Robin Melchior,
Richter am Amtsgericht, Berlin

Deutsche GmbH auf Diät setzen?

Die deutsche GmbH fühlt sich auf dem Laufsteg der europäischen Kapitalgesellschaften merklich unwohl. Sie entspricht nicht dem Schönheits-Ideal, das seit knapp zwei Jahren von der britischen Limited (Ltd.) geprägt wird: minimaler Kapitalaufwand, unbürokratische Registrierung. Das sind die Sonnenseiten der Ltd. Die Popularität beruht nicht zuletzt darauf, dass Berater, denen es auf den Verkauf dieser Rechtsform und nicht auf umfassende, neutrale Beratung zur geeigneten Rechtsform für ein Unternehmen ankommt, die Vorzüge der Ltd. preisen (s. hierzu Antwort der Bundesregierung auf Punkt 18 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Fricke u.a., BT-Drucks. 16/283). Bei dem Registergerichts des Autors bildet die Ltd. an manchen Tagen bis zu 20 % aller Neuanmeldungen! Diese plötzliche Hausse verwundert schon, weil diese Rechtsform eines ausländischen Rechtsträgers schon seit der Reform des EU-Zweigniederlassungsrechts seit Anfang der neunziger Jahre zulässig und rechtlich etabliert ist.

Der plötzliche Boom der Ltd. und der damit verbundene Wettbewerb der Rechtsformen in der EU lässt sich bildlich vergleichen mit der Mode im Swinging London der sechziger Jahre: Hot Pants und Minirock aus der Kings Road wurden seinerzeit in Deutschland bestaunt und lösten öffentliche Diskussionen genauso aus wie heute die geringe Kapitalausstattung der Ltd. aus Cardiff und das Fehlen einer Rechtmäßigkeitskontrolle bei der Errichtung. Wenn man so will, ist die Ltd. die Twiggy der europäischen Kapitalgesellschaften, und zwar in jeder Hinsicht, denn nach der Euphorie kam die Analyse, ob Unterernährung tatsächlich ein Vorbild sein kann. Eine schwache Kapitalausstattung ist nur akzeptabel, wenn die damit verbundene Insolvenzanfälligkeit durch sehr strenge Publizitätspflichten und verstärkte persönliche Haftung ausgeglichen werden. Am Ende kam die Presse bei Twiggy zu der Einsicht, sie sein ein überteuerter Kleiderständer. Damit sind wir dann auch begrifflich wieder beim Gesellschaftsrecht der Gegenwart: Jedes Unternehmen benötigt einen passenden Rechts-Mantel. So verlangt es Art. 9 Abs. 1 GG generell und nicht erst als Reaktion auf Moden, die infolge der Schaffung des freien EU-Binnenmarkts möglich wurden.

Gemessen an dem Schönheits-Ideal, dass die Ltd. verkörpert, hat die deutsche GmbH eine gefühlte Konfektionsgröße von 52. Sie bringt einiges an genetisch bedingtem Hüftgold mit: Ordnungsgemäßheit der Errichtung geprüft durch Notar und Registergericht, Kapitalausstattung als Preis für die Haftungsbeschränkung, Schutz der Kapitalaufbringung und des Kapitalerhalts, umfassende Eintragung und Bekanntmachung. Ist die GmbH damit die Miss Piggy der europäischen Kapitalgesellschaften?

Teilweise ja, wenn man Gewicht und Fitness in Verhältnis setzt. Ist es denn für den Betrieb eine Friseursalons unbedingt erforderlich, 25.000 € Stammkapital zu übernehmen, nur um seine Haftung zu beschränken? Und warum bedarf die Registrierung des Friseursalons in der Rechtsform der GmbH der Eintragung in die Handwerksrolle (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG), während das bei der Handelsregistereintragung desselben Unternehmens als GmbH & Co. KG oder als Einzelunternehmen nach § 7 HGB nicht der Fall ist?

