Dr. Christoph Schärtl, LL.M., Regensburg*

 

Gesetzliche Rücklage und Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) -- ein Beispiel für ungenutzte Steuerungsmöglichkeiten des Reformgesetzgebers (?)

Der "Wille der Rechtsgemeinschaft (...) ist auf ein bestimmtes Verhalten der Rechtsunterworfenen gerichtet, er fordert dieses Verhalten, um es zu bewirken."     
(Engisch, Einführung in das juristische Denken, 10. Auflage 2005, S. 19 f.)

Recht als Sollensordnung hat stets auch die Funktion, auf das Verhalten des Rechtsunterworfenen einzuwirken, um auf diese Weise gesamtgesellschaftlich erwünschte Steuerungseffekte zu erzielen. Besondere Bedeutung erlangt dies im Gesellschaftsrecht, wo eine komplexe Gemengelage aus divergierenden Individualinteressen (Gesellschafter, Gläubiger, konkurrierende Marktteilnehmer etc.) und gesamtwirtschaftlichen Regelungspräferenzen besteht. Gleichzeitig führt die zunehmende Globalisierung der Märkte, der "Wettbewerb der nationalen Rechtsordnungen" und die Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf supranationale Entscheidungsträger zu einem schleichenden Bedeutungsverlust der nationalen Regelungsinstrumente, deren Anwendbarkeit -- jedenfalls partiell -- durch entsprechende Maßnahmen der Akteure (z.B. Wahl des Gründungsstatuts, Sitzverlegung, Umwandlung in europäische Gesellschaftsformen) beeinflusst werden kann. Der nationale Gesetzgeber steht daher vor besonderen Herausforderungen: Einerseits muss er versuchen, seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen bestmöglich umzusetzen und daher die Steuerungsfunktion der Rechtsordnung optimal zu nutzen, andererseits darf er den Bogen nicht überspannen, da anderenfalls ein Abwandern in ausländische Rechtsordnungen droht. Gerade Reformentwürfe müssen daher besonders kritisch auf ihren Steuerungseffekt hin untersucht werden, um Fehlsteuerung zu vermeiden und ungenutztes Potenzial zum "Feintuning" aufzudecken. Als Beispiel hierfür möge § 5a Abs. 3 des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.5.2007 (BT-Drucks. 16/6140-vorab, im Folgenden RegE-MoMiG) dienen.

 

§ 5a Abs. 3 RegE-MoMiG als Beispiel für eine gelungene Gesetzgebung?

Gemäß § 5a Abs. 3 RegE-MoMiG ist bei der Unternehmergesellschaft [UG] (haftungsbeschränkt) "eine gesetzliche Rücklage zu bilden, in die ein Viertel des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist". Diese darf nur "für Zwecke des § 57c verwandt werden".

Auf den ersten Blick erscheint dies als Umsetzung des in der Literatur entwickelten "akkumulierenden Stammkapitalkonzepts" (ausführlich Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals im europäischen Wettbewerb, 2006, S. 185 ff.), allerdings mit dem Unterschied, dass dort ein Anwachsen des Stammkapitals propagiert wird, während nach § 5a Abs. 3 RegE-MoMiG eine gesetzliche Rücklage zu bilden ist. Eine andere rechtstechnische Konstruktion ohne Folgewirkungen? Mitnichten, wie folgende Überlegungen zeigen:

 

Funktion der "gesetzlichen Rücklage" nach § 5a Abs. 3 RegE-MoMiG

Gemäß § 266 Abs. 3 HGB sind die "gesetzlichen Rücklagen" als Unterform der Gewinnrücklage auf der Passivseite einer Bilanz unter der Gliederungsziffer A.III.1. auszuweisen. Insoweit sind sie streng von den Kapitalrücklagen (Gliederungsziffer A.II.) bzw. sonstigen Formen der Gewinnrücklage zu unterscheiden. Da bisher das GmbH-Recht jedoch keine Pflicht zur Bildung "gesetzlicher Rücklagen" kannte (statt vieler Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 272 Rz. 9; Wiedmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB/Band 1, 2. Aufl. 2008, § 272 Rz. 29), ist fraglich, wie diese "neue" Form der Gewinnrücklagen rechtlich zu behandeln ist.

