Marcel Grobys
Rechtsanwalt, München*

Das "Hartz-Konzept" und was daraus wurde (wird)

Die unabhängige Kommission "Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" unter dem Vorsitz von Peter Hartz hat ihren Abschlußbericht am 16.8.2002 medienträchtig an Bundeskanzler Gerhard Schröder übergeben. Die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie eine Verbesserung der Qualität und Schnelligkeit in der Vermittlung von Arbeitslosen standen im sog. "Hartz-Konzept" im Mittelpunkt. Damit wollten Peter Hartz und seine Mitstreiter die Arbeitslosenzahlen in überschaubarer Zeit halbieren. In Anlehnung an den Arbeitstitel der Kommission verabschiedete der Bundestag am 15.12.2002 ein gleichnamiges Gesetzespaket, welches auf Entwürfen der Regierungskoalition (BT-Drucks. 15/25 und 15/26) sowie Änderungen durch den Ausschuß für Wirtschaft und Arbeit (BT-Drucks. 15/77) basierte. Bereits in diesem Gesetzpaket waren aufgrund des Drucks von Interessenverbänden, insbesondere der Gewerkschaften, wesentliche Elemente des Hartz-Konzepts in ihrer ursprünglichen Form nicht enthalten. Im Vermittlungsausschuß des Bundesrats haben erneute Kompromisse zu einer weiteren Verwässerung des Konzepts geführt. Das Ergebnis ist ein Sammelsurium von administrativen, arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Maßnahmen (Gesetzestext veröffentlicht in BGBl. I 2002, 4607 ff.), deren Berechtigung im Hinblick auf das erklärte Ziel fragwürdig ist, ganz gleich ob man die Ideen von Peter Hartz an sich für sinnvoll hält oder nicht (vgl. kritisch Bericht des wissenschaftlichen Beirats des BMA v. 15./16.11.2002).

Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes

Durch eine Neufassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) muß Leiharbeitnehmern künftig für die Dauer der Überlassung mindestens ein Arbeitsentgelt gewährt werden, das dem Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb entspricht ("Equal pay"). Dies macht den Einsatz von Leiharbeitnehmern wirtschaftlich in hohem Maße unattraktiv. Eine Ausnahme gilt lediglich für Arbeitslose in den ersten 6 Wochen, die vom Verleiher neu eingestellt werden. Desweiteren soll Equal pay nicht für solche Verleihunternehmen gelten, die mit den Gewerkschaften besondere Lohntarifverträge abgeschlossen haben. Die "Flucht in den Tarifvertrag" ist damit praktisch gesetzlich vorprogrammiert. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen hat der Gesetzgeber schlichtweg ignoriert (vgl. BT-Drucks. 15/91, S. 12). Ursprünglich hatte die Hartz-Kommission dagegen eine sechsmonatige Probezeit vorgesehen, in der die sog. Personal-Service-Agenturen (PSA) lediglich einen Nettolohn in Höhe des Arbeitslosengeldes hätten zahlen müssen. "Equal pay für Alle" steht hingegen nicht im Hartz-Konzept.

Erleichterte sachgrundlose Befristung

Eine Befristung von Arbeitsverträgen ist ab dem 1.1.2003 ohne sachlichen Grund unbegrenzt möglich, sofern der Arbeitnehmer das 52. Lebensjahr vollendet hat. Damit wird die ehemals in § 14 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) enthaltene Grenze (58. Lebensjahr) spürbar gesenkt. Dies gilt jedoch nur bis zum 31.12.2006. Danach tritt die alte Regelung automatisch wieder in Kraft. Problematisch ist allerdings, daß § 14 Abs. 3 TzBfG mittlerweile nahezu von der "versammelten Arbeitsrechtswissenschaft" (Preis, FAZ v. 11.11.2002, S. 15) wegen Diskriminierung wegen Alters als europarechtswidrig angesehen wird (Richtlinien 1999/70 sowie 2000/78). Der arbeitsmarktpolitische Effekt dieser Änderung dürfte sich demzufolge in Grenzen halten.

Informationspflichten des Arbeitgebers

Das Arbeitsförderungsrecht sieht künftig die Verpflichtung des Arbeitgebers vor, an der Vermeidung von Arbeitslosigkeit durch eine rechtzeitige Aufklärung des Arbeitnehmers über die Notwendigkeit eigener Aktivitäten bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung, insbesondere das Erfordernis einer rechtzeitigen Arbeitslosmeldung, zu informieren. Hierzu wird § 2 Abs. 2 SGB III um eine besondere Informationspflicht ergänzt. Welche Folgen bei einer Nichtbeachtung dieser Vorschrift eintreten, ist noch nicht abzusehen.

