Dr. Jochen Blöse, MBA,
Rechtsanwalt und Mediator CfM, Köln*

Reform des Eigenkapitalersatzrechts -- Radikalkur oder Therapie in homöopathischen Dosen?

Bekanntlich sieht der Referentenentwurf des Gesetzes zur Modernisierung des BGH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) weitgehende Eingriffe in das System des Eigenkapitalersatzrechts vor. Schlagworte sind dabei die "Abschaffung der Rechtsprechungsregeln" und "Neuverortung der Novellenregeln". In der Pressemitteilung des BMJ v. 29.5.2006 (abzurufen auch unter "www.gmbhr.de/volltext.htm"), die anlässlich der Veröffentlichung des Referentenentwurfs herausgegeben wurde, findet sich der Punkt der Regulierung des Eigenkapitalersatzrechts unter der Überschrift "Erhöhung der Attraktivität der GmbH als Rechtsform". Ob der Referentenentwurf insoweit einen großen Wurf darstellt, ist umstritten. So vertritt Meilicke in seinem Beitrag "Das Eigenkapitalersatzrecht -- Eine deutsche Fehlentwicklung", GmbHR 2007, 225 -- in diesem Heft -- die Auffassung, dass das Eigenkapitalersatzrecht insgesamt abgeschafft gehöre.

Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts?

Meilicke, unter Bezugnahme auf Buck, dessen Dissertation er in seinem Beitrag gleichzeitig bespricht, stellen die Kritikpunkte an den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzrechts sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht umfassend und detailliert dar. Als besonders gewichtig erscheint dabei das Argument: "Es trifft den Falschen". Insbesondere das vorgebrachte Beispiel der Kreditgewährung zwischen verbundenen Unternehmen mit der möglichen Konsequenz der Schädigung der Minderheitsgesellschafter einer darlehensgewährenden Schwestergesellschaft ist überzeugend. Dahinter steht die Thematik der Erstreckung der Eigenkapitalersatzregeln auf die so genannten gleichgestellten Dritten. Also im Ergebnis der Versuch, die Geltung dieser Regeln "umgehungsfest" zu machen.

Ob hingegen der tatsächliche Befund zutreffend ist, dass bei nicht eingliedrigen Gesellschaften die Eigenkapitalersatzzuführung häufig schon daran scheitere, dass ein Kapitalerhöhungsbeschluss nicht herbeigeführt werden kann, muss bezweifelt werden. Die Erfahrung in der Sanierungsberatung lehrt, dass die Gesellschafter eines Krisenunternehmens eher nicht von der Sorge der Verwässerung ihrer Anteile getrieben sind. Es scheint häufiger der Fall zu sein, dass nicht einer von mehreren bereit ist, Eigenkapital zuzuführen, sondern vielmehr keiner von allen dazu bereit ist.

Wettbewerbsnachteil der GmbH durch das Eigenkapitalersatzrecht?

Man scheint sich darüber einig zu sein, dass das Eigenkapitalersatzrecht in seiner aktuellen Ausprägung ein Wettbewerbsnachteil für die GmbH im Verhältnis zu Rechtsformen aus anderen Rechtsordnungen ist. So eingängig dieses Argument ist, so kann bezweifelt werden, dass es den Praxistest besteht. In diesem zeigt sich nämlich, dass GmbH-Gesellschafter, auch solche, die dies schon seit geraumer Zeit sind, sich eben keine Gedanken darüber machen, welche Konsequenzen aus dem Eigenkapitalersatzrecht für sie entstehen können. Sei es, weil bei der Gründung eine dahingehende Beratung nicht erfolgte oder weil es im Alltagsgeschäft untergegangen ist -- jedenfalls ist es in der Beratung von Gesellschaftern von Krisenunternehmen nahezu immer so, dass das Thema Eigenkapitalersatz für Erstaunen und Verwunderung sorgt. Man kann also ketzerisch fragen: Wenn niemand etwas vom Eigenkapitalersatz weiß, wie soll es dann jemanden hindern, eine GmbH zu gründen?

