Dr. Jan Tibor Lelley,
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Essen*

Treuwidrige Zugangsvereitelung des Arbeitnehmers bei außerordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber

Das BAG hat in einer Entscheidung v. 7.11.2002 -- 2 AZR 475/01 erfreulicherweise klargestellt, daß der Arbeitnehmer sich unter bestimmten -- in der Praxis allerdings häufig anzutreffenden -- Umständen nicht auf einen verspäteten Zugang eines per Einschreiben übermittelten Kündigungsschreibens berufen kann. Der Fall spielt zwar im öffentlichen Dienst (die betroffene Arbeitnehmerin war eine Justizangestellte). Die Fallgestaltung dürfte sich jedoch ohne weiteres auf die Privatwirtschaft übertragen lassen.

Zugang als Wirksamkeitserfordernis

Die Zustellung von Kündigungsschreiben ist ein klassisches Problem der arbeitsrechtlichen Praxis. Juristisch betrachtet handelt es sich bei Kündigungsschreiben um einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen, die zu ihrer Wirksamkeit dem Empfänger zugegangen sein müssen, § 130 Abs. 1 BGB. Besonders wichtig ist die rechtssichere und fristgemäße Zustellung im Bereich der außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsvertrags. Hier setzt § 626 Abs. 2 BGB dem Kündigenden eine Frist von 2 Wochen, innerhalb der die Kündigung zugegangen sein muß. Bei Versäumung dieser 2-Wochenfrist ist eine außerordentliche Kündigung unwirksam.

Zeitpunkt des Zugangs

Der konkrete Zeitpunkt, an dem das Kündigungsschreiben zugeht, ist entscheidend für den Beginn der Kündigungsfrist. Nach der Rechtsprechung des BAG geht das Kündigungsschreiben und damit die Kündigungserklärung dann zu, wenn der Adressat, an den sie gerichtet ist, bei gewöhnlichen Verhältnissen von ihr Kenntnis nehmen kann (BAG v. 2.3.1989 -- 2 AZR 275/88). In der betrieblichen Praxis kommen daher im wesentlichen die persönliche Übergabe eines Kündigungsschreibens an den Adressaten oder Versand per Post in Frage. Das persönlich übergebene Kündigungsschreiben ist ohne weiteres zugegangen, damit ist die Kündigung auch wirksam. Bei der Zustellung eines Kündigungsschreibens durch die Post geht die Rechtsprechung davon aus, daß der Zugang spätestens am nächsten Tag erfolgt, wenn mit der Leerung des Briefkastens zu rechnen ist. Aber gerade die als besonders sicher empfundene Zustellung per Einschreiben oder Einschreiben mit Rückschein kann sich in der Praxis als problematisch erweisen. Das gilt insbesondere dann, wenn die 14-tägige Frist einer außerordentlichen Kündigung gewahrt werden soll: Trifft der Postbote nämlich den Kündigungsadressaten nicht zu Hause an, wird nur ein Benachrichtigungsschein hinterlassen und das Kündigungsschreiben bei der jeweiligen Postgeschäftsstelle zur Abholung bereit gehalten. Die Rechtsprechung geht daher bei einem Einschreiben oder Einschreiben mit Rückschein davon aus, daß hier ein Zugang nicht mit dem Hinterlassen des Benachrichtigungsscheins erfolgt, sondern erst, wenn das Einschreiben tatsächlich bei der Post abgeholt wird. Hier kann es der Kündigungsadressat in der Hand haben, das Einschreiben erst nach Ablauf der 14-tägigen Frist bei einer außerordentlichen Kündigung abzuholen und so die Kündigung ins Leere laufen zu lassen. Aus diesem Grund sind in der Vergangenheit bereits viele Betriebe dazu übergegangen, Kündigungsschreiben nicht mehr per Einschreiben bzw. Einschreiben mit Rückschein zuzustellen, sondern per sog. Einwurfeinschreiben. Hier hinterläßt der Postbote das Kündigungsschreiben im Briefkasten des Empfängers und dokumentiert separat das Zustellungsdatum.

Verspätete Abholung als Rechtsmißbrauch

Aber auch bei Kündigungsschreiben per Einschreiben hat es das BAG jetzt als treuwidrig (§ 242 BGB) eingestuft, wenn sich ein Arbeitnehmer auf den verspäteten Zugang eines Kündigungsschreibens beruft, das bei der Postgeschäftsstelle für ihn bereit lag, aber bewußt erst verspätete abgeholt wurde. Dogmatisch gesehen dürfte es sich dabei um einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung handeln. Entscheidend ist in der Argumentation des BAG in dieser Konstellation, daß ein Arbeitnehmer sich eben nicht auf den verspäteten Zugang des Kündigungsschreibens berufen kann, wenn er aufgrund eines vorangegangenen Sachverhalts weiß, daß eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden soll. Schon bisher war das BAG in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, daß sich ein Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht auf den verspäteten Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung berufen kann, wenn ein Einschreibebrief, der bei der Postgeschäftsstelle bereit gehalten wird, vom Adressaten überhaupt nicht abgeholt wird (BAG v. 3.4.1986 -- 2 AZR 258/85). Der Einwand des rechtsmißbräuchlichen Berufens auf eine verspätete Zustellung wird jetzt vom BAG erweitert. Der Einwand der Treuwidrigkeit kann auch dann eingreifen, wenn das per Einschreiben versandte Kündigungsschreibens zwar noch von der Post abgeholt wird, die Abholung aber so erfolgt, daß eine außerordentliche Kündigung z.B. verfristet ist (2-Wochen Frist). Dies bringt für die betriebliche Praxis mit Sicherheit eine Erleichterung. Darüber hinaus kann es sich empfehlen, vor Versand eines Schreibens zur außerordentlichen Kündigung, den betreffenden Arbeitnehmer hiervon in Kenntnis zu setzen. Dies wird in der betrieblichen Praxis vielfach schon dadurch erreicht, daß der Arbeitnehmer vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zum Kündigungssachverhalt angehört und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Wenn dann vom Unternehmen unmißverständlich klargestellt wird, daß eine außerordentliche Kündigung erfolgen soll, muß der Arbeitnehmer mit dem Zugang eines solchen Kündigungsschreibens rechnen. Bei verspäteter Abholung eines eingeschriebenen Kündigungsbriefs wird sich der Arbeitnehmer daher dann regelmäßig nicht mehr auf den verspäteten Zugang berufen können.


* Buse Heberer Fromm.


Zurück