Carsten Peetz,
Rechtsanwalt und Steuerberater,
Berlin*

Überstundenvergütung von GmbH-Geschäftsführern und verdeckte Gewinnausschüttung -- Rechtsauslegung und Rechtspraxis

Seit der Studienzeit greift der Verfasser gerne immer wieder zu einem Buch, das in den Bibliotheken meistens ohne größere Gebrauchsspuren verschämt in einer Ecke steht: Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (6. Aufl. 1991). Mag die Larenz´sche Methodelehre zwischenzeitlich auch veraltet sein, eine Klarheit der Gedankenführung fördert ein Blick in dieses Büchle immer noch:

Um eine Rechtsnorm anwenden zu können, muß der Rechtsanwender die Norm verstehen. Ein solches Verstehen kann, um Larenz wörtlich zu zitieren "... entweder durch das unmittelbare Innewerden des Sinnes der Äußerung oder in reflektierter Weise, durch Auslegen erfolgen." (Larenz, aaO, S. 312). Auslegung wiederum ist der Prozeß, in dem der in dem Text beschlossene, aber gleichsam verhüllte Sinn der Norm dargestellt wird (Larenz, aaO, S. 313). Weil sich der Normgeber der Umfangssprache bedient und abstrakte Regelungen trifft, hat der Rechtsanwender die Norm soweit zu präzisieren, wie es der konkrete Lebenssachverhalt erfordert (Larenz, aaO, S. 312). Kriterien für eine solche Auslegung bilden Wortsinn und Sachzusammenhang der Regelung, Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers und objektiv-teleologische Auslegungskriterien (Larenz, aaO, S. 320). Die Auslegung der Norm hat nach festgelegten, anerkannten Auslegungsregeln zu erfolgen. Hierauf wies kürzlich erneut das BVerfG hin (BVerfG v. 26.10.2004 -- 1 BvR 981/00; BFH/NV Beilage 2005, 43 [45]).

Auslegung der Gesetze ist eine typische Aufgabe der Rechtsprechung. Eine durch die obersten Bundesgerichte erfolgte Auslegung wird in der Praxis oft sogar als verbindlich angesehen. Damit diese sinnvolle Wirkung der Rechtsprechung eintreten kann, sollte die Judikatur klar und eindeutig sein. Diese Klarheit ist leider nicht immer gegeben und der Sinn der Norm ist auch nach der Reflexion durch das Gericht nicht immer erkennbar. Als ein Beispiel erscheint die Rechtsprechung des I. BFH-Senats zu Überstundenvergütungen des GmbH-Geschäftsführers (GF) und verdeckter Gewinnausschüttung (vGA) gemäß § 8 Abs. 3 S. 2 KStG.

Definition der verdeckten Gewinnausschüttung des BFH

Bei der Beurteilung von Überstundenvergütungen geht der BFH von seiner allgemeinen Definition einer vGA als einer Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung, die ihre Veranlassung in dem Gesellschaftsverhältnis findet, eine Auswirkung auf das Einkommen hat und die in keinem Zusammenhang mit einer offenen Gewinnausschüttung steht (BFH v. 22.2.1989 -- I R 9/85, GmbHR 1989, 430; v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711), aus. Bei der weiteren Auslegung des Rechtsbegriffs vGA hat der BFH insbesondere zur Feststellung des societatis causa das Bild des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters entwickelt (BFH v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711 [712]). Wenn also ein idealer (ideeller?) GF nach diesen Maßstäben auch einem Geschäftsfremden unter den konkreten Umständen eine Zuwendung hätte zukommen lassen, liegt keine vGA vor (BGH v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711 [712]). Diese Meßlatte des ordentlichen Geschäftsleiters ist, weil durch Auslegung gewonnen, ein rechtlicher Maßstab, der entsprechend auf der rechtlichen Ebene weiter konkretisiert wird (Gosch, KStG, § 8 Rz. 300). Konsequenterweise setzt der BFH hierbei eigene Maßstäbe, die sich nach eigenem Verständnis allenfalls an zivilrechtliche Vorgaben orientieren (vgl. BFH v. 27.3.2001 -- I R 40/00, GmbHR 2001, 777 [778]). Mit dieser (typisierten) Denkfigur bringt der BFH, um mit Larenz zu sprechen, dem Rechtsanwender den Sinn der Norm näher.