Erste Aufschlüsse scheint § 5a Abs. 3 S. 2 RegE-MoMiG zu geben, der ausdrücklich anordnet, dass die "gesetzlichen Rücklagen" nur zu Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftermitteln nach § 57c GmbHG verwendet werden dürfen. Damit scheint die Vorstellung verbunden, dass die "gesetzlichen Rücklagen" nach § 5a Abs. 3 S. 1 RegE-MoMiG gleichsam als Kapitalsammelbecken dienen, welche sowohl die Eigenkapitalausstattung der neugegründeten Gesellschaft verbessern, als auch Anreize zu der -- nicht zwingend vorgesehenen (vgl. RegE-MoMiG, S. 76 "keine zeitliche Begrenzung der Kapitalaufholung") -- Umwandlung der UG (haftungsbeschränkt) in eine GmbH setzen sollen, bei der ja bekanntlich keine Zwangsthesaurierungspflicht besteht. Eine an diesem Verständnis orientierte Auslegung müsste daher die "gesetzlichen Rücklagen" weitestgehend als unauflösbar verstehen, jedenfalls aber einem willkürlichen Zugriff der Gesellschafter entziehen.

Demgegenüber wird in der Literatur die Heranziehung der "gesetzlichen Rücklagen" zur Deckung eines etwaigen Jahresfehlbetrags als "selbstverständlich" angesehen (vgl. Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 [1488]; Veil, GmbHR 2007, 1080 [1083]; in die gleiche Richtung geht auch die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV v. 5.9.2007, S. 10). Begründet wird dies durch einen Rückgriff auf den für die "gesetzlichen Rücklagen" bei der AG geltenden § 150 AktG, der ebenfalls eine am Jahresüberschuss orientierte Rücklagenbildung vorsieht (§ 150 Abs. 1 AktG), diese jedoch betragsmäßig auf ein Zehntel bzw. den in der Satzung bestimmten höheren Teil des Grundkapitals beschränkt (§ 150 Abs. 2 Halbs. 2 AktG). Gleichzeitig sehen § 150 Abs. 3 u. 4 AktG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit zur Auflösung dieses Bilanzpostens vor, um Jahresfehlbeträge bzw. Verlustvorträge auszugleichen. Erreicht der so geschaffene "Reservefonds" (vgl. Schulz in Bürgers/Körber, Heidelbg.Komm.AktG, 2008, § 150 Rz. 2; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 150 Rz. 1) hierbei nicht den in § 150 Abs. 3 AktG vorgesehenen Mindestbetrag, so ist jedoch Voraussetzung, dass sämtliche andere bilanziellen Mittel zum Verlustausgleich (Auflösung des Gewinnvortrags bzw. anderer Gewinnrücklagen, Verwendung eines etwaigen Jahresüberschusses) ausgeschöpft worden sind (ausführlich Steiner in Heidel, AktG, 2. Aufl. 2007, § 150 Rz. 17 ff.; Euler/Wirth in Spindler/Stilz, AktG/Band 1, 2007, § 150 Rz. 19 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 17 Rz. 2).

Funktional lässt sich daher die "gesetzliche Rücklage" bei der AG -- ähnlich dem Winterspeck bei Tieren -- als vorgelagertes "Auffangpolster" (Claussen in Köln.Komm.AktG, 2. Aufl. 1991, § 150 Rz. 7) bzw. "elastische Verteidigungslinie" (Kropff in Münch.Komm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 150 Rz. 5) deuten, welches als Ausschüttungssperre kontinuierlich Vermögen in der Gesellschaft bindet (vgl. Brönner in Hopt/Wiedemann, Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 150 Rz. 14 ff.; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2006, 4.15), um so den Schutz der Gläubiger zu verbessern.

 

