Dr. Volker Römermann,
Rechtsanwalt, Hannover

Weitere Fachanwaltschaften: Ein Muß!
-- Fachanwaltschaften, Rechtsberatungsgesetz und Wettbewerbsrecht

Drei Themen beherrschen derzeit die berufspolitische Diskussion der deutschen Anwaltschaft: Fachanwaltschaften, Rechtsberatungsgesetz und europäisches Wettbewerbsrecht. Scheinbar handelt es sich um jeweils ganz isolierte Themen, in Wirklichkeit sind sie aber eng miteinander verbunden: Das europäische Wettbewerbsrecht der freien Berufe wird in den nächsten Jahren zu einer nachhaltigen Veränderung der berufsrechtlichen Situation der Anwaltschaft und zu einer Dynamisierung des Marktes beitragen. Auch wenn es die Funktionäre der Rechtsanwaltskammern und des Deutschen Anwaltvereins häufig noch nicht wahrhaben wollen, wird sich das gegenüber deutschen Normen höherrangige europäische Recht durchsetzen.

In ihrem Bericht v. 9.2.2004 über die Lage der freien Berufe hat die Europäische Kommission auch das deutsche Rechtsberatungsgesetz als Untersuchungsgegenstand genannt. In der Tat schafft das Rechtsberatungsgesetz Zugangsbarrieren auf dem Rechtsberatungsmarkt. Die rechtliche Beratung und Vertretung wird weitgehend monopolisiert für Rechtsanwälte, Notare und wenige andere Berufe. Das hat dort seinen Sinn, wo das Publikum in hochkomplexen Rechtsfragen vor den Gefahren einer unprofessionellen Beratung durch "Quacksalber" geschützt werden muß. Es ist aber dort nicht begründbar, wo der konkrete Fall eine derart hochqualifizierte Beratung durch jahrelang ausgebildete "Volljuristen" nicht erfordert. Entschieden wurde dies z.B. für eine einfache Fristenüberwachung in Patentrechtsangelegenheiten (BVerfG v. 29.10.1997 -- 1 BvR 780/87, NJW 1998, 3481) oder für Inkassomandate (EuGH v. 12.12.1996 -- Rs. C-3/95, EuZW 1997, 53). Die Freigabe eines Diskussionsentwurfs des Bundesjustizministeriums steht unmittelbar bevor. Noch in dieser Legislaturperiode soll ein Gesetz verabschiedet werden, durch das das Rechtsberatungsgesetz in seinem Verbotsbereich wesentlich zurückgedrängt wird. In der Folge wird sich die Anwaltschaft einer stärkeren Konkurrenz durch andere Berufe ausgesetzt sehen, allen voran die häufig gut ausgebildeten Wirtschaftsjuristen der Fachhochschulen, Steuerberater, Unternehmensberater, aber auch Banken, Versicherungen, Vereine usw.

Qualitätssiegel Fachanwalt

Wie sollen sich die Anwälte auf diesem immer härteren, immer stärker umkämpften Markt erfolgreich behaupten, vielleicht sogar Terrain zurückgewinnen, wo sie es beispielsweise gegen Steuerberater verloren haben? Der Rückzug hinter den -- löchrigen -- "Schutzzaun" des Rechtsberatungsgesetzes wird in Zukunft immer weniger möglich sein. Die Anwaltschaft muß sich (spätestens!) jetzt darauf einrichten, auf dem Markt durch Qualität ihrer Produkte und Serviceleistungen zu überzeugen. Dabei wird es nicht genügen, auf die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" zu verweisen oder auf ein -- ggf. seit langem zurückliegendes -- Studium. Der Markt verlangt nach Qualität. Umfragen, die der DAV schon im Jahre 2002 vorgestellt hatte (Beilage zu AnwBl. 4/2002), beweisen dies. Das Publikum fragt im Zweifel nach dem Fachanwalt. Es will geprüfte Qualität und nicht die bloße Selbsteinschätzung, die eine oder andere Materie gehöre zum Interessenbereich des Rechtsanwalts. An diesem rechtsuchenden Publikum, dem Mandanten also, muß sich die Anwaltschaft konsequent ausrichten, will sie ihre Marktposition sichern.

