Dr. Helmut Rehm, WP/StB / Jürgen Nagler, RA/StB, Frankfurt a. M.*

 

EU-Kommission droht Deutschland mit Klagen vor dem EuGH wegen Quellensteuern

 

I. Mahnschreiben der EU-Kommission

Nach zwei Pressemitteilungen vom 31.1.2008 (IP/08/143 und IP/08/144) droht die Europäische Kommission der Bundesrepublik Deutschland, sie im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG-Vertrag (EG) zu verklagen.

Nach der Pressemitteilung IP/08/143 moniert die EU-Kommission, dass Dividendenzahlungen an deutsche Pensionskassen einer ermäßigten Quellensteuer unterliegen bzw. dass die abgeführten Quellensteuern den deutschen Pensionskassen teilweise zurückerstattet werden. Zudem werden Dividendenzahlungen an inländische Pensionsfonds auf Nettobasis unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben besteuert. Bei Dividendenzahlungen an in anderen EU- bzw. EWR-Staaten ansässige Pensionskassen wird diese Ermäßigung bzw. Erstattung hingegen nicht gewährt. Schließlich erfolgt bei Zahlungen an EU- bzw. EWR-Pensionsfonds auch keine Besteuerung auf Nettobasis unter Berücksichtigung von Betriebsausgaben.

Anlass der Pressemitteilung IP/08/143 ist das Schr. des BMF v. 5.4.2007 -- IV C 8 - S 2411/07/0002 -- DOK 2007/0137866, BStBl. I 2007, 449. Unstrittig ist inzwischen, dass § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 u. 2 EStG wohl gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Nach dieser Vorschrift werden nämlich die den Betrag von 1.000 € übersteigenden Einkünfte aus künstlerischen, journalistischen und sportlichen Darbietungen von beschränkt Steuerpflichtigen ohne Berücksichtigung von Werbungskosten im Wege einer 20 %-igen Quellensteuer auf das Bruttoentgelt erhoben. Da weder die Möglichkeit der Veranlagung, noch der Berücksichtigung von Werbungskosten besteht, verstößt eine solche Bruttobesteuerung mit Abgeltungswirkung wohl auch nach Ansicht des BMF gegen Gemeinschaftsrecht. Aus diesem Grund hat das BMF im obigen Schreiben angeordnet, dass bis zu einer gesetzlichen Neuregelung der gemeinschaftsrechtswidrigen Vorschrift Werbungskosten berücksichtigt werden können, wenn sie mindestens 50 % des Entgelts betragen.

Da aber bei Berücksichtigung der Werbungskosten der Steuersatz von 25 % auf 40 % erhöht wurde, sieht die EU-Kommission auch in der geänderten Verwaltungspraxis eine gegen die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG verstoßende Diskriminierung. Sollte die Bundesrepublik Deutschland den Bedenken der EU-Kommission nicht zeitnah Rechnung tragen, so droht Deutschland nach Art. 226 EG-Vertrag eine Klage vor dem EuGH.

 

II. EU-Kommission: Quellensteuern diskriminierend

Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland augenblicklich eine diskriminierende Quellenbesteuerung von Ausschüttungen an in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR (= aktuell Island, Liechtenstein und Norwegen) ansässige ausländische Pensionsfonds bzw. Zahlungen an nicht gebietsansässige Künstler, Sportler und Journalisten vornimmt. Die diskriminierende Besteuerung von Zahlungen an beschränkt Steuerpflichtige liegt in der Annahme eines bestimmten Steuersatzes und der Abgeltungswirkung des Steuerabzugs, wodurch eine Veranlagung ausgeschlossen ist. Im Ergebnis erfolgt damit bei Zahlungen an beschränkt Steuerpflichtige eine ungünstigere Besteuerung als bei vergleichbaren Zahlungen an unbeschränkt Steuerpflichtige.