Unterschiedliche Funktion des § 5a Abs. 3 Reg-MoMiG und des § 150 AktG

Bereits diese schlagwortartige Skizzierung zeigt, dass § 5a Abs. 3 Reg-MoMiG und § 150 AktG nur partiell deckungsgleiche Ziele verfolgen: Als Gläubigerschutznormen sollen beide idealiter die Eigenkapitalausstattung der Kapitalgesellschaft verbessern. Während § 150 AktG jedoch von vornherein als flexibler Puffer ausgestaltet ist, der in wirtschaftlich erfolgreichen Jahren aufgefüllt wird, um Vorsorge für "schlechte Zeiten" zu treffen, dient  § 5a Abs. 3 Reg-MoMiG nicht nur -- wie § 150 AktG im Aktienrecht -- als Ausschüttungssperre zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung der UG (haftungsbeschränkt). Vielmehr ersetzt die Zwangsthesaurierungspflicht funktional das bei der UG (haftungsbeschränkt) fehlende Mindeststammkapital. Dieses ist nicht nur "Haftungsmasse" für die Gesellschaftsgläubiger, sondern besitzt darüber hinaus eine wichtige Steuerungsfunktion, indem es -- zumindest partiell -- die primär divergierenden Interessen von Eigen- und Fremdkapitalgebern synchronisiert (statt vieler Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433 [435]; Engert, GmbHR 2007, 337 [338]; Kleindieck, ZGR 2006, 335 [339]; Kuhner, ZGR 2005, 753 [769 ff.]; Wilhelmi, GmbHR 2006, 13 [14], jeweils m.w.N.). Gerade dies erfordert jedoch, dass die Gesellschafter am Unternehmen beteiligt bleiben. Daher muss der Gesetzgeber -- ebenso wie die Rechtsprechungspraxis -- Vorsorge dafür tragen, dass die durch die Zwangsthesaurierung bezweckte Eigenkapitalbindung nicht durch entsprechende Gestaltungsmaßnahmen seitens der Gesellschafter (Schaffung von Jahresfehlbeträgen durch entsprechend dotierte Geschäftsführergehälter etc.) umgangen werden kann (vgl. hierzu bereits Schärtl, GmbHR 2007, R 305 [R 306]; Veil, GmbHR 2007, 1080 [1083]).

 

Folgerungen für § 5a Abs. 3 RegE-MoMiG

Entgegen der sich wohl herausbildenden h.M. ist die Auflösbarkeit der gemäß § 5a Abs. 3 Reg-MoMiG gebildeten "gesetzlichen Rücklagen" keineswegs selbstverständlich. Vielmehr ergibt sich aus dem Regelungszweck der Norm, dass eine Auflösbarkeit der Rücklagen jedenfalls dann nicht in Betracht kommt, wenn die auszugleichenden Jahresfehlbeträge durch entsprechende Maßnahmen seitens der Gesellschafter generiert worden sind. Rechtstechnisch bietet sich hierfür eine nur restriktiv gehandhabte analoge Anwendung des § 150 AktG an.

Allerdings führt ein derartiges Verständnis zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und könnte zu einem neuen Brennpunkt gerichtlicher Auseinandersetzung werden (etwa hinsichtlich der Frage, inwieweit die Geschäftsführergehälter angemessen waren etc.). Ob dies wünschenswert ist, ist mehr als zweifelhaft.

Vorzugswürdig erscheint es daher, bis zum Erreichen eines substanziellen Mindestsockelbetrags (hierzu ausführlich Schärtl, aaO, 2006, S. 189 ff.) die generelle Unauflösbarkeit der nach § 5a Abs. 3 Reg-MoMiG gebildeten "gesetzlichen Rücklage" zu postulieren. Dies entspräche am ehesten der vom Gesetzgeber bezweckten Regelungsintention und hätte gleichzeitig positiven Einfluss auf das Verhalten der Gesellschafter, die nicht zu Umgehungsversuchen eingeladen würden.

Angesichts der aktuellen Diskussion ist es daher Aufgabe des Gesetzgebers, an dieser Stelle für Klarheit zu sorgen. Dies könnte entweder durch eine entsprechende Ergänzung des § 5a Abs. 3 S. 2 Reg-MoMiG geschehen oder -- vorzugswürdig -- durch Ersatz der gesetzlichen Rücklagenbildung durch eine zwingende Akkumulation des Stammkapitals (vgl. Schärtl, GmbHR 2007, 344 [348 ff.]). Letzteres hätte den Vorteil, dass sämtliche schon bisher für das Mindeststammkapital geltenden Schutzinstrumente Anwendung fänden und die unterschiedliche Funktion der Zwangsthesaurierung im Aktien- und GmbH-Recht zum Ausdruck käme.

 

Fazit

Die bisherigen Überlegungen zeigen, wie wichtig eine umfassende Analyse des Steuerungspotenzials von Normen gerade im Gesellschaftsrecht sein kann. Insbesondere Änderungen seitens des Gesetzgebers sollten daher stets daraufhin überprüft werden, welche Steuerungsanreize gesetzt werden. Einen interessanten Beitrag hierzu leistet der Aufsatz von Leyendecker, GmbHR 2008, 302 -- in diesem Heft, der sich mit der ökonomischen Rechtfertigung der UG (haftungsbeschränkt) auseinandersetzt und der Frage nachgeht, inwieweit bei dieser eine Haftungsbeschränkung -- trotz Abschaffung eines Mindeststammkapitalerfordernisses -- legitimiert werden kann.

 

*      Habilitand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Deutsches, Europäisches und Internationales Verfahrensrecht von Prof. Dr. Herbert Roth, Universität Regensburg.

 




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