Das notwendige Qualitätssiegel bietet derzeit nur die Fachanwaltschaft. Fachanwälte können auf eine umfangreiche Erfahrung in dem jeweiligen Gebiet verweisen. Ihre theoretischen Kenntnisse haben sie durch Prüfungen unter Beweis gestellt. Das Publikum kann bei einem Fachanwalt zudem darauf vertrauen, daß er nicht nur in früherer Zeit ein gewisses Qualitätsniveau erreicht hat. Der Fachanwalt muß nämlich jedes Jahr eine Fortbildung nachweisen, während die allgemeine anwaltliche Fortbildungspflicht des § 43a Abs. 6 BRAO solange ein "Papiertiger" ist, wie das Berufsrecht keine konkrete Art und Weise der Fortbildung, geschweige denn deren Kontrolle vorschreibt.

Erweiterung der Fachanwaltschaften: Eine Glaubensfrage?

Wenn nun aber feststeht, daß Fachanwaltschaften notwendig sind, stellt sich sofort die Anschlußfrage, auf welche Rechtsgebiete sie sich beziehen sollen. Derzeit sind es acht: Verwaltungs-, Arbeits-, Sozial-, Steuer-, Straf-, Familien-, Insolvenz- und Versicherungsrecht. Dies ist nur historisch zu erklären. Ursprünglich orientierte man sich an Gerichtszweigen. Das ist spätestens mit dem "Fachanwalt für Versicherungsrecht" im Jahre 2003 zugunsten einer offeneren Lösung aufgegeben worden, zu Recht: Das Publikum fragt nämlich nicht nach Gerichtszweigen. Es sucht nach Beratung für Rechtsmaterien und Lebenssachverhalte, die sich nicht an Rechtswegen orientieren. Wiederum muß die Sicht dieses Publikums entscheiden.

Begründet wird die noch immer häufige Ablehnung weiterer Fachanwaltsbezeichnungen zumeist mit dem angeblich notwendigen Schutz des "Allgemeinanwalts": Er müsse geschützt werden vor einer übermächtigen Konkurrenz durch weitere Fachanwälte, vor allem in den angestammten Domänen des Allgemeinanwalts, etwa dem Verkehrsrecht oder dem Mietrecht. Diese Argumentation leidet allerdings schon an ihrer verfehlten Ausgangsposition. Der Artenschutz einer in der Natur häufig zu beobachtenden Spezies "Allgemeinanwalt", also einer bestimmten Art der Berufsausübung kann niemals Selbstzweck sein. Berufsrechtliche Normen dürfen nach dem höherrangigen EU-Wettbewerbsrecht nie einfach dazu dienen, Wettbewerb zu unterdrücken.

In jeder Fachanwaltschaft liegt auch eine Profilierung. Hier ist die eigentliche Ursache dafür zu finden, warum viele Berufskollegen die Einführung weiterer Fachanwaltschaften ablehnen: Sie müßten sich "outen". Die Gefahr der Einbuße von Mandanten auf den anderen Rechtsgebieten ist real. Sie lenkt den Markt aber häufig nur in einer solchen Weise, wie es der seriöse Berufsangehörige ohnehin handhaben würde. Der Rechtsanwalt, der im GmbH-Recht spezialisiert berät, lehnt Familiensachen ab. Der abgewiesene Mandant geht mit seiner Scheidung zum Fachanwalt für Familienrecht, kehrt aber in der Gesellschaftsrechtssache zum Fachanwalt für GmbH-Recht zurück. Nur durch Profil werden Anwälte zukünftig weitere Mandate an sich ziehen können (näher Rachelle Römermann, Anwaltliches Marketing-Management, 2003, Rz. 585 ff.). Profil wird aber vor allem durch bewußten Verzicht erworben.

Die Meinung, die neue Fachanwaltschaften ablehnt, ist auch rechtspolitisch verfehlt. Sie schützt in Wirklichkeit den Allgemeinanwalt nicht. Statt dessen betreibt sie eine gefährliche "Vogel-Strauß-Politik". Der Strukturwandel ist vom Markt vorgegeben und läßt sich nicht verhindern. Die aus Sicht der Fachanwaltsgegner notwendige Schutzmauer um den Allgemeinanwalt herum, das Rechtsberatungsgesetz, wird in absehbarer Zeit nicht mehr in dem aktuellen Ausmaß existieren. Der heutige Allgemeinanwalt ist dann -- ob wir es wollen oder nicht -- dem härteren Wettbewerb ausgesetzt. Er muß spätestens in dieser Situation seine Qualität sichtbar machen. Dazu steht ihm das Gütesiegel der Fachanwaltschaft zur Verfügung. Die Fachanwaltschaft wird ihm damit auch in seinen angestammten Bereichen das Überleben sichern.

