Dr. Oliver Tillmann,
Rechtsanwalt und Steuerberater, Köln

Ausverkauf der Steuersätze für Unternehmen -- ein Bärendienst für eine sinnvolle Unternehmenssteuerreform

Deutschland ist wieder im Reformfieber. Das Arbeitslosenheer hat den Rubikon überschritten und bei der politischen Elite für eine erneute Debatte über angemessene Maßnahmen gesorgt. Im Vordergrund der Diskussion steht diesmal die Frage nach der richtigen Besteuerung von Unternehmen. Die Regierung schlägt eine Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 % auf 19 % vor. Damit soll die Wirtschaft in Schwung gebracht und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Auch wenn das Bild vom "Patienten Deutschland" überstrapaziert ist, mutet diese Idee nach einem phantasielosen Behandlungsvorschlag des Regierungs-Ärzteteams an, bevor überhaupt die Krankheit diagnostiziert wurde. Sollte man nicht zuvörderst prüfen, ob Deutschlands Unternehmen überhaupt zuviel Steuern zahlen? Einen geeigneten Maßstab könnten hierfür die derzeitigen und künftigen EU-Staaten bilden. Durch die EU-Osterweiterung ist Bewegung in den Steuerwettbewerb gekommen und einige Politiker befürchten nun die Entstehung neuer Tiger-Staaten, wohin deutsche Unternehmer massenhaft Arbeitsplätze exportieren. In Ansehung der Tatsache, daß auch in Polen und der Slowakei die Steuersätze für Unternehmen 19 % betragen, stellt die angekündigte Absenkung des Körperschaftsteuersatzes ein Fanal dar.

1. Frage: Ist Deutschland ein Hochsteuerland?

Die erste Frage -- soviel kann vorweggenommen werden -- kann nicht pauschal beantwortet werden, auch wenn dies immer wieder gerne suggeriert wird.

Bis vor kurzem ließ das BMF in einer Werbekampagne verlautbaren, die letzte Steuerreform sei ein großer Erfolg gewesen. "Deutschland kann mit der Steuerreform 2000 bereits jetzt im internationalen Standortwettbewerb sehr gut mithalten und ist fit für die Zukunft". Unterstützt wird diese These laut BMF von "vielen namhaften Institutionen".

Kanzler und Finanzminister beharren darauf, Deutschland habe eine der niedrigsten Steuerquoten überhaupt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Joachim Poß sekundierte und behauptete in seinen "zehn Feststellungen zur Steuerpolitik", daß Deutschland die niedrigste europäische Steuerquote habe. Zum Beweis verwies er dabei auf die von der OECD gesammelten Daten. Diese waren in der Tat beeindruckend: Mit einer Steuerquote von 21,7 % kann Deutschland wahrlich nicht als Hochsteuerland bezeichnet werden.

Die Vertreter verschiedener Wirtschaftsverbände und der Opposition äußern in den Talkshows dennoch die entgegengesetzte Meinung und insistieren, die Steuern in Deutschland müßten weiter gesenkt werden. Die Realität scheint ihnen Recht zu geben. Die Wirtschaft wächst nicht, die Arbeitslosenzahl steigt und (fast) jeder Unternehmer klagt über eine zu hohe Abgabenlast. Der entnervte Diskussionsrunden-Fernsehzuschauer hat schon lange die Übersicht verloren und kann sich -- angesichts der zahllosen in den Ring geworfenen und mit Steuerhalbwissen interpretierten Daten und Fakten -- aus den Bruchstücken kein rechtes Bild über die steuerliche Situation deutscher Unternehmen machen.

2. Frage: Ist Deutschland eine Steueroase für Konzerne?

Kompliziert wird die Diagnose dadurch, daß in Deutschland verschiedene Steuerarten für Untenehmen existieren. Wenn von einer "Förderung des Mittelstandes" die Rede ist, verweist man gerne auf die Möglichkeit der Anrechnung von Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Die Körperschaftsteuer wird hingegen nur im Kontext mit der Besteuerung der "großen Konzerne" erwähnt. Dieses Bild ist selbstverständlich schief und doch beherrscht es die Diskussion. Insoweit ist es vordergründig ein wenig verwunderlich, wenn der Bundeskanzler die Absenkung der Körperschaftsteuer verlangt, damit der Mittelstand Arbeitsplätze schafft. Zu erklären ist diese Forderung weniger mit volkswirtschaftlichen Erwägungen, als damit, daß die Regierung für die kommenden Wahlkämpfe eine griffige -- nicht allzu hohe -- Zahl benötigt, mit der sich die Steuerlast aller Unternehmen symbolisieren läßt.

