Claudia Kothe-Heggemann,
Rechtsanwältin, Köln*

Aktuelle Rechtsprechung zur Unterrichtungspflicht beim Betriebsübergang

In der Wirtschaftspresse werden immer wieder Fälle wie "Siemens-BenQ" oder "Agfa" diskutiert. Nicht selten enden Ausgliederungen in der Insolvenz. Bei BenQ aber auch bei Agfa ging es um die Ausgliederung eines Geschäftsbereichs. Im Fall Agfa Gevaert AG wurde im Oktober 2004 ein wesentlicher Geschäftsbereich ausgegliedert. Die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer sind in Folge des Betriebsübergangs auf die neue Gesellschaft übergegangen. Im Mai 2005 musste die neue Gesellschaft Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen. Folge war, dass große Gruppen von Arbeitnehmern Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit dem Betriebsübergangs wegen unvollständiger bzw. fehlerhafter Information im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang eingelegt haben.

Das BAG hat gerade im Jahre 2006 in mehreren Entscheidungen zu rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, insbesondere auch zur Frage des Umfangs der Unterrichtungspflicht eines Unternehmens Stellung genommen.

Begriff des Betriebsübergangs

Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen Dritten übergeht. Problematisch ist häufig schon die Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang vorliegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG setzt ein Betriebsübergang die unveränderte Fortführung einer wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität voraus. Unter "wirtschaftlicher Einheit" versteht man eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen zur auf Dauer angelegten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Es kommt zunächst maßgeblich darauf an, dass der Betrieb oder Betriebsteil beim Veräußerer eine eigenständige abgrenzbare organisatorische Einheit darstellt. Nach einer Entscheidung des 8. Senats des BAG v. 6.4.2006 -- 8 AZR 334/05 setzt ein Betriebsübergang aber auch voraus, dass der Betrieb oder Betriebsteil beim Erwerber als Betrieb oder organisatorisch selbstständiger Betriebsteil fortgeführt wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn ein Betriebsteil vollständig in die eigene Organisationsstruktur eines anderen Unternehmens eingegliedert wird. In dem zu entscheidenden Fall ging es um die Frage, ob die Übernahme der Bewirtung in 16 bestimmten Zügen der Deutschen Bahn, die zuvor im Wege eines Franchise-Vertrages von einem Dritten durchgeführt wurde, einen Betriebsübergang darstellt. Das hat das BAG verneint, weil die Bewirtung nach Ende des Franchise-Vertrags von der Deutschen Bahn selbst durchgeführt wurde und zwar in der gleichen Art und Weise, wie in allen 800 weiteren Zügen auch. Ein abgrenzbarer Betriebsteil liege daher nicht mehr vor.

Während das BAG ursprünglich auch prüfte, ob der Erwerber zur eigenwirtschaftlichen Nutzung der sächlichen Betriebsmittel berechtigt war, ist dieses Merkmal im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH v. 15.12.2005 -- Rs. C-232/04 und C-233/04 -- Güney-Görres) nicht mehr heranzuziehen. Das BAG hat inzwischen seine Rechtsprechung angepasst (BAG v. 6.4.2006 -- 8 AZR 222/04 und v. 13.6.2006 -- 8 AZR 551/05). Es kommt nunmehr nicht mehr darauf an, ob der Betriebsübernehmer Eigentümer der identitätsprägenden sächlichen Betriebsmittel wird. Dem Betrieb sind auch solche Gebäude, Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungsgegenstände als sächliche Betriebsmittel zuzuordnen, die nicht im Eigentum des Betriebsinhabers stehen, sondern die dieser aufgrund einer mit Dritten getroffenen Nutzungsvereinbarung zur Erfüllung seiner Betriebszwecke einsetzen kann. Es kommt also nicht mehr darauf auf, ob der Betriebserwerber materielle Betriebsmittel zu Eigentum erwirbt oder ob diese im Eigentum eines Dritten stehen und dem Betriebserwerber zur Ausübung seiner Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Erwerber die Betriebsmittel unmittelbar von dem Veräußerer erhält oder ob sie ihn von einem Dritten (z.B. seinem Auftraggeber) zur Verfügung gestellt werden (BAG v. 13.6.2006 -- 8 AZR 551/05).

