Dr. Heribert Heckschen, Notar, Dresden

 

Deutsche GmbH vor dem Aus?

Eine merkwürdige "wissenschaftliche" Diskussion

 

Mit der Entscheidung in Sachen "Inspire Art" (GmbHR 2003, 1260 mit Komm. W. Meilicke) hat der EuGH unmißverständlich klargestellt, daß es im Bereich der Europäischen Union unzulässig ist und mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn Rechtsträger aus anderen Staaten der EU in einem Mitgliedsstaat diskriminiert werden. Die Niederlassungsfreiheit gebietet es nach Ansicht des EuGH sogar, sog. "Briefkastengesellschaften", die mit dem einzigen Zweck gegründet wurden, ein vermeintlich oder tatsächlich einfacheres Gründungsrecht eines Mitgliedslandes auszunutzen, in einem anderen Mitgliedsland voll anzuerkennen. Das Urteil des EuGH läßt wenig Raum für nationale Vorschriften, die die Handlungsfähigkeit derartiger Gesellschaften einschränken. Ernsthafte Forderungen nach sogen. Abwehrgesetzen werden auch nicht mehr erhoben. Vielmehr ist davon auszugehen, daß auch sog. "Wegzugsbeschränkungen" für unzulässig erklärt werden. Es ist zutreffend, daß damit der Wettbewerb der Rechtsordnungen eröffnet ist (s. hierzu auch KG Berlin v. 18.11.2003 -- 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 mit Komm. Mildner/Kleinert -- in diesem Heft).

 

Zum Stand der Diskussion

Befremdlich und merkwürdig ist zum Teil die Diskussion, die sich an diese Entscheidung des EuGH angeschlossen hat. Wer erwartet hatte, daß nun die Teilnehmer des Wettbewerbs seitens der Wissenschaft und Praxis genau untersucht würden und Vor- und Nachteile einer Abwägung unterzogen werden, ist überwiegend enttäuscht (positive Ausnahmen: Maul/Schmidt BB 2003, 2297 sowie Kanzleiter DNotZ 2003, 885). Wissenschaftler und Praktiker in gehobenen Funktionen verkünden ohne weitere Klarstellung zu den Eigenheiten beispielsweise einer Ltd., daß es sich um eine überlegene Rechtsform handele, die die deutsche GmbH in die Bedeutungslosigkeit schicke. Würde das deutsche GmbH-Recht nicht sofort geändert, so stehe die GmbH vor dem Aus.

Es darf nicht erstaunen, wenn diejenigen, die derartige Ltd's vertreiben oder von ihrer Existenz meinen, deswegen gut leben zu können, weil der Beratungsbedarf in der ausländischen Rechtsordnung sicherlich erheblich sein wird, derartige Forderungen erheben. Wenn sich aber nicht nur diese interessierten Kreise, sondern auch Wissenschaftler und Vertreter öffentlicher Körperschaften in der vorbeschriebenen Weise hervortun und gar den Gesetzgeber bedrängen, darf der Ruf nach einer Denkpause nicht ausbleiben.

Es wird behauptet, der Eingang in die ausländische Rechtsform sei einfacher und die ausländische Rechtsform sei wesentlich kostengünstiger als die deutsche GmbH. Von denjenigen, die es besser wissen sollten, wird darauf hingewiesen, daß die deutsche GmbH-Gründung exorbitant teuer sei. Dabei wird bewußt verschwiegen, daß die Eintragung einer deutschen Ein-Mann-GmbH inklusive notarieller Beurkundung nur ca. 380 Euro ausmacht und davon ca. 80 Euro (neue Bundesländer) an den Notar gehen. Der Hauptposten der Kosten besteht in den Veröffentlichungsgebühren. Zugegebenerweise sind die Gebühren für die Ersteintragung ohne jegliche juristische Betreuung in England noch ein wenig günstiger. Angesichts der vorgenannten Summen die Notargebühren z.B. als Nachteil der deutschen GmbH-Gründung darzustellen, ist schlichtweg abwegig. Interessant ist, daß nun aber nicht weiter untersucht wird, ob dieser preiswerte Eingang in das Haus der englischen Ltd. sich wirklich lohnt. Selbst derjenige, der perfekt englisch spricht und die 'statutes' seiner Gesellschaft versteht, wird anders als dies der EuGH unterstellt, mit dieser Rechtsform wenig anzufangen wissen und der intensiven anwaltlichen Beratung bedürfen. Dies ist sicherlich aus anwaltlicher Sicht, insbesondere aus Sicht der Kanzleien mit einer Verbindung nach England, begrüßenswert. Aus welchen Gründen dies für den Geschäftsverkehr allgemein wünschenswert ist, bleibt nur schwer nachvollziehbar. Es bleibt auch offen, ob wirklich der deutsche Unternehmer weiß, was er nun tut. Er wird sicherlich verwundert sein, wenn er zur Kenntnis nimmt, daß nicht nur der sog. "annual return" vorzulegen ist, sondern daß die englischen Register die Pflicht zur Bilanzvorlage deutlich ernster nehmen als die deutschen Handelsregister. Wer hier seine Bilanz ("accounts") nicht pünktlich vorlegt, bekommt eine Abmahnung und wird dann nach Verhängung einer Geldstrafe (gegenüber den Direktoren und secretary) gelöscht. Über die Direktoren kann darüber hinaus für 5 Jahre das Verbot der Amtsausübung verhängt werden. Interessant dürfte es für den deutschen Unternehmer auch sein, daß er zwingend mit der Gründung einer Gesellschaft in England einen englischen Gerichtsstand begründet. Ein Argument übrigens, was seit Jahrzehnten dagegen sprach, die leicht verfügbaren US-Gesellschaften mit Sitz in Delaware zu wählen. Die laufenden Unterhaltungskosten der Gesellschaft werden ebenfalls verschwiegen. Für einen Briefkasten ('registered office'), der mit keinerlei wirtschaftlichem Nutzen für den Unternehmer verbunden ist, wird eine jährliche "Pflegegebühr" bezahlt. Es sind dort zusätzlich die wesentlichen Unterlagen der Gesellschaft aufzubewahren. Schon bei einem Umsatz von 1 Mio. Pfund und einer Bilanzsumme von mehr als 1.400.000 Pfund muß ein Wirtschaftsprüfer bestellt werden. Auf die weiteren Kosten, die mit der Errichtung eine Zweigniederlassung in Deutschland verbunden sind, wird ebenfalls selten hingewiesen. Die umfangreichen Regreßgefahren (z. B. "wrongful trading rule") für die handelnden Geschäftsführer (directors und die möglicherweise hinter ihm stehenden "shadow directors") werden geflissentlich unter den Tisch gekehrt. Die Gesellschaft muß nicht nur einen 'director', sondern auch noch einen 'secretary' als weiteres Pflichtorgan vorweisen.

