Dr. Jens Kleinert und Dr. Felix Podewils, Rechtsanwälte, Frankfurt a. M.*

 

Der Entwurf eines "Steueroasen-Gesetzes"

 

Nahezu zeitgleich mit seinem Amtsantritt hat der Bundesfinanzminister sich auf einen Kreuzzug gegen tatsächliche wie vermeintliche Steuersünder begeben. Den besonderen Unmut von Peer Steinbrück haben sich dabei auch diejenigen ausländischen Staaten zugezogen, die er als sog. Steueroasen ansieht.

Im Rahmen dieses Kreuzzuges hat das BMF mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken und der Steuerhinterziehung vom 13. Januar diesen Jahres (Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz, auch als "Steueroasen-Gesetz" bekannt), eine neue Offensive eingeleitet. Nachfolgend sollen die wesentlichen Elemente dieses Gesetzesentwurfs dargestellt und sodann auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.

 

Versagung des Betriebsausgaben-/Werbungskostenabzugs

§ 51 Abs. 1 Nr. 1 f) EStG i.d.F. des Gesetzesentwurfs (EStG-Entw.) soll die Bundesregierung ermächtigen, zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken per Rechtsverordnung zu bestimmen, ob und in welchem Umfang Aufwendungen nicht oder nur unter Erfüllung erhöhter Nachweispflichten als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abgezogen werden können, wenn die entsprechenden Zahlungen an eine Person mit Sitz, Wohnsitz oder Geschäftsleitung in einem Staat geleistet werden, mit dem kein Auskunftsaustausch nach den OECD-Standards möglich ist ("Oasen-Staat"). Gleiches soll auch schon dann gelten, wenn eine Zahlung lediglich über ein in einem solchen Staat geführtes Bankkonto abgewickelt wird. Im Gegensatz zum Referentenentwurf ist derzeit zumindest geplant, dass der Steuerpflichtige diese Folgen vermeiden kann, indem er selbst dem deutschen Fiskus diejenigen Informationen zur Verfügung stellt, deren Herausgabe die ausländischen Finanzbehörden verweigern.

 

Ausnahmen von Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG sowie von der Abgeltungsteuer

Ebenfalls per Rechtsverordnung soll die Bundesregierung zukünftig bestimmen können, dass für Dividenden und Veräußerungsgewinne das Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG sowie die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 u. 2 KStG ganz oder teilweise keine Anwendung finden, wenn die entsprechenden Einnahmen von einer Gesellschaft mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem "Oasen-Staat" stammen, § 51 Abs. 1 Nr. 1 h) EStG-Entw. sowie § 33 Abs. 1 Nr. 2 e) KStG-Entw. In diesen Fällen soll die Bundesregierung auch die Anwendung der Abgeltungsteuer ganz oder teilweise ausschließen können.

 

Erweiterte Auskunftspflichten sowie Einführung allgemeiner Aufbewahrungspflichten für bestimmte Steuerpflichtige

Geben entweder konkrete Anhaltspunkte oder aber allgemeine Erfahrungen Anlass zur Vermutung, der Steuerpflichtige verfüge über Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in einem "Oasen-Staat", kann er nach § 90 Abs. 2 S. 3 AO-Entw. verpflichtet werden, hierüber auf amtlichen Vordruck Angaben zu machen und muss zudem diese Institute von ihrer Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden.

Als weitere Neuerung soll bei Überschusseinkünften (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) von über 500.000 € der Steuerpflichtige zur Aufbewahrung über die den Einnahmen und Werbungskosten zugrunde liegenden Unterlagen über einen Zeitraum von 6 Jahren verpflichtet werden (§ 147a AO-Entw.).

Flankierend sehen § 193 Abs. 1 sowie § 162 Abs. 2 S. 3 AO-Entw. nunmehr für solche Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Außenprüfung sowie erweiterte Schätzungsbefugnisse der Finanzbehörden vor.

 

Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitserfordernis

Teilweise scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Bestimmtheitserfordernis dem Adressaten einer Rechtsnorm sowohl ihre tatbestandlichen Voraussetzungen als auch ihre Rechtsfolgen hinreichend klar sein müssen (vgl. BVerfG v. 9.5.1972 -- 1 BvR 518/62, BVerfGE 33, 125; v. 27.11.1990 -- 1 BvR 402/87, BVerfGE 83, 130). Dies gilt im Steuerrecht in besonderem Maße, denn Steuerrecht ist Eingriffsverwaltung (umfassend Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, 2001, S. 189).

Dem Gebot der Rechtsklarheit genügen die im Gesetzesentwurf bei Formulierung der einzelnen Tatbestände verwendeten Begriffe in keiner Weise. Es handelt sich vielmehr um eine beachtliche Ansammlung unbestimmter und unscharfer Rechtsbegriffe. So ist unklar, was unter "schädlichen Steuerpraktiken" i.S.v. § 51 Abs. 1 Nr. 1 f) bis h) EStG-Entw. sowie § 33 Abs. 1 Nr. 2 e) KStG-Entw. sowie unter "allgemeinen Erfahrungen" i.S.v. § 90 Abs. 2 S. 3 AO-Entw. zu verstehen sein soll. Auf Rechtsfolgenseite fällt ins Auge, dass der Bundesregierung als Verordnungsgeberin regelmäßig "carte blanche" gewährt wird bei der Frage, ob die entsprechenden Rechtsfolgen ganz oder teilweise eintreten. Der Steuerpflichtige kann somit nicht absehen, ob z.B. der Abzug seiner Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten gänzlich oder nur teilweise oder nur bei Nichterfüllung von -- i.Ü. ebenfalls nicht näher spezifizierten -- weiteren Nachweispflichten ausgeschlossen sein wird.

