Volker Teigelkötter,           
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf*

 

Sozialversicherungspflicht in der GmbH

 

Besonderheiten für Fremdgeschäftsführer und mitarbeitende Familienangehörige

 

Die Sozialversicherungspflicht in der GmbH ist ein "Dauerbrenner" der Rechtsprechung. Aufgrund stetig sinkenden Vertrauens in die Leistungsfähigkeit der staatlichen Sozialsysteme versuchen Gutverdiener häufig, sich der staatlichen Pflichtversicherung zu entziehen und unter Einbezug der erstatteten Beiträge eigenverantwortlich vorzusorgen. Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH sind bei hinreichender Kapitalbeteiligung Selbstständige und daher nicht sozialversicherungspflichtig. Deren im Betrieb mitarbeitende Angehörige sowie Fremdgeschäftsführer werden hingegen üblicher Weise als Beschäftigte i.S.v. § 7 SGB IV angesehen und müssen Sozialabgaben zahlen. Mitglieder dieses Personenkreises versuchen häufig, der Sozialversicherungspflicht zu entkommen. Hierzu wird vor allem das Argument angeführt, in Wahrheit nicht abhängig Beschäftigter, sondern Selbstständiger zu sein.

 

Begriff des Beschäftigten

Beschäftigter i.S.d § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV ist, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert die Eingliederung in einen fremden Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung. Dieses Weisungsrecht kann erheblich eingeschränkt sein, vollständig entfallen darf es jedoch nicht. Es muss eine fremdbestimmte Dienstleistung verbleiben (st. Rspr. des BSG, exemplarisch BSG v. 8.12.1987 -- 7 RAr 25/86). Davon abzugrenzen ist die selbstständige Tätigkeit. Diese wird geprägt durch das eigene Unternehmerrisiko, den Einsatz eigenen Kapitals, die Verfügung über die eigene Arbeitskraft und die Möglichkeit, frei über Arbeitsort und -zeit zu bestimmen (st. Rspr., zuletzt BSG v. 24.1.2007 -- B 12 KR 31/06 R).

Als maßgeblich sehen die Sozialgerichte das Gesamtbild der Tätigkeit an. Dieses erschließt sich aus einer umfassenden Abwägung verschiedener Kriterien. Ausgangspunkt ist das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es, etwa in einem Anstellungsvertrag, vereinbart ist. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine -- formlose -- Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt aber, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen wurde. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten vertraglich zustehende Rechtsmacht (BSG v. 24.1.2007 -- B 12 KR 31/06 R; v. 8.8.1990 -- 11 RAr 77/89; v. 8.12.1994 -- 11 RAr 49/94, GmbHR 1995, 584). Mit dieser Maßgabe geben folglich die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag, soweit sie von Vereinbarungen abweichen (st. Rspr.; BSG v. 24.1.2007 -- B 12 KR 31/06 R; v. 25.1.2006 -- B 12 KR 30/04 R, GmbHR 2006, 645 m. Komm. Löw, jeweils m.w.N.).

 

Weiter Spielraum der Sozialgerichte

Diese Formel führt indes zu wenig Rechtssicherheit. Sie eröffnet den Sozialgerichten einen weiten Spielraum, innerhalb dessen sie einzelfallbezogen mal den vertraglichen, mal den vermeintlich "gelebten" Verhältnissen den Vorrang einräumen können. Dies führt zu gegensätzlichen Entscheidungen bei mitunter sehr ähnlich gelagerten Sachverhalten.

So hatte LSG Niedersachsen-Bremen  v. 24.1.2007 -- L 2 R 35/06, den Fall des Fremdgeschäftsführers eines auf Grundstücksgeschäfte spezialisierten Unternehmens zu entscheiden. Dieser war gelernter Versicherungskaufmann, die Gesellschafter aber "einfache Handwerker" ohne Meistertitel. Letztere waren nach "dem Eindruck, den der Senat von den Kenntnissen, Fähigkeiten und Persönlichkeiten" gewonnen hatte, zu einer nur halbwegs wirksamen Kontrolle seiner Geschäftsaktivitäten oder seiner Arbeitsweise nicht in der Lage. Der Fremdgeschäftsführer habe "frei schalten und walten" können. Zusätzlich leistete der Fremdgeschäftsführer eine Globalbürgschaft von ca. 75.000 € und sicherte Verbindlichkeiten des Unternehmens mit einer Grundschuld i.H.v. ca. 130.000 € auf sein Privatgrundstück. Das LSG Niedersachsen-Bremen stellte hier ausschließlich auf die tatsächlichen Verhältnisse ab und fragte gar nicht erst nach einer vertraglich vereinbarten, aber nicht ausgeübten Rechtsmacht. Der Geschäftsführer wurde als Selbstständiger anerkannt.

