Dr. Jobst-Joachim Neuss,
Luxemburg*

Von Acker- und Mannesmännern

Gedanken zu Abfindungspraktiken und Unternehmenskontrolle nach dem "Mannesmann-Urteil" des BGH

Kurz vor Jahresende 2005 hat der BGH ein Feuerwerk gezündet, dessen Leuchtspuren noch für lange Zeit am Himmel des deutschen Unternehmertums sichtbar sein werden. In seiner Mannesmann-Entscheidung (BGH v. 21.12.2005 -- 3 StR 470/04, AG 2006, 110) hat das Gericht ungewöhnlich deutlich Stellung zu den Abfindungspraktiken in Industrie und Wirtschaft genommen, die in der Öffentlichkeit ebenso umstritten sind wie sie von führenden Vertretern der Wirtschaft zum wesentlichen Element volkswirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit stilisiert werden.

I. Beginn und Ende der Mannesmann-Saga

Der zugrunde liegende Sachverhalt hat bereits für sich genommen ein faszinierendes Kapitel bundesdeutscher Wirtschaftsgeschichte zwischen "dot-com"-Rausch und aufkommender Globalisierung geschrieben.

Seit 1996 hatte Mannesmann, ein Unternehmen der Stahlbranche, das seinen Ruhm auf der Fertigung der von den Brüdern Mannesmann 1885 erfundenen Fabrikation nahtloser Stahlröhren gründete und seitdem zu den Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft zählte, im Telekommunikationssektor investiert. Die rasante Entwicklung des Mobilfunks veranlasste die Unternehmensleitung bereits 1999, den ehrwürdigen Technologiekonzern in ein Telekommunikationsunternehmen umzuwandeln. Zur gleichen Zeit überschlug sich die Entwicklung: der britische Telekomkonzern Vodafone gab Mitte November ein Übernahmeangebot für Mannesmann ab, das nach kurzer Auseinandersetzung am 3.2.2000 vom Mannesmann-Aufsichtsrat angenommen wurde.

Am 4.2.2000, einen Tag nach der Annahme des Übernahmeangebots, billigte der Aufsichtsrat der Mannesmann AG dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. Klaus Esser zusätzlich zu der ihm vertraglich zustehenden Abfindung von umgerechnet 15 Mio. € eine außervertragliche Sonderzahlung in Höhe von umgerechnet 16 Mio. € zu. Dies wurde mit der außergewöhnlichen Leistung von Dr. Klaus Esser sowohl im Hinblick auf die Steigerung des Unternehmenswerts während seiner Amtszeit als Vorstand der Mannesmann AG als auch insbesondere im Zusammenhang mit der Gesprächsführung während der Übernahmeauseinandersetzung begründet.

II. Sonderzahlungen als Straftatbestand?

Es war vor allem die Sonderzahlung, die in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen hervorrief und letztlich zur Strafanzeige gegen die Mitglieder des Mannesmann-Aufsichtsrats wegen Untreue führte. Das LG Düsseldorf war in seinem Urt. v. 22.7.2004 -- XIV 5/03 der Auffassung, dass die Gewährung der Sonderzahlung zwar aktienrechtlich pflichtwidrig gewesen sei, jedoch nicht den Tatbestand einer gravierenden Pflichtwidrigkeit erfülle und die Angeklagten zudem aufgrund der Annahme eines durch § 87 Abs. 1 AktG gegebenen Ermessensspielraums in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gem. § 17 StGB gehandelt hätten.

