Dr. Dr. Christian Schulte, M.A., Berlin*

Once upon a time -- oder:    
der "Drachenstich" des Kammergerichts und das jähe Ende des Firmenrechts in Deutschland

Vor langer, langer Zeit gab es in einem Staat, der damals Preußen hieß und der durch ein Gesetz des alliierten Kontrollrates v. 25.2.1947 aufgelöst wurde, ein Firmenrecht. Es galt als sehr fortschrittlich, forderte es doch von der Firma eines Unternehmens, dass diese zum einen Kennzeichnungs- und Unterscheidungskraft besitzen möge, zum anderen aber auch nicht irreführend sein sollte. Dies sollte keine ungeliebte staatliche Schikane darstellen, sondern dem Geschäftsverkehr Rechtssicherheit bescheren und dem Wohl der Kaufleute dienen. Weder sollte sich der Rechtsverkehr durch die Verwendung einer Firma über die tatsächlichen Gegebenheiten der Unternehmen täuschen, noch sollte es zu einer Verwechslung eines Unternehmens mit einem anderen Unternehmen kommen können. Dabei galt das in Preußen wohlbekannte "Müller-Arnold-Prinzip", was beinhaltete, dass derjenige, der zuerst kommt, auch zuerst "mahlen" darf. Und damit nicht ein einzelner die gesamte "Mühle" blockieren durfte, war die Verwendung einer reinen Sachfirma wie etwa "Textilhandel GmbH" ohne individualisierenden Zusatz nach der jetzt in § 18 Abs. 1 HGB normierten Regelung unzulässig. "Freihaltebedürfnis" nannte dies im Jahre 2003 das damals noch existente Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG v. 1.7.2003 -- 3Z BR 122/03, GmbHR 2003, 1003), im konkreten Fall für eine Firma "Profi-Handwerker".

Nun begab es sich aber fast genau drei Jahre später, dass sich ein Unternehmen im Bezirk des jetzigen Berliner und ehemals preußischen Kammergerichts auf den Weg machte, um unter der Firma "Autodienst Berlin", nur noch ergänzt um den Rechtsformzusatz, tätig zu werden. Uneinsichtige Mächte trieben daraufhin ihr Unwesen und versuchten, das junge Firmenglück im Handelsregisterverfahren aufzuhalten. Sie waren der Meinung, die Firma besitze keine Unterscheidungskraft, d.h. sie sei nicht geeignet, den Unternehmensträger von anderen zu unterscheiden (vgl. KG Berlin v. 11.9.2007 -- 1 W 81/07, GmbHR 2008, ??? -- in diesem Heft), wie dies von der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher etwa bei Firmen wie "Kaufstätten für alle", "Profi-Handwerker", "Video-Rent" oder "Leasingpartner" angenommen wurde (vgl. hierzu Koller/Roth/Morck, HGB, § 18 Rz. 4 mit umfangreichen weiteren Nachw.) und wie dies der BGH bei rein geographischen Bezeichnungen, verbunden mit allgemeinne Beschreibungen des Unternehmensgegenstandes annimmt (BGH v. 24.2.1994 -- I ZR 230/91, NJW-RR 1994, 1255), es sei denn, es tritt ein individualisierender Zusatz hinzu (vgl. hierzu Koller/Roth/Morck, HGB, 5. Aufl. 2005, § 18 Rz. 4).

Doch es gab einen Retter in der Not: Das besagte Kammergericht.

Der tapfere Erste Senat, seines Zeichens zuständig als Rechtsbeschwerdeinstanz für Handelsregistersachen im Land Berlin, erbarmte sich, holte zum firmenrechtlichen "Drachenstich" aus und erlegte damit und mit seiner "heißen Atemwolke" alles, was sich in den letzten 150 Jahren der freien Firmenbildung entgegengestemmt hatte: Nicht nur den BGH, die bisherige Rechtsprechung und die firmenrechtliche Literatur, nein auch die zur firmenrechtlichen Gutachtenerstattung im Handelsregisterverfahren benötigte Industrie- und Handelskammer (vgl. § 126 FGG) galt es zu treffen. Vor allem die Letztgenannte dürfte damit jedenfalls insoweit ihre Aufgabe verloren haben.

Zur Begründung führte der Senat u.a. aus, "... in ihrer Gesamtheit ..." komme "... der Firma der Beteiligten durch den weiteren Bestandteil "Berlin" ausreichende Eigenart zu ...". Es bestehe weiterhin auch "... kein Bedürfnis, die Zusammensetzung "Autodienst-Berlin" firmenrechtlich freizuhalten, ..." denn Dritte hätten "... weiterhin die Möglichkeit, Firmen zu gebrauchen, die die Gattungsbezeichnung "Autodienst" mit anderweitiger – zulässiger – Ortsbezeichnung oder einem sonstigen individualisierenden Zusatz enthalten ...".

Richtig, mögen doch die tausend anderen Berliner Unternehmen mit vergleichbarem Unternehmensgegenstand etwa unter der Bezeichnung "Autodienst Mannheim" in Berlin tätig werden, vielleicht haben sie ja in Mannheim den Server für ihre homepage stehen ...

Der unternehmerischen Phantasie werden die §§ 18, 30 HGB und die sie hochhaltenden "bösen Mächte" also zukünftig nicht mehr im Weg stehen.

Und wenn es nicht gestorben ist, so lebt es auch noch übermorgen: Das Firmenrecht.

Man darf gespannt sein, welche kulturelle Errungenschaft des deutschen Rechts die Rechtsprechung demnächst "unter Beschuss nehmen" wird. Vielleicht die kunstvollen Regeln zum Gläubigerschutz bei der GmbH? Nein, das wird nicht nötig sein, weil der Bundestag schon selbst Hand anlegt mit dem "MoMiG" aus Angst vor einem kläffenden Hündchen namens "Limited".

 

 

*      Lehrbeauftragter der FHVR Berlin und Dozent für Notarfortbildungen.




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