Dr. Wolfgang Lingemann,                
Rechtsanwalt, Köln*

 

Erbschaftsteuerreform: "Staunst Du noch oder gestaltest Du schon?"

 

I. Ein Gesetz in letzter Minute

Wer die Zangengeburt des Erbschaftsteuerreformgesetzes genauer verfolgt hat, konnte das Ringen um ein angeblich "noch verfassungsgemäßes" Gesetz in der Adventszeit des vergangenen Jahres mit Staunen beobachten: Der Bundespräsident hatte die Bundesregierung aufgefordert, den Gesetzestext rechtzeitig zur Unterschrift vorzulegen, damit er seinen Prüfungsauftrag, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist, auch ausüben könnte. Dann geschah recht lange nichts -- sehr zum Ärger des Staatsoberhaupts (vgl. Handelsblatt v. 28.12.2008). Zwischen der Zustimmung des Bundesrates am 5.12. und dem Eingang des Gesetzes beim Bundespräsidenten am 16.12.2008 verstrich kostbare Prüfungszeit. Auf private Briefe angesehener Zweifler geriet der Bundespräsident offenbar ins Wanken, ob er unterschreiben sollte (Die Zeit v. 11.12.2008, Nr. 51: Erbschaftsteuer -- Vielleicht stirbt sie ja doch noch, über den Brief des Kölner Steuerrechtlers Joachim Lang). Beinahe hätte die Erbschaftsteuer das Schicksal der Vermögensteuer erleiden können. Als "Weihnachtsgeschenk" wurde das Erbschaftsteuerreformgesetz dann aber doch am 24.12.2008 unterschrieben und am letztmöglichen Tag des Jahres 2008 im BGBl. v. 31.12.2008 veröffentlicht. Ein Schelm, wer Böses dazu schreibt!

 

II. Das neue ErbStG: Achterbahnfahrt der Extreme

1. Hohe Bemessungsgrundlage, hoher Tarif -- demgegenüber einschneidende Begünstigungen

Die grundlegende Neuregelung der Bewertung mit ihren überwiegenden Werterhöhungen wird von scharfkantigen Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen und das selbst genutzte Wohnungseigentum wieder ausgehebelt. Weiteres neues Highlight ist u.a. die Steuerbefreiung für Kapitalgesellschaftsanteilseigner gem. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG, die zu weniger als 25 % beteiligt sind. Diese können in den Genuss der erbschaftsteuerfreien Vererbung oder Schenkung gelangen, wenn ein Poolvertrag mit weiteren Gesellschaftern existiert und die Schwelle von mehr als 25 % durch Zusammenrechnung aller gepoolten Anteile erreicht wird. Das entspricht den Verhältnissen mancher Familienkapitalgesellschaften, in denen der Einfluss des Familienstammes auf die Geschäftspolitik der Gesellschaft so gewahrt wird (Seer, GmbHR 2009, 225 [233] -- in diesem Heft).

 

2. Verschonungsabschläge

Beim Betriebsvermögen gibt es Verschonungsabschläge von 85 % (§ 13a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 13b Abs. 1 u. 4 ErbStG) und 100 % (§ 13a Abs. 1 S. 1 u. Abs. 8 i.V.m. § 13b ErbStG). Diese Begünstigung ist auf der Grenze zur Maßlosigkeit, meint Seer, GmbHR 2009, 225 (236), und es fragt sich, inwiefern das gleichheitsrechtlich noch tolerabel ist. Als Mutter für alle Gestaltungsanstrengungen dürften diese Abschläge mit ihren hohen Vergünstigungen und den spezifischen Vermögenszusammensetzungen zudem einen besonderen Reiz entfalten, schlechter privilegiertes Privatvermögen in Betriebe einzulegen.

