Dr. Volker Römermann,
Rechtsanwalt, Hannover

Vertreibung aus dem (Anwalts-)Paradies?

Anmerkungen zur anstehenden Reform des Rechtsberatungsgesetzes

"Das Rechtsberatungsgesetz von 1935 soll den gesellschaftlichen Bedürfnissen angepaßt werden", so lautet die knappe Aussage im rot-grünen Koalitionsvertrag. Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen meint, daß insbesondere die uneigennützige Rechtsberatung durch karitative Organisationen erlaubt werden müsse. Einen Präzedenzfall gibt es schon: Ein Mitarbeiter der Caritas hatte Schriftsätze für Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber verfaßt und damit die Anwaltskammer Stuttgart auf den Plan gerufen. Ein weiterer Fall, der die Gemüter erregte, betrifft den pensionierten Braunschweiger OLG-Richter Helmut Kramer, der nun unentgeltlich sog. Totalverweigerer berät.

Daß das Rechtsberatungsgesetz einer Reform bedarf, ist offenkundig. Das Gesetz von 1935 bildet zusammen mit seinen Durchführungsverordnungen nurmehr ein Torso. An vielen Vorschriften hat der Zahn der Zeit genagt: Lücken tun sich auf, nachdem mal der Gesetzgeber, mal die Rechtsprechung einzelne Normen modifiziert oder ganz aufgehoben haben. Manchmal finden sich schamhafte Pünktchen, wenn es um die frühere Rechtsberatungsbefugnis von NSDAP-Organisationen ging. Andere Einbruchstellen sind am Wortlaut nicht zu erkennen. Sie folgen aus einer verfassungskonformen Auslegung, durch die der Verbotsbereich in den letzten Jahren immer weiter zurückgedrängt worden ist. Zuerst durch die viel zitierte "Masterpatent"-Entscheidung des BVerfG (NJW 1998, 3481), unlängst durch mehrere BGH-Urteile über TV-Rechtsendungen (NJW 2002, 2877; 2879; 2882; 2884), jüngst durch den Erbensucher-Beschluß des BVerfG (ZIP 2002, 2048). Im ersten Fall wurden einfach gelagerte Patentverwaltungstätigkeiten gestattet, im zweiten Rechtsberatungssendungen im Fernsehen, im dritten erbrechtliche Tätigkeiten eines Serviceunternehmens der besonderen Art. Es ist nicht verwunderlich und auch nicht per se schlecht, wenn die Bundesregierung der Zerstückelung des Gesetzes nicht weiter tatenlos zusehen, sondern die Dinge in die Hand nehmen und eine vernünftige Neuregelung anschieben will.

Sinn und Zweck des Rechtsberatungsgesetzes

Welche Anpassung ist nun konkret beabsichtigt? Ginge es wirklich nur um das statistisch wie ökonomisch unbedeutende Detail der uneigennützigen Rechtsberatung durch karitative Organisationen, dann hätte sich die explizite Erwähnung im Regierungsfahrplan der nächsten vier Jahre wohl erübrigt. Nein, gemeint ist offenbar mehr, die Grundpfeiler des RBerG werden in Frage gestellt. Auch das ist völlig legitim. Der Gesetzgeber darf kein Tabu kennen. Hat er Zweifel am Sinn eines Verbotsgesetzes, dann zeugt es sogar von besonderem Verantwortungsbewußtsein, wenn Exekutive und Legislative nicht die Hände in den Schoß legen und der (Verfassungs-)Rechtsprechung (wie so oft) den schwarzen Peter zuschieben. Man muß dies hier erwähnen, weil es sich diejenigen in der Anwaltschaft schlicht zu einfach machen, die jeden Gedanken an eine Veränderung des RBerG von vornherein als Sündenfall brandmarken.

Was also sind heute die gesellschaftlichen Bedürfnisse, oder juristisch: Was ist Sinn und Zweck des Gesetzes?

Eine Rückbesinnung auf das Anliegen des historischen Gesetzgebers trägt mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung bei. Die einen verweisen auf das Jahr 1935: Den jüdischen Rechtsanwälten wird die Berufsausübung zunehmend erschwert, Juden darf eine neue Rechtsberatungserlaubnis nicht erteilt werden (§ 5 der 1. AVO RBerG a.F.), das RBerG sollte ihnen durch das Verbot der Rechtsberatung in anderer Funktion ganz die wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehen. Falsch, sagen die anderen: Die "Judenfrage" habe mit dem Gesetz gar nichts zu tun gehabt, es sei von jeher als Verbraucherschutzgesetz konzipiert worden. Mir persönlich ist die Inbrunst, mit der dieser Strauß nun schon seit Jahren ausgefochten wird, nie verständlich geworden. Denn was auch immer "der" Gesetzgeber (wer auch immer das sein mag) 1935 gedacht und gewollt hat: Jedenfalls heute ist dem Gesetz keine rassenideologische Zielrichtung mehr zu entnehmen. Ein Scheingefecht also, das viel Energie gekostet und in der Sache keinen Millimeter weiter gebracht hat.

Rechtsvergleich mit dem Ausland

Ähnlich unergiebig scheint der Rechtsvergleich mit dem Ausland zu sein. Die von RBerG-Gegnern zuweilen aufgestellte Behauptung, ein solches Gesetz gäbe es woanders gar nicht, ist in dieser Pauschalität genauso falsch wie der von RBerG-Verteidigern ausgemachte internationale Trend zur Restriktion. Richtig ist, daß einige Länder (wie etwa seit 1992 Frankreich) auch für den außergerichtlichen Bereich von einem Verbotsbedarf ausgehen, andere (wie etwa die Niederlande oder Belgien) offenbar nicht. Soweit ersichtlich, fehlt es an empirischen Untersuchungen über die tatsächlichen Auswirkungen der einen oder anderen Variante. Das ist schade und erstaunlich zugleich. Ein statistisch abgesicherter Beleg relevanter Einbußen der Rechtspflege in einem System ohne RBerG wäre allemal ein stärkeres Argument als das Operieren mit abstrakten Gefährdungen.

