich die Kl. auf die Fortführung des in Deutschland anhängigen Rechtsstreits beschränkt hat.

5. Befristung des Wettbewerbsverbots bis 28.2.2001

Zutreffend hat das LG das Wettbewerbsverbot bis zum 28.2.2001 befristet. Denn entgegen der Auffassung des Bekl. kommt es für den Beginn der Jahresfrist auf den Zeitpunkt seines Ausscheidens bei der Kl. und nicht auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung an. Denn würde für die zeitliche Geltungsdauer eines Wettbewerbsverbots nicht auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, sondern auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abgestellt, dann hätte es der Bekl. in der Hand gehabt, durch frühzeitige Abgabe der Kündigungserklärung das Wettbewerbsverbot ganz oder teilweise zu umgehen. ...

– sg –
 

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