Prof. Dr. Christoph Teichmann, Universität Würzburg

 

Fortschritte bei der Europäischen Privatgesellschaft

 

Fachtagung der EU-Kommission zu den wesentlichen Regelungsfragen

 

Nachdem die Europäische Kommission im vergangenen Oktober angekündigt hatte, Mitte 2008 einen Gesetzentwurf für eine Europäische Privatgesellschaft vorzulegen (s. Fietz, GmbHR 2007, R 321), schreiten die Arbeiten offenbar zügig voran (vertiefend Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008 -- erscheint demnächst). Am 10.3.2008 veranstaltete die Kommission eine Fachtagung in Brüssel, um die wesentlichen Regelungsfragen mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu diskutieren. Kommissionsvertreter Pierre Delseaux bezeichnete dies ausdrücklich als die letzte Phase vor der Präsentation eines Gesetzentwurfs. Die Veranstaltung gliederte sich in vier Podiumsrunden mit jeweils anschließender Diskussion: Die erste Runde erörterte das praktische Bedürfnis für eine SPE (Societas Privata Europaea), die zweite fragte nach dem geeigneten Regelungskonzept, die dritte widmete sich dem Gesellschaftskapital und die vierte dem rechtlichen Status einzelner Personengruppen (Geschäftsführer, Minderheitsgesellschafter, Arbeitnehmer). Die Tagungsunterlagen sind im Internet abrufbar unter   
http://ec.europa.eu/internal_market/company/epc/index_de.htm .

 

I. Praktische Einsatzmöglichkeiten

Bei der geplanten SPE handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft europäischen Rechts. Sie träte gewissermaßen als "Europa-GmbH" neben die bereits existierende Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea / SE). Das praktische Bedürfnis für die SPE begründeten Repräsentanten der Wirtschaft in Brüssel vor allem mit den vergleichsweise hohen Kosten für die Gründung kleiner Tochtergesellschaften im Ausland. Der Aufwand für interne Mitarbeiter und externe Berater könne sich leicht auf mehrere zehntausend Euro summieren; dies berichtete Kristina Schunk für die süddeutsche Schunk GmbH & Co. KG. Ein erheblicher Teil dessen sei auf die Unterschiede im Gesellschaftsrecht zurückzuführen, wegen derer man auch bei der laufenden Verwaltung der Gesellschaften kaum ohne externen Rechtsrat auskomme. Die Gründung und Führung von Tochtergesellschaften erweise sich damit im Ausland als etwa doppelt so teuer wie im Inland. Joëlle Simon vom französischen Unternehmerverband MEDEF bestätigte dies und sah einen wesentlichen Einsatzbereich der SPE in der Strukturierung eines grenzüberschreitenden Netzes von Tochtergesellschaften. Zusätzlich komme sie als "neutrale Rechtsform" für grenzüberschreitende Gemeinschaftsunternehmen in Betracht. Mit vergleichbaren Überlegungen sprach sich José Furtado, Vertreter eines portugiesischen Instituts für kleine und mittlere Unternehmen, für die SPE aus.

Die nachfolgende Diskussion wandte sich der Frage zu, ob der erhoffte Einsparungseffekt konkret bezifferbar sei. Der Aufwand der betroffenen Unternehmen stehe zwar außer Frage, lasse sich aber nicht allein dem Bereich des Gesellschaftsrechts zuordnen, wurde eingewandt. Dietmar Helms, Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Baker & McKenzie, verwies insoweit auf eine Studie seiner Kanzlei, die ihre Auslandsbüros zu den Gründungskosten von Tochtergesellschaften befragt habe. Der dafür entwickelte Fragebogen trenne zwischen den Beratungskosten im Gesellschaftsrecht und in anderen Rechtsbereichen, so dass sich das Einsparungspotenzial recht genau ermitteln lasse. Es könne selbst bei kleinen Tochtergesellschaften durchaus einige tausend Euro betragen.

