Thomas Wachter, Notar, München

Das Bundesverfassungsgericht und die Erbschaft- und Schenkungsteuer

Auf ein baldiges Wiedersehen in Karlsruhe?

Überraschung aus Karlsruhe

Fast fünf Jahre musste die deutsche Öffentlichkeit auf die Entscheidung des BVerfG zum Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht warten. Am 31.1.2007 war es schließlich so weit -- an diesem Tage wurde der Beschl. des BVerfG v. 7.11.2006 -- 1 BvL 10/02 veröffentlicht (GmbHR 2007, 320, s. dazu Seer, GmbHR 2007, 281 -- beide in diesem Heft). Das BVerfG stellte fest, dass das geltende Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht verfassungswidrig ist. Die Überraschung war perfekt. Denn mit so einer Entscheidung hatte -- einmal abgesehen von den Richtern des Zweiten Senats des BFH, die den Fall nach Karlsruhe vorgelegt hatten -- wohl kaum jemand gerechnet. Das BVerfG räumt selbst ein, dass auch alle von ihm eingeholten Stellungnahmen die Vorlage als unzulässig bzw. als unbegründet angesehen haben. Nunmehr ist die Politik am Zug. Der Gesetzgeber muss -- ebenso wie nach der letzten Entscheidung zur Erbschaftsteuer (BVerfG v. 22.6.1995 -- 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 121 = GmbHR 1995, 679) -- wieder einmal, eine verfassungskomforme Neuregelung schaffen. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber dafür eine großzügig bemessene Frist bis Ende 2008 eingeräumt. Wird es dem Gesetzgeber diesmal gelingen, die Vorgaben des BVerfG in verfassungsmäßiger Weise umzusetzen? Zweifel daran sind bereits jetzt erlaubt, da das BVerfG viele Fragen offen gelassen hat. Der Gesetzgeber steht daher vor keiner ganz leichten Aufgabe. Dem Vernehmen nach soll die vom BVerfG vorgegebene Frist gleichwohl nicht ausgeschöpft werden. Eine gesetzliche Neuregelung könnte möglicherweise bereits früher, etwa zum 1.1.2008 in Kraft treten. Bis dahin gilt das bislang geltende Recht -- trotz seiner Verfassungswidrigkeit -- weiter. Jedenfalls insoweit besteht Rechtssicherheit.

Das BVerfG fordert, dass der Gesetzgeber künftig klar zwischen der Ebene der Bewertung und der Ebene der steuerlichen Verschonung trennen muss. Steuerliche Begünstigungen müssen offen ausgewiesen und begründet werden und dürfen nicht in den Bewertungsvorschriften "versteckt" werden.

Einheitliche Orientierung am gemeinen Wert

Bei der Bewertung muss sich der Gesetzgeber künftig für alle Vermögenswerte einheitlich am gemeinen Wert orientieren. Die derzeit geltende Bewertung von bebauten Grundstücken, Betriebsvermögen, Anteilen an (nicht börsennotierten) Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichem Vermögen genügt diesen Anforderungen nicht. Bei der Wahl der Wertermittlungsmethode ist der Gesetzgeber frei. Außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele dürfen bei der Bewertung aber nicht berücksichtigt werden.

Rechtsformunterschiede wird es bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Zukunft nicht mehr geben. Maßgebend ist künftig stets der gemeine Wert. Das ist der Wert, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 BewG). Wie aber soll dieser Wert ermittelt werden, wenn keine Veräußerung erfolgt? Dabei handelt es sich nach Auffassung des BVerfG nicht um eine verfassungsrechtliche Frage, sondern um ein "steuertechnisches Problem", dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren zu lösen ist. Die Anknüpfung an die Steuerbilanzwerte ist dem Gesetzgeber künftig jedenfalls verwehrt, weil sie nach Auffassung des BVerfG zu völlig willkürlichen Abweichungen vom gemeinen Wert führt. Dabei wollte der Gesetzgeber damit die aufwendige und streitanfällige Ermittlung des gemeinen Werts von Betriebsvermögen vermeiden. Bei der Übertragung von Unternehmensbeteiligungen wird die Einholung eines Wirtschaftsprüfergutachtens künftig in vielen Fällen wohl unerlässlich sein. Die Kosten der Bewertung wird vermutlich der Steuerpflichtige zu tragen haben.

Die Orientierung am gemeinen Wert wird vielfach zu einer deutlich höheren Bemessungsgrundlage führen. Das BVerfG weist zwar darauf hin, dass es an belastbaren empirischen Daten zur Höhe der bisherigen Bewertung fehlt, geht aber gleichwohl davon aus, dass zwischen den heute geltenden Steuerwerten und den gemeinen Werten eine erhebliche Diskrepanz besteht. Bebaute Grundstücke sollen z.B. durchschnittlich nur mit ca. 50 % ihres gemeinen Werts angesetzt werden, Betriebsvermögen mit ca. 58 % und Anteile an (nicht börsennotierten) Kapitalgesellschaften mit ca. 65 % des Verkehrswerts. Besonders eklatant sind die Bewertungsunterschiede bei land- und forstwirtschaftlichem Vermögen, dass für Steuerzwecke derzeit nur mit etwa 10 % des tatsächlichen Verkehrswerts bewertet wird. Zu einer höheren Bewertung dürfte es auch für noch nicht fällige Ansprüche aus Lebensversicherungen kommen, die künftig wohl nur noch mit dem Rückkaufswert, und nicht mehr mit zwei Dritteln der eingezahlten Prämien bewertet werden können.