Wegen der Abgeltungswirkung des (Quellen-)Steuerabzugs entfällt eine Veranlagung und damit die nur unbeschränkt Steuerpflichtigen Zahlungsempfängern vorbehaltene Möglichkeit, unstrittig entstandene Werbungskosten in Abzug zu bringen. Bemerkenswert ist, dass die Europäische Kommission am selben Tag noch an weitere 11 Mitgliedstaaten entsprechende (Mahn-)Schreiben versandt hat. Man kann daraus schließen, dass es sich bei der EU-rechtswidrigen Quellenbesteuerung um ein Problem vieler Mitgliedstaaten handelt, die irrigerweise von der Zulässigkeit der ungünstigeren Besteuerung von Zahlungen ins Ausland ausgehen.

 

III. Folgen für den Quellensteuerabzug

Um allgemein beurteilen zu können, ob eine Quellenbesteuerung gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht im Sinne der obigen Kommissionsinitiative verstößt, muss man zunächst die EU-Konformität verschiedener Steuerregelungen prüfen.

 

IV. Differenzierung zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht

Die an die Ansässigkeit des Zahlungsempfängers knüpfende Differenzierung zwischen beschränkter (§ 1 Abs. 4 EStG) und unbeschränkter (§ 1 Abs. 1 EStG) Steuerpflicht ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Die Mitgliedstaaten dürfen bestimmte Steuervergünstigungen, die -- wie z.B. der Grundfreibetrag -- die persönlichen Lebensumstände des Steuerpflichtigen berücksichtigen sollen, beschränkt Steuerpflichtigen verweigern. Nur für den Fall, dass ein beschränkt Steuerpflichtiger nahezu sein gesamtes Welteinkommen im Staat der beschränkten Steuerpflicht erzielt, ist dieser Staat verpflichtet, ihn wie einen unbeschränkt Steuerpflichtigen zu behandeln. Mangels entsprechendem Einkommen kann nämlich der Wohnsitzstaat die persönlichen Lebensumstände dieses Steuerpflichtigen nicht berücksichtigen.

Da die Bundesrepublik Deutschland mit § 1 Abs. 3 EStG i.V.m. § 1a EStG dieser Anforderung in ausreichendem Maße nachgekommen ist, verstößt die Differenzierung zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflichtig nicht gegen Gemeinschaftsrecht. Es ist allerdings für jede Steuervergünstigung zu prüfen, ob sie -- etwa durch Anwendung von § 50 EStG -- in gemeinschaftsrechtskonformer Weise beschränkt Steuerpflichtigen verweigert werden darf (siehe § 50 EStG).

Soweit etwa § 50 Abs. 3 EStG beschränkt Steuerpflichtigen die Anwendung des Grundfreibetrags (§ 32a Abs. 1 EStG) versagt, ist er EU-rechtskonform. Ein Verstoß gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht in Gestalt von Art. 18, 39, 49 EG liegt hingegen in -- im Ergebnis ungünstigeren -- (Mindest-)Steuersätzen für beschränkt Steuerpflichtige (siehe VI.).

 

V. Quellensteuererhebung diskriminierend

Mit Beschl. v. 29.11.2007 -- I B 187/07 hat der BFH die Ansicht geäußert, die Steuererhebung im Wege des Quellensteuerabzugs sei auch nach Inkrafttreten der Beitreibungsrichtlinie gemeinschaftsrechtskonform. Hieran sind erhebliche Zweifel angebracht, da es sich auch bei der auf im Ausland ansässige Zahlungsempfänger beschränkten (Quellen-)Steuererhebung um eine nachteilige Verfahrensmodalität handelt. Der BFH gelangt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu dem Ergebnis, dass die Beitreibungsrichtlinie angesichts heterogener Verwaltungsabläufe in den einzelnen Mitgliedstaaten, sprachlicher Schwierigkeiten im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr und ähnlicher Unabgestimmtheiten gegenwärtig noch unzulänglich sei. Da sie nicht geeignet sei, die auch vom EuGH ausdrücklich bestätigte Effizienz einer Steuererhebung im Abzugswege zu substituieren, soll die Steuererhebung im Abzugsweg EU-konform sein.

Der Umstand, dass der BFH ernstliche Zweifel aber nur im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes verneint, deutet darauf hin, dass er im Hauptsacheverfahren durchaus eine Vorlage nach Art. 234 Abs. 3 EG vornehmen könnte. Damit würden die Zweifel der Autoren an der EU-Rechtskonformität der nur bei Zahlungen ins Ausland erfolgenden Steuererhebung im Abzugswege bestätigt.