Befreiung vom Arbeitgeberanteil zur Arbeitslosenversicherung und Entgeltsicherung

Einen wirtschaftlichen Anreiz zur Einstellung eines älteren Arbeitslosen sieht § 421k SGB III bis zum 31.12.2005 vor. Danach werden Arbeitgeber von der Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung befreit, sofern erstmalig ein Beschäftigungsverhältnis mit einem Arbeitslosen, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, begründet wird. Über fünfzigjährige Arbeitnehmer erhalten darüber hinaus einen Zuschuß als "Entgeltsicherung", sofern sie ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer schlechter bezahlten Beschäftigung beenden. Der Zuschuß beträgt 50 % der Nettoentgeltdifferenz zwischen der Beschäftigung vor und nach der Arbeitslosigkeit. Zusätzlich zahlt die Bundesanstalt einen höheren Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung (Basis 90 % des früheren Arbeitsentgelts). Aus Sicht der Unternehmen ergeben sich allerdings kaum Einstellungsanreize, da der Zuschuß nur gezahlt wird, sofern die Entlohnung der neuen Beschäftigung mindestens Tariflohnniveau entspricht.

"Ich-AG"

Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ihre Arbeitslosigkeit beenden, sollen künftig für die Dauer von maximal drei Jahren einen Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründerzuschuß haben, soweit das prognostizierte Einkommen unter 25.000 Euro jährlich liegt. Auch hier sieht die verabschiedete Gesetzesfassung flankierende Regelungen vor, die verfassungsrechtlich problematisch sind: Für Existenzgründer, die den genannten Zuschuß beziehen, gilt kraft Gesetzes eine Fiktion "echter" Selbständigkeit. Die sozialversicherungsrechtlichen Mechanismen zur Beurteilung, ob ein Beschäftigungsverhältnis oder eine freie Mitarbeit vorliegen, werden damit für die betroffene Personengruppe außer Kraft gesetzt. Dies dürfte mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar sein (Art. 3 Abs. 1 GG), abgesehen davon, daß damit möglichem Mißbrauch (Umwandlung von regulärerer Beschäftigung in bezuschußte "freie Mitarbeit") Tür und Tor geöffnet ist. Die beitragsrechtliche Behandlung der Einnahmen der Ich-AG soll später in einem eigenen Gesetzespaket ("Small Business Act") geregelt werden.

"Mini-Jobs"

Weitgehende Änderungen erfährt das Recht der geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer (sog. "Mini-Jobs"). Künftig muß zwischen verschiedenen Entgeltgrenzen differenziert werden: Bis zu einem Monatsverdienst von 400 Euro (vormals 325 Euro) zahlt allein der Arbeitgeber eine Pauschalabgabe von 25 % (bei haushaltsnahen Dienstleistungen 12 %), die Kranken-, Rentenversicherung und Einkommensteuer abdeckt. Ein Mini-Job kann auch neben einer Hauptbeschäftigung ausgeübt werden. In einer Gleitzone zwischen 400 und 800 Euro monatlich steigen die vom Arbeitnehmer zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge linear von ca. 4 % bis zum vollen Arbeitnehmeranteil von 21 % an, während der Arbeitgeber stets den vollen Beitrag trägt. Der Beitragseinzug und das Meldeverfahren werden zentralisiert (Bundesknappschaft). Diese Regelungen treten zum 1.4.2003 in Kraft. Möglicherweise kann damit die Schwarzarbeit zurückgedrängt werden. Den Arbeitslosen hilft dies aber nur wenig.

Vorläufiges Fazit

Ob die gesetzgeberischen Maßnahmen tatsächlich zu mehr Beschäftigung führen, ist mehr als zweifelhaft. Besonders die als Hoffnungsschimmer geltende Zeitarbeitsbranche bleibt nicht verschont. Mit der Pflicht zum Equal pay werden nicht alte Hürden abgebaut, sondern neue Hürden errichtet. Gleichzeitig erhalten die Gewerkschaften ein neues Spielfeld. Zu Recht beschwert sich daher der Kommissionsvorsitzende, daß "wichtige Teile des Konzepts fehlen" und dieses "nicht eins zu eins umgesetzt wurde" (Der Spiegel Nr. 48/2002, S. 31 ff.). Echte Anreize zur Einstellung von Arbeitnehmern und der Schaffung von Arbeitsplätzen als Voraussetzung eines substantiellen Rückgangs der Arbeitslosenzahlen sind dagegen nicht ersichtlich. Dafür mangelt es den Neuregelungen an einer klaren Linie und der nötigen Konsequenz. Welches Ausmaß muß die Arbeitslosigkeit noch annehmen, damit endlich auch unbequeme Schritte zu ihrer Beseitigung in Betracht gezogen werden? Vorschläge hierfür liegen bereits vor (vgl. Bauer, NZA 2002, 529 sowie Sinn, Handelsblatt v. 30./31.12.2002, S. 10).

 

* Lovells.


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