Neue Zusammensetzungsgrenzen beim begünstigten Vermögen haben ihre Tücken: Der Verschonungsabschlag von 85 % hat zur Voraussetzung, dass schädliches sog. Verwaltungsvermögen nicht mehr als 50 %, der 100 %ige Verschonungsabschlag hat zur Voraussetzung, dass nicht mehr als 10 % Verwaltungsvermögen da ist. Kurios ist dabei, dass in Zukunft 10 € mehr oder weniger an Verwaltungsvermögen über 100 % Verschonungsabschlag entscheiden werden, und dass es keine Rückfallmöglichkeit von der Wahl einer 100 %igen Verschonung zurück auf eine nur 85 %ige Verschonung geben soll, wenn die Voraussetzungen für den vollen Verschonungsabschlag nicht (mehr) erfüllt werden (so auch Seer, GmbHR 2009, 225 [235]). An den Stellschrauben der Bewertung des Betriebsvermögens und des Verwaltungsvermögens werden in Zukunft einige Turnübungen des Steuerpflichtigen provoziert.

 

3. Privileg für Oma ihr klein’ Häuschen

Vererbt jemand seinen Kindern das eigengenutzte Familienheim und leben diese darin weiter, ist das steuerfrei, es sei denn, es hat eine Wohnfläche von mehr als 200 qm. Man mag über Fälle, in denen ein 201 qm großes Haus vererbt wird, kaum nachdenken. Da werden gestalterische (Um-)Baumaßnahmen helfen, etwa die Eingangstür um einen Meter nach innen zurückzuversetzen. Der Erbe darf es auch 10 Jahre lang nicht vermieten oder verkaufen, damit es erbschaftsteuerfrei bleibt. Anderenfalls fällt die volle Erbschaftsteuer nachträglich an (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG). Beim Vererben an den Ehegatten gilt Ähnliches, allerdings ohne die 200qm-Grenze. Merkwürdig ist dabei, dass es bei einer Schenkung zu Lebzeiten nicht zu einer Nachsteuer kommt, wenn der Ehegatte verkauft (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG).

 

4. Steuer-Klassenkampf

Schließlich gibt es verwandtschaftsbedingt klare Gewinner und Verlierer der Erbschaftsteuerreform: Die Personen der Steuerklasse I werden mäßig belastet, der Tarif in den Steuerklassen II und III schnellt für Geschwister, Neffen, Nichten oder Schwiegerkinder unverhältnismäßig in die Höhen von 30 % bzw. 50 % ab einem Erwerb von 13 Mio. €, wie auch Seer, GmbHR 2009, 225 (229) feststellt.

 

III. Die Gestaltungsmaschinerie läuft heiß

Für die Praxis heißt das: Steuergestaltung tut Not, niemand sollte steuerlich unberaten versterben!

 

1. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Verschonungsabschläge

Schon jetzt ist klar, dass die Voraussetzungen der Verschonungsabschläge über die Weitergabe von Betrieben schicksalhaft entscheiden. Deshalb wird man versuchen, diese Voraussetzungen zu Lebzeiten des Unternehmers schon umzusetzen. Es mag jedoch in der Praxis Fälle zuhauf geben, in denen eine Erfüllung und Überwachung der Voraussetzungen aus außersteuerlichen Gründen nicht oder (nicht rechtzeitig) geglückt ist. Das trifft nicht nur den zu früh verstorbenen Jungunternehmer. Doch zu welchem Zeitpunkt müssen die Voraussetzungen für die Verschonungsabschläge denn vorliegen? Diese spannende Frage beantwortet das Erbschaftsteuergesetz nicht direkt, aber in § 13a Abs. 1 S. 3 u. Abs. 7 sowie § 13b Abs. 2 S. 3 ErbStG müssen die jeweiligen Voraussetzungen "im Zeitpunkt des Entstehens der Steuer" (erst) vorliegen. Es kommt also auf den Steuerentstehungszeitpunkt an. Damit öffnet der auch nach der Erbschaftsteuerreform bestehen gebliebene § 9 ErbStG ein ganzes Füllhorn von komfortablen Gestaltungsmöglichkeiten: Die Steuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tode des Erblassers, jedoch insbesondere  für den Erwerb des unter einer aufschiebenden Bedingung, unter einer Betagung oder Befristung Bedachten sowie für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses. Beim Erwerb einer vom Erblasser angeordneten Stiftung entsteht die Erbschaftsteuer mit der Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig. Wird die Vollziehung einer Auflage oder die Erfüllung einer Bedingung testamentarisch angeordnet, entsteht die Erbschaftsteuer erst mit Vollziehung der Auflage oder der Erfüllung der Bedingung. Verzichtet der Pflichtteilsberechtigte gegen Abfindung oder schlägt ein Erbe aus, so entsteht die Erbschaftsteuer erst im Zeitpunkt des Verzichts oder im Zeitpunkt der Ausschlagung. Bei Anordnung der Vor- und Nacherbschaft entsteht die Erbschaftsteuer für den Nacherben erst mit dem Eintritt der Nacherbschaft.

