Gesellschafterbeschluss: Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen für eine Anfechtungsklage

AktG § 246 Abs. 1 u. 3 analog; GVG § 96 Abs. 1, § 102 S. 1

Die Frage, ob für die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer GmbH entsprechend der Entscheidung des OLG München v. 14.9.2007 -- 31 AR 211/07, WM 2007, 2036 ff. = GmbHR 2007, 1108 [LS], nicht ohnehin von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen auszugehen ist, kann offen bleiben, wenn eine Klage ohnehin von Anfang an an die Kammer für Handelssachen gerichtet wird.*

OLG Celle, Beschl. v. 14.1.2008 -- 4 AR 3/08

 

Gründe:

Die 1. Zivilkammer des LG Hannover und die 3. Kammer für Handelssachen streiten sich um ihre Zuständigkeit Die Zivilkammer hat den Rechtsstreit, in dem es um die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer GmbH geht, mit Vfg. v. 24.9.2007 an die Kammer für Handelssachen abgegeben, weil es in dem Hinweis am Ende der Klageschrift, dass die Sache Handelssache sei, einen schlüssig gestellten Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen gesehen hat. Diese hat sich -- obwohl es auch nach Auffassung des Vorsitzenden Richters um eine Handelssache geht -- mit Beschl. v. 27.11.2007 -- 23 O 148/07 (Volltext) für funktionell nicht zuständig erklärt und die Sache an die Zivilkammer verwiesen, weil der Kläger in der Klageschrift keinen wirksamen Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen gestellt habe und die Beklagte schon angekündigt habe, einer Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen zu widersprechen. Daraufhin hat auch die Zivilkammer mit Beschl. v. 7.1.2008 -- 1 O 102/07  ihre funktionale Zuständigkeit verneint und die Sache zur Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt dem Senat vorgelegt. Die Zivilkammer ist der Auffassung, die Sache falle in die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen.

Über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen der 1. Zivilkammer und dem Vorsitzenden der 23. Zivilkammer -- 3. Kammer für Handelsachen -- des LG Hannover ist in analoger Anwendung der §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 37 ZPO durch den Senat als das nächsthöhere Gericht zu entscheiden, nachdem sich beide Spruchkörper rechtskräftig (§ 102 S. 1 GVG) für (funktionell) unzuständig erklärt haben (vgl. OLG Celle v. 15.1.2004 -- 4 AR 4/04, OLGR Celle, 2004, 370, OLG Stuttgart v. 8.8.2002 -- 1 W 28/02, OLGR 2002, 455; OLG Düsseldorf v. 12.2.2001 -- 19 Sa 5/01, NJW-RR 2001, 1220; OLG Braunschweig v. 28.3.1995 -- 1 W 5/95, NJW-RR 1995, 1535; BGH v. 5.10.1999 -- X ARZ 247/99, NJW 2000, 80 [81] -- obiter dictum --).

Die 23. Zivilkammer -- 3. Kammer für Handelssachen -- des LG Hannover ist zuständig, weil ihr Verweisungsbeschluss v. 27.11.2007 nicht als bindend anzusehen ist. Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen hat die Sache, die er selbst für eine Handelssache hält, an die Zivilkammer verwiesen, obwohl bei sachnaher Auslegung des Hinweises auf die Kammer für Handelssachen -- entsprechend den Ausführungen in der Verfügung der Vorsitzenden der 1. Zivilkammer v. 24.9.2007 -- davon auszugehen ist, dass der Kläger eine Verhandlung der Sache vor der Kammer für Handelssachen wollte. Hierfür spricht auch, dass in der Klageschrift auf mehrere Vorprozesse -- teilweise mit entsprechendem Inhalt -- Bezug genommen wird, die ebenfalls im ersten Rechtszug schon vor der Kammer für Handelssachen geführt worden sind.