Unterrichungspflicht des bisherigen Arbeitgebers oder des Betriebsübernehmers

Liegt ein Betriebsübergang vor, haben nach § 613a Abs. 5 BGB der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von dem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung schriftlich Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den neuen Inhaber zu erheben, mit der Folge, dass sein Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer bestehen bleibt.

Der notwendige Inhalt des Unterrichtungsschreibens ergibt sich aus dem Gesetz. Nichts desto trotz können bei der Abfassung des Schreibens eine Reihe von Fehlern gemacht werden. Das BAG hat mit einer Entscheidung v. 13.7.2006 -- 8 AZR 303/05 betont, dass nur eine ordnungsgemäße Unterrichtung die einmonatige Widerspruchsfrist in Gang setzt. Eine fehlerhafte oder ganz unterbliebene Unterrichtung führt nicht zum Fristbeginn.

Die Unterrichtung erfordert eine verständliche, arbeitsplatzbezogene und zutreffende Information. Sie muss u.a. Angaben über die Identität des Erwerbers, den Gegenstand und den rechtlichen Grund des Betriebsübergangs sowie eine korrekte Darstellung der rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs für den Arbeitnehmer enthalten (BAG v. 13.7.2006 -- 8 AZR 305/05). Eine fehlerhafte Unterrichtung über Rechtsfragen führt dann nicht zur Unwirksamkeit der Unterrichtung, wenn der Unterrichtungspflichtige die Rechtslage gewissenhaft geprüft und einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen hat (BAG, aaO). Das Unterrichtungsschreiben darf ein Standardschreiben sein, muss aber die Besonderheiten der einzelnen Arbeitsverhältnisse hinreichend berücksichtigen.

Ausübung des Widerspruchsrechts

Beginnt die Widerspruchsfrist wegen fehlender oder fehlerhafter Unterrichtung nicht zu laufen, kann der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht auch noch zu einem späteren Zeitpunkt -- unter Umstände Monate später -- ausüben. Eine zeitliche Grenze wird ihm insoweit allein durch eine mögliche Verwirkung des Widerspruchsrechts gesetzt (BAG v. 13.7.2006 -- 8 AZR 382/05). Eine Verwirkung kommt aber nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer längere Zeit unter Umständen untätig geblieben ist, die den Eindruck erwecken, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle und der Arbeitgeber sich darauf einstellen durfte, dass die Rechtsausübung unterbleibt.

Eine aktuelle Entscheidung des BAG stammt v. 14.12.2006 -- 8 AZR 763/05. In dem dort entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber falsch über die Fragen der Haftung von Veräußerer und Erwerber nach dem Betriebsübergang unterrichtet. Das BAG billigte in diesem Fall dem Arbeitnehmer die Ausübung des Widerspruchsrechts noch nach 10 Monaten zu.

Laut Pressemitteilung des BAG Nr. 14/07 ist nunmehr am 15.2.2007 -- 8 AZR 431/06 in einem Fall, in dem ebenfalls keine ordnungsgemäße Unterrichtung über einen Betriebsübergang vorlag, von einer Verwirkung des Widerspruchsrechts ausgegangen worden. Insoweit müssen die Einzelheiten der Entscheidung abgewartet werden.

Korrekte Abfassung des Unterrichtungsschreibens

Für den Arbeitgeber ist vor diesem Hintergrund die absolut korrekte Abfassung des Unterrichtungsschreibens von essentieller Bedeutung. Denn nur so kann er nach Ablauf der Monatsfrist Rechtssicherheit erlangen, welche Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber übergegangen sind.


* Ulrich Weber & Partner GbR.


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