 

Steuerliche und unternehmerische Aspekte

Steuerliche Nachteile, wie die grundsätzliche Besteuerung der Anteilsübertragung, bleiben unerwähnt. Es dürfte auch auf der Hand liegen, daß nicht nur die rechtliche, sondern auch die steuerliche Beratung des Unternehmers aufwendiger ist als bei einer deutschen GmbH und das andersartige Bilanzierungsrecht (UK-GAAP) sicherlich nicht Kosten spart, sondern solche produziert; dies zumal bei Wahl des "eigentlichen" Geschäftssitzes in Deutschland  auch noch deutsches Recht zu beachten ist.

Schließlich darf man auch darüber nachdenken, ob die Verwendung der Rechtsform den unternehmerischen Zielen des deutschen Unternehmers dienlich ist. Daran kann man mit einiger Sicherheit zweifeln:

Der Unternehmer betreibt in der Regel eine GmbH nicht aus dem Grund, diese nur zu "halten", sondern er will damit in der Öffentlichkeit auftreten. Aus welchen Gründen sollte der Geschäftsverkehr, der zugegebenerweise schon gewisse Vorbehalte gegenüber der GmbH hat, nun die Verwendung der Ltd. goutieren? Sicher, wenn sich über die Ltd. oder eine andere "europäische GmbH" die deutsche Mitbestimmung oder die Rechtsstellung der Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter umgehen oder aushöhlen läßt, dann wird diese Rechtsform eine Zukunft haben. Sollte im Einzelfall bspw. für eine Holding das englische Steuerrecht vorteilhafter sein, so mag dies ein Argument sein. Dann aber muß man nicht über die GmbH, sondern über das deutsche Arbeits-, Mitbestimmungs- und Steuerrecht nachdenken.

Interessant ist auch, wer sich derzeit hauptsächlich der Ltd. bedient. Dies sind nach Aussage von Hirte (Vortrag auf der Gesellschaftsrechtlichen Jahrestagung des DAI am 15.11.2003) vor allem drei Personengruppen:

1.   Unternehmer, die einen Handwerksbetrieb führen wollen und weder selbst Meister sind noch einen solchen beschäftigen wollen;

2.   Gesellschaften, die von einem Gesellschaftergeschäftsführer betrieben werden wollen, der selbst die entsprechenden Erklärungen nach § 6 GmbHG wegen einschlägiger Vorstrafen nicht abgeben kann;

3.   Gesellschaften, die mit einem von Anfang an hohen Insolvenzrisiko gegründet werden und die strafbewehrte Versäumung der Insolvenzantragspflicht umgehen wollen.

Führt man sich diese Fallgruppen vor Augen, so ist es erst recht nicht angebracht, das deutsche GmbH-Recht gänzlich in Frage zu stellen. Es kann basierend auf diesen Erkenntnissen mit einiger Sicherheit davon ausgegangen werden, daß die englische Ltd. der deutschen GmbH nicht in nennenswertem Umfang "Marktanteile" abnimmt. Dies sicherlich jedenfalls dann nicht, wenn der deutsche Rechts- und Wirtschaftsverkehr über die Vor- und Nachteile dieser Rechtsform umfassend informiert wird.