 

VI. Differenzierende Steuersätze, Werbungskostenabzugsverbot und Veranlagungsausschluss

Sowohl differenzierende Steuersätze, als auch Abzugsverbote für mit diesen Einnahmen zusammenhängende Werbungskosten und damit der Ausschluss von der Veranlagung können gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrages verstoßen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich für einen unbeschränkt Steuerpflichtigen mit vergleichbaren Einnahmen unter Hinzurechnung der unbeschränkt Steuerpflichtigen vorbehaltenen persönlichen Steuervergünstigungen (s. IV.) eine niedrigere Besteuerung ergibt. Konkret ist auf die Nettoeinkünfte des beschränkt Steuerpflichtigen der progressive Steuertarif zuzüglich eines Betrags in Höhe des Grundfreibetrags anzuwenden (BFH v. 19.11.2003 -- I R 34/02, BStBl. II 2004, 773).

 

VII. Beispiel: Aufsichtsratssteuer nach § 50a Abs. 1 EStG

Nach § 50a Abs. 1 -- 3 EStG unterliegt die Aufsichtsratsvergütung von in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Aufsichtsräten ohne Berücksichtigung von Werbungskosten (brutto) einem Steuerabzug von 30 %. Die Besteuerung erfolgt brutto und der Steuerabzug hat Abgeltungswirkung (§ 50 Abs. 5 S. 1 EStG). Wegen des Ausschlusses der Veranlagung unterbleibt auch die Berücksichtigung von Werbungskosten. Es wird nun unterstellt, dass die Aufsichtsratsvergütung 20.000 € beträgt und die nicht der deutschen Steuer unterliegenden Einkünfte 7.000 € betragen. Dem Aufsichtsrat sind im Zusammenhang mit seiner Aufsichtsratstätigkeit unstrittig Werbungskosten i.H.v. 10.000 € entstanden.

In diesem (Beispiels-)Fall ist die Besteuerung im Abzugswege mit einem Steuersatz von 30 % gegenüber dem Inländersteuersatz von 17 % ungünstiger und verstößt gegen Art. 49 EG. Ein vergleichbarer inländischer Aufsichtsrat unterläge nämlich mit einem zu versteuernden Einkommen von 17.000 € (nach Berücksichtigung der Werbungskosten von 10.000 €) unter Hinzurechnung des Grundfreibetrags von 7.664 € einer Steuer von 4.170 €. Die Steuer ergibt sich nach der lfd. Nr. 473 der ESt.-Grundtabelle bei einem Einkommen von 24.664 € und entspricht einem Steuersatz von 17 %.

Nun gilt es aber zu bedenken, dass es sich bei Aufsichtsräten regelmäßig um Personen handelt, bei denen die Aufsichtsratsvergütungen nur einen kleinen Bruchteil ihrer (Welt-)Einkünfte ausmachen. Folglich wäre auch auf die Aufsichtsratsvergütung der Spitzensteuersatz von rund 45 % (inkl. Solidaritätszuschlag) anzuwenden. Dann ist der Abzugssteuersatz von 30 % deutlich günstiger, falls nicht hohe Werbungskosten entstanden sind.

Folglich ist das Vorgehen gegen eine diskriminierende Besteuerung nur dann erfolgversprechend, wenn sich im Rahmen des vorzunehmenden Belastungsvergleichs eine günstigere Behandlung unbeschränkt Steuerpflichtiger ergibt. Pauschal kann daher nicht die Feststellung getroffen werden, dass die Regelungen des § 50a Abs. 1 -- 3 EStG gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen.

 

VIII. Fazit

Die von der EU-Kommission angedrohten Klagen gegen diverse Mitgliedstaaten deuten auf eine EU-rechtswidrige (Quellen-)Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger hin. Nur wenn Quellensteuerabzug, Bruttobesteuerung und der Ausschluss von der Veranlagung insgesamt zu einer nachteiligen Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger führen, liegt ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vor.

 

*              Beide im KPMG Geschäftsbereich Tax.




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