Grundsätzliche Zweifel an der Notwendigkeit einer neuen Rechtsform äußerte der niederländische Rechtsprofessor Harm-Jan de Kluiver. Man benötige die SPE nicht, da man auf Basis der EuGH-Rechtsprechung ebenso gut mit ein und derselben nationalen Rechtsform in jedem EU-Mitgliedstaat tätig werden könne. Hindernisse, die im nationalen Gesellschaftsrecht wurzelten, könne man durch den Erlass von Richtlinien beseitigen. Mehrere Stimmen aus der Praxis traten dieser Sichtweise entgegen. Dem Geschäftspartner vor Ort könne man nicht mit einer ausländischen Briefkastengesellschaft begegnen. Zudem seien durch den EuGH zwar die Grundsatzfragen, nicht aber die rechtlichen Details geklärt. Rechtsanwalt Miroslaw Cejmer aus Krakau verwies zudem auf den Wettbewerbsnachteil von Unternehmen aus den Beitrittsstaaten. Deren Rechtsformen seien im Ausland völlig unbekannt, möglicherweise auch nicht gut angesehen; man sei daher gezwungen, sich der Rechtsform eines etablierten Mitgliedstaats zu bedienen. Dass diese Überlegungen nicht nur für die Beitrittsstaaten Gültigkeit haben, machte Vincent Tilman von "Eurochambres" (Zusammenschluss der europäischen Industrie- und Handelskammern) am Beispiel eines belgischen "Start up" deutlich. Das von einem Franzosen und zwei Belgiern gegründete Unternehmen beschäftige derzeit zwei Mitarbeiter. Ungeachtet der bescheidenen Anfänge sehe man Wachstumspotenzial über die belgischen Grenzen hinaus. Die Gründer seien daher an einer Rechtsform interessiert, die auch außerhalb Belgiens bekannt sei und ein "europäisches Label" vorweisen könne.

 

II. Anzuwendende Regelungstechnik

Eng verknüpft mit den praktischen Einsatzmöglichkeiten ist die anzuwendende Regelungstechnik. Soll die SPE ihr Ziel erreichen, muss das europäische Statut zumindest den Bereich des Gesellschaftsrechts abschließend regeln. Eine Vereinheitlichung von Arbeitsrecht, Steuerrecht oder Insolvenzrecht mag wünschenswert sein, ist aber derzeit politisch nicht erreichbar -- darüber war man sich in Brüssel weithin einig.

Das SPE-Statut solle, so betonte der Verf. in seinem Tagungsbeitrag, ebenso wie die SE durch eine europäische Verordnung eingeführt werden. Dies führe zu einem in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren und in jeder Amtssprache verfügbaren Rechtstext. Die Legitimation für ein Tätigwerden des europäischen Gesetzgebers folge aus dem Leitgedanken des Binnenmarkts, dass die Überschreitung der Grenzen keine zusätzlichen Kosten verursachen dürfe. Davon sei man derzeit im Bereich des Gesellschaftsrechts, wie die Praxisberichte zeigten, weit entfernt. Mit der SPE komme man dem Binnenmarktgedanken näher, ohne dabei in die nationalen Rechtssysteme eingreifen zu müssen. Hinsichtlich der konkreten Regelungsbereiche sei zwischen dem Außenverhältnis und dem Innenverhältnis der Gesellschaft zu unterscheiden. Für das Verhältnis der Gesellschaft gegenüber Dritten, insbesondere den Gläubigern, müsse die Verordnung einheitliche und zwingende Regeln vorsehen. Für die internen Rechtsbeziehungen der Gesellschaft solle weit gehend Gestaltungsfreiheit gewährt werden. Die rechtssichere Wahrnehmung dieser Vertragsfreiheit könne durch Mustersatzungen erleichtert werden, wie Robert Drury von der Universität Exeter erläuterte. Miroslaw Cejmer sprach sich in seinem Referat dafür aus, zumindest die Grundregeln der Anteilsübertragung in der Verordnung festzulegen. Leena Linnainmaa von der finnischen Handelskammer befürwortete ein einheitliches Handelsregisterverfahren.

Lebhaft diskutiert wurde die Frage, ob die SPE bereits bei ihrer Gründung einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen müsse. Viele Tagungsteilnehmer sahen darin einen überflüssigen und hinderlichen Formalismus. Derartige Gründungsformalitäten hätten sich schon bei der Societas Europaea (SE) als sinnlos erwiesen; ob dem formalen auch ein real-europäischer Bezug entspreche, sei ohnehin nicht überprüfbar. Der Verf. gab zu bedenken, dass die europäische Gesetzgebungskompetenz stets begründungsbedürftig sei. Dafür müsse man allerdings den grenzüberschreitenden Bezug nicht ausdrücklich in die Verordnung schreiben. Denn der Eigenwert des SPE-Statuts liege in dem europaweit einheitlich anwendbaren und auslegbaren Rechtstext, den die Praxis benötige und den allein der europäische Gesetzgeber liefern könne.

