Bernd Weller,
Rechtsanwalt, Frankfurt a. M.*

Reform des Kündigungsschutzes nach den Plänen der Bundesregierung

"Gemeinsam für Deutschland -- mit Mut und Menschlichkeit" -- so lautet der Titel des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD vom 11.11.2005 (www.bundesregierung.de/Anlage920135/Koalitionsvertrag.pdf). "Lasst uns mehr Freiheit wagen" -- so appellierte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vom 30.11.2005 an Parlament und Gesellschaft.

Wird die angekündigte Politik der Großen Koalition diesen Vorgaben gerecht? Die Antwort auf diese Frage bleibt jedem einzelnen überlassen. Dieser "Blickpunkt" soll nur ein Streiflicht auf ein einziges Reformvorhaben werfen -- die angekündigte Reform des KSchG.

Was will die Große Koalition? Sie will mehr Transparenz und Rechtssicherheit für Beschäftigte und Arbeitgeber schaffen, indem der Kündigungsschutz einfacher gestaltet wird. Als Nebeneffekt soll durch die angepeilte "Weiterentwicklung des Kündigungsschutzrechts" eine Entlastung der Arbeitsgerichte eintreten. Die geplanten Regelungen im Einzelnen:

Verlängerung der Wartefrist

Die gesetzliche Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG, wonach das KSchG nur auf solche Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits länger als sechs Monate bestehen, soll verlängert werden. Dadurch soll aber keine gesetzliche Mussvorschrift geschaffen werden. Weit gefehlt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben zukünftig die Möglichkeit, vertraglich eine Wartefrist von bis zu 24 Monaten zu vereinbaren. Der Privatautonomie werden im Arbeitsrecht (sic!) neue Spielräume eröffnet.

Abschaffung der sachgrundlosen Befristung

Da der Koalitionsvertrag aber einen Kompromiss der beiden großen Volksparteien darstellt, kann diese -- scheinbar -- arbeitgeberfreundliche Reform nicht ohne Abstriche an anderer Stelle vorgenommen werden.

Damit die Beschäftigten eine verlässliche Vertragsgrundlage haben und mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse begründet werden, soll künftig die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen für die Dauer von zwei Jahren (§ 14 Abs. 2 TzBfG) ersatzlos gestrichen werden. Existenzgründer sollen aber weiterhin in den Genuss von vierjährigen sachgrundlosen Befristungen (§ 14 Abs. 2a TzBfG) kommen -- allerdings nur, wenn sie nicht zugleich die Verlängerung der Wartefrist vereinbaren.

Qui bono?

Was bedeutet dieses Reformpaket für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite? Wer hat beim Kompromiss besser abgeschnitten?

Für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen wird sich gar nichts ändern. Bereits bestehende Arbeitsverhältnisse werden weiterhin nach altem Recht zu behandeln sein. Eine Vereinbarung der verlängerten Wartefrist wird bei bestehenden Arbeitsverhältnissen wohl auch dann nicht zulässig sein, wenn die derzeit maßgebliche 6monatige Wartefrist noch nicht abgelaufen ist. Arbeitgeber, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, Spezialisten zu finden, werden diese nicht durch eine verlängerte Wartefrist verprellen wollen. Bei ihnen waren auch sachgrundlose Befristungen nie ein Thema.

Was gilt aber für die anderen Arbeitsverhältnisse? Wo sind die Stolpersteine?

AGB-Kontrolle

Die Verlängerung der Wartefrist muss vertraglich vereinbart werden. Bereits an diesem Punkt lauert ein Stolperstein auf die Arbeitgeber. Diese werden eine entsprechende Klausel schließlich formularmäßig verwenden wollen. Damit muss die Klausel die Hürde der AGB-Kontrolle nehmen. Als Verwender der AGB muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die Klausel transparent, verständlich und nicht überraschend ist. Bedenkt man, dass die Verlängerung der Wartefrist in der breiten Öffentlichkeit als Verlängerung der Probezeit diskutiert wird (vgl. nur FAZ v. 12.11.2005, S. 2), ist bei der Vertragsgestaltung -- ohne Beratung -- durchaus mit Fehlern zu rechnen. Die Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) ist von Bedeutung für die Dauer der Kündigungsfrist, während die Wartefrist über die Anwendbarkeit des KSchG entscheidet. Bei beiden Begriffen handelt es sich um termini technici. Dass die Gerichte die Vereinbarung einer Probezeit von 24 Monaten als Verlängerung der Wartefrist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG auslegen werden, ist nicht zu erwarten. Realistischerweise wird dies zu einer Zweiteilung der Arbeitgeberlager führen: Die einen vereinbaren ggf. unwirksame Wartefristklauseln und handeln sich damit einen Arbeitnehmer mit "normalem" Kündigungsschutz ein. Die anderen werden -- von Arbeitsrechtlern beraten -- eher vorsichtig mit der Materie umgehen und ggf. erste arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu derartigen Klauseln abwarten, bis sie selbst die Lage als hinreichend rechtssicher einschätzen. Im Ergebnis verschlechtert sich damit -- zumindest vorübergehend -- die Lage für die Arbeitgeberseite -- Vorteil für die Arbeitnehmerseite.