Der BGH indessen wischt die filigrane Betrachtungsweise des LG zu § 266 StGB gleichsam vom Tisch. Die Richter konzentrieren sich dabei auf den Charakter der Sonderzahlung als nachträglicher Anerkennung für in der Vergangenheit liegende Leistungen. Sofern eine solche Sonderzahlung nicht dem Grunde nach schon im ursprünglichen Vorstandsvertrag vereinbart war verlangt nun der BGH, dass die durch die Sonderzahlung honorierte Leistung dem Unternehmen einen bleibenden Vorteil verschafft oder wenigstens in die Zukunft reichende Anreizwirkung hat. Nur dann hat dem BGH zufolge der Aufsichtsrat überhaupt ein aktienrechtlich sanktioniertes Ermessen, durch nicht vertraglich geschuldete Sonderzahlungen an Vorstandsmitglieder in der Vergangenheit liegende Leistungen anzuerkennen. Anderenfalls wertet der BGH die von ihm sog. "kompensationslosen Anerkennungsprämien" kurz und bündig als "treupflichtige Verschwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens".

III. Über Leistung und Honorierung

Liest man die bisherige Entscheidungsgeschichte der Mannesmann-Saga, so fühlt man sich an eine Anekdote über den alten Kaiser Franz Joseph erinnert: als diesem einmal eine Arbeiterrevolte gemeldet wurde, soll er seinen Adjutanten irritiert gefragt haben: "Jo, derf’n die denn des?"

Dürfen "die" das, was dürfen "die" eigentlich, wie weit sind die für Normalbürger horrenden Zahlungsflüsse an Wirtschaftslenker gesellschaftlich tolerierbar, was müssen sich andererseits ebendiese Wirtschaftslenker in der engstirnigen deutschen Konsenskultur zumuten lassen -- sowohl LG als auch BGH lassen das Bemühen erkennen, Unbehagliches einzuhegen, neue Herausforderungen an den gesellschaftlichen "Anstandskonsens" mit dem bestehenden Instrumentarium der Rechtsordnung einzugrenzen.

Hier stellt sich wiederum ein anders geartetes Unbehagen ein: darf man außergewöhnliche Leistung nicht mehr honorieren, nur weil sie in der Vergangenheit erbracht worden und dem Unternehmen in Zukunft keinen (messbaren) Vorteil bringt (in diese Richtung vgl. Peltzer, ZIP 2006, 205 [207 f.])? Anders gesagt: darf man nicht mehr -- dankbar sein?

Der BGH scheint dies in der Tat zu verneinen: Anerkennungsprämien müssen entweder von vorneherein vertraglich vereinbart sein oder eine Leistung anerkennen, die dem Unternehmen einen bleibenden Vorteil gebracht hat (der allerdings auch im Leistungsansporn Dritter bestehen kann).

Ist dies tendenziell ungerecht (vgl. Peltzer, ZIP 2006, 205 [207])? Wird mit dem Knüppel des Strafrechts willkürlich auf die eingeschlagen, die bleibende Werte schaffen?

Nun ist Dankbarkeit kein Bestandteil internationaler Unternehmenskultur. Anerkennung erfolgt über Beförderungen oder Vergütung, jeweils für erbrachte Leistung, strikt nach dem Äquivalenzprinzip. Es versteht sich von selbst, gerade für die "Besserverdienenden", dass die Komponente "Vergütung" zu einem wesentlichen Teil variabel gestaltet und z.B. am Unternehmenserfolg oder an der eigenen "Performance" gemessen werden kann. Der vertragliche Rahmen hierfür ist jedoch in jedem Falle von vorneherein fixiert: kaum jemand käme auf den Gedanken, einem leitenden Angestellten außerhalb anstellungsvertraglichen Rahmenwerks Anerkennungsprämien für besonderen Einsatz im Unternehmensinteresse zu bezahlen. Dies gilt oft genug selbst dann, wenn der individuelle Einsatz einzelner Mitarbeiter nachweisbar zum langfristigen Unternehmenserfolg beigetragen hat, z.B. im Falle von Erfindungen, Entwicklungen etc.; Ausnahmen finden sich allenfalls in Sonderzahlungen an die gesamte Belegschaft oder spezifische Mitarbeitergruppen.