 

III. Kapitalausstattung und Gläubigerschutz

Ein Mindestkapital für die SPE lehnte Rechtsanwalt Andràs Hanàk aus Ungarn ab; die gläubigerschützende Wirkung einer solchen Regelung sei nicht erkennbar. Janet Dine, Professorin an der University of London, ergänzte dies um den Vorschlag, Ausschüttungen an die Gesellschafter von einer haftungsbewehrten Solvenzerklärung der Geschäftsführer abhängig zu machen. Außerdem sollten die Gesellschafter, denen das Geld zugeflossen sei, einer konzernrechtlichen Haftung unterliegen, sofern sie bestimmenden Einfluss auf die Geschäftsführer ausgeübt hätten. Der deutsche Rechtswissenschaftler Theodor Baums sprach die rechtliche Einordnung von Gesellschafterdarlehen an und plädierte für einen generellen Rangrücktritt gegenüber den Forderungen außenstehender Gläubiger.

Inwieweit der Vorschlag eines Solvenztests den Vorstellungen der EU-Kommission entspricht, wurde in Brüssel nicht erkennbar. Es erscheint sinnvoll, im weiteren Verlauf der rechtspolitischen Überlegungen auch die Vorteile einer bilanzorientierten Ausschüttungsregel als "safe harbour" für Geschäftsführer und Gesellschafter zur Diskussion zu stellen. Dabei bleibt allerdings die in Brüssel von Horst Eidenmüller, Universität München, geäußerte Mahnung zu bedenken, dass eine Addition beider Ansätze die SPE gänzlich unattraktiv machen könne. Seine darüber hinausgehend geäußerte Überlegung, den Gläubigerschutz gänzlich dem Insolvenzrecht zu überantworten, dürfte hingegen die Gestaltungskraft des europäischen Gesetzgebers derzeit wohl noch überfordern.

 

IV. Schutzvorschriften und Mitbestimmung

In der vierten Abteilung lieferte der rumänische Rechtsanwalt Ioan Dumitraşcu einen aufschlussreichen rechtsvergleichenden Überblick zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern und sprach sich dafür aus, zumindest einen Mindestkatalog derartiger Schutzrechte in die SPE-Verordnung aufzunehmen. Auch der Pflichtenkatalog der Geschäftsführer solle, so die britische Rechtsanwältin Vanessa Knapp, zumindest in seinen Grundzügen durch den europäischen Gesetzgeber festgelegt werden. Dies ergänzend beschrieb der italienische Rechtswissenschaftler Guido Ferrarini die Grundlinien einer Geschäftsführerhaftung in der SPE. Aus Sicht der Arbeitnehmer plädierte Reiner Hoffmann vom Europäischen Gewerkschaftsbund für einen Bestandsschutz bestehender Mitwirkungsrechte. Man könne sich dafür an den bereits eingeführten Regelungen zu SE und grenzüberschreitender Verschmelzung orientieren, die allerdings in einzelnen Punkten korrekturbedürftig seien. Besondere Sorge bereite den Arbeitnehmern die Überlegung, einer SPE die Aufspaltung von Register- und Verwaltungssitz in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten zu gestatten. Dies dürfe nicht zu einer Aushöhlung nationaler Mitbestimmungsrechte führen.

 

V. Schlussbemerkung und Ausblick

Im Gesamteindruck vermittelte die Tagung erstmals seit vielen Jahren den gemeinsamen politischen Willen aller Gemeinschaftsorgane, es mit einem Gesetzentwurf für die SPE ernsthaft zu versuchen. Der Vorstoß des Europäischen Parlaments aus dem Februar 2007 dürfte hierfür die Initialzündung geliefert haben; die Abgeordnete Diana Wallis überbrachte in ihrer Eröffnungsrede das klare Parlamentsvotum für die Einführung der SPE. Auch der slowenische Regierungsvertreter Brane Matjašec sprach sich für das Projekt aus und äußerte die Hoffnung, es noch unter der Präsidentschaft Sloweniens auf den Weg bringen zu können.

Der Übereinstimmung im Grundsätzlichen muss nun die Arbeit an den Details folgen. In der dritten und vierten Brüsseler Podiumsrunde zeigte sich die Vielfalt der noch zu klärenden Einzelfragen. Mag der eine oder andere Experte und Wirtschaftsvertreter auch die langjährige Diskussion über die Europäische Privatgesellschaft erst mit der aktuellen Kommissions-Initiative so richtig zur Kenntnis genommen haben, muss dies kein Nachteil sein: Es bleibt ein Schatz an kreativen Ideen zu heben, auf den die europäischen Gesetzgebungsorgane in den nächsten Monaten dringend angewiesen sein werden.

 

 




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