 

Sinn eines Mindeststammkapitals

In der vorgenannten Diskussion wird auch gefordert, man müsse auf die Aufbringung eines bestimmten Stammkapitals verzichten, um die deutsche GmbH attraktiv zu halten. Man mag sicherlich über die Vor- und Nachteile von Kapitalgesellschaftsrechtssystemen mit und ohne gesetzlich vorgeschriebenem Stammkapital diskutieren. Leider kommt dabei ein Gesichtspunkt zu kurz: Den Haftungsschirm, den die GmbH gewährt, auch denjenigen zugänglich zu machen, die nicht einmal das ohnehin für den späteren Betrieb erforderliche Kapital von zumindest 12.500 Euro aufbringen können, ist nicht nur dem Geschäftsverkehr gegenüber bedenklich, sondern kann auch nicht im wohlverstandenen Eigeninteresse des Gründers liegen. Wer nicht einmal gemeinsam mit seinen Gesellschaftern 12.500 Euro aufbringt als Vermögensmasse, mit der er für seine Geschäftszwecke wirtschaften darf, sollte sich überlegen, ob der Start in das Unternehmertum nicht ein wenig zu früh kommt. Die deutschen Stammkapitalziffern sind sicherlich nicht -- mehr -- geeignet, für eine ausreichende Kapitalisierung der Gesellschaften zu sorgen. Diese geringfügige Eintrittsgrenze in das beschränkt haftende Unternehmertum wirkt aber gleichwohl sehr positiv gegenüber denjenigen, die zu schnell und zu unüberlegt mit ihrer Geschäftsidee und einer beschränkten Haftung den Wirtschaftsverkehr und sich selber gefährden.

 

Formfreiheit oder Formzwang von Anteilsübertragungen?

Letztlich noch ein Wort zur Forderung nach der Formfreiheit von Anteilsübertragungen:

Die Formbedürftigkeit der GmbH-Anteilsübertragung ist nach Auffassung einiger Stimmen aus der Praxis und Lehre angeblich ein wesentliches Negativkriterium zu Lasten der deutschen GmbH. Unerwähnt bleibt in diesem Zusammenhang, daß GmbH-Anteilsübertragungen in den weit überwiegenden Fällen Geschäftswerte von unter 100.000 Euro aufweisen und damit Notargebühren von weniger als 420 Euro. Die Gegenleistung besteht in einer juristisch betreuten, strukturierten, beweissicheren und auch gegenüber Umgehungen und Täuschungen Dritter sowie der staatlichen Behörden abgefaßten Urkunde. Diese kann sicherlich auch durch die Anwälte beider Beteiligten aufgestellt werden. Bei Großtransaktionen führt i.Ü. die nun vorgesehene Begrenzung des Geschäftswertes der Notargebühren dazu, daß sich die Beurkundungskosten im untersten Promillebereich bewegen.

Mit Sicherheit ist unter dem Strich davon auszugehen, daß die bisher große Zahl der Beurkundungen (mit geringen Notargebühren) subventionierter Anteilsübertragungen unter dem Strich durch die dann erforderliche Einschaltung von Rechtsanwälten deutlich teurer wird.

Die Vertreter großer überregionaler und international tätiger Anwaltssozietäten, denen Geschäftsanteilsübertragungen mit derartig geringen Werten seltener auf den Tisch kommen, sollten nicht ihre Erfahrungen aus Großtransaktionen, bei denen hochqualifizierte Rechtsanwälte beide Seiten beraten, mit der sozialen Wirklichkeit verwechseln, in der die Mehrzahl der Transaktionen nicht in einem derartigen wirtschaftlichen Umfeld und häufig eben auch ohne Anwälte stattfindet.

 

Forderungen an die weitere Diskussion

Eine seriöse wissenschaftliche Diskussion wird durch folgende Aufgaben geprägt sein:

1.   die Erscheinungsbilder der verschiedenen Rechtsformen in der Europäischen Union mit ihren Vor- und Nachteilen zu analysieren,

2.   die bisher noch nicht geklärten Auswirkungen des Auftretens ausländischer Gesellschaften in Deutschland, insbesondere das Insolvenzrecht aber auch das Strafrecht sowie die einzelnen Fragen der Haftung betreffend, zu untersuchen,

3.   umfassende und faire Kostenvergleiche nicht nur unter Berücksichtigung der Gründung, sondern auch des weiteren Lebens der Gesellschaftsform durchzuführen. Wer über Kosten spricht, sollte alle Kosten, die der Betrieb einer GmbH mit sich bringt (Eintragungskosten, IHK-Beiträge, Aufwendungen für öffentlich-rechtliche Genehmigungskosten/Notarkosten) mit im Blick behalten.

4.   Die Diskussion über den Mißbrauch der GmbH und entsprechende Verhinderungsmöglichkeiten muß jetzt intensiviert werden. Dabei erscheint mir die effektive Durchsetzung von bisher schon bestehenden Möglichkeiten im Vordergrund zu stehen.