Dr. Thorsten Reinhard, Rechtsanwalt, Berlin *

Europäische Perspektiven für die GmbH

Die Europäische Gesellschaft und die Richtlinien zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und Sitzverlegung

Seit gut einem Jahr steht in Deutschland die Europäische Gesellschaft (SE) als Gesellschaftsform zur Verfügung. Damit ist nach jahrzehntelanger Vorbereitung -- manche zogen angesichts des Verhandlungsmarathons gar Parallelen zum Dreißigjährigen Krieg -- ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Europäisierung des Gesellschaftsrechts getan. Derzeit genießen Kapitalgesellschaften aber nach wie vor keine vollständige Freizügigkeit innerhalb der EU.

Dies wird sich ändern. Am 26.10.2005 erließen Rat und Parlament der EU die Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten (ABl. EU 2005 L 310, 1 ff.; abrufbar unter http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_310/l_31020051125de00010009.pdf; s. hierzu auch Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2006, 191 -- in diesem Heft). Die Richtlinie gestattet GmbH, AG und KGaA eine grenzüberschreitende Verschmelzung mit Kapitalgesellschaften anderer Mitgliedsstaaten; das deutsche UmwG ließ seinem Wortlaut nach bislang nur Verschmelzungen inländischer Gesellschaften zu (zur Europarechtswidrigkeit dieser Beschränkung s. EuGH v. 13.12.2005 -- Rs. C-411/03 -- SEVIC, GmbHR 2006, 140 m. Komm. Haritz; dazu s. auch W. Meilicke/Rabback, GmbHR 2006, 123 und Kleinert, GmbHR 2006, R 45). Zudem arbeitet die Kommission an einer Richtlinie, die Kapitalgesellschaften eine grenzüberschreitende Sitzverlegung ermöglicht.

Die SE bietet als eigenständige Rechtsform zuallererst eine Alternative zu den nationalen Gesellschaftstypen. Zugleich wirkte und wirkt sie aber als Katalysator grenzüberschreitender Verschmelzungen und Sitzverlegungen, da sie solche Transaktionen schon heute erlaubt. Bei den erwähnten Richtlinien geht es demnach nur darum, diese Optionen auch anderen Gesellschaftsformen zu eröffnen. Folgerichtig lehnt sich die Verschmelzungsrichtlinie eng an die SE-Regelungen an.

Cui bono?

Was bringen diese Initiativen mittleren und kleineren Unternehmen? Manche Kommentatoren erwecken seit der Entscheidung der Allianz AG, sich in eine SE umzuwandeln, den Eindruck, dass sich SE & Co. nur an große börsennotierte Unternehmen richten. Zu unrecht. Der exportstarke deutsche Mittelstand agiert auf denselben europäischen Märkten wie seine "großen Brüder" aus dem DAX®. Der Wettbewerb zwingt ihn genauso wie diese, laufend neue Investitionschancen aufzuspüren und Unternehmensstrukturen auf den (Effizienz-)Prüfstand zu stellen. Dazu kann eine Analyse des optimalen Unternehmenssitzes gehören, die auch Optionen im Ausland nicht ausklammert. Und auf den europäischen M&A-Märkten ist der Mittelstand längst aktiv. Mit der Verschmelzung über Landesgrenzen tritt hier ein Gestaltungsmittel hinzu. Was sollte den Mittelstand hindern, es zu nutzen?

Die SE für KMU

Ausweislich der Erwägungsgründe der SE-Verordnung zielt die SE auch auf kleine und mittlere Unternehmen, die länderübergreifend aktiv sind. Zu diesen gehört z.B. die erste in Deutschland eingetragene SE, die GoEastInvest-SE aus Berlin. Die Vorzüge einer SE sind schon verschiedentlich beschrieben worden. Anstatt sie hier noch einmal in abstrakter Form zusammenzustellen, seien nachfolgend vier Modellfälle geschildert, in denen die SE für Mittelstandsunternehmen interessant sein kann:

Make or buy?

Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt. Dies gilt auch für die SE. Voraussetzungen und Verfahren der verschiedenen Gründungsformen einer SE sind in der SE-Verordnung und den deutschen Ausführungsgesetzen detailliert geregelt. In den Fällen A, C und D liegt die Gründung einer SE im Wege der Umwandlung nahe, im Fall B durch Verschmelzung. Diese Gründungsformen stehen indes nur der AG zur Verfügung, eine GmbH kann eine SE nur als Tochter- oder Holdinggesellschaft gründen. In den Beispielsfällen müsste die GmbH also zunächst in eine AG umgewandelt werden. Das ist nicht so aufwendig, wie es klingen mag. Auf die SE ist ohnehin im wesentlichen Aktienrecht anzuwenden.

Als Alternative zur Gründung ist der Erwerb einer Vorrats-SE zu erwägen. Solche Vorrats-SE werden inzwischen kommerziell angeboten. Da die SE erst seit gut einem Jahr als Rechtsform zur Wahl steht, stellen sich hier einige Fragen, die bei GmbH und AG ausdiskutiert sind, bei der SE aber eine sorgfältige Prüfung und eine enge Abstimmung mit dem zuständigen Handelsregister erfordern.

Beteiligung von Gesellschaftern und Arbeitnehmern

Auch wenn der Aufwand zuweilen überbetont wird -- der Weg in die SE will geplant sein, ob nun durch Gründung oder Erwerb einer Vorratsgesellschaft. Dabei wird ein Mittelständler in der Regel auf weniger Komplikationen stoßen als eine börsennotierte Gesellschaft. Wo letztere das Sperrfeuer von Berufsklägern kalkulieren müssen, können Gesellschaften mit geschlossenem Gesellschafterkreis schneller und risikoärmer agieren.

Gleiches gilt für die vorgeschriebenen Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern der beteiligten Unternehmen. In einer Konfrontationssituation können die Arbeitnehmer den Gründungsprozess um bis zu neun Monate verzögern. Um stattdessen eine pragmatische Mitbestimmungslösung zu verhandeln, kann es für ein Unternehmen durchaus hilfreich sein, abseits vom Fokus der Medienöffentlichkeit zu stehen.

Ausblick

Der deutsche Gesetzgeber ist verpflichtet, die Verschmelzungsrichtlinie bis Dezember 2007 in deutsches Recht umzusetzen. Zudem hat der EuGH durch "Sevic" (aaO) die Beschränkung des UmwG auf innerdeutsche Umwandlungen für europarechtswidrig erklärt mit der Folge, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen auch unabhängig von den Voraussetzungen der Richtlinie möglich würden.

Flankierend ist die steuerliche Fusionsrichtlinie (Richtlinie 90/434/EWG, geändert durch die Richtlinie 2005/19/EG, ABl. EU 2005 L 58, 19 ff.; abrufbar unter http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_058/l_05820050304de00190027.pdf) in das UmwStG zu integrieren, so dass deutsche Gesellschaften auf ausländische Gesellschaften steuerneutral verschmolzen werden können. Bislang führt eine solche "Hinausverschmelzung" zur sofortigen Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven der übertragenden Gesellschaft. In der Folge der anstehenden EuGH-Entscheidung könnte sich auch diese Praxis als europarechtswidrig erweisen.

Schließlich ist die Sitzverlegungsrichtlinie überfällig. Mit Inkrafttreten der Verschmelzungsrichtlinie sind die Würfel ohnehin gefallen. Eine verzögerte oder aus Sicht der Unternehmen unattraktive Gestaltung der Sitzverlegung würde nur dazu führen, dass sich die umzugswillige Gesellschaft auf eine ausländische Vorratsgesellschaft verschmilzt und damit ebenfalls den gewünschten Effekt erzielt.

SE oder nicht SE

Was ist vorteilhafter -- heute in die SE zu wechseln, oder die Umsetzung der hier vorgestellten Richtlinien bzw. die Entscheidung des EuGH zur Zulässigkeit grenzüberschreitender Verschmelzungen abzuwarten? Man ahnt es -- es kommt darauf an. Wen die SE vor allem unter Mobilitätsgesichtspunkten reizt, wird möglicherweise zuwarten. Wer zusätzlich die Vorteile der Rechtsform SE bei Themen wie Mitbestimmung, Marktauftritt, Corporate Governance, etc. in Anspruch nehmen will, nicht.

 

* Nörr Stiefenhofer Lutz.



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