Vielleicht sollten die Vertreter von BRAK und DAV, soweit sie die Verteidigung des Schutzwalls "RBerG" auf ihre Fahnen geschrieben haben, einmal erwägen, eine solche Studie in Auftrag zu geben. Das ewige Klagelied über das eigene wirtschaftliche Ungemach aufgrund zunehmender Konkurrenz wird die Marktposition der Anwaltschaft nicht stärken. Wer ihr Gutes tun will, mag in der öffentlichen Wahrnehmung ein Profil hochqualifizierter Rechtsberatungsleistungen schärfen und dadurch die Nachfrage ohne übermäßige staatliche Eingriffe automatisch auf die Anwaltschaft lenken.

Europäischer Einfluß

Von vielen unbemerkt, wirken die unterschiedlichen europäischen Regelungen übrigens seit dem 14.12.2001 bereits nach Deutschland hinein. Die europäische e-Commerce-Richtlinie hat seitdem das sog. Herkunftslandprinzip auch im deutschen Recht verankert. Der europäische Anbieter elektronischer Dienste braucht nun nur noch das Recht seines Herkunftslandes zu beachten. Ein in den Niederlanden ansässiger Jura-Student darf daher völlig legal über Internet nach Deutschland hinein Rechtsberatung betreiben, ohne daß das Verbot des RBerG anzuwenden wäre. Eine dogmatisch schwer begründbare Ausnahme, ein Einfallstor für die legale Gesetzesumgehung?

Umfang des Schutzzwecks

Nur ein Gesetzeszweck läßt sich heutzutage noch sinnvoll diskutieren: Der Schutz der Rechtsuchenden vor inkompetenter Beratung und Vertretung. Im Kern ist dies ein kaum bestreitbar sinnvolles Anliegen. Auch das BVerfG (NJW 1998, 3481) und der EuGH (BRAK-Mitt. 1997, 42) haben vor diesem Hintergrund ein Gemeinwohlinteresse erkannt, dem ein Verbot diene -- allerdings nur in dem hierfür erforderlichen Umfang.

Wie aber ist dieser Umfang konkret zu fassen? Von der Wiege bis zur Bahre, eigentlich sogar vom nasciturus (§ 1923 Abs. 2 BGB) bis zur Leiche (§ 168 StGB) regeln Gesetze unser Denken und Handeln. Praktisch jede Art von Beratung schließt daher rechtliche Gegebenheiten ein, mal mehr und mal weniger. Daraus allein kann kein Verbot für andere als juristische Berufe folgen (vgl. BVerfG, ZIP 2002, 2048). Vor diesem Hintergrund gestattet etwa Dänemark ausdrücklich die rechtliche Beratung durch Architekten und Ingenieure im Rahmen ihrer Tätigkeit. In Deutschland geschieht dieselbe Beratung in einer rechtlichen Grau- oder gar Schwarzzone.

Neben der behutsamen gegenständlichen Öffnung muß tabulos über eine personelle Ausweitung erlaubter Rechtsberatung nachgedacht werden. In Frankreich etwa ist die Rechtsberatungserlaubnis nicht an einen Beruf, sondern an eine Qualifikation geknüpft: Die des Studienabschlusses "licence en droit". Dem Gemeinwohlinteresse des Publikumsschutzes vor pseudojuristischen Quacksalbern wir damit Genüge getan.

In Deutschland wird von anwaltlicher Seite auf Spezifika gepocht, die andere Berufe nicht aufweisen könnten. Unabhängigkeit, Schweigepflicht und -- damit korrespondierend -- Aussageverweigerungsrecht sowie Beschlagnahmefreiheit, Versicherungspflicht, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Jedes dieser Argumente hat Gewicht, keines vermag aber ein Totalverbot der Rechtsberatung durch Nichtanwälte zu rechtfertigen. Aus Platzgründen nur einige Stichworte:

Resumée

Das RBerG steht auf dem Prüfstand der rot-grünen Koalition. Ein Bedarf nach Modernisierung besteht. In zwei Richtungen wird eine Öffnung erfolgen: Gegenständlich und personell. Gegenständlich, indem simple Vorgänge ohne rechtlichen Tiefgang ebenso freigegeben werden wie jede Rechtsberatung als Annex zu sonstiger Beratung durch entsprechend qualifizierte Berufsgruppen (z.B. Architekten). Personell, indem Juristen mit zwei Staatsexamen nur noch dann von der Rechtsbesorgung ausgeschlossen werden, wenn ein spezifisch anwaltliches Recht oder eine solche Pflicht eine Rolle spielen, z.B. die Schweigepflicht. Die Öffnung kann mit der Einführung insbesondere einer Versicherungspflicht für diejenigen einhergehen, die neu zur Rechtsberatung zugelassen werden. Die Anwaltschaft sollte nicht der Versuchung erliegen, ihr Heil in bloßem Lamentieren zu suchen, sondern die Diskussion durch konstruktive Ansätze als Vorposten rechtlicher Qualitätssicherung prägen. Sie schafft sich hierdurch gleichzeitig eine starke Ausgangsposition im unabwendbar härteren Wettbewerb auf dem Rechtsberatungsmarkt der Zukunft.

 


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