Überstundenrechtsprechung des BFH

Bei den Überstundenfällen wird die Denkfigur zu einem allumfassend verantwortlichen Geschäftsleiters, der als Organ die Leitung, Führung der Gesellschaft zu gewährleisten hat, ausgeformt. Er hat, wann und wie auch immer, das Notwendige zu tun (BFH v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711 [712]). Für diese umfassende Tätigkeit erhält er seine Vergütung. Mit diesem Bild vertrage sich keine gesonderte Vergütung von Überstunden, da die Arbeitszeit keine sachgerechte Grundlage für die GF-Vergütung sei (BFH v. 27.3.2001 -- I R 40/00, GmbHR 2001, 777 [779]). Dieses Ergebnis gelte gerade dann, wenn der GF Überstundenvergütungen nur an Sonn- und Feiertagen erhält und/oder ihm daneben noch eine Gewinntantieme zugesagt wurde. In diesen Fällen solle der GF nur die Steuerfreiheit des § 3b EStG in Anspruch nehmen können (BFH v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711 [712]). Es bestünde in diesen Fällen auch das Risiko der Gesellschaft, eine GF-Vergütung in fast unbegrenzter Höhe leisten zu müssen, und die Ableistung der Überstunden sei auch nicht überprüfbar (BFH v. 19.3.1997 -- I R 75/96, GmbHR 1997, 711 [712]).

Schon nach den Normvoraussetzungen führt eine gesonderte Vergütung von Mehrleistungen zu einer vGA dem Grund nach. Der Praktiker nimmt also diese Gesetzesauslegung zur Kenntnis und weiß damit, daß Sondervergütungen, stundenweise Vergütungen und gerade Überstundenvergütungen als vGA zu bewerten sind.

Geschäftleiter als Subunternehmer

Beim weiteren Studium der Rechtsprechung des BFH stößt der Praktiker dann auf Entscheidungen, die Tätigkeiten des Geschäftsleiters als Subunternehmer für seine GmbH zum Gegenstand haben. Auf einmal erscheint das Bild des BFH vom Geschäftsleiter nicht so fest. Er kann neben seiner GF-Vergütung als selbständiger Subunternehmer weitere Entgelte erhalten, ohne daß die Gefahr einer vGA droht (BFH v. 13.11.1996 -- I R 149/94, BFH/NV 1997, 142 = GmbHR 1997, 315; v. 29.5.1996 -- I R 70/95, BFH/NV 1997, 65 = GmbHR 1997, 184 [LS]). Die Gesellschaft muß nur prüfen, ob sie die Aufgabe mit eigenen Mitteln günstiger erledigen kann. Wenn die Einschaltung eines Dritten einem Fremdvergleich standhält (Gosch, KStG, § 8 Rz. 858), ist die GmbH nicht gehindert, den GF zu beauftragen (Gosch, KStG, § 8 Rz. 859, Blümich/Rengers, KStG, § 8 Rz. 790). Soweit die Vergütung des GF insgesamt unangemessen hoch ist, ist allein der unangemessen hohe Teil vGA (BFH v. 29.5.1996 -- I R 70/95, BFH/NV 1997, 65 [66] = GmbHR 1997, 184 [LS]).

Mit Verblüffung vernimmt der Praktiker dieses. Es kommt also auf das rechtliche Etikett an. Neben der Vergütung für die umfassende Tätigkeit und die Gesamtverantwortung gibt es also noch weitere Tätigkeiten und zusätzliche Vergütungen. Eben war die Sondervergütung noch Merkmal der vGA, nunmehr steht der Gesellschaft die Alternative offen, zusätzliche Leistungen des GF entweder durch die Erhöhung der Geschäftsführervergütung oder bei Wahrung des Fremdvergleichs als Subunternehmern zu vergelten (BFH v. 17.12.2003 -- I R 25/03, GmbHR 2004, 744 [745] mit Komm. Schröder). Diese Differenzierung sei aufgrund der Trennung von GF-Funktion und sonstigen Tätigkeiten gerechtfertigt (Gosch, KStG, § 8 Rz. 860). Hiernach widerspreche die Zusatzvergütung also nur dann dem Bild des ordentlichen Geschäftsleiters, wenn die Zusatzvergütung für eigentliche GF-Tätigkeiten gewährt werde. Diese Unterscheidung ist neu. Eine solche Differenzierung nehmen in der Frage der Überstunden weder BFH noch Gosch, KStG, § 8 Rz. 1301 f. vor. Allein für einen zeitlich begrenzten, überobligatorischen Arbeitseinsatz will Gosch Überstundenvergütungen nicht als vGA würdigen. Wenn die Überstunden gerade auf den spezifischen Unternehmensgegenstand zurückzuführen sind, sind solche Zahlungen vGA (Gosch, KStG, § 8 Rz. 1304; vgl. auch BFH v. 14.7.2004 -- I R 24/04, GmbHR 2005, 109).

