Tobias Freudenberg,
Rechtsanwalt, Köln*

Arbeitnehmerbeteiligung ohne Arbeitnehmer?

Mitbestimmung bei der Vorrats-SE beschäftigt Registergerichte

Die Europäische Gesellschaft (Societas Europaea, SE) wartet noch auf ihren Durchbruch. Auch nachdem mit der Allianz AG erstmals ein Schwergewicht die Umwandlung in eine SE bekannt gab, schwappte keine Gründungswelle über Europa. Nun aber werden vermehrt sog. Vorrats-SE gegründet und gehandelt. Die Rechtslage ist alles andere als eindeutig. Insbesondere die Mitbestimmung bereitet den Registergerichten Kopfzerbrechen: Denn Art. 12 Abs. 2 SE-VO sieht als Eintragungsvoraussetzung eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung oder einen Nichtverhandlungsbeschluss vor. Doch die Vorrats-SE ist zwangsläufig arbeitnehmerlos.

Was hat das für Konsequenzen? Ist etwa die Vorratsgründung per se unzulässig? Oder ist das mitbestimmungsrechtliche Beteiligungsverfahren dort entbehrlich? Welche Nachweispflicht trifft dann die Gründer? Und wie weit geht die Prüfungspflicht des Registergerichts?

Die arbeitnehmerlose SE ist grundsätzlich zulässig. Die ersten Gerichtsentscheidungen sprechen insoweit eine eindeutige Sprache: Die Beschäftigung von Arbeitnehmern ist keine (ungeschriebene) Voraussetzung für die Gründung einer Europäischen Gesellschaft. Das AmtsG und das LG Hamburg (beide inzident) sowie die Amtsgerichte Düsseldorf und Berlin (beide explizit) haben in der Arbeitnehmerlosigkeit der SE jedenfalls kein Eintragungshindernis gesehen (AmtsG Hamburg v. 28.6.2005 -- 66 AR 76/05, bestätigt durch LG Hamburg v. 30.9.2005 -- 417 T 15/05; AmtsG Düsseldorf -- HRB 52618; AmtsG Berlin-Charlottenburg -- HRB 96289 B).

Weniger Einigkeit herrscht hinsichtlich des Verfahrens zur Sicherung der Arbeitnehmerbeteiligung: Ist zu verhandeln, wenn zwar nicht die SE selbst, wohl aber deren Gründer Arbeitnehmer beschäftigen? Müssen die Gründer belegen, keine Arbeitnehmer zu beschäftigen bzw. keine Arbeitnehmervertretung zu haben, wenn dies der Fall ist? Während die Gerichte in Hamburg und Düsseldorf insoweit auf einer Linie liegen, schert das AmtsG Berlin-Charlottenburg aus.

Im Hamburger Fall war zwar die SE arbeitnehmerlos, ihre Gründungsgesellschaften jedoch nicht. In dieser Konstellation hielt das Registergericht die Durchführung des mitbestimmungsrechtlichen Verfahrens für zwingend erforderlich; denn die Regeln über das Beteiligungsverfahren bestünden auch zugunsten der Beschäftigten in den Gründungsgesellschaften. Da mit deren Vertretern hier weder eine Mitbestimmungsvereinbarung getroffen wurde, noch ein Beschluss über die Nichtaufnahme von Verhandlungen vorlag und auch die Verhandlungsfrist nicht verstrichen war, lehnte der Richter die Eintragung unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 2 SE-VO ab. Das LG Hamburg bestätigte dies.

Beim AmtsG Düsseldorf lag der Fall anders. Hier beschäftigten auch die Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer. Da nicht vorhandene Arbeitnehmer keine Vereinbarung schließen können, sei die Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO i.V.m. § 1 SEAG im Eintragungsverfahren nicht zu beanstanden. Allerdings erstrecke sich die materielle Prüfungspflicht auch auf die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei den Gründern. Erforderlich sei daher deren Versicherung, keine Arbeitnehmer zu beschäftigen und keine Arbeitnehmervertretung zu haben (eine Erklärung dazu hatte auch das AmtsG Hamburg eingeholt). Folge: Ohne Abgabe einer solchen Negativerklärung sei die Eintragung abzulehnen. Im entschiedenen Fall lag sie jedoch bei der Anmeldung vor.

Im Fall des AmtsG Berlin wurde weder ein mitbestimmungsrechtliches Beteiligungsverfahren durchgeführt, noch wurde ein Negativ-Attest eingereicht. Dennoch kam es zur Eintragung. Begründung des Richters: Eine Negativerklärung sei im Gesetz nicht vorgesehen und auch nicht im Hinblick auf § 38 AktG und § 12 FGG anzufordern. Die Ermittlungspflicht des Registergerichts im formalen Verfahren sei dann beschränkt, wenn keine Anhaltspunkte für die Beschäftigung von Arbeitnehmern vorlägen. Dies sei gerade bei einer Vorratsgründung der Fall. Anderes gelte ggf. bei der Gründung von SE-Holdings, SE-Töchtern oder SE-Sitzverlegungen sowie bei späterer Verwendung der Vorrats-SE.

Damit bekommt die Definition des Umfangs der Prüfungspflicht nicht unerhebliche gesellschafts- und mitbestimmungsrechtliche Bedeutung; denn bei Eintragung trotz fehlendem Nachweis besteht Bestandsschutz. Eine Nichtigerklärung oder Auflösung der SE nach § 144a FGG kommt nicht in Betracht, § 142 FGG ist mangels Wesentlichkeit des Nachweises gar nicht erst anwendbar.

Dieser Fall dürfte aber in der Praxis kaum relevant werden. In Anbetracht der Entscheidungen aus Hamburg und Düsseldorf sind SE-Vorratsgründer gut beraten, in Zukunft die Negativerklärung zur Anmeldung einzureichen. Das reicht nach der bisherigen Rechtsprechung aus. Das Schauspiel, dass Vorratsgründer zuletzt in Frankfurt a. M. aufgeführt haben sollen, ist weder erforderlich noch besonders einfallsreich: Dort wurden kurzerhand einige -- offensichtlich rechtskundige -- Arbeitnehmer eingestellt, die in einer Vereinbarung mit dem Leitungsorgan auf sämtliche Beteiligungsrechte verzichteten und ihr Arbeitsverhältnis sogleich kündigten.

Ausblick: Mindestens ebenso unklar ist die Rechtslage, wenn die Vorrats-SE nach Veräußerung eine unternehmerische Tätigkeit aufnimmt. Ausdrückliche Regelungen dazu fehlen. Gilt die deutsche Rechtsprechung zur wirtschaftlichen Neugründung oder reicht die Missbrauchskontrolle nach Maßgabe von Art. 11 SE-RL? Und wie weit geht hier die registergerichtliche Kontrolle? Da solche Fälle bereits bekannt sind, dürfte entsprechende Rechtsprechung nicht lange auf sich warten lassen. Die Entwicklung bleibt somit spannend.

 

* Redaktion AG und GmbHR.



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