Betriebsratsanhörung

Auch wenn die wirksame Vereinbarung der Wartefristverlängerung gelingt, sind längst nicht alle Stolpersteine für den Arbeitgeber überwunden. Unabhängig von der Anwendbarkeit des KSchG muss vor einer Kündigung stets der Betriebsrat nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört werden. Im Gegensatz zur Befristung endet das Arbeitsverhältnis nämlich nicht automatisch mit Ablauf eines bestimmten Datums (etwa dem Ende der Wartefrist), sondern nur nach einer wirksamen Kündigung. Jeder Arbeitgeber und arbeitsrechtlich tätige Anwalt kennt die Tücken dieses Anhörungsverfahrens. Vergleicht man also die zukünftige Rechtslage (verlängerte Wartefrist) mit der bisherigen (Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung), führen die geplanten Änderungen der Koalitionsvereinbarung zu einer Situationsverschlechterung für die Arbeitgeber -- ein klarer Punkt für die Arbeitnehmer.

Sonderkündigungsschutz

Statt den Ablauf einer sachgrundlosen Befristung abwarten zu können, muss ein Arbeitgeber in Zukunft -- innerhalb der (verlängerten) Wartefrist die Kündigung aussprechen.

Bei Arbeitnehmern, die Sonderkündigungsschutz genießen, ist das aber -- unabhängig von der Geltung des KSchG -- schwer. Diesen Schutz genießen beileibe nicht nur Schwangere, sondern auch Schwerbehinderte, Arbeitnehmer in Elternzeit und -- nicht zu vergessen -- vor allem die Mitglieder von Betriebsratsgremien und die entsprechenden Wahlbewerber. Diese Arbeitnehmergruppen sind durch die Wartefristverlängerung bedeutend besser gestellt als in sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen -- noch ein Punkt für die Arbeitnehmer.

Hemmschuh BAG?

Schließlich stellt sich der Arbeitsrechtler die Frage, ob die Große Koalition mit ihrem Reformpaket am Ende nicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Zwar ist der Wortlaut des § 1 Abs. 1 KSchG (mutmaßlich auch der künftige) eindeutig: Vor Ablauf der Wartefrist gilt das KSchG nicht. Kündigungen dürfen also vor Ablauf der Frist auch ausgesprochen werden, ohne dass diese sozial gerechtfertigt sind (d.h. keine Sozialauswahl, Überprüfung der Kündigungsgründe nur auf Willkür).

Das BAG hat diese gesetzliche Wertung des KSchG bislang auch stets respektiert. Dem Gerechtigkeitsgefühl widersprach dies auch nicht; solche Arbeitnehmer waren schließlich erst wenige Wochen/Monate im Betrieb und wären auch bei Anwendbarkeit der Sozialauswahl in aller Regel von der Kündigung betroffen gewesen.

In sog. Kleinbetrieben, deren Arbeitnehmer also den Schutz des KSchG mangels hinreichender Belegschaftsstärke nicht genießen, sieht dies bisweilen anders aus. Das Judiz der billig und gerecht Denkenden lässt schließlich nicht unberührt, wenn in Kleinbetrieben ein 50jähriger mit 30jähriger Betriebszugehörigkeit zugunsten eines 20jährigen gekündigt wird. Das BAG hat denn auch bei Kleinbetrieben das "Hintertürchen" des § 242 BGB einen Spalt breit geöffnet: Auch der Arbeitgeber in Kleinbetrieben soll soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben (vgl. BAG v. 6.2.2003 -- 2 AZR 672/01, BB 2003, 1437). Das riecht zumindest nach KSchG "light".

Ob das BAG diese Hintertüre zukünftig auch in Großbetrieben für Arbeitnehmer mit langer Wartefrist aufstoßen will, ist wohl eher fraglich. Ein Zweifel bleibt dennoch. Unter Beachtung dieser Unwägbarkeit kann die Verlängerung der Wartefrist wegen der Kündigungserleichterungen mit einem Punkt für die Arbeitgeber gewertet werden.

Gestaltungsspielräume?

Die Koalitionsvereinbarung sieht ausdrücklich vor, dass die Verlängerungsoption auch dann zulässig sein soll, wenn der Arbeitnehmer bereits zuvor bei diesem Arbeitgeber beschäftigt war. Zwischen dem Ende der letzten Beschäftigung und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses müssen allerdings 6 Monate liegen. Im Vergleich zur unsäglichen Regelung in § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG kann dies im Interesse der Rechtssicherheit nur begrüßt werden. Die Wirksamkeit der vereinbarten Verlängerung hängt nicht mehr davon ab, ob der konkrete Arbeitnehmer evtl. einmal als Werksstudent oder für einen mittlerweile übernommenen Arbeitgeber (§ 613a BGB) tätig war.

Besonders findige Arbeitgeber könnten auf die Idee kommen, ihren Bedarf an Saisonarbeitskräften auf diese Weise zu decken, ohne ein Dauerarbeitsverhältnis zu riskieren… Schon wegen der gewonnenen Rechtssicherheit ein klarer Punkt für die Arbeitgeber.

Fazit

Ein Unentschieden mit leichten Vorteilen für die Arbeitnehmerseite. Ein überraschendes Ergebnis? Wenn man die erstaunlich schwachen Proteste aus SPD- und Gewerkschaftskreisen, die wohl eher "ritueller Natur" waren, bedenkt, wohl nicht. Aus Arbeitgebersicht sind die geplanten Änderungen im KSchG und TzBfG jedenfalls weder mutig noch freiheitlich. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die angekündigte Messlatte der Regierung, können kaum als Einladung zur Neueinstellung verstanden werden…

 

* Internationale Sozietät Lovells.



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