Was im spezifischen Fall von Mannesmann den außergewöhnlichen Beitrag des damaligen Vorstands und seines Vorsitzenden betrifft, so kommt dem LG Düsseldorf das nicht weiter zu kommentierende Verdienst einiger prägnanter Kommentare zu den allgemeinen Vertragspflichten eines Vorstands zu: "Nicht ausreichend ist ... eine bloß ungewöhnliche oder nur konkret nicht vorhersehbare Situation [z.B. ein Übernahmeangebot, Anm. d. Verf.], denn deren Meistern wird selbstverständlich von jedem Vorstandsmitglied erwartet. Deshalb sind Vorstände angestellt." Oder, an anderer Stelle: "Eine erneute Vergütung im Wege der Anerkennungsprämie stellt sich folglich als eine doppelte Vergütungsleistung für die gleiche Aufgabe dar." In der Tat wird man, unbeschadet jeglicher Polemik, sich die Frage stellen müssen, ab wann die "natürlichen" Pflichten eines Vorstandsmitglieds zur Mehrung des Gewinns und Steigerung des Vermögenswerts derart übererfüllt sind, dass eine nachträgliche Anerkennungsprämie über die i.d.R. schon nicht bescheidene Vorstandsvergütung hinaus gerechtfertigt ist.

Dadurch, dass der BGH dem Aufsichtsrat einen Ermessensspielraum für nachträgliche, außervertragliche Anerkennungsprämien, die für das Unternehmen ohne bleibendem Wert sind, glattweg versagt, erspart es sich die Mühe, über die Angemessenheit der Prämie zu rechten. So ist es konsequent dass der BGH den Tatbestand der Untreue in vollem Umfang für gegeben hält.

IV. Untreue zu wessen Nachteil?

Allein: Untreue zu wessen Nachteil? Hier bleibt die ansonsten so herzhafte Argumentation merkwürdig blass. Die Richter stellen auf die Vermögensbetreuungspflicht des Vorstands zugunsten der Rechtsperson des Unternehmens an sich ab und rügen, dass im Übrigen keine Hauptversammlung die Aufsichtsratsentscheidung absicherte. Zu wenig wird berücksichtigt, dass zum Zeitpunkt der Aufsichtsratsentscheidung ein bindendes Umtauschangebot seitens Vodafone vorlag, aufgrund dessen abzusehen war, dass Vodafone binnen weniger Wochen Alleineigentümer von Mannesmann sein würde. Vodafone hatte indessen zweifelsfrei seine Zustimmung zu der Anerkennungsprämie abgegeben.

Wer also leidet Schaden? Was bedeutet im Endeffekt eine Vermögensbetreuungspflicht zugunsten des "Unternehmens"? Wessen Interesse hat der von den Aktionären eines Unternehmens als wesentliches Kontrollscharnier der Eigentümer gegenüber der Unternehmensführung bestellte Aufsichtsrat letztlich zu wahren? Der BGH stellt auf das Unternehmen als eigene Rechtspersönlichkeit ab. Dies macht ökonomisch gesehen nur Sinn, wenn man davon ausgeht, dass die Vermögenswerte eines Unternehmens nicht nur den renditeversessenen Anteilseignern zustehen, sondern weitergehende Interessen repräsentieren, die weder von der Unternehmensführung noch von den Anteilseignern kontrolliert werden. Zu denken wäre etwa an Arbeitnehmer und Gläubiger oder sogar die Öffentlichkeit: auch ihnen wären demnach der Vorstand und der Aufsichtsrat vermögensbetreuungspflichtig.