Ähnlich entschied LSG Hessen v. 23.11.2006 -- L 1 KR 763/03, im Fall eines Fremdgeschäftsführers, der das Konzept des Geschäftsbereichs selbst entwickelt hatte und im Gegensatz zu den Kapitalgebern in hochkomplexen Fachgebieten über das notwendige Fachwissen verfügte. Obwohl der Geschäftsführer kraft Arbeitsvertrags dem Direktionsrecht der Gesellschafter unterlag, übten diese ihr Weisungsrecht nicht aus. Der Geschäftsführer hatte glaubhaft bekundet, dass er bei ihm nicht genehmen Beschlüssen ausgeschieden und damit der Geschäftsbereich weggebrochen wäre. Zudem hatte er seinen Jahresurlaub nur teilweise in Anspruch genommen und in der Aufbauphase auf das vertraglich vereinbarte Gehalt teilweise verzichtet. Nach Ansicht des LSG Hessen sprächen zwar die vertraglichen Vereinbarungen für eine abhängige Beschäftigung. Gleichwohl stehe aber zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger die Gesellschaft als "sein Unternehmen" geführt habe. Die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände überwiege deshalb die vertraglichen Vereinbarungen.

Gegensätzlich argumentiert LSG Baden-Wüttemberg v. 15.8.2008, L 4 KR 4577/06, GmbHR 2009, 143 -- in diesem Heft. Die Betroffene, eine gelernte Bankkauffrau, leitete den kaufmännischen Bereich eines Zahntechnikunternehmens. An diesem war sie zu 10 % beteiligt, allerdings nicht Geschäftsführerin. Die Beteiligten hatten einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen, der u.a. ein monatliches Festgehalt, ein Einwilligungserfordernis für Nebenbeschäftigungen und andere arbeitnehmertypische Merkmale vorsah. Die Klägerin berief sich darauf, dieses Arbeitsverhältnis werde nicht gelebt, Gesellschafterbeschlüsse würden nur im Konsens getroffen, eine Kontrolle ihrer Tätigkeit finde nicht statt, Urlaub werde gleichberechtigt abgestimmt und sie sei in ihrer Zeiteinteilung faktisch weisungsfrei. Zudem hafte sie durch Bürgschaften und eine Grundschuld in beträchtlicher Höhe für das Wohlergehen des Unternehmens. Auch werde in schlechten Zeiten ihr Gehalt gekürzt.

Das Gericht stellte hier ausschließlich auf die vertraglichen Regelungen ab und ließ das gelebte Verhältnis in den Hintergrund treten. In rechtlicher Hinsicht könne die Betroffene Weisungen des Geschäftsführers und Beschlüsse der Gesellschafterversammlung nicht verhindern. Aus den tatsächlichen Gegebenheiten könne nicht geschlossen werden, man wolle von den rechtlichen Befugnissen generell keinen Gebrauch machen und der Klägerin "freie Hand" lassen. Eine formlose Abbedingung der entsprechenden Abreden des schriftlichen Arbeitsvertrags sei ausgeschlossen, da sich die Vereinbarungen erschöpfend aus diesem Vertrag ergäben, Vertragsänderungen der Schriftform bedürften und eine Befreiung von der Schriftform durch mündliche Vereinbarung unwirksam sei. Auf den Vortrag der Klägerin, der Vertrag sei nicht gelebt worden, könne es schon deshalb nicht ankommen.

Diese Entscheidung begegnet schon deshalb Bedenken, weil das LSG Baden-Württemberg übersieht, dass es sich bei der Vertragsklausel, auf die es die Unmöglichkeit der Änderung stützen will, um eine sog. "doppelte Schriftformklausel" handelt. Solchen hatte das BAG bereits Monate zuvor die Gültigkeit versagt (BAG v. 20.5.2008 -- 9 AZR 382/07, zuvor schon LAG Düsseldorf v. 13.4.2007 -- 9 Sa 143/07). Diese unwirksame Klausel hätte also eine stillschweigende Abbedingung keinesfalls verhindert. Vielmehr hätte das Gericht schon aus diesem Grunde auf die tatsächlich gelebten Umstände abstellen müssen.