Verschärfung des Eigenkapitalersatzrechts?

Der wohl prominenteste Vertreter einer Verschärfung des Eigenkapitalersatzrechts ist faktisch der BGH. Seit dieser vor nunmehr schon fast 60 Jahren den Gedanken einer Eigenkapitalersatzverhaftung von Gesellschafter (Fremd-)Leistungen entwickelt hat, hat er den Anwendungsbereich seiner Rechtsfigur ständig erweitert. Dies einerseits durch die Anwendung auf andere Leistungen als Darlehensgewährungen und andererseits durch die Anwendung auf andere Personen als unmittelbare Gesellschafter. Einen von vielen Meilensteinen markiert insoweit sicherlich die Entscheidung v. 31.1.2005 -- II ZR 240/02, GmbHR 2005, 534 m. Komm. Blöse. Im Ergebnis vertritt der BGH darin die Auffassung, dass ein Gesellschafter, der ein Grundstück eigenkapitalersetzend zur Nutzung überlassen hat, der Insolvenzmasse den Nutzungswert zu ersetzen hat, wenn diese an der Nutzung -- im konkreten Fall durch eine angeordnete Zwangsverwaltung -- gehindert ist. Eine Entscheidung und ein Ergebnis, die/das naturgemäß insbesondere aus dem Kreise der Insolvenzverwalter Zustimmung gefunden hat. Hatte sich doch ergeben, dass in einer nicht geringen Zahl von Fällen Gesellschafter und grundpfandrechtlich besicherte Kreditinstitute im Zusammenwirken das Nutzungsrecht der Insolvenzmasse dadurch unterlaufen hatten, dass das Kreditinstitut die Zwangsverwaltung anordnen ließ. Auch diese Entscheidung diente also dazu, das Rechtsinstitut gegen Umgehungen abzusichern.

Erkennt man die Rechtsprechungshistorie als Hinweis auf zukünftige Entwicklungen an, so spricht einiges dafür, anzunehmen, dass der BGH den Anwendungsbereich der Eigenkapitalersatzregeln zukünftig eher erweitert, denn verengt hätte. Andererseits: Kursänderungen sind der Rechtsprechung alles andere als fremd, man denke nur an den Abschied vom "qualifiziert faktischen Konzern".

Orientierung am Machbaren?

Neben die Frage, was dogmatisch richtig und in der wirtschaftlichen Wirklichkeit wünschenswert ist, tritt der Gesichtspunkt, was gesetzgeberisch machbar ist. Dazu hat der Vater des Referentenentwurfs, Prof. Dr. Ulrich Seibert, in der vorletzten Ausgabe dieser Zeitschrift (GmbHR 2007, R 33) mitgeteilt, dass es vielleicht besser gewesen wäre, das GmbH-Gesetz komplett neu zu schreiben, um historisch gewachsene Widersprüche und sprachliche Unebenheiten zu glätten; aber der Aufwand sei zu groß gewesen. Obwohl die geplante Novellierung des GmbH-Rechts diese grundsätzliche und vollständige Neugestaltung nicht beinhaltet, schneide sie, so Seibert, gleichwohl tief in das Kapitalschutzsystem ein und schaffe Neuregelungen in weiteren wichtigen Bereichen. Zugleich weist er darauf hin, dass die Diskussion um die Reform des GmbH-Rechts durch den Wettbewerbsdruck, insbesondere der englischen "Limited", beflügelt worden ist. Zugleich merkt er mit Recht an, dass es vielfach ein lediglich "gefühlter" Vorteil der GmbH gegenüber der Limited ist, der eine Gründung in dieser ausländischen Rechtsform attraktiv erscheinen lässt. Hinzukommt sicher auch, dass es in vielen Fällen einfach als schicker empfunden wird, eine "Limited" zu betreiben, statt sich in der guten alten deutschen GmbH zu organisieren.

