Béla Knof / Dr. Sebastian Mock, LL.M. (NYU), Hamburg*

 

Der Referentenentwurf zur Neuregelung des Internationalen Gesellschaftsrechts -- die "halbe Wahrheit"

 

Die Geschichte der modernen Rechtswissenschaft hat gezeigt, dass großen Gesetzesvorhaben meist intensive Vorarbeiten vorangegangen sind, die sich teilweise über mehrere Jahrzehnte erstreckten. In der heutigen von Schnelllebigkeit geprägten Welt sind derartige langjährige Vorarbeiten allerdings kaum noch möglich. Umso mehr beeindruckt der vor kurzem vorlegte Entwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen (Volltext (PDF-Dokument)), der ganz wesentlich auf Vorarbeiten der Spezialkommission "Internationales Gesellschaftsrecht" des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht beruht, die vom BMJ eingesetzt wurde (vgl. Sonnenberger [Hrsg.], Vorschläge und Berichte zur Reform des europäischen und deutschen internationalen Gesellschaftsrecht, 2007). Er versucht eine Entwicklung in Gesetzesnormen zu fassen, die vor nicht einmal einem Jahrzehnt noch nicht absehbar und wohl auch undenkbar gewesen wäre. Der Gesetzesentwurf widmet sich dabei nicht weniger als der vollständigen Verabschiedung von der im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht bisher geltenden Sitztheorie, wonach auf Gesellschaften immer das Recht des Staats Anwendung findet, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat.

 

Grundlegendes Prinzip: Gründungstheorie

Als grundlegendes Prinzip normiert Art. 10 RefE-EGBGB zunächst die Gründungstheorie. Auf Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen findet daher künftig nur noch das Recht des Staats Anwendung, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Nach dem Wortlaut vom Art. 10 RefE-EGBGB sollen Gesellschaften, Vereine und juristische Personen zwar dem Recht des Staats unterliegen, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind, dabei kommt es in diesem Zusammenhang aber nur auf die konstituierende Eintragung für die Gründung der Gesellschaft an. Etwaige Eintragungen von Zweigniederlassungen oder Eintragungen in anderen öffentlichen Registern in anderen Mitgliedstaaten sind insofern unbeachtlich. Das Gründungsrecht soll dabei nicht nur für Gesellschaften, Vereine und juristische Personen aus anderen Mitgliedstaaten, sondern auch für Gesellschaften aus Drittstaaten gelten und zwar unabhängig davon, ob zwischen dem Herkunftsstaat und Deutschland ein entsprechendes völkerrechtliches Abkommen besteht. Der Referentenentwurf setzt damit der nach der jetzigen Rechtslage noch bestehenden "Zwei- bzw. Dreigleisigkeit" des Internationalen Gesellschaftsrecht ein Ende (vgl. Kindler in Münch.Komm.BGB, 4. Aufl. 2006, Internationales Gesellschaftsrecht Rz. 406 ff.). Das Prinzip der Anwendung des Gründungsrechts wird in Art. 10 Abs. 2 RefE-EGBGB sodann noch einmal exemplarisch für die wichtigsten gesellschaftsrechtlichen Fragen ausdrücklich festgestellt. Auch wenn dieser Aufzählung an sich kein über das Grundprinzip der Anwendung des Gründungsrechts in Art. 10 Abs. 1 RefE-EGBGB hinausgehender eigener Regelungsgehalt zukommt, werden damit jedoch verschiedene international-privatrechtliche Qualifikationsprobleme gelöst bzw. vorherbestimmt, so dass hiermit ein nicht zu unterschätzender Gewinn an Rechtssicherheit verbunden ist. So wird etwa die Durchgriffshaftung nun eindeutig dem Gründungsrecht unterstellt (Art. 10 Abs. 2 Nr. 7 RefE-EGBGB). Ebenso soll durch den Entwurf das Rätsel der Qualifikation der Insolvenzantragspflicht gelöst werden. Ausweislich der Begründung sind "die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags und damit auch die aus einem Versäumnis resultierende Haftung [...] insolvenzrechtlicher und nicht gesellschaftsrechtlicher Natur". Damit fallen sie jedoch aus dem Gründungsrecht heraus. Denn nach Art. 10 Abs. 2 Nr. 8 RefE-EGBGB sind dem Gründungsrecht nur die Haftung für die Verletzung gesellschafts- und eben nicht insolvenz- oder deliktsrechtlicher Pflichten unterworfen. Zusammen mit den gleichlaufenden Regelungsbemühungen im Rahmen des MoMiG (vgl. § 15a RegE-InsO), dürfte sich diese Frage aus nationaler Sicht damit wohl endgültig zugunsten einer insolvenzrechtlichen Qualifikation erledigt haben, auch wenn davon die europarechtliche Frage der Vereinbarkeit der gefundenen Lösung mit der Niederlassungsfreiheit unberührt bleibt und damit sogar aktueller denn je wird (vgl. zum Ganzen Knof/Mock, GmbHR 2007, 852 ff.).