Völlig neu wäre ein solcher Ansatz nicht: die Befürchtung, Unternehmenskontrolle nicht mit den gegebenen rechtlichen Mitteln ausreichend in den Griff zu bekommen ist nicht auf Deutschland beschränkt. Gerade aus der angelsächsischen Praxis heraus entwickeln sich Richtlinien zur "corporate governance" (Unternehmensführung und -struktur) sowie zur "corporate (social) responsibility" (Unternehmensethik), mit denen versucht wird, Grauzonen unternehmerischen Anstands zu erfassen: es soll eben nicht mehr alles das erlaubt sein, was nicht verboten ist. In Deutschland ist hierzu ein Corporate Governance Kodex entstanden, ein entsprechendes Regelwerk in Österreich stellt die Verantwortlichkeit der Unternehmensführung ausdrücklich in einen Zusammenhang, der weit über das Verhältnis Management -- Kapitalgeber/Anteilseigner hinausgeht (vgl. Austrian Code of Corporate Governance, Rz. 13). Ob der BGH auch diese Attacke auf die wirtschaftsdeutsche Konsenskultur reiten wollte, lässt sich indessen dem Urteil nicht unmittelbar entnehmen.

V. Verbotsirrtum?

Unbehagen bleibt dennoch angesichts der markigen Worte, mit denen der BGH das Urt. des LG Düsseldorf seziert. Im Zentrum dieses Unbehagens steht der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann. Das Urteil hat seinem, mitunter allzu redseligen (auch dies wurde mittlerweile im Verfahren Leo Kirch gegen Deutsche Bank höchstrichterlich festgestellt -- BGH v. 24.1.2006 -- XI ZR 384/03, s. Pressemitteilung des BGH Nr. 13/2006, GmbHR 2006, R 96) Aufsichtratsvorsitzenden Dr. Rolf E. Breuer die "Denkkappe" für Nachfolgeregelungen im Falle eines Rücktritts gerade zu einem Zeitpunkt aufgesetzt, da es Ackermann gelungen ist in der Deutschen Bank der Republik einen der letzten "global players" zu erhalten. Opfert der BGH Deutschlands fähigsten Manager auf dem Altar rigider Prinzipienreiterei?

Das Gericht indiziert einen möglichen Ausweg über die Schuldfrage und weist darauf hin, dass das LG Düsseldorf der Frage des Verbotsirrtums nach § 17 StGB nicht im Detail nachgegangen ist, da es den Untreuetatbestand verneint hat. Anders gesagt: der BGH regt an, zu untersuchen, ob die angeklagten Aufsichtsratsmitglieder der Mannesmann AG nicht unverschuldet glauben durften, über das zu ihrer Entscheidung nötige Ermessen zu verfügen. Dazu mag es durchaus rechtliche Anhaltspunkte geben (vgl. hierzu auch Peltzer, ZIP 2006, 205 [207]). Allerdings entwertet der BGH diese Hintertür jedenfalls für Josef Ackermann, indem er darauf hinweist, dass dieser seine Entscheidung entgegen den Bedenken der von ihm eigens konsultierten Wirtschaftsprüfer getroffen hat (Rz. 44). Ob da noch von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum eines Wirtschaftslenkers mit jahrzehntelanger internationaler Erfahrung gesprochen werden kann, bleibt der Würdigung der Tatsacheninstanz überlassen.

VI. Ausblick

"Mannesmann" wird unsere lindenstraßenerprobten Emotionen weiter beschäftigen: Fortsetzung folgt. Frei nach Böll: es muss etwas geschehen.

Aber -- was?

Während diese Zeilen geschrieben werden, wird offenbar, dass der ins Strudeln geratene Karstadt-Quelle-Konzern verurteilt wurde, Überstunden des Fahrers seines ehemaligen Vorstandsvorsitzenden abzugelten. Fahrer und Dienstwagen stehen diesem auch nach der Pensionierung auf Lebenszeit zu, Karstadt aber streicht 25.000 Stellen: Corporate Social Responsibility? Wohlgemerkt, diese Vereinbarung würde wohl auch der BGH nicht als Verschwendung von Gesellschaftsvermögen werten, war sie doch von vorneherein im Dienstvertrag des Vorstands vereinbart.

Dr. Klaus Esser hat auf dieses Recht verzichtet -- gegen einen Pauschalausgleich von 2 Mio €. ...

 

* Compliance, Europäischer Investitionsfonds.



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