Geht man ernsthaft der Frage nach, wie hoch die derzeitige effektive steuerliche Belastung ist, kann man der Regierung und regierungsnahen Wissenschaftlern jedenfalls nicht ohne weiteres in ihrer Aussage folgen, Deutschland sei ein Niedrigsteuerland. Wenn sich Regierung und das BMF auf den Standpunkt stellen, die von der OECD festgestellte Steuerquote für Deutschland sei mit 21,5 % bereits jetzt schon sehr niedrig, so ist dies nur die halbe Wahrheit. Die OECD setzte in dieser Statistik nur die in einem Land gezahlten Steuern ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Nicht mit eingerechnet sind dabei die Zahlungen in die Sozialsysteme, die vornehmlich über Beiträge finanziert werden. Da andere europäische Staaten ihre Sozialsysteme zum Teil über Steuern finanzieren, müßten -- um Vergleichbarkeit zu gewährleisten -- auch die Sozialabgaben in die Berechnung mit einbezogen werden. Auch werden in Deutschland Leistungen wie Kindergeld und Eigenheimzulage -- anders als in anderen Ländern -- mit der Einkommensteuer verrechnet, was die Steuerquote künstlich senkt. Schließlich bezog die OECD bei ihren Berechnungen auch die Wertschöpfung steuerbefreiter Institutionen und staatlicher Einrichtungen mit ein. Offensichtlich ist damit die zitierte Steuerquote kein Maßstab für die tatsächliche Belastung von privaten Unternehmen in Deutschland.

Aber auch für die Wissenschaft besteht die Gefahr, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Im Brennpunkt der wieder aufgeflammten Diskussion steht dabei die Frage nach der tatsächlichen Steuerlast der Konzerne. Einigkeit besteht eigentlich nur darin, daß nicht der nominale Satz für Körperschaftsteuer maßgeblich ist. Der dem Regierungslager nahestehende Fachhochschulprofessor Jarass kommt zu dem Ergebnis, daß die DAX-Unternehmen aufgrund der vielen Ausweichmöglichkeiten zu niedrig besteuert würden. Er beruft sich u.a. auf die von der Europäischen Kommission veröffentlichten Daten. In einer Veröffentlichung nehmen die GD Taxud und Eurostat diverse Klassifizierungen von Steuersätzen vor, darunter die impliziten Steuersätze auf Kapitaleinkommen und für Kapitalgesellschaften. Nach den Kennziffern ergibt sich aber ein widersprüchliches Bild. Legt man den impliziten Steuersatz auf Kapitaleinkommen zugrunde, steht Deutschland mit 22,6 % deutlich besser da als bei Zugrundelegung des impliziten Steuersatzes für Kapitalgesellschaften (36 %). Jarass beruft sich bei seinem Ergebnis auf das Verhältnis der gezahlten Steuern zum Kapitaleinkommen und verkündet auf SPD-Veranstaltungen, daß Deutschland ein Niedrigsteuerland sei, wo er mit solchen Thesen selbstverständlich ein gern gesehener Gast ist.

Mehr Mut als die SPD bewiesen Bündnis 90 / Die Grünen, die den Hochschullehrer Spengel nach Berlin einluden. Dieser kam zu entgegengesetzten Ergebnissen und konstatierte, daß Deutschland -- auch für Konzerne -- ein Hochsteuerland sei. Darüber hinaus -- so sein Resümee -- könne man aus dem Zahlenmaterial für die Frage nach der "richtigen" Unternehmenssteuerreform keinen Honig saugen. Denn alle Kennziffern der EU (wie auch die der OECD) stellten vergangenheitsorientierte Belastungsmaße dar, da die Daten ausschließlich aus vergangenen Zeiträumen gewonnen wurden. Sie seien nicht mehr für unternehmerische Entscheidungen relevant, die sich in der Regel an der Steuerbelastung geplanter Investitionen ausrichteten.