Der Todeszeitpunkt des Erblassers kann somit für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Verschonungsabschläge erfüllt sind, umschifft werden. In den Zeitabschnitten vom Tod bis zum willentlich gesetzten Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer lassen sich die tatsächlichen Verhältnisse noch so einrichten, dass es erbschaftsteuerlich passt. Auf die zur alten Rechtslage vor dem Erbschaftsteuerreformgesetz von Finanzverwaltung und Rechtsprechung angenommene weitere Voraussetzung, dass schon in der Hand des Erblassers begünstigtes Vermögen vorgelegen haben müsse, kann es m.E. nach Schaffung der ganz neuen gesetzlichen Tatbestände der Verschonungsabschläge für Betriebsvermögen nicht mehr ankommen.

 

2. Verträge zu schließen, hilft bei Kapitalgesellschaftsbeteiligungen

Nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG zählen zum begünstigten Vermögen im Sinne der Verschonungsabschläge auch Anteile an EU-Kapitalgesellschaften, wenn der Erblasser oder Schenker zu mehr als 25 % unmittelbar beteiligt war. Der neue Satz 2 dieser Vorschrift eröffnet die Vergünstigung aber auch, wenn die Summe der ihm zuzurechnenden Anteile und der Anteile weiterer Gesellschafter die 25 %-Grenze überschreitet, die mit ihm einen Poolvertrag geschlossen haben, nach dem über die Anteile nur einheitlich zu verfügen ist oder diese ausschließlich auf andere Poolmitglieder zu übertragen sind und das Stimmrecht gegenüber nichtgebundenen Gesellschaftern nur einheitlich ausgeübt werden darf. Eine Vielzahl von Gestaltungsansätzen entsteht auch hier. Allerdings muss der Poolvertrag für die 85 %ige Verschonung über 7 Jahre und bei der 100 %igen Verschonung 10 Jahre nach dem Erbfall oder der Schenkung fortbestehen (§ 13a Abs. 5 S. 1 Nr. 5 ErbStG). Anders als beim Betriebsvermögen entfällt für Kapitalgesellschaftsanteile im Privatvermögen bei Aufhebung der Poolung die Erbschaftsteuerverschonung nicht mit dem Fallbeil, sondern nach dem zeitlichen Abschmelzungsmodell in den jeweiligen Behaltensfristen (§ 13a Abs. 5 S. 2 ErbStG). Ein weiteres Sahnehäubchen: Die Poolung hat sogar bei Kapitalgesellschaftsanteilen im Betriebsvermögen "rein waschende" Wirkung für die Quote des schädlichen Verwaltungsvermögens: gepoolte Anteile werden unschädlich (§ 13b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 ErbStG)!

 

IV. Fazit

Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich, dass die Erbschaftsteuer im Regelfall scharf zugreifen soll, aber vor lauter Ausnahmen wie ein Schweizer Käse dasteht (so auch Seer, GmbHR 2009, 225 [237]). Im Kollegenkreis hört man schon Wetten, dass die deutsche Erbschaftsteuer nach erneutem Strafstoß des BVerfG keine weiteren 5 Jahre mehr zu leben hätte. Doch Steuern können zäh und mit 7 Leben ausgestattet sein, man denke nur an die Gewerbesteuer!

 

 

*              Schriftleiter der Finanz-Rundschau.





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