Von dieser speziellen Kritik abgesehen, ist an der Rechtsprechung der Sozialgerichte allgemein zu bemängeln, dass für den Rechtsanwender schwerlich nachvollziehbar ist, wann nun auf die tatsächlichen oder die rechtlichen Verhältnisse abzustellen ist. So hätte in den beiden erstgenannten Entscheidungen genauso gut argumentiert werden können,  der faktische Verzicht der Gesellschafter auf die Kontrolle des Geschäftsführers sei unbeachtlich, weil die vertraglich vereinbarte Rechtsmacht jederzeit hätte ausgeübt werden können.

 

Weitere Abwägungskriterien

Auch der Einbezug weiterer Abwägungskriterien führt nicht zu größerer Rechtssicherheit. Diese werden ebenfalls nicht einheitlich gehandhabt. Die persönliche Haftung mit privatem Vermögen -- im Fall des Urt. des LSG Baden-Württemberg v. 15.8.2008 -- L 4 KR 4577/06, GmbHR 2009, 143 -- in diesem Heft -- immerhin eine selbstschuldnerische Bürgschaft i.H.v 100.000 € und Mithaftung eines gemeinschaftlichen Grundstückes für 170.000 € -- soll in dem einen Fall in den Hintergrund treten. Dagegen wird eine ähnlich hohe Haftung andernorts als maßgebliches, letztlich entscheidendes Kriterium für die Selbstständigkeit angesehen (LSG Niedersachsen-Bremen v. 24.1.2007 -- L 2 R 35/06). Die Erbringung von Leistungen, die das arbeitsvertragliche Maß deutlich übersteigen, sowie den Verzicht auf Urlaub hält das LSG Baden-Württemberg (aaO) jedenfalls bei Familienbetrieben -- nicht für relevant. Hingegen wertet LSG Hessen v. 23.11.2006 -- L 1 KR 763/03 ein über die vertraglichen Vereinbarungen hinausgehendes Engagement für die Gesellschaft als Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft.

Dass ein variables Gehalt vereinbart ist, spricht nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg eher für die Weisungsgebundenheit. Damit  begibt es sich teilweise in Widerspruch zum BSG, nach dessen Auffassung gerade im Falle familiärer Verbundenheit zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführer die Erfolgsabhängigkeit der Vergütung für die Selbstständigkeit spricht (BSG v. 8.12.1987 -- 7 RAr 25/86; ähnlich LSG Hessen v. 23.11.2006 -- L 1 KR 763/03).

Als letztlich einzig verlässliches Abgrenzungskriterium bleibt die Gesellschafterstellung des Betroffenen. Verfügt er über eine Beteiligung von mehr als 50 %, so hat er regelmäßig beherrschenden Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft und ist als Selbstständiger einzustufen. Eine geringere Beteiligung begründet dann einen beherrschenden Einfluss, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer eine Sperrminorität innehat. An diesem Umstand fehlt es bei Fremdgeschäftsführern per Definition und bei mitarbeitenden Familienmitgliedern sehr häufig. Eine nur geringe Gesellschaftsbeteiligung von nicht mehr als 10 %, insoweit ist dem Urt. des LSG Baden-Württemberg v. 15.8.2008 -- L 4 KR 4577/06, GmbHR 2009, 143 -- in diesem Heft -- zuzustimmen, löst ohne weiteres noch keinen beherrschenden Einfluss aus. Ob andere Kriterien dies kompensieren können, bleibt wie dargestellt, eine Frage des Einzelfalles.

 

Ausblick

Fremdgeschäftsführern und mitarbeitenden Familienmitgliedern kann daher im Ergebnis nur wenig Mut gemacht werden, aus der einmal bestehenden Sozialversicherungspflicht zu entkommen, wenn nicht eine außergewöhnliche Fallgestaltung vorliegt. Nach der gesetzlichen Neuregelung seit dem 1.1.2008 ist zusätzlich zu beachten, dass selbst im Falle einer erfolgreichen Klage nur noch unrechtmäßig erhobene Beiträge aus dem laufenden sowie den letzten vier Jahren erstattungsfähig sind. Ältere Beiträge gelten wegen § 26 SGB IV als zu Recht entrichtet.

Die Rechtsprechung legt bei der Sachverhaltsermittlung besonderen Wert auf die im Verwaltungsverfahren gemachten Angaben. Diese seien bei Widersprüchen i.d.R. glaubhafter, weil unbefangen gemacht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 2.7.2008 -- L 9 KR 482/07). Daher ist es ratsam, ein Verfahren von Anfang an begleiten zu lassen, und nicht erstmal "sein Glück zu versuchen". Sind einmal widersprüchliche Angaben in der Welt, können diese den Ausgang eines Verfahrens ungünstig beeinflussen.

 

*  McDermott Will & Emery.

 

 

 






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