 

Weniger explizite Regelungen

Bei anderen Fragen ist der Referentenentwurf allerdings zurückhaltender. So wird etwa das Firmenrecht dem Gründungsrecht unterstellt, ohne dabei die wettbewerbsrechtliche Problematik eingehend in den Blick zu nehmen (vgl. dazu Mankowski/Knöfel in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2. Aufl. 2006, § 13 Rz. 48 ff.). Keine explizite Regelung enthält der Referentenentwurf auch zur Frage der Qualifikation des Eigenkapitalersatzrechts, was indes wegen der ungewissen Zukunft dieses Rechtsinstituts im Rahmen des MoMiG kaum verwundert. So enthaltsam wie der entworfene Normtext ist seine Begründung in dieser Frage indes nicht: Hiernach sei zwar die Frage, ob ein Gesellschafterdarlehen als Eigenkapital ersetzend anzusehen sei, eine Frage der Finanzverfassung und unterfalle daher dem Gesellschaftsstatut. Dagegen nicht nach dem Gesellschaftsstatut, sondern nach dem Insolvenzstatut richte sich die Frage, wie Rückzahlungsansprüche von Gesellschaftern aus solchen Darlehen in der Insolvenz zu behandeln seien. Ferner hält sich der Entwurf bezüglich des politisch stets brisanten Problems der Anwendbarkeit des Mitbestimmungsrechts zurück (vgl. dazu etwa Müller-Bonanni in Hirte/Bücker, aaO, § 14). Schließlich trifft der Referentenentwurf auch keine Regelung zum anwendbaren Recht der Rechnungslegung. Die Begründung verweist zwar auf die Rechtangleichung auf diesem Gebiet durch die Bilanzrichtlinien. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Wahlrechtsausübung der Mitgliedstaaten in der IAS-VO hinsichtlich der Anwendbarkeit der IAS/IFRS auf den Jahresabschluss nicht börsennotierter Unternehmen kann dies allerdings kaum überzeugen. Insgesamt wird deutlich, dass eine kollisionsrechtliche Regel insoweit nur die "halbe Wahrheit" aussprechen kann, als mit ihr stets die Frage der Qualifikation einzelner sachrechtlicher Regeln verbunden ist, die der Entwurf entweder bewusst offen lässt oder zwar beantwortet, sich dann aber sogleich die Frage der Vereinbarkeit mit europäischen Recht, insbesondere mit der Niederlassungsfreiheit, stellt.

 