Zwar würden die auf Grundlage der obigen Verordnungsermächtigungen zu erlassenden Verordnungen hier mutmaßlich eine gewisse Präzisierung bewirken; wie in Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG explizit normiert, muss aber bereits die Verordnungsermächtigung hinreichende Bestimmtheit aufweisen. Der Bürger, sprich vorliegend der Steuerpflichtige, muss aus dem Gesetz selbst ersehen können, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnungen haben können (BVerfG v. 13.6.1956 -- 1 BvL 17/56, BVerfGE 5, 71; Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 8. Aufl. 2006, Art. 80 Rz. 11 ff., m.w.N.).

Dieser Anforderung werden die dargestellten Regelungen des Gesetzesentwurfs nicht gerecht. Mit der Blankettermächtigung an die Bundesregierung begibt sich der Gesetzgeber zudem seiner ureigensten Funktion und verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Nach der sog. Wesentlichkeits-Rechtsprechung des BVerfG muss der Gesetzgeber nämlich gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung eine parlamentsgesetzliche Eingriffsgrundlage schaffen (vgl. auch Grzesnick in Maunz/Dürig, GG, Stand: Dezember 2007, Art. 20 VI Rz. 105 ff.).

 

Generalverdacht gegen bestimmte Steuerpflichtige

Mit dem Gesetzesentwurf werden bestimmte Steuerpflichtige, nämlich solche mit Überschusseinkünften von über 500.000 € letztlich unter einen Generalverdacht der Steuerunehrlichkeit gestellt, da diesem Personenkreis zum einen besondere Aufbewahrungspflichten für steuerlich relevante Unterlagen auferlegt werden sollen, die zudem nicht auf die jeweilige Einkunftsart begrenzt sind, und zum anderen der Finanzverwaltung in Bezug auf diesen Personenkreis erweiterte Befugnisse zur Durchführung von Außenprüfungen sowie zur Schätzung von Einnahmen an die Hand gegeben werden sollen. Ein solches Sonderrecht für Steuerpflichtige, geschaffen allein in Bezug auf die erzielten Überschusseinkünfte, ist willkürlich und verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

In eine ähnliche Richtung zielt auch die vorgesehene Verpflichtung von Steuerpflichtigen, umfangreiche Angaben zu ihren Geschäftsbeziehungen mit Finanzinstituten mit Sitz in einem "Oasen-Staat" zu tätigen, ohne dass es hierfür eines Verdachts auf ein Steuervergehen bedürfte. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass es sich bei einem solchen "Oasen-Staat" z.B. auch um einen Staat wie die Schweiz oder China handeln kann, mit denen Deutschland umfangreiche Wirtschaftsbeziehungen unterhält.

Vor diesem Hintergrund verletzen die entsprechenden Regelungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbots (dazu Grzesnick, aaO, Art. 20 VII Rz. 107 ff.).

 

Europarechtliche Bedenken

Wie der Finanzminister (s. S. 9 der Begründung des Referentenentwurfs) selbst eingeräumt hat, können die geplanten Regelungen in die europarechtlichen Grundfreiheiten, hier die die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV sowie die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EGV, eingreifen. Nach dem Gesetzesentwurf sollen diese Einschränkungen aber zur Gewährung einer wirksamen Steueraufsicht sowie zur Vermeidung von Steuerflucht gerechtfertigt sein.

Diese Annahme ist allerdings unzutreffend. Zwar lässt der EuGH in Ausnahmefällen Beschränkungen der Grundfreiheiten zu -- allerdings nur, wenn diese durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Ungeachtet der mittlerweile zu beobachtenden restriktiveren Tendenzen in der Judikatur des EuGH zählt die Verhinderung von Steuermindereinnahmen grundsätzlich nicht hierzu (grundlegend EuGH 7.9.2004 -- Rs. C-319/02 -- Manninen, GmbHR 2004, 1346).

 

Fazit

Angesichts der evidenten Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit der entsprechenden Regelungen und vor dem Hintergrund des Erscheinungsdatums der vorliegenden Ausgabe der GmbHR mag man versucht sein, den Entwurf des "Steueroasen-Gesetzes" als einen misslungenen Aprilscherz einzuordnen.

Diese Hoffnung wird allerdings durch zahlreiche Beispiele der jüngeren Vergangenheit entkräftet, die sämtlich die Bereitschaft des Gesetzgebers bzw. zunächst des BMF als vorbereitender Instanz, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen, belegen. Erinnert sei an die vielen Fälle von Gesetzen mit verfassungsrechtlich unzulässiger Rückwirkung (dazu Kleinert/Podewils, BB 2008, 1819 ff.). In diesem Zusammenhang hat die Finanzverwaltung auf entsprechende Vorlagebeschlüsse des BFH an das BVerfG betreffend eine verfassungswidrige rückwirkende Änderung von § 10a GewStG pragmatisch dahingehend reagiert, dass sie den Begehren der jeweiligen Kläger abgeholfen hat und diese damit klaglos gestellt waren (s. BFH v. 30.10.2008 -- IV R 4/06, DStR 2008, 2316 m. Anm. Kempermann).

Nach Ansicht des BMF scheint die Entscheidungsgewalt des Gesetzgebers zur Sicherung des Steueraufkommens außerhalb der Geltung rechtsstaatlicher Grundsätze zu stehen (vgl. Nawrath, DStR 2009, 2 ff.).

Die Wahrung des Grundgesetzes wie auch der europäischen Grundfreiheiten bleibt daher wohl auch zukünftig primär Sache der Rechtsprechung.

 

*              Dewey & LeBoeuf LLP.




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