In einer jüngeren Entscheidung geht der BFH noch einen Schritt weiter. Selbst eine stundenweise Abrechnung der Leistung des Subunternehmer-GF kann gerechtfertigt sein. Die stundenweise Honorierung müsse nur verkehrsüblich sein (BFH v. 17.12.2003 -- I R 25/03, GmbHR 2004, 744 [745 f.] mit Komm. Schröder), wobei es sich in diesem Fall jetzt um eine (Verkehrs-)Üblichkeit im empirischen Sinne handeln dürfte. Der Fremdvergleich wird also nicht mehr auf der Normebene definiert, sondern er erfolgt erst im Rahmen der Subsumtion der Norm, also auf der Ebene des Sachverhalts. Weder unbegrenzte Höhe der Vergütung noch mangelnde Kontrolle des GF führen dann per se zu einer vGA.

Überstundenvergütung und überzeugende betriebliche Gründe

Erneut überrascht der BFH und wirft steuerliche Gestaltungen über den Haufen. Jüngst hat er selbst gewährte Überstundenvergütungen einschließlich der Zuschläge im Rahmen des einheitlichen Dienstverhältnisses nicht dem Verdikt der vGA unterworfen (BFH v. 14.7.2004 -- I R 111/03, GmbHR 2004, 1397 mit Komm. Hoffmann). In dem Fall seien es überzeugende betriebliche Gründe, die gegen die Fremdüblichkeit im Rechtssinne sprechen. Die ausschließliche betriebliche Veranlassung einer solchen Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem GF sei Tatsachenfeststellung und müsse in erster Linie vom FG festgestellt werden (aaO, S. 1398).

Auf hoher See und vor Gericht sind wir in Gottes Hand. Wie der BFH in obigen Entscheidung einleitend feststellt, werden im Wege der Auslegung des Begriffs "vGA" Pflichten eines ordentlichen Geschäftsleiters ermittelt, an Hand derer die gesellschaftliche Veranlassung festgestellt werden kann. Eben noch war das Merkmal einer einheitlichen Vergütung ein Erfordernis des (idealen) Geschäftsleiters, also Teil des durch Auslegung gewonnenen Inhalts der Norm. Das Auslegungsergebnis kann suspendiert werden, wenn überzeugende betriebliche Gründe gegen dieses Ergebnis sprechen. Faktisch wird es teleologisch reduziert, wenn es mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung gebracht werden kann. Die im Wege der Auslegung gewonnenen Grundsätze sind nur noch Indizien, also Beweisanzeichen (vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch, 17. Aufl., Indizienbeweis), nicht für die zutreffende Auslegung der Norm, sondern für die zutreffende Anwendung der Norm, bei der Feststellung der gesellschaftlichen Veranlassung (BFH v. 14.7.2004 -- I R 111/03, GmbHR 2004, 1397 [1398] mit Komm. Hoffmann).

Schlußbemerkung

Es bleibt die rhetorische Frage, wo der Sinn der Norm versteckt ist. Nach welchen anerkannten Auslegungsregeln ist das festgestellte Ergebnis zustande gekommen. Mit seiner Verwirrung steht der Praktiker nunmehr allein. Auslegung -- Tatsachenfeststellung. Der steuerliche Berater soll aber seinen Mitarbeitern und Mandanten erklären, wie eine steuerlich unangreifbare, gleichzeitig steuerlich optimale Gestaltung möglich ist.

Der Verfasser kann und will nicht einem Argument entgegentreten, er habe die Rechtsprechung nicht richtig verstanden. Ein Bemühen wird ihm nicht abzusprechen sein. Er steht mit seiner Verwirrung letztlich auch nicht allein. Der renommierte Autor Hoffmann beklagt ebenfalls die Unfestigkeit der Regeln (GmbHR 2004, 1399). Als Zeuge kann ebenso der nicht minder renommierte Kollege Streck herangezogen werden, der sogar insgesamt ein diffuses Bild der systematischen Behandlung der vGA sieht (Streck, KStG, 6. Aufl., § 8 Rz. 8i).

Abschließend soll an dieser Stelle der Blickpunkt auf die Berufsangehörigen gerichtet sein, die weder Juristen noch ausgeprägte Spezialisten der vGA sind und die Mehrzahl der steuerlichen Berater bilden. Deren Schwierigkeiten mit dem BFH dürften enorm sein, wenn schon Streck nur ein diffuses Bild erkennt. Streck kann nicht nachgesagt werden, er sei nicht hinreichend im besonderen juristischen Denken und Argumentieren geschult. Nur wenn der BFH seine Rechtsprechung systematischer, verständlicher begründet, sie von den Praktikern verstanden werden kann, bleibt die Akzeptanz der Rechtsprechung bestehen. Es ist ein unhaltbarer Zustand, daß die Praxis laufend nach BMF-Schreiben schreit, um die gewünschte und erforderliche Rechtsicherung zu erhalten. Gerade diese sollte der BFH durch überzeugende Auslegung, Konkretisierung des Begriffs der vGA erzielen.

 

* Brandt, Peetz & Partner.

 


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