Aber zurück zum Thema: Das MoMiG stellt bekanntlich eine grundlegende Neuordnung des Kapitalersatzrechts mindestens in dreierlei Hinsicht dar

(1) die Rechtsprechungsregeln sollen entfallen;

(2) das Kapitalersatzrecht wird rechtsformneutral, erfasst also auch die AG, die KGaA, die Genossenschaft sowie die Personenhandelsgesellschaften ohne natürliche Person als Vollhafter;

(3) es wird auf das Merkmal "kapitalersetzend" verzichtet.

Damit ist jedes Gesellschafterdarlehen im Insolvenzfalle nachrangig, und es erübrigt sich auch die Anknüpfung an das Merkmal der "Krise". Die damit verbundenen erheblichen Schwierigkeiten festzustellen, wann eine Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts vorliegt, entfallen dann. Gerade dies darf als erheblicher Fortschritt verstanden werden. Von ganz entscheidender Bedeutung und mit sehr großen Unsicherheiten belastet war doch einerseits die Frage der Ermittlung des insoweit relevanten Sachverhalts und andererseits die Subsumtion dieses Sachverhalts unter das Tatbestandsmerkmal der Krise. Die von der Rechtsprechung entwickelten Konkretisierungen der Insolvenzreife einerseits und der Kreditunwürdigkeit (bzw. Überlassungsunwürdigkeit in Fällen der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung) andererseits führten in vielen Fällen nicht zu der wünschenswerten Klarheit und Sicherheit in der Rechtsanwendung. Typisch für die Geltendmachung von Ansprüchen mit eigenkapitalersatzrechtlichem Hintergrund ist, dass der Beurteilung, insbesondere der gerichtlichen Beurteilung, Sachverhalte zugrunde zu legen sind, die im Zeitpunkt der Entscheidung bereits jahrelang zurückliegen. Es bereitet daher immer wieder erhebliche Schwierigkeiten, mit der wünschenswerten Klarheit und Eindeutigkeit festzustellen, ob die Gesellschaft im relevanten Zeitpunkt insolvenzreif und/oder kreditunwürdig war. Dies in Zukunft nicht mehr tun zu müssen, ist in der Tat eine erhebliche Vereinfachung. Der Preis dafür ist die Behandlung jedes Gesellschafterdarlehens und jeder wirtschaftlich entsprechenden Gesellschafterleistung im Insolvenzfall als nachrangig.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Reform des Eigenkapitalersatzrechts tatsächlich eine Radikalkur. Sie ist einerseits eine radikale Vereinfachung in einem verfahrensrechtlichen Sinne. Alle die Fragen, die sich um das Thema, "was muss vorgetragen und bewiesen werden, um das Merkmal der Krise darzutun", entfallen. So wird man zukünftig dem Aspekt der Abgrenzung zwischen bilanzieller Überschuldung und Überschuldung als Insolvenzreife im Sinne einer Krise nicht mehr nachgehen müssen. Der Insolvenzverwalter muss sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob es ausreichend ist, auf Grundlage einer handelsrechtlichen Bilanz darzutun, dass stille Reserven und nicht bilanzierte Vermögensgegenstände nicht vorhanden sind (s. zu dieser Frage BGH v. 7.3.2005 -- II ZR 138/03, GmbHR 2005, 617 m. Komm. Blöse). Radikal ist das MoMiG auch insoweit, als dass Gesellschafterdarlehen und Gesellschafteransprüche aus diesen wirtschaftlich entsprechenden Leistungen auf jeden Fall erst dann befriedigt werden dürfen, wenn alle Insolvenzforderungen bedient sind. Und natürlich ist das MoMiG ebenfalls radikal in seinem Umgang mit den Rechtsprechungsregeln, die abgeschafft werden. Aber sicherlich ist dem, der mit guten Gründen das Eigenkapitalersatzrecht insgesamt als Fehlentwicklung betrachtet, dies lediglich eine Therapie in homöopathischer Dosis.

 

* Kanzlei Jacobs & Dr. Blöse.

 

 



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