Steuerliche Verschonung bleibt grundsätzlich zulässig

Die Entscheidung des BVerfG ist gleichwohl keine Steilvorlage für eine Erhöhung der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Das BVerfG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber frei steht, einzelne Vermögensgegenstände aus Gründen des Gemeinwohls durch steuerliche Verschonungsregelungen zu begünstigen. Als Beispiele für eine steuerliche Verschonung nennt das BVerfG Bewertungsabschläge, Freibeträge und Differenzierungen beim Steuersatz. Nicht entschieden wurde dagegen, ob die derzeit geltenden Vergünstigungen für unternehmerisches Vermögen (§§ 13a, 19a ErbStG) verfassungsgemäß sind.

Die Freiheit des Gesetzgebers, steuerliche Verschonungsregeln zu schaffen, ist allerdings nicht grenzenlos. Denn alle Umstände, die bereits bei der Bildung des Marktpreises berücksichtigt werden, können nicht zusätzlich noch als Rechtfertigung für eine steuerliche Begünstigung herangezogen werden. Demnach kann der Gesetzgeber den Erwerb von bebauten Grundstücken z.B. nicht mit dessen geringen Fungibität oder gesetzlichen Mieterschutzbestimmungen begründen. Anerkennenswerte Gründe des Gemeinwohls sind dagegen die Belange der Bau- und Wohnungswirtschaft. Nicht geäußert hat sich das BVerfG allerdings zu der Frage, welche Gründe des Gemeinwohls eine Begünstigung von unternehmerischen Vermögen rechtfertigen könnten. Das BVerfG hat insbesondere seine berühmte Formulierung aus dem Jahr 1995, wonach Betriebe "in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet" sind, nicht mehr aufgegriffen.

Der Umfang der steuerlichen Begünstigung steht keineswegs im Belieben des Gesetzgebers. Das BVerfG geht zwar davon aus, dass der Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände "gegebenenfalls auch sehr weitgehend" begünstigt werden kann. "Im Ausnahmefall" sei auch eine vollständige Steuerfreistellung möglich. Offen bleibt aber, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegt und wie weit eine Steuebegünstigung im Einzelfall reichen kann. Im Zusammenhang mit der Besteuerung bebauter Grundstücke lässt das BVerfG die Frage offen, ob eine steuerliche Begünstigung in Höhe von 50 % des gemeinen Werts zulässig wäre. Eine Begünstigung in dieser Höhe wäre allerdings notwendig, um lediglich die durchschnittliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage durch die künftige Orientierung am gemeinen Wert zu kompensieren.

Gesetz zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge

Das BVerfG hat sich zu dem -- ihm bereits bekannten -- Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge (dazu Wachter, GmbHR 2006, R 413) nicht ausdrücklich geäußert. Dies musste es auch nicht tun, nachdem der Gesetzesentwurf ja in keiner Weise entscheidungserheblich war. Gleichwohl wäre ein Hinweis darauf, ob die geplante Freistellung von unternehmerischen Vermögen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine steuerliche Verschonungsregelung genügt, für alle Beteiligten sehr hilfreich gewesen. Die Finanzminister der Länder und des Bundes gehen derzeit aber gleichwohl ganz überwiegend davon aus, dass das BVerfG die geplante Neuregelung legitimiert hat. Dem Vernehmen nach soll das Gesetz zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge, ergänzt um eine Neuregelung der Bewertung, sogar noch im Jahr 2007 verabschiedet werden. Allerdings ist keineswegs zweifelsfrei, ob ein solches Gesetz einer erneuten verfassungsrechtlichen Prüfung auch tatsächlich standhalten würde. Denn die Übertragung von Unternehmen wird man wohl kaum als "Ausnahmefall" bezeichnen können. Die Komplexität der geplanten Neuregelung weckt im Übrigen Zweifel an ihrer Zielgenauigkeit und Eindeutigkeit. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob es wirklich ausreichende Gründe des Gemeinwohls gibt, die eine vollständige Freistellung von unternehmerischem Vermögen von der Erbschaft- und Schenkungsteuer rechtfertigen können.

Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Das Warten auf klare und verlässliche Rahmenbedingungen für die Vermögensübertragung geht somit weiter. Der Gesetzgeber wird vermutlich schon bald handeln und erneut versuchen, das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht in verfassungskonformer Weise neu zu regeln. Hält er an seinen bisherigen Plänen für ein Gesetz zur Erleichterung der Unternehmensnachfolge fest, wird sich schon bald die Frage stellen, ob und wie lange dieses Gesetz Bestand haben wird. Denn eines ist schon jetzt sicher: die nächste Richtervorlage wird nicht lange auf sich warten lassen. Auf ein baldiges Wiedersehen in Karlsruhe!



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