Wie man es auch dreht und wendet: Durchschnittswerte allein können unser Steuersystem nur unzureichend charakterisieren. Kaum einer zahlt den durchschnittlichen Steuersatz. Die enormen steuerlichen Spannbreiten und Gestaltungsmöglichkeiten führen dazu, daß die tatsächliche Abgabenlast höchst unterschiedlich ausfällt. Dies spiegeln die Statistiken nur unzureichend wider. Oft ist die Kompliziertheit und Unklarheit des Steuersystems beklagt worden. Beispiele sind Legion. Exemplarisch könnte man die Regelungen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft anführen, wo demnächst ein BMF-Schreiben für Rechtssicherheit sorgen soll (s. zum Entwurf -- abzurufen unter www.gmbhr.de/volltext.htm -- den Beitrag von W. Walter, GmbHR 2005, 456; ferner die Stellungnahme der Centrale für GmbH Dr. Otto Schmidt, GmbHR 2005, 470 -- Volltext (PDF) -- beide in diesem Heft) und letztlich doch wieder nur weitere Probleme schaffen wird.

3. Frage: Gewinnen wir den Steuerwettbewerb mit den europäischen Nachbarn?

Deutschland muß sich der Globalisierung stellen. Eine Steuerreform kann daher die steuerliche Situation im Ausland nicht einfach ausblenden. Eine Steuerkonkurrenz innerhalb der EU ist per se nicht schlecht, doch besteht die Gefahr, daß sich der Fokus in der öffentlichen internationalen Diskussion allein auf die leicht erfaßbaren Steuersätze richtet. In der Europäischen Kommission wird über Maßnahmen beraten, um "Steuerdumping" zu verhindern. Ausgelöst wurde diese Diskussion allein durch die Veröffentlichung der Steuersätze einiger neuer EU-Mitglieder. Auch sorgte die Nachricht, daß der rumänische Premierminister Popescu-Târiceanu einen Einheitssteuersatz von 16 % für sein Land durchsetzte, für Unruhe in Brüssel.

Andere Faktoren, wie z.B. die Errechnung der Bemessungsgrundlage, interessieren hingegen in Berlin niemanden. So werden Faktoren wie Abschreibungsmöglichkeiten, Möglichkeit zur Bildung von Rückstellungen, Verlustvor- und -rückträge -- schon wegen der Kompliziertheit des Steuerrechts -- gerne ausgeblendet. Und da sieht es für Deutschland auch nach einer Absenkung des Körperschaftsteuersatzes im internationalen Vergleich nicht besonders gut aus. Zwar besteht nur in Deutschland die Möglichkeit zum Verlustrücktrag, doch wiegt dies nicht die steuerlichen Vorteile auf, mit denen Investitionen in Polen schmackhaft gemacht werden sollen. Dort wird z.B. wirtschaftlich tätigen natürlichen Personen ein Wahlrecht gewährt, ob sie der Körperschaftsteuer oder der Einkommensteuer unterworfen werden wollen.

Die Ungarn locken gar den Investoren mit einem Steuersatz von 18 %. Folgen Unternehmer diesem Ruf und errichten dort eine Betriebsstätte, stellen sie aber häufig schnell fest, daß die örtliche Gewerbesteuer effektiv eine noch höhere Belastung darstellt als die Körperschaftsteuer.

Fazit: Drei Fragen und keine Antwort

Die gestellten Fragen bleiben an dieser Stelle offen, und so ist es auch in politischen Debatten, die regelmäßig zu Kompromissen führen (müssen). Der Wettbewerb um Investitionen läßt die europäischen Politiker als Marktschreier erscheinen, leisere Stimmen mit sachgerechteren Lösungen gehen unter. Selbst Professoren und pensionierte Richter unterstützen dieses Treiben und sind sich nicht zu schade, in den Medien mit simplifizierenden Scheinlösungen Öl ins Feuer zu gießen. Leider ist mit dem populistischen Vorschlag der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes einer möglichen sinnvollen Unternehmenssteuerreform letztlich ein Bärendienst erwiesen worden. Die Hoffnung auf eine sinnvolle Unternehmenssteuerreform muß wohl für diese Legislaturperiode begraben werden.


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