Atomisierungsmodell ohne überzeugende Alternative

Ist man einmal zu der Erkenntnis gelangt, daß eine Ausweitung der Fachanwaltschaften schlicht notwendig ist, dann stellt sich noch die Frage, welches Modell hierfür Verwendung finden soll.

Michael Quaas, Anwalt 1--2/2004, 11, hat ein Modell vorgestellt, das folgende Kriterien beinhaltet: Hinreichende Abgrenzbarkeit gegenüber bisherigen Fachanwaltschaften, Erfassung einer breiten Nachfrage, Erfordernis eines Spezialisten aufgrund des Schwierigkeitsgrads, Notwendigkeit gegenüber Dritten aus Wettbewerbsgründen. Dieser Kriterienkatalog war -- leicht modifiziert -- von der Satzungsversammlung angenommen worden. Dann fanden Einzelabstimmungen über die danach zu beschließenden Fachanwaltschaften statt. Keine einzige der systemkonform vorgeschlagenen Fachanwaltschaften fand eine Mehrheit. Das Modell hat sich damit in der Satzungsversammlung als praxisuntauglich erwiesen. Aber auch die theoretischen Kriterien vermögen bei näherer Betrachtung nicht zu überzeugen. Das Abstellen auf eine mögliche Notwendigkeit "aus Wettbewerbsgründen" zeigt nur den ängstlichen Blick aus der Defensive gegenüber anderen Berufen, die auf den Rechtsberatungsmarkt drängen. Erforderlich wäre es hingegen, den Mandanten in den Blick zu nehmen, also einen vollständigen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Welches Gebiet im einzelnen so "schwierig" ist, daß es den Spezialisten erfordert, läßt sich abstrakt kaum sagen und provoziert den Streit im Einzelfall. Die "breite" Nachfrage ist kein sinnvolles Kriterium, denn auch eine weniger umfassende Nachfrage kann des Spezialisten bedürfen.

Das Gegenkonzept ist mit dem Namen von Hartmut Scharmer, Anwalt 1--2/2004, 12, verbunden. Dieses "Atomisierungsmodell" beruht auf dem Gedanken, daß sich jeder Rechtsanwalt selbst seinen Schwerpunkt aussuchen können soll. Die Rechtsanwaltskammer muß dann eine Jury zusammenstellen, die eine Prüfung vornimmt. Da die Definition des Gebietes dem Anwalt selbst überlassen wird, ist auch der "Fachanwalt für Kleingartenrecht" oder der "Fachanwalt für Deichrecht" denkbar. Diese etwas exotischen Gebiete wird es in der Praxis kaum oder gar nicht geben, der Markt reguliert sich insoweit selbst. Das Atomisierungsmodell überrascht auf den ersten Blick. Es provoziert intuitive Abwehr. Bei näherer Betrachtung erweist es sich aber als das einzig wirklichkeitsgerechte Modell. Es gibt keine bessere Alternative. Die Satzungsversammlung ist nicht in der Lage, einen festen Kanon von Rechtsgebieten zu benennen, die einer Fachanwaltschaft würdig sind, und diese vernünftig von den anderen Gebieten abzugrenzen. Es muß jedem Berufsangehörigen selbst überlassen bleiben, autonom seinen Schwerpunkt zu definieren und sich darin einer Prüfung zu unterwerfen.

Visionen

Die deutschen Anwaltsorganisationen haben es bislang nicht vermocht, Visionen zu entwickeln, die helfen könnten, den unumgänglichen Strukturwandel zu steuern und zu begleiten. Es fehlt an einer neuen, umfassenden Qualitätsdiskussion. Der DAV-Kongreß "Zukunft der Anwaltschaft" im Februar 2002 hatte hierzu noch einen Versuch unternommen. Er scheiterte u.a. an der starren Ablehnung der Satzungsversammlung und an der fehlenden Nachhaltigkeit. Zukunftsweisende Konzepte sind nun auf dem Altar einer allgemeinen Kompromißhascherei im bequemen Schmusekurs mit einer anwaltsverachtenden Politik geopfert worden (diesen Kurs verteidigend: DAV-Präsident Kilger im Editorial zum AnwBl. 3/2004). Der Kongreß tanzt. Jeder Anwalt muß sich nun selbst auf seine Stärken besinnen, darauf seine Strategie aufbauen. Die geprüfte Qualität der Fachanwaltschaft wird ihm helfen, auf dem Rechtsberatungsmarkt -- gut -- zu überleben. Das wird nicht ohne Anstrengungen gehen. Der Spaß an seinem beruflichen Erfolg wird ihm aber Recht geben.


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