Dr. Wolfgang Lingemann, Köln*

Der automatische Steuerhinterziehungsdetektor

Es ist gerade erst ein gutes Jahr her, da wurde die mehr als hundert Punkte zählende "schwarze Liste" der Verdachtstatbestände bekannt, nach denen sich ein Unternehmen als reif für eine steuerliche Prüfung oder eine Umsatzsteuer-Nachschau erweist (s. Lingemann, GmbHR 2001, R 457). Die "Highlights" des Katalogs bestanden z.B. darin, daß etwa ein Geschäftsführer des Unternehmens nicht im Nahbereich der Firma wohnte oder er sogar Ausländer mit einem Wohnsitz im Ausland war. Verdächtig sollte auch sein, daß ein Unternehmen über unverhältnismäßig hohe Vorsteueransprüche verfügte oder größtenteils steuerfreie Lieferungen ausführte.

Endlich: "Kommissar Computer"

Die neue Zauberwaffe der Finanzverwaltung für den Einsatz bei Außenprüfungen heißt Win-IDEA, neudeutsch Interactive Data Extraction and Analysis (vgl. Handelsblatt v. 13./14.12.2002, S. 6). Damit ist eine Überprüfungs-Software gemeint, die aus dem elektronischen Datenbestand der Unternehmen, auf die die Finanzbehörden seit dem 1.1.2002 nach den Vorschriften der §§ 146 ff. AO Zugriff nehmen dürfen, diejenigen Verdachtsmomente erkennt, die auf eine Steuerhinterziehung schließen lassen oder sonst Anlaß für eine genauere Überprüfung geben. Damit erhält der Prüfer nach Auffassung der Verwaltung endlich ein leistungsfähiges Verprobungs-Tool und ist nicht mehr auf eine stichprobenhafte Nachverfolgung z.B. von Buchungsvorgängen angewiesen, sondern kann dies mit Hilfe des Kommissars Computer komplett und viel schneller bewerkstelligen.

Die Sünden, deren Entdeckung droht

Nunmehr sollen die vielfältigen Verknüpfungen innerhalb einer Buchführung mittels Vergleichen und Verbinden von Dateien, Lücken- und Mehrfachbelegungsanalysen sowie Stichprobenverfahren nachvollzogen werden (vgl. Burchert, Betriebsprüfung: Die neue Prüfsoftware, in: Haufe Steuer-Office, Sept. 2002). Und dann fällt auf, wenn für Rechnungspositionen aufgrund der Artikelstammdaten nicht der richtige Umsatzsteuersatz angewendet oder gar keine Umsatzsteuer ausgewiesen worden ist. Oder es gibt Nachfragen an den Steuerpflichtigen, wenn zwischen Bestandsmengen aus der Lagerbuchführung und den Ausgangsrechnungen Diskrepanzen bestehen, nach denen sich vermuten läßt, daß angeblich gelieferte Waren gar nicht vorhanden gewesen sind. Auch durch Vergleiche von Kontonummern von Lieferanten mit denen von Mitarbeitern kommt das Programm der Hinterziehung von Lohnsteuer auf die Schliche, wenn anstatt von Löhnen angeblich Lieferungen bezahlt worden sind. Ferner soll die Software auch alle Artikel mit den dazugehörigen Preisen und Kunden für die Verrechnungspreiskontrolle im Konzern anzeigen sowie unterschiedliche Preise bei ausländischen Mutter- und Tochtergesellschaften aufdecken.

Angesichts der umfassenden Zugriffsbefugnisse der Finanzverwaltung, z.B. auch auf die betriebliche Kosten- und Leistungsrechnung, die Daten des Warenwirtschafts- und des Materialwirtschaftssystems sowie des damit verbundenen Dokumentenmanagementsystems kann aus dem Steinbruch von Unternehmensdaten wohl auch eine ganze Menge von (Schein-)Auffälligkeiten geschöpft werden, die dann zum Hinterziehungsverdacht hinführen.

Die Software kann auch vom Steuerpflichtigen und seinem Berater verwendet werden

Doch nicht nur die Prüfer haben die Chance, mit dem Hilfsmittel der Prüfungssoftware auf Unstimmigkeiten zu stoßen, sondern auch die Unternehmen und ihre Berater selbst. Interessant wird also sein, dasselbe Programm wie die Finanzverwaltung zu benutzen und damit seine eigenen Daten einmal durchzuprüfen, um auf "Ausschläge" des Detektors hinreichend vorbereitet zu sein. Schon denken wir an findige Programmierer, die die Ergebnisse der von der Verwaltung benutzten Software durch geschickte Gegenmanipulation wieder zurück korrigieren. Dem Neugierigen sei verraten, daß die Software von der kanadischen Firma Audicon vertrieben wird.

Aber: Gegen das Heer von Steuerhinterziehern hilf nur "Amnestie"

Die Presse weiß von einem großen Elan zu berichten, mit dem Steuerprüfer nun gegen Unternehmen vorgehen werden. Denn es sollen Prüfbereiche für die Firmen überraschend ausgewählt werden, und es wird sogar von eifrigen Prüfern gesprochen, die eigene Computerprogramme entwickeln, um den Datenabgleich noch erfolgreicher zu machen (Handelsblatt v. 13./14.12.2002, S. 6). Mir scheint, es ist hier ähnlich wie mit den Legionen von Steuerpflichtigen, die bisher Kapitaleinkünfte und Spekulationsgewinne aus Wertpapiergeschäften hinterzogen haben sollen. Bevor die Kontrollmitteilungen kommen, die Hans Eichel am liebsten bald europaweit eingeführt sähe, dürften die "Steuerhinterzieher", bei denen die Prüfungssoftware im Selbstversuch Alarm geschlagen hat, eine furchtlose Selbstanzeige absetzen, damit straffrei werden und freigiebig Steuern nachzahlen. Wahrscheinlich wird der fiskalische Erfolg solcher Technik alle Steuervergünstigungsabbaugesetze (StVergAbG) überflüssig machen!

 

* Schriftleiter der Finanz-Rundschau.

 


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