Ein Verweisungsbeschluss kann nach der st. höchstrichterlichen Rspr. (vgl. BGH v. 10.6.2003 -- X ARZ 92/03, NJW 2003, 3201) zwar dann nicht als verbindlich hingenommen werden, wenn er auf Willkür beruht. Hierfür genügt es allerdings nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt (BGH v. 9.7.2002 -- X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfG v. 30.6.1970 -- 2 BvR 48/70, BVerfGE 29, 45 [49]; BGH v. 23.1.1996 -- X ZB 3/95, MDR 1996, 1032). Darüber hinaus muss die Bindung im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG dann zurücktreten, wenn sie eine willkürliche Ausschaltung des gesetzlichen Richters bedeuten würde, die auf Rechtsmittel zur Aufhebung der Entscheidung führen musste (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 102 GVG Rz. 6, m.w.N.). Diese Voraussetzung für eine ausnahmsweise fehlende Bindungswirkung liegen angesichts der hier obwaltenden besonderen Umstände vor.

Objektive Willkür, die regelmäßig dazu führt, dass die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt, liegt dann vor, wenn ein zuständiges Gericht seine Zuständigkeit verneint und die Sache an ein anderes, unzuständiges Gericht verweist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 281 Rz. 17, m.w.N.). Von einer entsprechenden Fallkonstellation, in der der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen seine funktionale Zuständigkeit nicht hätte verneinen dürfen, ist hier auszugehen. Der nach § 96 Abs. 1 GVG erforderliche Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen muss nicht ausdrücklich gestellt werden, vielmehr reicht es aus, dass der Kläger den Wunsch, vor der Kammer vor Handelssachen zu verhandeln, in sonstiger Weise unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt (s. OLG Brandenburg v. 21.6.2000 -- 1 AR 37/00, NJW-RR 2001, 429; Münch.Komm.ZPO/Wolf, §96 Rz. 2). Ausreichend kann etwa sein, dass die Klageschrift an die Kammer für Handelssachen adressiert wird (OLG Brandenburg v. 21.6.2000 -- 1 AR 37/00, NJW-RR 2001, 429; Münch.Komm.ZPO/Wolf, § 96 Rz. 2; Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 96 GVG Rz. 1 m.w.N.). Nicht ausreichen soll es dagegen, dass in der Klageschrift lediglich das Aktenzeichen eines dem Hauptsacheverfahren vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren mitgeteilt wird, das durch die Kammer für Handelssachen entschieden worden ist (so OLG Brandenburg v. 21.6.2000 -- 1 AR 37/00, NJW-RR 2001, 429)

Vorliegend wird aber in der Klageschrift nicht nur auf vorangegangene Verfahren der Parteien Bezug genommen, die ebenfalls vor der Kammer für Handelssachen geführt worden sind -- dies allein würde für die Begründung der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen wohl noch nicht genügen --, vielmehr heißt es auf Bl. 32 der Klageschrift ausdrücklich: "Die Sache ist Handelssache." Dieser Satz ist bei verständiger Auslegung so zu verstehen, dass der Kläger auch im vorliegenden Verfahren die Kammer für Handelssachen und nicht die allgemeine Zivilkammer anrufen wollte Ohne eine entsprechende Auslegung würde diese Passage der Klageschrift keinen Sinn ergeben. Es wäre unverständlich, dass der Kläger das zuvor geführte Verfahren 23 O 115/04 LG Hannover, in dem es ebenfalls um eine Beschlussanfechtung ging, vor die Kammer für Handelssachen gebracht hat, trotz eines Hinweises auf diese Kammer am Ende der Klageschrift jedoch vorliegend davon auszugehen sein soll, dass er die Sache vor der allgemeinen Zivilkammer verhandelt sehen wollte.

Der Senat sieht im Hinblick auf diese Auslegung davon ab, sich weiter mit der Frage auseinander zu setzen, ob entsprechend der Entscheidung des OLG München v. 14.9.2007 -- 31 AR 211/07, WM 2007, 2036 ff. = GmbHR 2007, 1108 [LS], nicht ohnehin von einer ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen auszugehen ist. Diese Frage kann hier offen bleiben, weil die Klage ohnehin von Anfang an an die Kammer für Handelssachen gerichtet war.

Einsender: Dr. Volker Römermann, Rechtsanwalt, Hamburg/Hannover

 

 

 

*              Leitsatz der Redaktion.

 

 



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