Grenzüberschreitende Mobilität

In den Blick genommen hat der Referentenentwurf aber die Problematik der grenzüberschreitenden Umwandlungen. Hierzu normiert Art. 10a RefE-EGBGB die Anwendbarkeit des Gründungsrechts für jede der beteiligten Gesellschaften. Soweit eine deutsche Gesellschaft also an einem umwandlungsrechtlichen Vorgang beteiligt wird, kommen daher die umfangreichen umwandlungsrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften zur Anwendung. Ebenfalls ausdrücklich wird nun auch der Wechsel des anwendbaren Rechts -- also der grenzüberschreitende Formwechsel -- in Art. 10b RefE-EGBGB geregelt. An dieser Regel wird noch einmal deutlich, dass die kollisionsrechtliche Perspektive des Entwurfs immer nur die "halbe Wahrheit" zeigen kann, die stets noch aus sachrechtlicher Perspektive vervollständigt werden muss. Für deutsche Gesellschaften wird diese kollisionsrechtliche Regel z.B. aus heutiger Sicht ohne Bedeutung bleiben, da sie an der sachrechtlichen Voraussetzung eines inländischen Satzungssitzes und der daraus folgenden Unzulässigkeit einer Satzungssitzverlegung ins Ausland nichts ändert. Ganz ähnlich verhält es sich mit Blick auf die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Staat: Die Gründungstheorie verweist hier im Falle deutscher Gesellschaften entsprechend auf das deutsche Sachrecht. Das MoMiG hebt insoweit zwar für die GmbH und die AG die aktuell überwiegend angenommenen sachrechtlichen Wegzugsbeschränkungen auf (vgl. Knof/Mock, GmbHR 2007, 852 ff.), für die übrigen Gesellschaftsformen gilt dies freilich nicht ohne weiteres. Allerdings wird man aus der Normierung der Gründungstheorie den Schluss ziehen dürfen, dass auch die sachrechtlichen Beschränkungen in Form der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft bei der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes abgeschafft wurden.

 

Anwendung von Formvorschriften und Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs

Ein bemerkenswerter Schlussstrich unter die bisherige Debatte wird durch den neuen Art. 11 Abs. 6 RefE-EGBGB hinsichtlich der Anwendung von Formvorschriften gezogen. Nach dieser Regelung ist jedes Rechtsgeschäft, das die Verfassung einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person betrifft, immer schon dann formgültig, wenn den Formerfordernissen des Gründungsstaats entsprochen wird; die "Ortsform" ist also irrelevant. Auch wenn für die Rechtspraxis im Umgang mit ausländischen Gesellschaften daraus nicht weniger folgt, als dass meist auf einen deutschen Notar nicht zurückgegriffen werden braucht, bleibt die Frage nach dem Beurkundungserfordernis bei der Übertragung von Geschäftsanteilen dadurch noch immer unbeantwortet.

Art. 12 Abs. 2 u. 3 RefE-EGBGB treffen schließlich eine Regelung zum Schutze des allgemeinen Rechtsverkehrs in der Form, dass sich die Vertreter der Gesellschaft gegenüber Dritten dann nicht auf eine etwaige Beschränkung der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nach dem Gründungsrecht der Gesellschaft berufen können, wenn ein Vertrag mit einer Person aus einem anderen Staat im Namen der Gesellschaft geschlossen wird und sich der Vertreter der Gesellschaft ebenfalls in diesem Staat befindet. Ebenso muss sich die Gesellschaft daran festhalten lassen, wenn sie unter einem anderem als dem Gründungsrecht aufgetreten ist und der jeweilige Dritte hiervon keine Kenntnis hatte oder haben musste.

 

Schlussbemerkung

Das Internationale Gesellschaftsrecht scheint vielen seit den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Centros, Überseering und Inspire Art als "Fluss ohne Ufer". Die Uferlosigkeit der Debatte wird der Referentenentwurf beenden. Allerdings ist die Debatte selbst damit noch lange nicht abgeschlossen, auch wenn ein Teil der bisher in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutierten Probleme durch die Normierung als gelöst zu gelten haben. Vor allem die Frage nach der Vereinbarkeit der Regeln mit der Niederlassungsfreiheit kann nicht vom deutschen Gesetzgeber abschließend beantwortet werden. Rechtssicherheit wird in diesem Punkt über kurz oder lang nur eine entsprechende Vorlage an den EuGH bringen. Zudem bleibt eine Reihe von Fragen aus der Praxis mit ausländischen Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland durch den Referentenentwurf zwangsläufig ungeklärt, da sie nicht primär das Gesellschaftsrecht, sondern andere Rechtsgebiete betreffen. Kurzum: Ein Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen kann (naturgemäß) zwar immer nur die "halbe Wahrheit" aussprechen, die ausgesprochene Wahrheit des vorliegenden Entwurfs kann aber mit optimistischen Blick auf die angestoßene Entwicklung als "halb voll" und nicht "halb leer" bezeichnet werden.

 

*          Béla Knof ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg; Dr. Sebastian Mock, LL.M. (NYU), Attorney-at-Law (New York) ist Habilitand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter ebendort.

 

 

 




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