Eine Reihe der in diesem Heft abgedruckten Entscheidungen nimmt unmittelbar Bezug auf diese Konkurrenzsituation der Rechtsformen:

Die Zahl der Entscheidungen zum Recht der Zweigniederlassungen der britischen Ltd. ist inzwischen sehr umfangreich. In Beraterkreisen wir häufig der Vorwurf laut, die nationale Rechtsprechung kompensiere ihre juristische Schlappe vor dem EuGH in Sachen Sitztheorie, indem sie ihre Prüfungsanforderungen bei der Zweigniederlassung der Ltd. sehr eng stecke und der Ltd. juristische Geburtsfehler und Kinderkrankheiten andichte. Diese Kritik verkennt, dass der EuGH den nationalen Gerichten ausdrücklich eine Prüfungskompetenz zur Vermeidung von Missbrauch und zur Wahrung von übergeordneten Rechtsgütern vorbehalten hat. Beispielhaft ist das Unverständnis einiger Notare und Berater, wenn deutsche Registergerichte Firmenbestandteile einer Zweigniederlassung beanstanden, weil sie sich z.B. als Finanzinstitut bezeichnen. Es bedarf keines großartigen juristischen Verstands, um zu erkennen, dass das Firmenrecht in der Gestalt des § 18 HGB nicht geeignet ist, in die Niederlassungsfreiheit und Freizügigkeit als EU-Grundfreiheiten einzugreifen, weil es sich um notwendige legislatorische Reflexe zum Schutz des örtlichen Rechtsverkehrs handelt. Oder können wir uns vorstellen, dass die Zweigniederlassung einer deutschen GmbH in London in ihrer Firma die Bezeichnung "Royal" verwenden darf ohne die Zustimmung der Queen und ihrer Corgies? Mehr zu diesem Thema auf im Beschl. des LG Limburg/Lahn v. 15.9.2005 -- 6 T 2/05 (S. 261 m. Komm. Römermann).

Das Thema Unternehmensgegenstand einer Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft ist gleich mehrfach vertreten. Die Beschlüsse des AG Charlottenburg v. 20.12.2005 -- 99 AR 5223/05 B (S. 264) und des OLG Frankfurt a. M. v. 29.12.2005 -- 20 W 315/05 (S. 259), ferner der Beitrag von Koegel (S. 237) haben die Rechtsfrage zum Gegenstand, wie konkret die gem. § 13e Abs. 2 S. 3 HGB geforderte Angabe des Gegenstands der Zweigniederlassung im Falle der Anmeldung einer Zeigniederlassung beschaffen sein muss.

Auch die offene Rechtsentwicklung im Bereich der GmbH-Finanzierung verdient Beachtung. Es ist absehbar, dass die Basel-II-Kriterien der Banken entweder Kredite für mittelständische GmbHs verteuern oder einige, durchaus gesunde GmbH von der Kreditvergabe ausschließen werden. In diese Bresche werden Finanzinvestoren (Private Equity) mit Angeboten springen, die im Grenzbereich zwischen Eigen- und Fremdkapital (mezzanine bzw. partiarischen Finanzierungsinstrumente) liegen. Die Investitionsentscheidung hängt hier nicht vorrangig von der traditionellen Beurteilung der Sicherheiten ab, sondern von den Erwerbschancen der GmbH, an denen der Investor in Form von (stillen) Gewinnbeteiligungen oder Genussrechten partizipieren möchte. Rechtliche Grundlage kann hier der GmbH-Gesellschaftsvertrag oder ein Unternehmensvertrag sein, muss es aber nicht. Die Entscheidung des AG Charlottenburg v. 29.11.2005 -- HRB 96299 B (S. 258) beschäftigt sich im Anschluss an BayObLG v. 18.2.2003 -- 3Z BR 233/02, GmbHR 2003, 534 m. Komm. Weigl mit der Frage der Eintragungsfähigkeit / -bedürftigkeit von Unternehmensverträgen mit einer GmbH, die in der aktienrechtlichen Diktion wohl als Teilgewinnabführungsverträge zu charakterisieren sein dürften und verneint beides in Übereinstimmung mit der vom DNotI publizierten Rechtsauffassung.



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